Schlechte Hormone
„Sie haben schlechte Hormone“, sagte meine Gynäkologin und sah mich streng über ihren Brillenrand hinweg an.
„Wie bitte“, stammelte ich, während sich vor meinem inneren Auge Horrorvisionen abspulten. Ich sah mich, wie ich meine Hormone in die Biotonne warf, weil sie nicht mehr gut, also ziemlich vergammelt waren. Oder gehören sie eher in den gelben Sack? Hormone sind ja irgendwie künstlich oder so.
„Nun“, sagte Frau Doktor beschwichtigend, denn sie musste meinen irren Blick bemerkt haben. „Das Klimakterium ist heutzutage kein Problem. Ich gebe ihnen ein Präparat mit. Benutzen Sie dieses Hormongel. Monatlich verschreibe ich zusätzlich eine große Packung Antidepressiva und schon ist alles wieder gut.“
Zu Hause angekommen setzte ich sofort den Laptop in Betrieb und wühlte mich durch die einschlägige Literatur zu Thema. Ratgeber gibt es wirklich genug, wie ich schnell feststellte. Meist teilen hippe Agerinnen der Welt mit, dass es täglich neue Chancen für Frauen mit schlechten Hormonen gibt. Schwitzen, ach was. Endlich wieder luftige Kleidung tragen! Ein Formtief, kein Thema. Dank Yogaübungen für den Beckenboden hebt sie dieser und zusätzlich auch die Laune!
Das half alles nicht weiter, jedenfalls nicht mir. So vertiefte ich mich in die Brigitte Zeitschrift für die reife Frau. Artikel mit der Überschrift: ‚Haarausfall, endlich kein Intimwaxing mehr’ oder ‚Das neue Fünfzig ist das alte Fünfunddreißig’ ließen mich erschauern. Nachdem ich den Beitrag ‚Mit Hyaluron aufgepeppte Schamlippen’ neben dem Bericht ‚Mode pur – die etwas andere Handtasche’ fand, legte ich auch die Zeitschrift ad acta. Das kam mir alles irgendwie unrealistisch vor. Es klang wie der Standard Beruhigungssatz für Schwangere: „Nach der Geburt hast du alle Schmerzen vergessen.“ Von wegen! Meine Mutter erinnert sich nicht mehr an meinen Namen, aber den Geburtsschmerz, den ich ihr bereite habe, hat sie jederzeit parat.
Also beschloss ich, den Bleistifttest (sie wissen schon) nicht mehr durchzuführen. Mal ehrlich, wer braucht schon Möpse, wenn sie sich auf einem Selbstfindungstrip gen Erdboden befinden! Auch den Ganzkörperspiegel mied ich, achtete aber verstärkt auf Nasenhaare, um sie gegebenenfalls auszuzupfen.
Auch entdeckte ich ein neues Laster: Trash-TV. Filmchen, in denen botoxgestählte Blondinen Sätze wie: ‚Nicht die Hochzeit, die Scheidung muss sich lohnen’, raunen. Erstaunt stellte ich fest, was ich nie bemerkt hatte. Es gibt im deutschen (und wahrscheinlich auch im internationalen) Fernsehgeschäft keine reife Frau, die älter aussieht, als Frauke Ludowik.
Sei’s drum – die unsägliche Desiree Nick, beispielsweise oder Frau Effenberg zeigen auf, wie man äußerlich konserviert wie weiland die tote Nofretete und innerlich schwer verbittert sein kann. Es machte Klick, denn wer will schon so sein – und so aussehen?
Also ging ich einfach weiter zum Sport, zog meine morgendlichen Joggingrunden durch den Park und gönnte mir mein abendliches Gläschen Rotwein. Nach und nach entdeckte ich die positiven Seiten des Hormonverfalls. Das Flirten zum Beispiel ist wesentlich weniger strapaziös. Nie wieder auf himmelhohen High Heels die Shakira auf der Tanzfläche machen. Lieber auf Mister Lover-Lover verzichten und einen netten Typen lieb anlächeln. Glaubt mir, Mädels, das wirkt super. Kein Strip in Lack und Leder ist angesagt oder Verrenkungen an der Stange. Lieber Streicheleinheiten und mal schauen was sich ergibt. Mit dem Eintritt ins weise Alter weiß frau, was sie will. Keinen Tennissockenträger mit Hängebäuchen, auch keinen verheirateten Lover mit wenig Zeit wegen ‚Mutti und die Kinderchen’ und sicher keinen Typen, der zwar gut im Bett aber doof im Kopf ist.
Übrigens: Ich warte mit Vorfreude auf einen dieser Anrufe in denen es heißt: ‚Hallo hier ist Guido Dingens. Frau P. ich gratuliere. Sie haben gewonnen.’
Ich werde mit zitternder Stimme antworten: ‚Wissen sie, junger Mann. In meinem Alter bracht man nichts, man stirbt sowieso bald. Lassen sie uns über Gott reden.’
Und dann lache ich mich kaputt …
© by Angie