Sommer

„ Mensch, bist du albern.“
„ Komm, Duckmäuserchen, lach mit.“
Er knurrte:
„ Deine Kosenamen sind dicht am Verrat.“
Sie fuhr ihm mit der Hand zart über Stirn und Augen, die sich
rechtzeitig schlossen, Nase, Mund und Kinn.
„ Ich bin verliebt.“
„ In wen denn diesmal?“
„ In denselben, immer wieder.“
Er begann zu schmelzen.
„ Und wie heißt derselbe heute?“
„ Sommer.“
„ Phhh!“
„ Er trägt blau und strahlt und zieht sich jetzt Wolken vors
Gesicht, doch weiße, Sommerwolken eben.“
Wieviele Namen sie ihm bereits gegeben hat. Spieltrieb?
Oder weil sie sich sonst langweilt.
„ Sommer, ich hab das ganze Frühjahr lang auf dich gewartet.“
„ Sind wir beide nicht bereits im Herbst?“
„ Setz dich.“ Sie zog ihn auf eine Bank.
„ Du heißt nicht Philemon.“
Sie nahm ihm sacht die dunkle Brille ab, liebkoste seinen Hals und Nacken.
„ Ein kraulender Sommerwind.“
„ Oh, ein Wunder, dieser Sommer schnurrt.“
Sie spielte mit den Bügeln seiner Brille. Beschrieb ihm Gras und wilde Rosen.
„ Tauben gurren auf dem Dach einer baldigen Ruine. Sie flattern auf.
Singvögel – “
„ sag bitte nicht, suchen heut den Superstar!“

Von weitem hören sie eine Motorsäge. Er sagt, seine Stimme knarzt:
„ Ich bin dein Sommer? Du – meine Augen.“

Es ist angerichtet

Ihr schoss durch den Kopf: „ Du meinst, du kannst dich
ein- und ausloggen aus unserem Leben je nach Laune.“
Das traf. Er drehte das Weinglas, das vor ihm stand mit
den Spitzen von Daumen und Zeigefinger, stoppte, führte
es zum Mund und trank.
„ Der große Architekt baut sein Schweigen weiter aus. Blind Date.
Bist du nicht ein bisschen alt für Blinde Kuh-Spiele?“
Er holte tief Luft und presste sie durch den Mund aus.
„ Lisa.“
„ Mit wem verwechselst du mich, mein Name ist Elisabeth.“
Er explodierte:
„ So? Elisabeth? Dein Name ist Hase. Du, ja du hast mir von der
schwarzen Box erzählt, einem völlig dunklen Raum, den Menschen
oder Roboter aus Fleisch und Blut, nackt betreten, um sich, mit wem
auch immer, die bereits dort sind, zu vergnügen. In der Schweiz sei
das, hast du gesagt. Und als ich gelästert habe, also ganz demokra-
tisch, hast du es weiter zugespitzt, ohne Ansehen der Person, vor
dunkler Nacht seien alle gleich..Wie blind ist das denn?“
„ Womöglich treibt es Wilhelmine Tell mit Gessler,“ lachte Elisabeth.
„Bist du etwa eifersüchtig? Ich hab das mit der schwarzen Box aus
einer Schweizer Zeitung.“
Pause. Er fragte leise,heiser:
„ Unter welcher Rubrik?“
Sie fing an zu weinen.

Pulk

Der Bahnsteig ist voller denn je“, sagt ein Mann aus dem Pulk.
„ Trotzdem ist es zugig,“ schnauft eine Frau neben ihm, von der
man nicht weiß, ob ihr Mantel beleibt ist oder sie.
„ Ein zugiger Bahnsteig ohne Zug,“ kichert ein Mädchen.“ Willste
´n Zug,“ fragt ein Typ die schnaufende Frau und streckt ihr seine
rauchende Kippe entgegen.Sie zieht eine Schnute, winkt ab. Eine
S-Bahn fährt ein. Aus dem Lautsprecher plärrt eine Stimme. Der Pulk
teilt sich in kleinere Pulks vor den Türen. „ Von weiter weg sieht das
bestimmt aus, wie ne Amöbe, die sich hier teilt.“ Das Mädchen neben ihm
stubst ihn. „ Wart nur, wenn du geheiratet hast, mutierst du zum Pantoffeltier.“
„ Chen.“ „ Hä?“ Wenn schon, mutier ich zum Pantoffeltierchen.“
Die schnaufende Frau dirigiert einen kleinen Jungen zu einem Sitzplatz, er
trinkt mit einem Strohhalm aus einer Flasche.“Mamma, haste gehört?
Die Flasche röchelt.“ Die Frau bläst die Backen auf und lässt dann die Luft
stimmlos entweichen. Eine knittrige Stimme aus dem Gang sagt: „ So lange
du nich röchelst, Junge, is alles paletti.“ Die Frau wirft einen Blick in Richtung
der Stimme, er verfehlt sein Ziel. Der Junge lässt die Flasche erneut röcheln
und grinst. Die Mutter fühlt sich genervt.
„ Bei dem Streik vor wenigen Wochen hab ich, statt mit dem Regio zwanzig
Minuten, Streik erzwungen mit S-Bahn und U-Bahn zweiundeinhalb Stunden
gebraucht,“ sagt hinter mir eine Männerstimme. Ein Typ taucht aus seinem
Smartphone auf: „ Der Beruf Lokomotivführer stirbt aus. Derzeit testen
sie Autos ohne Fahrer, demnächst Lokomotiven ohne Zugführer.“ Das
zukünftige Pantoffeltier lacht: „ Bis dahin vergehen noch Generationen von
Streiks und Generationen von Pantoffeltierchen im Pulk.“ Die Flasche röchelt,
das zukünftige Pantoffeltier feixt.

Herzlichen Glückwunsch

Sehr geehrte Traumexpertinnen und -experten!

Lange schon weiß man, dass Menschen träumen und Bewegungen der Augen
im Schlaf anzeigen, wann. Wir wissen, dass jeder Mensch träumt, obwohl
einige skurrile Exponate unserer Gattung behaupten, sie träumten nicht.
In Wirklichkeit aber haben sie den Traum vergessen.
Andere behaupten, das ganze Leben sei nichts, als ein Traum.
Wieder andere träumen so viel in den Tag hinein, dass sie nachts wie im Koma
in ihrem Bett liegen.

Kurzum, ich kann beweisen, dass alle Menschen träumen, denn ich sammle
Träume derer, die behaupten, nicht zu träumen. Nein, ich entstamme nicht
dem Albtraum eines nordamerikanischen Indianers. Ich wiederhole, manche
Träumer vergessen schlicht ihre Träume. Einige davon fallen unter den Begriff Alb.
Vergessen Sie die Abgeschmacktheiten der Filmindustrie.
Ich werde Ihnen jetzt meine Methode erklären, wie mir vergessene Träume ins Netz
gehen und anschließend den Bericht eines Träumers verlesen. Ich mache Sie hiermit
darauf aufmerksam, dass diese Methode und der Bericht eines Träumers urheber rechtlich geschützt sind.
Dieser künstliche dünne Faden ist mit dem Computer auf dem Tisch verbunden,
vorsichtige führe ich ihn durch Nasen-und Stirnhöhle zum Gehirn bis zu der Region,
die beim Träumen belebt ist. Ist der Faden dort angekommen, entfaltet er auf
Mausklick eine hauchzarte künstliche Daunenfeder,die durch weiteren Mausklick
das genannte Gehirnareal vorsichtig belebt., so dass der letzte Traum des Träumers
abgerufen wird, er selbst bleibt währenddessen im Wachzustand, und berichtet seinen Traum, in
unserem Beispiel wie folgt:
In einer Vorortstraße parkt ein Lastwagen und auf seiner Ladefläche, von keiner Plane bedeckt,
steht, mit Brett als Fuß, das untere Stück eines Baums, etwa zwei Meter hoch. Ein Mensch
is,t mit dem Rücken stehend, daran gebunden, der Oberkörper entblößt. Dieser Mensch
bin ich. Vor mir seht ein Mann mit weißem Kittel und bemalt mit einem Stift Zeichen auf
meinen Oberkörper. „ Hier werden Einkerbungen gemacht. Ähnlich denen, die man an
Bäumen macht, um deren Harz zu gewinnen.“ Ich protestiere heftig. Der Weißkittel
schüttelt missbilligend den Kopf.. „ Es sind bloß Abschürfungen, durch sie gewinnen wir
eine fast durchsichtige Flüssigkeit, u.a. Wundwasser genannt. Daraus stellen wir ein
Medikament und eine Salbe her, die alle die verursachten Wunden, die nicht wenig
schmerzen, heilen, ohne Narben zu hinterlassen.“ Dann zieht er aus der Kitteltasche eine Art Schabemesser und setzt es an – der Träumer reißt den Mund auf, kein Laut, ein Mausklick hat den Traum unterbrochen. Und ich sage zu dem Träumer: „ Sie sind wieder im Wachbewusstsein. Herzlichen Glückwunsch! Sie haben allen Grund, glücklich zu sein. Es war bloß ein Traum.“

Einem Schmetterling gleich

Einen Augenblick einfangen
Aber ohne tötende Nadel

Bin

aus der Zeit gefallen.
Schmecke, rieche dich
Und das Unfühlbare fühlt mich.

statt Blumen

Anna wohnte im dritten Stock des Seitenflügels eines Abriss-
hauses, dieses Prädikat hat das Haus seit etwa fünfzig Jahren.
Anna wer?
Einfach Anna, vorwärts und rückwärts gelesen.
Sollte sie jemals einen Nachnamen besessen haben, ging er ihr
vermutlich zwischen den Seiten eines Fortsetzungs-Romanzenhefts
verloren. Oder in einer Zeitschrift mit Zugang zu den Intimitäten in
Wohn-und Schlafzimmern ihrer illustren Bewohnerinnen und Bewohner.
Anna führte einen Kiosk in U-Bahn-Nähe, er war, statt mit Lebkuchen,
mit Gedrucktem behangen. Sie kannte sich darin besser aus, als in
ihrem eigenen Leben.
Eines Morgens bat sie ihr Mann: Mensch, Anna, warum verkaufst du
nicht Blumen. Sie strich mit der Hand über ein paar Seiten und sagte
dann: Menschen sind auch Blumen.
Ihr Mann soll ausgerastet sein: Verkauf Fisch, der stinkt weniger, als
das Gesülze hier. Und wenn er gut zubereitet ist, wird einem nicht schlecht
davon.
Danach soll er seine Koffer gepackt haben.
Anna kannte die Straßen und Kieswege des Kitschs besser als den Heimweg
von ihrem Kiosk zu dem Abrisshaus und den Irrlichtern dieser Umgebung.
Vielleicht wurde ihr das zum Verhängnis, als es, laut Polizeibericht, an ihrer
Wohnungstür geklingelt hat. Vergeblich sah sie durch den von außen beschmierten Spion.
Eine Nachbarin berichtete, ein Pärchen habe durch die Tür gerufen: wir sinds,
Anna. Graf Bronski und

Ein Student im zweiten Semester, der einen Stock höher wohnt, hat gesehen,
dass ihre Wohnungstür sperrangelweit offen stand – und Anna gefunden. Er fragt
sich immer noch, wer hat Anna umgebracht, die brutale Wirklichkeit oder das
Gesülze..

Im Buchladen

Ich stöbere in einem Buch –
Die Pausen machen müde,
der Text den Sessel unbequem.

Erinnerung

Ich, Monster vor dem Herrn von Welt
bin ein verzauberter
Tramp
der Milchstraße

Leben?

Soeben Wonne
Die du noch nicht ertragen kannst
Dann durch Licht und Nebel
Ein Sprung von dem Kalenderblatt
Das gerade welkt
Zum nächsten.