Leseprobe ‚Murphys Abenteuer‘

1.Murphy kann sehen

Langsam wachte der kleine Dackelwelpe auf und rekelte sich. Wie immer lag er nah an seine Mutter und die Geschwister gekuschelt. Wie schön warm und weich sich das anfühlte!
Heute war irgendetwas anders als sonst, es erschien ihm alles sehr viel heller und auch lauter. Er öffnete die Augen.
MOMENT! Er konnte die Augen öffnen! Zum ersten Mal in seinem, bis jetzt drei Wochen dauernden Leben sah er.
Und nicht nur das – er konnte auch hören. Das helle Licht und die vielen Töne verwirrten ihn und er schaute hilfesuchend um sich.
„Hallo mein kleiner Murphy, aufgewacht?“ sagte eine liebe Stimme. Der Dackeljunge wusste ganz von selbst, dass die Stimme seiner Mutter gehörte. Jetzt regten sich auch die Geschwister. Murphy beeilte sich, um als erster an die Zitzen seiner Mutter zu kommen, denn er hatte plötzlich einen mächtigen Hunger. Als er sich satt getrunken hatte, kuschelte er sich wieder ganz dicht an und schlief glücklich ein.

Als er das nächste Mal aufwachte, hatte er ganz schlimme Zahnschmerzen und jammerte drauflos. Liebevoll leckte ihn seine Mutter ab.
„Du bekommst deine Milchzähne, mein Kleiner. Das tut ein bisschen weh, aber es vergeht auch wieder. Trink noch ein wenig Milch und dann kuschelst du dich ganz nah an mich.“ Das tat der kleine Dackel auch, und bald war er eingeschlafen.

2.Ein seltsames Wesen

An diesem Morgen wurde er durch seine Geschwister geweckt. Einer seiner Brüder versuchte Murphys Pfote in den Mund zu nehmen, während ein anderer seine Nase ableckte. Das kitzelte ganz schön. Murphy drehte den Kopf schnell weg und schaute sich interessiert um. Er saß zusammen mit seiner Mutter und den fünf Geschwistern in einer großen Holzkiste, die innen mit Sägespänen ausgelegt war. Der Raum, in dem sie sich befanden war ziemlich groß und dunkel, aber Murphy hatte keine Angst. Er war ja nicht allein.
Plötzlich ging die Tür auf und ein seltsames Wesen betrat den Raum.
„Das ist ein Mensch, Kinder“, sagte seine Mutter. „Ihr müsst immer nett zu ihm sein und ihm gehorchen, denn er ist unser Rudelführer. Er füttert uns und er sorgt für unsere Sicherheit.“
„Aber er sieht komisch aus, Mama“, wagte Murphy einzuwenden.
Liebevoll schaute seine Mutter ihn an. „Das macht nichts. Er ist zwar nicht so hübsch haarig wie wir, aber er bringt das Futter.“
Der Mensch hatte eine große und eine kleine Schüssel in den Händen. Er beugte sich hinunter und stellte die Schüsseln auf den Boden, während er redete. „So, hier ist euer Futter. Einmal für die Mutter und eine Schüssel für die Jungen.“
Murphys Mutter ging zu der großen Schüssel und fraß daraus. Während sie kaute, ermunterte sie ihre Welpen: „Der kleine Napf ist für euch. Versucht das Futter einmal. Es schmeckt sehr gut.“ Vorsichtig ging Murphy als Erster zu dem kleinen Napf und roch an dem Inhalt. Ja, das roch sehr angenehm. Dann probierte er laut schmatzend. Hmm, das schmeckte wirklich gut, wenn auch nicht so gut wie Mamas Milch. Nach und nach wagten sich auch seine Geschwister an den Napf, der Ruck-Zuck leergefressen war. Der Mensch hatte ihnen mit großen Vergnügen zugeschaut und nahm die leeren Schüsseln auf. „Donnerwetter“, staunte er, „das nächste Mal muss ich euch ein bisschen mehr Futter bringen.“
„Das ist eine gute Idee“, sagte Murphy.
Der Mensch drehte sich um. „Das ist ja ein ganz Frecher! Kläfft mich jetzt schon an.“
„Nein, ich meinte nur, dass du das nächste Mal mehr Futter mitbringen sollst“, sagte Murphy, aber der Mann verstand ihn wohl nicht. Er ging aus dem Raum, ohne geantwortet zu haben.
„Ihr müsst wissen, dass nur ganz wenige Menschen unsere Sprache sprechen“, erklärte die Dackelmutter. „Die Meisten machen sich gar nicht die Mühe uns zuzuhören. Doch wir können uns ihnen trotzdem verständlich machen. Sie sind nur manchmal etwas schwer von Begriff.“
Sie seufzte. „Wir müssen ein wenig Geduld aufbringen, früher oder später verstehen unsere Menschen, was wir von ihnen möchten.“
Das war alles sehr aufregend für Murphy. So legte er sich hin und machte ein Nickerchen.
Mittags wachte er davon auf, dass der Mann in den Raum kam und mit den Futterschüsseln klapperte.
Weil Murphy nun schon wusste, wie es ging, bemühte er sich wieder als erster an den kleineren Napf zu kommen. Das gelang ihm mit einem Trick: Er kniff einfach die Augen zu, nahm Anlauf und rannte los. Schon hatte er die Nase im Futternapf. Hm, das schmeckte ihm von Mal zu Mal besser. Trotzdem mochte er nicht auf Mutters Milch verzichten und holte sich nach dem Essen noch einen Nachtisch bei ihr.

3.Ein besonderer Tag

Die Tage vergingen. Murphy trank Milch, aß das Futter, das der Mensch regelmäßig vorbeibrachte, und schlief ganz viel. Zwischendurch spielte er mit seinen Geschwistern.

So nach und nach traute er sich immer weiter aus der Ecke heraus, in der die Schlafkiste für ihn und seine Familie stand. Bald hatte er, zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern alle Teile der Garage, denn das war der große Raum, beschnüffelt. Jetzt kannte er sich richtig gut aus und tollte mit seinen Geschwistern im ganzen Raum herum. Wenn die Kleinen zu stürmisch mit einander umgingen ermahnte sie die Mutter:
„Vorsicht Kinder, verletzt euch nicht. Merkt euch: Wenn ihr in irgendetwas beißt und es quiekt oder schreit, dann müsst ihr loslassen, denn dann ist es lebendig…“

Heute schien ein besonderer Tag zu sein, denn die Dackelmutter leckte ihre Jungen sehr sorgfältig ab. „Kinder, ihr müsst sauber sein, denn es kommen Leute, die euch anschauen.“
Sie seufzte tief. „Wir werden uns bald trennen müssen. Ihr findet eure Menschen, denn sie suchen euch jetzt bestimmt aus. Ich muss zurück zu meinen Leuten.“
„Ich will auch mit zu deinen Leuten, Mama“, piepste Murphy erschrocken. „Mich braucht keiner aussuchen, denn ich will keinen eigenen Menschen. Die sind mir zu groß und sie riechen komisch!“
Beruhigend leckte ihm seine Mutter über den Kopf. Sie kam aber nicht mehr dazu, ihm zu antworten, denn die Tür öffnete sich. Herein kam der Futterbringer und nach ihm betraten zögernd zwei weitere Menschen den Raum.
„Jetzt benehmt euch gut, Kinder“, flüsterte die Mutter. „Das sind die Ersten, die sich einen von euch aussuchen möchten. Ein Mann und eine Frau, das ist schon mal gut. Sie sehen freundlich aus, das ist noch besser.“
Finster schaute Murphy zu dem Pärchen hoch. Das waren also die Leute, die ihn von seiner Mama und den Geschwistern trennen wollten! Denen würde er es zeigen!
Er stürzte sich auf den Größeren der Beiden. „Hey, du, ich will bei meiner Mama bleiben. Wenn du mich aussuchst, dann beiß ich dich“, sagte er laut. Zur Bekräftigung biss er in einen langen Faden, der dem Mann aus dem Schuh hing.
„Ha! Ich meine es ernst!“
Die Frau ging in die Hocke und streichelte ihm sacht über den Kopf. „Och, schau mal Alan, ist der süß! Er mag dich!“
Alan lachte. „Ja, das ist ein munterer kleiner Kerl und ich mag ihn auch.“ Mit diesen Worten streichelte auch er den kleinen Hund.
Einen Moment lang schloss Murphy genießerisch die Augen. Streicheln fühlte sich noch besser an, als Mutters Abschlecken. Dann besann er sich und versuchte gefährlich zu knurren, während er den Schuhfaden weiter lang zog.
Wieder lachte der Mann. „Der Kleine ist wirklich super, was meinst du? Wollen wir ihn nehmen?“
„O ja, Alan, er ist so süß und auch so lebhaft. Ich habe ihn jetzt schon lieb! Und wie süß er maunzt!“ Die Frau schien gar nicht zu begreifen, dass Murphy gefährlich knurrte.
„Das ging ja schnell“, meldete sich der Futtermensch zu Wort. „Wissen sie schon einen Namen für den Kleinen?“
Alan brauchte nicht lange zu überlegen. „Ja, sicher, er heißt Murphy“, meinte er nach einem kurzen Blick auf den kleinen Hund, der immer noch an seinem Schnürsenkel zerrte.
Verblüfft ließ Murphy los. „Woher weißt du denn meinen Namen?“ fragte er.
Alan nahm ihn auf den Arm. „Da staunst du, mein Kleiner“, sagte er. „Du und ich – wir werden ein super Team.“
Murphy konnte gar nicht anders, er kuschelte sich an und schloss die Augen, während Alan ihm den Bauch kraulte. „Jetzt bleibst du noch einige Zeit bei deiner Mutter. In drei Wochen holen wir dich ab.“
Der Futtermensch mischte sich ein: „Ja, dann behalte ich das Tier eben bis sie aus dem Urlaub kommen. Das ist kein Problem.“
Behutsam setzte Alan den kleinen Hund wieder zu seiner Mutter in die Kiste. „Ja, dann sind wir uns einig. Der Welpe ist sowieso im Moment noch besser bei seiner Mutter aufgehoben. In drei Wochen hat er das richtige Alter.“
Zum Abschied streichelte er Murphy noch einmal. „Bis bald, Kumpel. Wir sehen uns!“

Als die Hundekinder später völlig erschöpft von all der Aufregung des Tages neben ihrer Mutter einschliefen, flüsterte Mama ihrem kleinen Murphy ins Ohr. „Siehst du, das sind DEINE Menschen – du hast sie und sie haben dich ausgesucht! Genau so muss das sein!“

4.Allein

Im Laufe der nächsten Tage kamen immer wieder Leute, um sich einen Welpen auszusuchen. Die meisten nahmen ihren Hund sofort mit, obwohl die Tiere nicht einmal sechs Wochen alt waren. Bald blieben nur noch Murphy und seine Mutter übrig, die von Tag zu Tag trauriger wurde.
„Ach mein Kleiner, unsere gemeinsame Zeit läuft bald ab“, sagte sie ein ums andere Mal.
„Ach was, Mama, wir sind doch zusammen.“ Murphy wollte nicht zugeben, dass ihm die Geschwister ganz schön fehlten. „Vielleicht musst du gar nicht weg.“
Die Dackelmutter fuhr ihm liebevoll mit der Zunge über den Kopf und seufzte. „Ich wollte es wäre so. Aber der Mann, der uns das Futter bringt, ist kein guter Mensch. Er hat meinen Leuten Geld geliehen und weil sie es nicht zurückzahlen konnten, hat er einen Handel mit ihnen abgeschlossen: Er nimmt mich mit und verkauft meine Jungen. Anschließend bringt er mich wieder nach Hause. Doch jetzt bin ich ja hier und wir wollen an etwas Anderes denken…“

Dann, eines Morgens, wachte Murphy auf und war ganz allein.
Er blinzelte.
Wo war seine Mutter?

„Mama“, rief er und noch einmal lauter: „Mama???“
Er bekam keine Antwort. Der Raum erschien ihm plötzlich riesengroß und duster. Er fühlte sich ganz schrecklich einsam. So rollte sich der kleine Dackel zusammen und weinte leise vor sich hin, bis er schließlich erschöpft einschlief.

Irgendwann später schreckte er auf. Der Futtermensch stand vor ihm und betrachtete ihn abschätzend.
„Wenn ich gewusst hätte, wie viel Ärger du mir machst, du Töle.“ Mit diesem Worten packte er den kleinen Hund und trug ihn ins Freie.
Der blinzelte, denn das Sonnenlicht kam ihm ungewohnt hell vor. Der Futtermensch setzte ihn auf dem Boden ab und Murphy machte zögernd ein paar Schritte, um sich gleich wieder ängstlich an den Menschen zu drücken.
Eine Meute von großen Hunden stürzte auf ihn zu und umringte ihn laut bellend.
„Was willst du hier, du kleiner Mistköter“, bellte ihn der gefährlich aussehende Rudelführer an.
Murphy senkte ehrerbietig den Kopf. „Das weiß ich nicht, denn der Mensch hat mich hier her getragen“, sagte er leise und drückte sich noch enger an das Hosenbein des Futtermannes.
Der schüttelte den kleinen Hund ab. „Dann sieh mal zu, wie du klarkommst“, murmelte er und stapfte davon.
Die Hundemeute rückte drohend näher. Der Rudelführer stürzte sich auf den Welpen und rannte ihn um.
„Nur damit du weißt, wer hier das Sagen hat“, meinte er, und zu den anderen Hunden gewandt: „Der Mensch schert sich nicht um den kleinen Kacker. Wir können also unseren Spaß mit ihm haben.“

Von Stund´ an zitterte Murphy um sein Leben. Die Meute trieb ihr böses Spiel mit ihm, wann immer sie Langeweile hatte. Meistens umringten die Hunde ihn. Einer stürzte sich auf ihn und warf den kleinen Kerl um. Sobald er sich wieder aufgerappelt hatte, stürzte schon der nächste Hund auf ihn zu und das Spiel ging von neuem los.

Der Mensch kümmerte sich wenig um das böse Treiben. Gerade, dass er dafür sorgte, dass der Welpe genug zu essen bekam. Nur wenn Murphy all zu sehr weinte, weil er nicht ein noch aus wusste, ging der hartherzige Mann dazwischen und trieb die Hundemeute auseinander.
Schließlich sperrte der den Welpen wieder in der großen Garage ein, in der Murphy mit seinen Geschwistern und seiner Mutter gewesen war. Dort drückte sich der Kleine in eine Ecke und zitterte vor Angst. Wie groß und dunkel es hier war, so ganz allein

  • Ich habe es gewagt!
    Das ist eine Leseprobe aus meinem ersten Kinderbuch.
    LG