Ein Leserbrief aus Bayern

Ja, ich bin Abgeordneter im Landtag. Und ich habe meinen Hund
angestellt, nein, der ist nicht mit mir verwandt, du Depp, du damischer.
Natürlich gehört er mir, was heißt hier Sklaverei. Einen Hund besitzen
ist kein Gesetzesbruch. Ja, er bekommt ein Salär, schließlich muss er
gut im Futter sein. Und scharf, das kostet Geld, ihn so abrichten zu
lassen. Schließlich soll er doch mich und die Akten über die bayrischen
Gehalts-Amigos bewachen.

Tatort: Gleich um die Ecke

Zeitsplitter häckseln Jahreszeiten
Schnittwund, dieser Frühling.
Ein Kauz ohne Obdach, ohne Flügel
Liegt frosttot in verwohntem Plastiksack.
Über ihm, ans Schaufenster gesprayt:
„Jetzt hat sichs ausgelungert!“

Eine Pfütze Sonnenlicht – fröstelt

Sicher

Ich fühle mich sicher
Wenm ich so sitze
In deinem Schoß, Stille
Behutsam behütet
Ähnlich einer Pflanze
In giftfreier Erde.

Vulkanesk

„Der Musiklehrer, er sprach hessisch mit einem Hauch Hochdeutsch, demonstrierte
gerne sein absolutes Gehör. Freiwillige aus der Klasse durften ihn ausführlich
prüfen, welche Kakophonie sie auch dem Flügel entlockten, er erkannte jeden
Ton. Dann schob er die Unterlippe etwas vor, ging zum Flügel, um den Schüler
vom Hocker zu verscheuchen, setzte sich, als setze er sich auf einen Thron,
konzentrierte sich einen Augenblick und sang ein Kunstlied aus der „Winterreise“ ,
von sich selbst begleitet:
„Fremd bin isch oingezo-o-chen,
fremd zieh isch wi-i-dä-ä aus.“
Da brach der Lachvulkan zum ersten Mal aus, der Sänger ließ sich nicht stören:
„ Der Mai waa miä gewo-ochen“- die La-a-ava des Gelächters floß, harte Brocken
aller Vokale wurden mit Urgewalt ausgespuckt, die Mitschüler lauschten, der
Lehrer sang und spielte, ich verließ die Klasse unter Lacheruptionen. Lange noch
hallten sie im Flur.“

Mein Gegenüber im Speisewagen der DB säuberte seine Brille, setzte sie wieder
auf und betrachtete mich wie durch ein Mikroskop, als sei ich ein neues Virus.
Im Lautsprecher näselte eine Stimme: „ In wenigen Minuten erreichen wir Frankfurt.“
Der Unbekannte stand auf, nahm seinen schmalen Aktenkoffer: „ Mier zwei däte
gut zusamme passe.“ Und legte eine Karte vor mir auf den Tisch.
„ Liederabend
im
RARITÄTENKABINETT“

Spitzfindig

Wo du nur immer bist.

Nicht dort
Wo du glaubst, dass ich bin.

Wortklauber.

Stimmt, ich klaube leere Hülsen
Aus dem Unrat
Wie andere leere Flaschen.

Und du hast dich dabei
Noch nicht entdeckt?

Doch.
In jeder kleinen Pause
Zwischen deinen Worten.

Hörst du die Bäume und Sträucher knospen?

In dem Sonnenfleck, zart
Vibriert er auf meiner Haut –
Erkenne ich dich

Wir, eine Schwingung
Die meine Augen staunend
Identifizieren als
Ich

Frühlingsblau ist der Himmel
Und wie du dich biegst
Lachst und lachst
Blau auch du.

Blauäugig

Die Lizenz, das Blaue vom Himmel zu lügen, wer vergibt sie und wem
und warum, und wo ist es jetzt, das Blaue? In den Steueroasen? Und
wessen Palmen wachsen in den Himmel der Büros der Briefkasten-Firmen?
Und wie zwergig ist so eine Steueroase, in der ein vier-stöckiges Haus mit
18 000 Firmen, Briefkasten-Firmen ohne Briefkästen liegt? Steuert die Oase
die Steuer? und wohin steuert die Oase, wenn sich wer versteuert hat?

Verlustig

Schlimm, wenn Sie verlieren, was sie haben. Wenn Sie verlieren,
was Sie sind, können Sie nur durch Haben noch scheinen, dass sie
wer sind. Und was sind Sie dann? Vielen Haben eine Zumutung.

Haben gehen selten zu Fuß, indes Sie bei Fuß stehn. Aber
bringt Sie das weiter? Nicht zu einer Steueroase, wo die Sparschweine
begnadigt werden und quieken vor Lust, und lange Zahlenkolonnen
schnieken Männern die Hemdenbrust stärken – irgendwo in der weiten
Welt.

und

ich weiß
nicht,wo mein Gefieder
in deins übergeht

Es klopft

Oder Klingelt, ein Überfall
Der Vergangenheit.

In Winkeln und Ecken
In Schrunden, Narben
Und hinter kosmetischen Fassaden
Lauern gelebte Filme
Ausblendungen
Und schnelle Schnitte
Als Auswege
Oder Sackgassen mit
Kopfsteinpflaster, Pflaster
Auf einer Phrase
Eines Lieds