In der Sanduhr

Die Lider sperrten sich, zögerlich nur gaben sie einen Spalt frei – Morgen-
sonne pulsierte auf seinem Gesicht, sofort war er wach! Blick auf die Uhr,
eine Stunde zu spät, er sprang aus dem Bett, hastete in den Flur und dann
Sprint Richtung Dusche, – diesig – plötzlich, in seinem Kopf, er torkelte leicht,
bis zur Toilette, dachte er, da kannst – du dich set – z

Als er zu Bewusstsein kam, lag er auf dem Boden im Vorraum zur Dusche, über
sich Besen – und Schrubberstiele und daneben ein umgekippter Eimer.Vorsichtig
auf alle Viere, dann mit den Händen an der Wand sich hoch hievend bis er auf den
Beinen stand, mit den Händen an der Wand lang, als hangele er sich, mühsam, mit
Pausen, zurück ins Zimmer, fiel aufs Bett. Drehte sich zur Seite und bummerte mit
beiden Fäusten gegen die Wand. Bis sein Nachbar im Türrahmen stand.
„ Mir is hundeelend. Sag der Rezeption, sie sollen einen Notarzt rufen.Und infor-
miere Klaus, die Wanderung fällt für mich aus.“

Klaus kam zu ihm, im Schlepptau ein Rezeptionist und ein Unfallrettungsteam.Der Arzt
und die Ärztin sprachen deutsch, er erklärte, er habe in einem deutschen Krankenhaus
gearbeitet. Die beiden befragten ihn, was passiert sei und er berichtete, nicht
ahnend, dass er den Hergang noch viele Male im Krankenhaus wiederholen müsse.

Er wurde untersucht, dann auf einer Trage zum Rettungswagen transportiert, in dem
das Team ihn zum Krankenhaus nach Como fuhr, um weitere Untersuchungen durch-
führen zu lassen, begleitet von einem deutschen Freund und dem Rezeptionisten als
Übersetzer. Der war im Krankenhaus nötig und willkommen. Nach Ankunft bei der Not-
aufnahme gab der Arzt des Rettungswagens auf italienisch eine Zusammenfassung und
wurde zum nächsten Notfall gerufen.

Nach erneuter Untersuchung zweier Notärzte des Krankenhauses, wurde er, nach
Sicherstellung von Pass und Krankenversicherungskarte, in einem Einbettzimmer unter-
gebracht, weil kein anderes Bett frei war.

Eine Nonne besuchte ihn, in Begleitung des Stationsarztes, beide sprachen weder deutsch
noch englisch. Der Rezeptionist übersetzte vom Italienischen ins Englische und umgekehrt. Er informierte die Nonne, dass der neue Patient Vegetarier sei. Sie war hager, trug ihr schwarzes Habit, Dem neuen Patienten erschien sie eine Demonstration stimmlicher Askese, denn sie kannte nur zwei Modi, energisch, fast schneidend und der Klang kollernder Steine.

Inzwischen war Mittag, er hatte Hunger, denn er war durch die Umstände ohne Frühstück
geblieben. Die Nonne servierte das Essen. Als der Deckel über dem Teller gelüftet
wurde, lag in der Mitte des Tellers etwas Reis, mit einem Schälchen wohl geformt und
mit ein wenig Sauce künstlerisch bekleckert. Brokkoli, Spinat und ein Tellerchen Salat mit
ein paar Oliven waren eine Fata Morgana, nur der Apfel als Nachtisch war so echt wie der Reis.
Er bat um ein Glas heißes Wasser.
„ Haben Sie Verstopfung?“
„ Nein. Das Wasser füllt wenigstens den Magen.“
„ Das ist jetzt nicht möglich, unsere Küche liegt in einem anderen Gebäude. Guten Appetit.“

Am Nachmittag wurde er von einem Arzt zum Röntgen seines Schädels abgeholt. Danach gaben sich verschiedene Fachärzte und -ärztinnen die Klinke seines Zimmers in die Hand, aber es gab keinen Übersetzer mehr. Niemand sprach deutsch, der Pfleger etwas englisch, der Stationsarzt allerdings fließend französisch. Die Krankenschwester auch ein wenig. Bis sie auftauchten freute er sich über jedes italienische Wort, dessen Sinn er zu verstehen glaubte. Er kramte in seinen Gehirnzellen nach lateinischen Überresten, mit wenig Erfolg.
Der französisch sprechende Arzt hatte ein loses Mundwerk, schlug der Krankenschwester vor, den Allemano zu heiraten und nach Köln zu ziehen, schließlich lebe dort ihre Schwester mit einem Alemanno zusammen.
„ Wie geht es Ihnen?“
fragte er den Deutschen.
„ Gut.“
„ Wann wurde Ihre Prostata untersucht?“
„ Meine Prostata? Noch nie.“
„ Das können wir jetzt erledigen. Spart Zeit. Sie brauchen auf keinen Arzttermin zu warten und
das Warten im Wartezimmer erübrigt sich auch. Es dauert nicht lange.“ “
„ Wollen Sie damit sagen, meine Prostata hätte durch den Sturz Schaden genommen?“
Arzt und Schwester lachten. Der Alemanno überlegte laut:
„ Es wurden weder Magen – noch Darmspiegelung gemacht, die Mandeln sind noch drin, der Blinddarm ebenfalls. Womit möchten Sie anfangen?“
Lachend verließ der Weißkittel das Zimmer, die Schwester im Gefolge.

Das Abendessen wurde gebracht. Der Patient seufzte:
„ Die Köche müssen Anhänger des Minimalismus sein.“

Nach dem Essen legte er sich auf´s Bett. Das Geplapper auf dem Flur nervte, er stand auf und schloss die Zimmertür. Das Geplapper war fast ausgesperrt, ein oder zwei Minutenn, dann stand die Tür wieder offen, er stand auf und schloss die Tür. Die Tür wurde geöffnet, er schloss die Tür, die Nonne trat auf und erklärte ihm pantomimisch, alle Türen sollen offen stehen. Sein Mund machte keine Ausnahme.
Zurück im Bett, entdeckte er über dem Kopfende eine Zeichnung vom Kopf des Nazareners mit der Dornenkrone, daneben hing an einer Schnur die Klingel für den Notfall.
„ Wen ruft man, wenn man sie benutzt, und wer kommt? fragte er sein inneres Orakel.
Die Tür wurde geschlossen. Die Nonne begann im Flur zu beten, laut. Die Katholiken
in den Zimmern sprachen jede Zeile nach. Als das Gebet beendet war, öffnet sich die Tür. Er hört
den Patienten vom Nebenzimmer stöhnen. Das Stöhnen folgt ihm in seinen Schlaf. Ihm träumt,
er stecke in einer Sanduhr und kämpfe gegen ihren Sog.

Sehr früh am Morgen, er lag auf der Seite, wurden seine Ohren wach – kein Stöhnen mehr aus dem Nebenzimmer. Er rollte sich auf den Rücken, die Lider klappten hoch, die Tür stand offen. Schlief der Nachbar oder war er – aussortiert?

Er stand auf und ging nach nebenan ins Bad, duschte, wurde dadurch gänzlich wach und kehrte
zurück ins Krankenzimmer. Fast war vergessen, weshalb er hier gelandet war. Er machte ein paar Liegestütze. Es klopfte, eine kräftige Italienerin trat ein, um ihn zu waschen oder gar zu duschen?
In einem italienisch – deutsch – englischen Wortsalat erklärte er, dass er bereits
geduscht und außerdem keineswegs behindert sei. Vielleicht war es Glück, dass er kein Wort
verstand von ihren Wortschwall, getränkt mit vielen Emotionen. Schließlich verließ sie kopfschüttelnd das Krankenzimmer. War sie beleidigt? Wohl kaum. Wahrscheinlicher war,
dass sie bezahlt wurde pro gewaschenem Patienten.

Er lag auf dem Bett, als ihm die Nonne das Frühstück brachte. Sie teilte ihm mit, er müsse später umziehen in ein Zweibettzimmer gegenüber. Er siedelte um. Der Zimmergenosse war Italiener, humorvoll und sprach englisch. In den Alemanno, der sich bereits wie ein Käfer totgestellt hatte, kam langsam wieder Leben.

Erneut wurde geklopft, eine Ärztin trat ein und bat ihn, ihr zu folgen.
Er verstand nur „ Röntgenaufnahme“.
„ Aber die wurde bereits gestern gemacht.“
Er blieb stehen. Sie nahm ihn am Arm und zog den sich Sträubenden hinter sich her.
„ Röntgenaufnahme … Raggi X, Ieri, gestern! „
Die Ärztin war einen Kopf größer als er und hatte den Körperbau einer Kugelstoßerin.
Sie blieb stehen und schob ihn vor sich her, den Flur zurück, zu einem Pult.
Dort sprach sie zu einer jungen Frau, die fütterte den Computer und das Ergebnis: „Gestern wurde eine Röntgenaufnahme des Schädels gemacht, ,“ jetzt sei die Lunge dran.

Zurück im Zimmer, erschien der Stationsarzt und erklärte , man habe keine Schäden durch den Sturz finden können, aber auch nicht die Ursache seiner Ohnmacht. Er könne noch am selben Tag entlassen werden.

Bevor er seine Habseligkeiten packen konnte, besuchte ihn noch eine junge Ärztin, sie schloss
die Tür, sein Mund blieb offen ob ihrer – sie gab ihm die Hand, er hatte sich im Bett aufgesetzt.
„ Ziehen Sie so stark wie möglich, ist nur ein kleiner Abschlusstest. So fest wie möglich.“
Er zog, sie fiel lachend auf ihn.
„ Sie können gehen. Vergessen Sie nicht, Ihre Papiere abzuholen!“

Er trat auf die Straße, zögernd, blieb stehen.
„ Was für ein Licht!“
Die Blüte dieses Tags öffnete sich ihm.

  • Da hat der kleine Schwindelanfall für eine schöne Geschichte getaugt!