Immer auch wir

„Lass uns eine Geschichte über Freundschaft erzählen“, sagtest du, „über unsere. Aber so, als würden wir sie erfinden. Lass uns erzählen, dass aus einer Internetbekanntschaft auch etwas Schönes werden kann.“
„Ich kenne es nicht anders“, antwortete ich.
„Ja, aber die Menschen tun so, als gäbe es im Netz nur Irre und Schein.“
Wir lachten.
„ICH bin völlig normal.“ Wir lachten erneut, denn das sage ich immer, auch wenn es nicht immer zutrifft.

Und nun sitze ich hier und denke darüber nach, wie wir beginnen sollen. Wie erzählt man den Anfang? Er gleicht dem Märchen von einem Kind, das eine Zauberkugel findet. Sie glänzt wunderschön und das Kind nimmt sie mit und hat Freude daran. Als es am nächsten Morgen aufwacht, hat die Kugel sich verändert. Die Oberfläche ist runzelig und grau. Das Kind betrachtet aufmerksam die Falten, die es an Täler und Berge erinnern, es lässt in Gedanken einen Fluss hindurchfließen und stellt sich Winzlinge vor, die diese Landschaft bewohnen.

So geht es Tag für Tag. Mit jedem Morgen gibt die Kugel eine neue Schicht frei und das Kind entdeckt jede Welt, die sie offenbart. Manche der Welten macht ihm Angst, manche macht es traurig, aber in den meisten kann es lachen und unbeschwert sein. Dann kommt eine dunkle Zeit. Tagelang bleibt die Kugel schwarz und das Kind sehnt sich zurück nach all den Farben und frohen Momenten. „Leg die Kugel beiseite“, sagt man ihm, doch das Kind beschützt sie in seinen Händen.

Eines Tages schimmert durch das Schwarz der Kugel etwas durch. Das Kind reibt vorsichtig daran und entdeckt den goldenen Kern, der sich nach und nach freilegt, bis er offen liegt und bleibt.

„Du bist verrückt“, höre ich dich sagen.
„Nein“, sage ich, „es war doch genau so. Ich fand und behielt dich, weil ich um dich wusste. Und du erschienst, weil es ebenso war. Heute fragen wir nicht mehr danach.“
„Aber du kannst uns doch den Leuten nicht so erzählen!“
„DU hast gesagt, wir sollen es tun, als würden wir es erfinden!“
„Ja, aber doch so, dass sie es glauben können.“

Ich denke nach. Das da oben ist mehr als ein Märchen. Es ist wie alles, was wir erzählen.
Es ist immer auch wir.