Eines muss man Juliane Kobjolke wirklich lassen: Mut hat sie! Die stürmische Liebesgeschichte zweier smarter, attraktiver Jungdynamiker aus der (süd-)deutschen Upperclass niederzuschreiben, so etwas traut sich noch nicht mal Hera Lind. Die Frage ist: Kommt die Thüringer Autorin damit durch? Um es gleich vorwegzunehmen: Sie kommt! Dass ihr dies gelingt, liegt an zwei Dingen: Einem gerüttelt Maß sprachlicher Eleganz und einem feinen dramaturgischen Kniff.
Immer, wenn der Schmalz nämlich beginnt, die Buchseiten zusammenzupappen, schlägt das Geschehen in eine Kriminalstory um, und schon ist das Weiterblättern kein Problem mehr. Dieser Wechsel von Romantik und Thrill ist sehr geschickt gemacht. Nicht nur, dass die unterschiedlichen Ebenen den Erzählfluss beleben, die ständige Stimmungsschwankung zwischen gefühlig und bedrohlich bietet dem Leser die Möglichkeit, sich den Zentralfiguren von zwei Seiten zu nähern. Das eine untermauert zudem das andere, was der Handlung einen doppelten Boden verleiht.
Es ist schon erstaunlich. Die beiden Protagonisten, die man im ersten Moment so gern als Yuppies diffamieren möchte, werden einfach nicht unsympathisch oder gar uninteressant. Man gönnt ihnen sogar, dass alles gut ausgehen möge. Und das, obwohl sie sich permanent in Aktivitäten ergehen, von denen man gemeinhin annimmt, dass sie das „Tagwerk“ schnöseliger Wohlstandsjünglinge ausmachen: Porsche fahren, Tiefseetauchen, Cruisen mit der Jacht, Globetrottern … Aber die Gefühlswelten der von Konflikten und Tragödien gebeutelten Hauptfiguren Katinka und Christoph sind einfach zu eindrücklich entworfen, als dass Neid und Missgunst aufkommen könnten. Im Einfangen von Aufgewühltheit und Melancholie beweist die Autorin psychologisches Gespür. So gelingt es ihr auch, gängige Klischees zu unterlaufen. Man glaubt ihr bei der Lektüre unbesehen, dass selbst Leute aus der abgehobenen Oberschicht eine Seele und sogar ein Gewissen haben können. Da stört es denn auch nicht, dass Katinka und Christoph ein gewisser Reißbrettcharakter anhaftet, was ihre äußerliche Beschaffenheit angeht. Man könnte angesichts ihres auf Krawall gebürsteten Innenlebens sogar meinen, eben dieses Stereotyp sollte ganz bewusst unterlaufen werden.
(…) Das Felsenplateau lag in zwölf Metern Tiefe. Das Licht hatte nicht mehr die Kraft des Tages und während sie an der Riffkante absanken, wurde das Wasser merklich kühl. Trotz der ausgezeichneten Sichtweite umgab sie bald eine schummrige Dämmerung, welche weniger Waghalsige bereits das Gruseln gelehrt hätte. Katinka jedoch hatte es immer geliebt, in den Abendstunden zu tauchen. Aus zahlreichen düsteren Felsspalten lugten Muränen, beäugten die Besucher starren Blicks. Alle paar Sekunden klappten sie ihre Mäuler auf und zu, zeigten ihre spitzen Zähne. Eine Leopardenmuräne schnippte blitzartig hervor, schloss den Kiefer um eine ahnungslos vorbeischwimmende Brasse und verschwand ebenso schnell, wie sie erschienen war, im Dunkel des Felsens. Den orange gestreiften Clownfisch, der Katinka und Christoph seit einigen Metern begleitete, hatte sie verschont. Clownfische waren für ihre Neugier bekannt, dieses Exemplar machte keine Ausnahme, zeigte sich überdies besonders mutig, als er sich vor Katinka stellte und ihr frech in die Maske schaute. (…)
Überhaupt prägt das Buch ein ungeheurer Sprachzauber. Beschreibungen von höchster Detailgenauigkeit verdichten sich zu einer geradezu filmreifen Bildhaftigkeit. Wenn Juliane Kobjolke beispielsweise über die Unterwasserwelt referiert, möchte man selbst als ausgewiesener Tauchmuffel mit hinunter in die Tiefe, so farbig mutet das dunkle Blau an. Lässt die Tochter einer Deutschlehrerin Street Kids miteinander reden, dann trifft sie genau den Jargon. Jeder, der selbst schreibt, wird wissen, wie schwierig es ist, Jugendsprache wiederzugeben, ohne dass der Soziolekt krampfhaft bemüht und gekünstelt rüberkommt. Die gelernte Informatikerin (!) hat das hingekriegt. Nie wirkt der Slang aufgesetzt, der Ton ist durchgehend stimmig. An dieser Stelle ein Tipp für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, selbst mal zu schriftstellern: Dieses Buch erspart den nächsten Kursus für kreatives Schreiben. Man kann sich hier in Sachen Sprache einiges abschauen.
Eine echte Schwäche hat der Roman allerdings: Es regiert zu oft der Zufall. Manche Ereignisse und Begegnungen sind in hohem Maße unwahrscheinlich, um es freundlich auszudrücken. Für Lovestorys mögen Zufälle zwar durchaus ein belebendes, emotionalisierendes Element sein, Kriminalgeschichten verleihen sie hingegen in der Regel eine Attitüde des Laissez-faire. Haben diese Deus-ex-machina-Effekte bei Herzensangelegenheiten durchaus ihren Sinn (wer wünscht sich nicht bei der Partnersuche Einmischung von oben?), so wirken sie im Crime-Fach unangenehm manipulativ. In diesem Bereich hätte „Atlantik Allee“ mehr Raffinesse und detektivische Feinarbeit vertragen können.
Auch löst sich am Ende alles zu glatt auf. Auf den letzten Seiten wird der Roman zu dem, was er zuvor nicht hat sein dürfen und was bis dahin wirklich geschickt vermieden wurde: Soap! Das aber ist kein Versehen. Es hat auch nichts mit Stilunsicherheit zu tun. Dies ist ohne Zweifel von der Autorin so gewollt – und von der breiten Leserschaft wohl auch so gewünscht!