Die Sache mit dem schwärmen.

In der dritten Klasse war ich verliebt in Maya.

Natürlich hiess sie nicht Maya. Aber die dritte Klasse ist einfach noch nicht lange genug her als das ich ihr einen anderen Namen als Maya geben könnte. In Indien ist Maya, geschrieben Māyā, der Name einer Göttin und bedeutet “Illusion”. Weiterlesen »

Mücke, die Großstadtlegende

Es ist der erste Morgen des Jahres. Die Sonne bricht den Zauber einer wunderschönen, glasklaren Nacht. Vier Menschen, der Jugend entwachsen, aber zu jung, um alt zu sein, versuchen, nach einer großartigen Feier ein Taxi für den Heimweg zu ergattern.

Es wird ein typisches gelbes Großraumtaxi eines deutschen Autobauers. Nichts besonderes, aber perfekt, um nach Hause zu kommen.
Peter, Paul, Johannes und Marie, sie kommen gerade von Mückes kleiner Party. Dem legendärsten Ereignis der ganzen Stadt.
“Wieso heißt diese Party denn Mückes kleine Party?”, fragte Marie. Sie war das erste Mal auf diesem jährlichen Happening. Sie hatte bisher nur Gerüchte über diese Party gehört und nun war sie sich sicher, dass all jene, welche die Gerüchte streuten, noch nie auf der Party gewesen waren. Denn sie untertrieben allesamt.

Am Abend zuvor, es fühlte sich an, als wäre es letztes Jahr gewesen, waren sie vor diesem unscheinbaren Gebäude im Westen der Stadt angekommen. Peter und Paul hatten Einladungen für die Party bekommen. Kleine Karten aus grauem Papier, beschrieben mit einer Schreibmaschine und unterschrieben mit “Mücke”.
Vor dem Gebäude saßen ein paar Menschen neben einer brennenden Öltonne am Eingang und spielten und sangen zu den Klängen des Gitarrenmannes. Der Gitarrist unterbrach sein Spiel, schlug mit seinem Fuß aber den Takt weiter. Er lächelte und blickte die Vier an.
“Guten Abend, Clemens!”, sagte Paul. Er schüttelte ihm die Hand und gab ihm dann die beiden Eintrittskarten. Clemens nahm sie entgegen und warf sie neben sich ins Feuer. Ein Mädchen neben ihm erhob sich und schob die Metalltür auf. Gerade so weit, dass die Vier hindurchschlüpfen konnten, ohne die Kleider zu beschmutzen.
“Das ist Clemens, der Fahrstuhlführer. Aber heute macht er den Türsteher”, klärte Paul Marie auf.
“Und wer sind die anderen um ihn herum?”, fragte Marie.
“Das sind Freunde und Fans. Nur weil er heute Abend arbeitet, heißt es ja nicht, dass er dabei keinen Spaß haben darf, oder?”
Er führte Marie, Peter und Johannes durch einen alten Umkleideraum, der jetzt als begehbare Garderobe für die Gäste fungierte. Eine letzte Tür und sie waren auf der Party. Sie standen im Erdgeschoss des Gebäudes. Alle drei Stockwerke waren durch breite Stahltreppen miteinander verbunden. Knapp die Hälfte des Gebäudes war eine offene Halle mit Galerien auf jeder Ebene. Man konnte von jeder Ebene aus nach unten in den Hauptraum blicken. Dort in der Mitte befand sich die Tanzfläche. Und erst jetzt realisierte Marie, dass es sich bei dem Gebäude um eine alte Schwimmhalle handelte. Was jetzt ein mit Holzboden ausgekleideter Tanzraum war, war vor langer Zeit mal das Becken gewesen. Im ersten Stock, etwa drei Meter über der tanzenden Menge war das erste Sprungbrett zur Kanzel für den DJ umgebaut worden. Diese war im Moment aber leer. Dafür spielte direkt am Rand des Beckens eine funkige Jazzband und heizte den ersten mutigen Tänzern ein. Peter nahm die staunende Marie am Arm und führte sie erklärend über die drei Ebenen bis ganz nach oben. Hier war die Musik nur noch leise hörbar, so dass man sich problemlos unterhalten konnte. Unterhalten wollte sich Marie aber im Moment nicht. Spätestens beim Anblick der Dachterasse war sie sprachlos. Beleuchtet von kleinen Feuern hatten sie einen atemberaubenden Ausblick auf die Lichter der Stadt und sie ahnte, was um Mitternacht bestätigt wurde: Es gab keinen besseren Platz in der ganzen Stadt, um die Feuerwerke zu bestaunen und zu feiern.

Johannes, er hatte auf dem Beifahrersitz des Taxis Platz genommen, drehte sich zu ihr um. “Naja, es ist Mückes Party, er veranstaltet sie jedes Jahr. Und dass es Mückes kleine Party genannt wird.”, er zuckte mit den Schultern. “Das ist seine Art.”
“Das muss ja ein ziemlich krasser Typ sein.”, sagte sie anerkennend. Paul beugte sich nach vorne und sah am schlafenden Peter vorbei.
“Du hast dich doch mit ihm unterhalten. Immer, wenn ich nach dir schauen wollte, hast du mit ihm geredet.”

Nach kurzer Zeit ließen Peter, Paul und Johannes Marie alleine. Sie waren nicht zum ersten Mal hier und kannten ein paar der weiblichen Gäste. Oder wollten sie zumindest kennenlernen. Marie lehnte am Geländer im dritten Stock, unter sich konnte sie das Getümmel der Party beobachten. Auf der anderen Seite sah sie die Terrasse, die bis jetzt fast nur von Rauchern besucht wurde. Das Sektglas, welches sie direkt am Eingang von Peter in die Hand gedrückt bekommen hatte, war leer und warm und sie hielt sich nur noch daran fest, damit ihre Hände beschäftigt waren. Sie sah den Mann auf der anderen Seite der Galerie von der Terrasse hereinkommen. Er lächelte ihr zu und ging über eine der Treppen nach unten. Sie lächelte zurück und während sie ihn auf der Treppe beobachtete, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwand, überlegte sie, ob sie ihn kannte oder ob er nur freundlich gewesen war. Als sie ihn dann gedanklich hinter sich gelassen hatte, stand er plötzlich neben ihr. Zwei Sektgläser in der Hand. Das kondensierte Wasser perlte an dem eiskalten Glas. Er tausche ihr leeres Glas gegen ein neues, stieß mit ihr an und stellte sich vor.

“Martin ist Mücke?”
Paul und Johannes nickten. Peter schnarchte und sein Kopf plumpste auf Maries Schulter.
“Aber er hat mir gesagt, er kennt Mücke gar nicht.”

Martin hatte sie gefragt, wie sie auf die Party gelangt war und sie erzählte ihm von ihren Bandkollegen Peter und Paul und ihrem Songwriter Johannes. Während sie redete, suchte sie die tanzenden Menschen unten im Becken nach einem bekannten Gesicht ab, um sie Martin zu zeigen, aber sie fand keinen. Dann sagte sie, fast entschuldigend, sie selbst kenne Mücke gar nicht. Martin lachte laut auf und vertraute ihr dann an, dass es ihm manchmal auch so gehe, sie müsse sich gar nicht schuldig fühlen.

Paul lächelte und obwohl sie nicht das Gesicht von Johannes sah, ahnte sie, dass auch er grinste.
“Wie gesagt, das ist seine Art.”

Wenn Martin tatsächlich Mücke war, dann fand sie seine Art wundervoll. Er hatte fast die ganze Nacht mit ihr verbracht. Er war freundlich, unterhaltsam und intelligent. Sie hatten sich unterhalten und viel gelacht und niemals hatte sie sich bedrängt gefühlt oder gelangweilt. Wenn Martin aber Mücke war, dann hatte er sie die gesamte Zeit über belogen. Martin hatte erzählt, dass er eine kleine Wohnung in der Stadt hatte und Musiker war und davon ganz gut über die Runden kam. So hatte er es ausgedrückt. Von Peter und Johannes und den Großstadtlegenden aber wusste sie, dass Mücke über ein Vermögen unbekannter Größe verfügte und neben der Schwimmhalle auch weitere Immobilien in der Stadt besaß.

“Was ist seine Art?”
Wieder drehte Johannes sich auf seinem Sitz um.
“Zu untertreiben. Mücke führt das krasseste Leben, dass du dir vorstellen kannst. Wenn dir jemand etwas erzählt von einem Bekannten, der jemanden kennt, dem was unglaubliches passiert ist, ist die Chance hoch, dass Mücke dieser jemand war.”
Marie starrte ihn ungläubig an.
“Ach was, das glaube ich dir nicht.” sagte sie und schüttelte den Kopf.
Peter lachte.
“Hat er dir erzählt, was er für ein Instrument spielt?”
“Gitarre, hat er glaube ich gesagt” erinnerte sich Marie.
Peter nickte.
“Neben vielen anderen Instrumenten auch Gitarre und Bass. Erinnerst du dich, als vor ein paar jahren mal die Stones hier im Stadion gespielt haben? Mit AC/DC als Vorband? Am Tag des Konzertes hatte Ron Wood, der Bassist der Stones, sich verletzt und konnte nicht spielen. Dann ist Mücke für ihn eingesprungen.”
Marie tippte sich an die Schläfe.
“Du spinnst ja. Das ist doch nur eine Geschichte.”
Johannes zwinkerte.
“Genau das ist das Problem. Keiner glaubt ihm. Mücke passieren wirklich die unglaublichsten Geschichten. Aber immer, wenn er es jemanden erzählte, wurde er als Spinner abgetan. Deshalb hat er folgende Taktik: Er wollte zwar niemanden anlügen, aber so weit untertreiben, dass ihm die Leute zumindest glaubten. Und das zieht er seitdem erfolgreich durch.”

Marie war sich sicher, dass ihre Jungs sie gerade auf den Arm nahmen. Aber gleichzeitig ging sie den Abend und alle Aussagen von Martin durch. Und sie musste sich eingestehen, dass er vielleicht doch nicht gelogen hatte.

“Deshalb heißt er ja auch Mücke. Du kennst doch das Sprichwort: Aus einer Mücke einen Elefanten machen. Und Martin macht aus seinen Elefanten immer eine Mücke.”
Marie sah ihn schweigend an. Paul sprach einfach weiter.
“Mücke untertreibt immer. Wenn er dir mal sagt, du hast etwas gut gemacht, dann ist das ein Anzeichen dafür, dass du ein Meisterwerk abgegeben hast. Leider hat er diese Angewohnheit so verinnerlicht, dass er sich auch bei Frauen so verhält. Er schafft es einfach nicht mehr, die Wahrheit zu sagen. Selbst wenn er jemanden direkt heiraten wollte, kommt nicht viel mehr raus als… >>Schön, dich kennengelernt zu haben.<<. Und darauf reagieren die Frauen, dann nicht so sehr.”
Marie schwieg immer noch. Sie war gedanklich am Ende der Nacht angekommen. Zu ihr hatte Mücke nicht >>Schön, dich kennengelernt zu haben.<< gesagt. Stattdessen hatte er gesagt: >>Vielleicht sehen wir uns irgendwo nochmal wieder, das würde mich freuen.<<. Und bis gerade eben war sie davon enttäuscht gewesen.

Superheldenkräfte können einem ganz schön den Tag versauen.

Es ist ein junges Pärchen. In beiderlei Hinsicht. Sie liegen in ihrem Bett, bei geschlossenen Türen und sie sind nackt. Es ist das erste Mal. In jeglicher Hinsicht.
Aber irgendwie funktioniert es nicht. Irgendwann hört er auf. Er verschwindet ins Bad. Als er wiederkommt, liegt sie unter der Decke. Sie entschuldigt sich, aber er schüttelt den Kopf. Er küsst sie, lächelt und meint, alles wäre in Ordnung und beim nächsten Mal würde es klappen.
Er weiß nicht ob es seine Fähigkeit ist, Gedanken zu lesen oder in die Zukunft zu schauen. Aber auf einmal und mit unabänderbarer Sicherheit weiß er, dass es kein nächstes Mal geben wird. Und er schüttelt innerlich den Kopf und denkt, ohne seine Kräfte hätte es ein schöner Tag samt guter Erinnerung werden können.

Harmonie ist scheiße.

Harmonie ist scheiße.
Wir müssen unsere Herzen brechen, damit wir uns wirklich lieben können. Wir müssen sie beide brechen. Sie in richtig kleine Stücke reißen. Gegenseitig. Und dann müssen wir einen Haufen machen aus den Scherben unserer Herzen. Einen blutroten, pochenden Haufen. Und diesen teilen wir in der Mitte und puzzeln uns neue Herzen zusammen. Und dann schlägt in jeder Brust ein Teil des Herzens des anderen. Und dadurch, dass wir dann fühlen, was der andere fühlt, können wir ihn richtig lieben. Und weil sein Teil in unserer Brust immer noch uns liebt, können wir uns selbst richtig lieben. Erst dann können wir richtig lieben.
Harmonie ist scheiße. Lass uns unsere Herzen brechen und endlich anfangen, uns zu lieben.

Juni 2010

Wenn er nicht ab und zu seine Hemden wechseln würde, könnte man meinen, er verbringe sein ganzes Leben in dieser Schenke. Wir treffen uns einmal im Monat und egal, ob ich pünktlich, zu spät oder gar eine Stunde zu früh komme, der blinde Mann sitzt immer am gleichen Tisch in der Ecke, seinen Rücken dem Eingang zugewendet, sein Glas direkt unter seiner Nase und beide Hände auf einem seiner zerlesenen Bücher.
Noch bevor ich ihm meine Hand von hinten auf die Schulter legen kann, richtet sich sein Rücken auf und wir beide spüren das Lächeln des anderen, ohne es zu sehen. Ich lasse mich auf die Bank ihm gegenüber fallen und bekomme von der Kellnerin mein Wässerchen vor die Nase gestellt. Wie jeden Monat. Wir heben unsere Gläser, ich stoße an seines an und wir nehmen einen Schluck.
Erst danach reden wir. Ich erzähle von meinen Erlebnissen der vergangenen vier Wochen, von meinen Begegnungen und meinen Gedanken. Er nickt, kommentiert und erzählt von seinen Freunden, Hesse, Tucholsky und Bukowski.

Bei unserem Treffen im Juni 2010 saßen wir gerade schweigend gegenüber, als plötzlich 11 Freunde in die Schenke polterten, mit den Landesfarben und den Trikots der Fußball Elf geschmückt. Nach der Bestellung hob einer der elf die Hand.

„Seid mal alle ruhig! Ich habe angesichts der aktuellen Ereignisse ein kleines Gedicht geschrieben.“

Die restlichen zehn sahen ihn erstaunt und anerkennend an und mitsamt aller anderen in der Schenke wurden sie ruhig. Der elfte zog einen gefalteten Zettel aus der Hose und begann, vorzulesen:

Jedes Land will der Sieger werden
und damit der Meister auf Erden.
Auf die Mannschaften starren Tausende,
auf die eigene und auf die Fremde
Am liebsten würden wir die lauten Geräusche ausblenden,
aber manchmal reihen wir uns ein zu den Schreienden.
Wir schauen, bei wem mehr fallen,
und in die Geschichtsbücher schreiben wir die Zahlen.

Während er schüchtern lächelnd in die die Beifall klatschende Runde sah und Schulterklopfen von seinen Freunden erhielt, beugte der Blinde sich vor zu mir und fragte leise:
„Von welchem Krieg spricht er?“

Bruce Lee

„Wasser ist ein krasses Element“ sage ich,
als wir nach Tagen des Wanderns in luftarmen Höhen endlich wieder auf eine Quelle stossen und uns daran laben.
Er nickt und sagt: „Bruce Lee sagt: Be water my friend.“
und trinkt.

„Wasser ist ein krasses Element“ schreie ich,
als wir auf der geheimen Insel gestrandet sind und jetzt im Wasser am Rand des Wasserfalls stehen, während zwei Schönheiten gerade wieder aus dem Wasser unter uns auftauchen.
Er nickt und schreit: „Bruce Lee sagt: Be water my friend.“
und springt.

„Wasser ist ein krasses Element“ lalle ich,
als wir in Skandinavien in einem Hotel aus Eis an der Bar sitzen und aus Eisgläsern Cocktails mit coolen Namen schlürfen.
Er nickt und lallt: „Bruce Lee sagt: Be water my friend.“
und bestellt die nächste Runde.

„Wasser ist ein krasses Element“ seufze ich,
als wir nach einer Oper ohne Pause am Straßenrand stehen und unser Urin zwischen den Lackschuhen hindurchfließt.
Er nickt und sagt: „Bruce Lee sagt: Be water my friend.“
und steigt wieder ins Auto. Ich schaue ihm nach, lächle und verstehe den Spruch immer noch nicht.

„Wasser ist ein krasses Element“ denke ich,
als ich nach der Weltumsegelung kurz vorm Ziel ins Wasser falle und nicht mehr hochkomme.
Ich stelle mir vor wie er an Bord steht, nickt und sagt: „Bruce Lee sagt: Be water my friend.“
und ich denke, näher werde ich dem wohl nie kommen.

Der Tag des Eichhörnchens.

Der Klang der Melodie berührte die Seele des Eichhörnchens jedes Mal, wenn Maurice auf seiner Klarinette spielte. Unzählige Stunden seines Lebens, welches niemals die Ziellinie zu erreichen schien, verbrachte der Mönch in der Natur und jedes Mal war er aufs neue fasziniert, wie wunderschön sie war. Gefühle erfüllten ihn. Gefühle, die niemals durch Worte ausgedrückt werden können. Gefühle, die ihren Weg aus seiner Seele nur durch den Klang seiner Klarinette finden können. Die Melodie seiner Gefühle waren seine Verbindung zur Natur, seine Verbindung zu Gott.
In der Natur konnte er seinen Gefühlen freien Lauf lassen.
Kurz nachdem er seinen Weg in die Natur gefunden hatte, fand das Eichhörnchen seinen Weg zu dem Mönch. Zeit verging und das Eichhörnchen wurde ein guter Freund von Maurice. Und der Mönch erlebte ein weiteres Wunder des Lebens, als sein neuer Freund begann, einen einzigartigen Eichhörnchentanz zu tanzen. Der kleine Tänzer bewegte seinen Körper zu der Melodie des Mönches auf eine Art, welche Maurice noch nie gesehen hatte.
Aber jedes Mal, wenn der Mönch versuchte die wundersame Kreatur zu berühren, versagte er. Schnell wie der Blitz entzog sich der kleine Tänzer den Händen des Mönchs, sobald er dem seidenen Fell zu nahe kam. Aber obwohl das Eichhörnchen jedesmal aus der Reichweite des Mönchs sprang, sah er niemals ein Zeichen von Angst in den Augen des kleinen Wesens. Stattdessen schien der kleine Tänzer ihn anzuzwinkern und zu lächeln.
Also musste Maurice sich damit zufrieden geben, dem kleinen Tänzer zuzusehen, wie er zu seinen vertonten Gefühlen tanzte. Aber allein das war mehr, als der Mönch sich je gewünscht hatte. Denn sobald das Eichhörnchen tanzte, strahlte es solch eine Welle voller Vertrauen und Zufriedenheit aus, das auch der alte Mann selbst sich so gut und fröhlich fühlte wie noch nie zuvor.
Bald hatte Maurice einen Namen für das Eichhörnchen: Tiny Dancer.
Es war leicht für Maurice, jeden Tag seinen Lieblingsplatz zu besuchen, da er nichts anderes zu tun hatte. Er war der letzte seines Ordens und hatte das Kloster verlassen, um mit und in der Natur zu leben, in der Nähe seines Gottes. Das nächste Dorf war nur ein paar Kilometer entfernt. Manchmal ging er dorthin, um zu hören, was in der Welt passierte. Er war ein wohl bekannter, aber kaum besuchter Mann.
Aber an diesem einen Tag, als er musizierte und Tiny Dancer beim Tanzen zusah, hörte er plötzlich Schreie. Jemand war auf dem Weg zu ihm. Er stoppte sein Klarinettenspiel und ging zu seiner Hütte zurück. Das Eichhörnchen folgte ihm. Aber als die Hütte in Sichtweite kam, blieb Tiny Dancer stehen und der Mönch fühlte eine eiskalte Hand nach seinem Herzen greifen und ein Schauer überkam seinen alten Körper. Er keuchte auf und griff nach dem Baum, der neben ihm stand.
Noch ein Schrei voller Schmerz und und Verzweiflung durchfuhr den Wald. Der Schrei stach in seinen Kopf und berührte das Innerste seiner Seele. Er vernahm solch einen Schmerz in seinem Herz, dass er sich zwingen musste, weiter zu gehen.
Er erreichte die Hütte und fand eine Frau auf dem Holzboden seines kleinen Heims liegen. Je näher er der Frau kam, desto stärker war sein Wunsch, einfach umzukehren und wegzugehen. Aber nachdem er einmal mit so einem armseligen Wesen in Kontakt gekommen war, war es ihm unmöglich, die Frau ihrem Schicksal zu überlassen. Er kniete nieder und versuchte, sie zu beruhigen. Ihr Gesicht war bleich wie Schnee und voller Verzweiflung und Angst. Plötzlich griff sie nach seinem Arm und zog ihren Oberkörper hoch zu dem kniendem Mönch. Sie umarmte ihn mit ihrem zitternden Körper und Maurice erwiderte die Umarmung. Das Gesicht in der Kutte des Mönchs vergraben, begann sie zu weinen. Der Mönch hielt sie fest und blieb in der Position, bis sie sich beruhigt hatte. Sie hob ihren Kopf und sah den alten Mann mit ihren traurigen braunen Augen an.
„Helfen Sie mir!“
Der Mönch nickte langsam und sie schluchzte.
„Sie müssen mir helfen oder ich bin verloren.“
Maurice zog sie hoch und half ihr auf seine Strohmatte, die ihm zu schlafen diente. Er nahm seine Decke und packte sie damit ein. Dann brachte er ihr eine Tasse Wasser.
„Reines Wasser von Mutter Natur. Entschuldige, dass es so kalt ist.“
Sie lächelte erschöpft, nahm die Tasse und nippte daran.
„Danke.“
„Danke nicht mir, sondern ihr.“
Er drehte sich herum und zeigte auf die Natur außerhalb der Hütte. Dann setzt er sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und sah sie an.
„Was ist los?“
Sie fuhr sich mit dem Arm über das Gesicht.
„Ich hatte ein glückliches Leben. Einen liebenden Ehemann und zwei Kinder. Ein süßes Zuhause und viel Freude. Ich lebte meinen Lebenstraum. Und ich dankte Gott, dass er mir dies ermöglichte. Und ich hoffte, dieser Traum würde nie enden. Aber dann war da dieses große Feuer.“
Sie schluchzte wieder.
„Und es nahm mir alles, was ich liebte. Mein Heim, meine Kinder, mein Ehemann und mein gesamtes Leben – alles war für immer verschwunden. Und in diesem Moment habe ich etwas verloren. Ich spürte einen starken Schmerz in meinem Herz. Ich fühle diesen Schmerz immer noch. Ich weiß nicht, woher er kommt. Niemand weiß es. Ich habe jeden Doktor besucht, jeden Heilpraktiker, ich habe hunderte Leute gefragt, aber keiner konnte mir helfen. Sie sind meine letzte Chance! Wenn Sie nicht fähig sind, mir zu helfen, muss ich mich umbringen, denn es ist unmöglich für mich weiter zu leben, mit diesem Gefühl in meinem Inneren.
Ihre Augen sagten dem Mönchen, das sie jedes Wort ernst meinte.
„Werden Sie mir helfen?“
Maurice starrte sie an und nickte dann langsam.
„Ich werde tun, was immer nötig ist.“
Ihre Augen leuchteten auf und ein erleichtertes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie bewegte sich nach vorne und und umarmte den alten Mann nochmals.
„Danke!“
Der Mönch hielt sie fest, aber er fühlte einen Hauch von Verzweiflung, die seine natürliche Fröhlichkeit überschattete. Er wusste nicht, wie er der Frau helfen sollte.

Tage gingen vorbei. Viele Tage. Maurice probierte alles, was ihm in den Sinn kam, um Josephine zu helfen. Er brachte sie zu seinem Lieblingsplatz. Er spielte die Klarinette für sie. Und es war das einzige Mal seit langem, dass Tiny Dancer nicht auftauchte, sobald der Klang durch das grüne Kleid von Mutter Natur. Was immer der Mönch versuchte, nichts davon konnte Josephine heilen. Verzweiflung wuchs und Maurices Kummer wuchs.
Nach wie vor verbrachte er viele Stunden des Tages alleine an seinem Lieblingsplatz und Tiny Dancer erschien und tanzte, aber das melodische Spiel hatte seine Faszination verloren. Maurice konnte sich nicht auf die Musik konzentrieren; seine Gedanken schweiften immer wieder ab und drehten sich um die Frage, wie er der Frau helfen konnte.
Eines Tages hörte er mit dem Spielen auf und starrte in die Natur. Das Eichhörnchen sah ihn schräg an. Die kleinen Pfoten bedeuteten ihm, wieder zu spielen, aber Maurice sah ihn nicht. Plötzlich sprang das Eichhörnchen fort, kletterte einen Baum hoch und verschwand in einem Loch. Als es zurückkehrte, hielt es etwas in seinen Pfoten. Es hüpfte direkt auf den Mönch zu, so wie es es noch nie getan hatte. Maurice sah Tiny Dancer an, der vor ihm stand und ihm die Pfoten entgegen streckte. Dann öffnete er die Pfoten und der Mönch sah, was in den Pfotenflächen von Tiny Dancer lag. Es war eine schwarze Murmel. Aber es war keine normale Murmel. Sie war total matt, keine Reflexion zeigte sich auf der Oberfläche. Aber obwohl die Murmel schwarz und matt war, leuchtete etwas in und um die Kugel herum.
Maurice legte seine Klarinette ins Gras und und bewegte seine Hand langsam Richtung Murmel. Dieses Mal blieb Tiny Dancer stehen und beobachtete Maurice. Er war, als fordere das Eichhörnchen ihn auf, die Murmel zu nehmen. Und Maurice nahm sie.
Als er die Murmel berührte, berührte ihn etwas tief in Inneren. Eine Welle von Energie warf ihn zurück, sein Augenlicht verschwand. Mit dem Rücken prallte er auf den Boden, seine Hände schnellten zu seinem Gesicht.  Er schrie, konnte aber seine eigene Stimme nicht hören. Langsam beruhigte er sich und öffnete seine Augen. Er war immer noch an seinem Lieblingsplatz. Aber etwas hatte sich verändert. Er sah sich um. Alles war vorhanden, aber alles war merkwürdig. Er bemerkte, dass die Vögel zwitscherten, aber er hörte sie nicht. Was er sah, war eine Farbe, die aus ihren Schnäbeln kam. Eine Farbe, welche er noch nie zuvor gesehen hatte. Aber der Anblick dieser Farbe erfüllte ihn mit der gleichen Freude, wie der Anblick der Natur es einst getan hatte. Er lächelte und bewegte seinen Kopf. Alles war von einem Leuchten bedeckt und verstand, dass alles nicht nur bedeckt war, sondern auch erfüllt von diesem goldenen hellen Schimmer. Es war wie eine Präsenz, die überall war. Es war Gott. Maurice erinnerte sich an einen alten Auschnitt aus dem Thomas -Evangelium.

„Das Königreich Gottes ist in dir und um dich herum.
Nicht in Häusern aus Stein oder Holz.
Spalte ein Stück Holz und ich werde da sein.
Hebe einen Stein und du wirst mich finden.“

Und er verstand, wo er war. Er war im Inneren. In der Natur, in sich selbst, im Inneren von allem. Fasziniert stand er auf und ging herum. Er kam zu einem Teich und sah hinein. Erst war er erschrocken. Dann war er fasziniert. Schlussendlich verstand er es. Der Teich zeigte ihm einen jungen Mann mit den selben tiefblauen Augen, wie Maurice sie hatte. Ihm fiel ein altes Sprichwort ein: Man ist nur so alt wie man sich fühlt.
Dieser Teich zeigte ihm ein Spiegelbild von sich. Aber es war nicht das normale Spiegelbild, welches man erwarten würde, es war das Spiegelbild seines Innenlebens. Das Bild seiner Seele, die aufgrund all seiner Zeit in der Natur jung geblieben war.
Er entdeckte die Murmel auf dem Boden liegen. Aber sie hatte sich genauso verändert, sie leuchtete nun strahlend hell. Sie strahlte, weil er auch ihr Inneres vernahm. Er war im Inneren. Und im Inneren von allem war Gott.
Plötzlich sah er eine Ansammlung von Licht. Es war wie die Quelle des ganzen Schimmers. Der Mönch überlegte, was dieses Licht in der „realen“ Welt sein mochte. Er versuchte, es zu berühren, aber es entglitt ihm.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er sah eine dunkel gefärbte schmerzvolle Wolke, die aus seiner Hütte kroch. Er rannte zu seiner Hütte. Nochmals wurde er zurückgeworfen, diesmal von etwas dunklem und kaltem. Und er konnte den Ursprung erkennen. Es war Josephine. Er betrat die Hütte und fand die auf dem Boden liegend. Als er sie sah, wich er zurück. In ihr war kein Schimmern zu sehen. Kein warmes Gefühl kam aus ihrem Inneren. Sie war von Schatten bedeckt. Schatten, welche immer dunkler wurden. Und plötzlich wusste er, was Josephine verloren hatte. Sie hatte Gott verloren. Sie war allein und verzweifelt.
Das Feuer hatte ihr nicht nur ihren Mann, ihre Kinder und ihr Heim genommen, sondern auch ihren Glauben, ihr Vertrauen und ihre Liebe. Ihr Lebenswille war gebrochen. Nur ein Wesen im gesamten Universum konnte ihr helfen. Das eine Wesen, in das sie nun nicht mehr glaubte.
Der Körper der Frau zitterte noch stärker als am Tag, an dem er sie das erste Mal getroffen hatte. Der Mönch kniete sich zu ihr nieder und versuchte sie zu beruhigen. In dem Moment, in dem er sie berührte, sah er die Schatten zurückweichen. Der goldene Schimmer verteilte sich von seinen Händen über Josephines Körper. Er beobachtete, wie die Schatten langsam verschwanden. Der Körper zuckte unter den Händen Mönches zurück. Maurice erkannte, dass er nicht genug Energie hatte, um Josephine komplett zu heilen. Er spürte, wie er schwächer wurde. Also nahm er sie und trug sie aus der Hütte. Er brachte sie zu seinem Lieblingsplatz. Mit letzter Kraft kam er dort an. Er brach zusammen und legte sie auf den Boden. Er spürte seinen Körper älter werden.
Mit letzter Kraft griff er nach seiner Klarinette und begann langsam zu spielen. Anfangs war der Klang schwach, aber er wurde fester und lauter. Je länger er spielte, desto jünger wurde er. Plötzlich sah er wieder die Ansammlung von Licht. Während der Mönch spielte, spürte er eine Welle von Energie, die von der Quelle ausging und ihn erfüllte. Maurice griff nach Josephine und die Energie erfüllte sie genauso. Er spürte, wie Josephine sich beruhigte. Er stand auf und sah sie an. Jetzt war keine Dunkelheit mehr vorhanden. Josephine lag ruhig und friedlich auf dem Boden. In Maurices Herz wuchs das Gefühl, dass dies der Grund war, weshalb er hierher gebracht worden war, in das Innere.
Er drehte sich um und ging zur Murmel zurück. Auf dem Weg erblickte er zum letzten Mal die Ansammlung von Licht und wunderte sich nach wie vor, was es war. Er berührte die Kugel nochmal und kam auf dem selben Weg zurück in die „normale“ Welt, ein Energieschub warf ihn auf den Boden. Er begrub die Klarinette unter sich und zerbrach sie.
Tiny Dancer schrie schmerzerfüllt auf und sprang zu der Klarinette. Seine Pfoten bedeckten die Bruchstelle. Ein helles Licht blendete Maurice, er musste die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, war die Klarinette wieder ganz. Der Mönch erblickte Tiny Dancer. Das Eichhörnchen nahm die Murmel vom Boden, warf einen letzten Blick auf Maurice und verschwand mit einem Lächeln im Gesicht hinter einem Baum.

4 Gefallen

Es war schon wieder Freitag und es war wieder diese Bar. Sie saß am Tresen, leicht angetrunken und deprimiert beobachtete sie ihre Freundinnen, die sich schon alle irgendeinen der Dorftrottel geschnappt hatten, die genauso wie sie jeden Freitag in dieser Bar zu finden waren. Weiterlesen »

Hallo Welt!

Willkommen bei Netzkritzler. Dies ist mein  mokita-Ableger. Hier wirst du Texte von mir (fabian Neidhardt) finden. Darüber hinaus gibt es noch meinen Original-Blog, welcher neben den Texten auch noch Textgedanken, Alltägliches und den ganzen Rest enthält.

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