Aquarelltage
Dieses Fenster mit dem braunen Fensterkreuz und den vier Scheiben, das ist mein Auge, sinniert er. Sitzt am halboffenen Fenster, schaut auf den gegenüberliegenden Berg: eine Straße, Wald, kahl, mit ein paar grünen Tannen durchsetzt, Häusern mit Zypressen als Wächtern, Häusern in gelb, weiß, zart-grün, ocker und rosa, mit Schnee auf dem Dach. Das Bild bewegt sich, als sähe er es als Spiegelung einer Wasserfläche. Das macht die warme Luft, denkt er, die vom Heizkörper unterm Fenster nach oben steigt. Die Sonne äugt gerade über den gegenüberliegenden Berg, ein Blaurauschhimmel sickert zwischen den Bäumen durch bis zum Boden.
In den Zweigen der Bäume auf dem Berggipfel hängen winzige Wolkenfetzen. Schneeinseln schwimmen am Hang. Er tastet das ganze Bild ab, schmeckt, ja kaut es wie Wein.
– Ich meißle mich -, sagt er leise – aus Stille, die in Bewegung gerät. –
Zwitschern und Lachen, ein Satz ist erkennbar. – Was macht er bloß all die Wochen, ja Monate schon, im Fenster. Da oben im vierten Stock.-
Er kennt dieses Gackern, eine alte Frau aus dem Dorf. Und die Stimme, die antwortet, schwärmt, auch sie ist ihm durchaus bekannt.
– Er liegt nicht immer im Fenster. Du weißt, dass er er eine Backstube hat. –
– Das nennst Du arbeiten? – gackert die erste. – Backt bloß zwei mal die Woche. –
– Ja, das reicht, hat er gesagt. Er verkauft das Brot an einige Läden der Stadt. Biologisch – , sagt sie. Und er glaubt, sie schmatzen zu hören.
– Der Deutsche -, fängt die Alte erneut an und wird unterbrochen.
– Er ist hier in Italien geboren. Seine Mutter ist Schweizerin und sein Vater war Italiener. Ich weiß das, weil — ich hab Franz mal in seiner Backstube besucht. –
– Franz -, die Alte schnalzt mit der Zunge.
– Alora, sein Brot schmeckt fantastisch. Und die Zimtrollen erst – .
– Ah, zimtrollen nennt man das heut. Bist Du zur Beichte gewesen?
– Da gabs nix zu beichten -, sagt die Junge, verhalten und mit sprödem Bedauern. Franz erinnert sich an die Stimme. Sie gehört zu kurzem, dunklem Haar, das versucht, ein leicht schielendes Auge zu verstecken.
– Er sieht gut aus -, sagt die Alte. Jetzt bekreuzigt sie sich wieder, denkt Franz. Die Junge bestätigt seine Vermutung.
– An den Kreuzen, die du schlägst, hängen deine verbitterten Wünsche, sagt man im Dorf. – Die Stimmen verschmieren in eins. Ein Hahn kräht. Er hat sich verspätet. Ist noch kühl, denkt Franz und beißt in den Morgen, dass ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. Er bewundert die Schwalben beim Flug. – Auf unser Wohl, Tag! – Er hebt eine Teeschale und schlürft einen Schluck . Sonntagszwielicht. Die Augen fallen ihm zu, kurz nur.
– Hat die Welt ein Glück, mich zu kennen, – spottet er lachend.- Glück, das ausgeschenkt werden will. In den See da drüben. In jeden Fluss, Bach, Brunnen, der unverseucht ist. –
Immer wieder zerschneiden Glocken die Zeit, die Luft, und das ist den Schwalben ein Grund zum Gelächter. Stille. Unerwartet. Stille, die man anfassen kann.
– Ich meißle mich -, sagt er leise, – aus der Stille, die in Bewegung gerät: Zwitschern und Lachen und Gackern und Brabbeln. Und Grapschen. Und Gucken von weit hinter den Augen, allen Raum noch im Blick. Alle Pausen im Gesang, im Schnüffeln und Schlucken. – Er lächelt. Atmet tief durch. – In den Bäumen, im Gras geht eine Hefe auf, Hefe aus Liebe im Teig des Bewusstseins.- Er lacht. – Tja, wenn ein Bäcker anfängt zu dichten. –
Hunde bellen sich an, ein Hahn verrät, dass er ein Wörtchen mitreden will.
– Ich staune -, sagt Franz, dass der Morgen ganz blieb. Bis jetzt. Ohne jegliche Scherben. –
Vögel fliegen durchs Bild. Und wieder hört er die Stimme der Jungen.
– Alora, du hast recht, er sieht gut aus. Und stark ist er auch. Zum Kneten des Teigs benutzt er keine Maschinen. –
– Vergiss ihn. Solche Typen bringen kein Glück.
– Sagt das etwa deine Erfahrung? –
– Heirate den Beppo. –
– Ach der. –
– Der ist zuverlässig. –
– Zuverlässig und hat nen Kropf. Si.
Alora. –
Pause. Aufatmen am Fenster.
– Was macht der bloß tagein, tagaus .-
– Was wohl -, sagt er zu sich. – Seit Jahren isst er die Wolken, weiße, schwarze, violette, isst den Regen, die Sonne, die Schwalben, Zwitschern von Vögeln, Bellen von Hunden, Katzen – und Menschengemaunze. Den Wald, den kleinen See da, den Großen, isst sie, stopft sich voll mit allen Sinnen. Und er verdaut das. Ja, er verdaut das. Bis diese ganze Landschaft, das Tal, die Berge, Häuser, auch die Leute mit den Tratschlitaneien, eins mit ihm sind. Der Franz ist ein Ausblick- und Augenblickesser. –
– Alora, von wo ist uns der Vogel überhaupt zugeflogen. –
– Vor etwa ein bis zwei Jahren. –
– Si, aber woher? –
Woher schon, denkt Franz. Ausgebüchst bin ich den Sklavenhändlern unsres Jahrhunderts. Entkommen den Gierhalsverflechtungen jeglicher Art. Noch immer sind Rußflecken vom Gestern eingebrannt in mein Nervensystem. Woher schon. Ich kenn, wie jeder, die Rauschgifteleien Gestern und Morgen. Die Landkarten der Höllen, auf denen Städte ausufern, als seien sie Abwässer aus Beton.Und ich weiß, die Ausfallstraßen, wo schrille Sekundenhimmel verkauft werden, sind inzwischen selbst Kindern bekannt.
Am Fuß des Hauses meckert ein Gelächter. Franz schließt das Fenster, verlässt das Zimmer, durchquert einen Flur und öffnet die Tür zum Balkon. Vor ihm ein Tal mit Häusern, hingestreut wie aus Versehen. Hinter violetten Hügeln, er verschluckt sich am Staunen, eine lang-lange Parade aus Schneebergen, die Alpen in rosa, bei ihrem morgendlichen Sonnengebet. Franz reibt die Hände: – Ja, ich kenne inzwischen die Goldadern des Augenblicks. Und die Edelsteine aus Sekunden, Minuten, die aus der Zeitlosigket wachsen. –
Mumpitz
7. Nov 2013
Eine sehr schöne Aussteiger-Sequenz. Ich musste unweigerlich an Frederik die Maus denken, eine Kinderbuchfigur, kennst du die? Sie sammelt den Sommer über Farben für den Winter, während die anderen Mäuse schuften und Vorräte anhäufen. Im Winter aber, als die Körner zur Neige gehen, brauchen sie Frederik, der ihnen so schöne Geschichten von den Farben des Sommers erzählen kann.
Deine Kurzgeschichte erzeugt eine sehnsüchtige Stimmung nach Ruhe. „Man müsste mal..“ denkt der Leser, seufzt und macht sich wieder an seine alltägliche Arbeit. Die Bilder und Eindrücke sind sehr plastisch beschrieben, es reichen ein paar Zeilen um einzutauchen.
Sprachlich wie bei dir gewohnt sehr filigran, ja lyrisch.
Sehr gut, findet
Mumpitz!
Maultrommler
7. Nov 2013
Nein, ich kenne Frederik, die Maus, nicht.Aber es gibt eine Tierfabel, die ein bisschen ähnelt.“Aussteiger“, stimmt nicht ganz. DEr Bäcker backt 2 mal die Woche, Tage vorher muss er alles vorbereiten, z.B. den Sauerteig ansetzen. Brot Brötchen und Süßwaren muss er ausliefern.
Kurz, nur ein „kleiner Himmel.“Freut mich, dass die Kurzgeschichte Dir gefällt. Danke.