Das zwischen uns

Das zwischen uns

Als ich aufwache, ist es kalt. Das Fenster ist nur einen Spalt breit gekippt.
Du bist schon aufgestanden, dein Bett ist leer.
Ich sehe mich um. Es ist still. Nur das Ticken der Wanduhr durchbricht das Schweigen.
Langsam stehe ich auf.
Du stehst auf dem Balkon, in eine Decke gehüllt.
Es ist kalt hier. Viel zu kalt. Es ist erst September.
Niemand von uns sagt etwas. Wir stehen nebeneinander an der Brüstung und schauen Richtung Wald. Der Frühnebel hängt tief in den Zweigen.
Du legst mir deine Decke über die Schultern und zündest dir eine Zigarrette an, nimmst ein paar Züge.
Nachdenklich bläst du den Rauch Richtung Himmel.
Noch immer ist es still. Nur das Knacken der Zweige und leiser Regen.
Es ist, als wüssten wir beide nicht, was wir sagen sollten.
Deine Augen sind heute Morgen mehr grau als blau.
Vielleicht ist es der Herbst, der Regen. Die Nacht, die hinter uns liegt.
Die uns so viel abverlangt hat.
Die uns zusammengebracht hat. Endlich. Wieder.
Aber die uns auch gezeigt hat, wie viel Weg noch vor uns liegt.
Dass wir darüber geredet haben, zum ersten Mal, das ist erst der Anfang.
Aber vielleicht ein neuer Anfang für uns.
Das zwischen uns ist greifbarer geworden, die Fragen auch.
Auch wenn ich es nicht verstehen kann. Niemand kann das.
Ein kühler Wind streicht durch die Äste.
Es klingt wie ein leises Pfeifen.
Du drückst die letzte Kippe aus, legst sie in den Aschenbecher. Er ist weiß mit blauen Punkten.
„Komm, lass uns reingehen.“

(c) Lisa Schregle 2015

Is so Vol. 2

Eigentlich verzeihen
verdrehte Wahrheiten keine Tränen,
halten leere Worte keine Luft an.
Eigentlich drehen sich Ansichten immer
in Windrichtung.
Aber vor allem nach Norden.
Und eigentlich halten wir
schon lange nichts mehr von der Realität.

Deine Hand fühlt sich kalt an.
Dein Horizont ergraut zwischen den Morgenstunden.
Setzt eure Brillen ab, das Rosa ist nicht mehr.
Die Uhr tickt erbarmunglos im Rückwärtstakt.
Das Gestern wird immer noch großgeschrieben, steht
als Höhepunkt und rot markiert zwischen unseren Fragen.
Aber wir sollen immer nach vorne blicken, sagen sie.
Nach vorne und unsere Zukunft ausmalen, sagen sie.

Die Zunft der Zukünftigen hängt wie Marionetten an seidenen Gespännen von bröckeligen Decken.
Wir können uns nicht aneinander festhalten, denn
gehaltene Handinnenflächen reissen auseinander und zerplatzen wie Seifenblasen an Sicherheitsschranken.
Wir können das nicht mehr mitansehen.
Fehlgeleitete Nervenimpulse verursachen Gewitterblitze zwischen den Temporallapen,
doch wir halten die Luft an und
zählen Schäfchen bis es morgen wird.

(c) Lisa Schregle 2015

Is so

Wir atmen Nachtluft, Sommer
die Brandung trägt
unsere Hoffnungen übers Meer
wer weiß, was
du gesagt hättest, wenn du wüsstest
was wir wissen

das mit diesem Leben
und den Zigarettenschachteln
hinterm Barhocker ausgedrückte Kippen
zeugen von Nächten zwischen Asphalt und Absprung
sentimentale Prioritäten trifft
man nicht mehr nüchtern

ich halte dein Glas zwischen
zwei Fingern, halte
mich fest am gläsernen Dasein als
glanzloser Mittelpunkt
deines Geschehens
Aber ich kann dich nicht mehr verstehen.

Meine Worte ertrinken in Weißwein,
drehen sich im Kreis zwischen den Polestangen.
Eigentlich hab ich mit dem Ganzen nichts zu tun, bin
nur ein Mädchen, das
Nacht für Nacht an den Mauern dieser Stadt
nach dem passenden Schatten sucht.

(c) Lisa Schregle 2015

a train story.

Da drüben sitzt du. Und hier ich.
Und nein, wir haben uns nicht mehr angesehen.
Ich habe jeden einzelnen Blick in deine viel zu blauen Augen gemieden, weil ich es sonst nicht aushalte. Du sagst nichts dazu.
Und ich habe aufgehört zu fragen.
Der Zug fährt unbeirrt immer geradeaus, hält den Kurs auf seinen Gleisen, das gleichmäßige Rattern verrät nichts über irgendwas anderes.
Und zwischen uns wird Schweigen laut.
Der nächste Halt ist irgendwo am Meer, ich habe den Namen der Stadt vergessen.
Im Prinzip habe ich alles vergessen, was vor gestern Abend geschah.
Weil ich da erst begriffen habe, was wichtig ist. Was mir wichtig ist.
Deine Worte hallen in meinem Kopf wider.
Ich werfe einen Blick zu dir, du starrst aus dem Fenster, die Stirn gerunzelt, du hast lange Wimpern.
Zugfahren ist lang, wenn man nichts mehr zu sagen hat.
Der Blick aus dem Fenster verändert keine Sichtweisen, dafür müssten wir anhalten, doch die Dynamik lässt uns nicht. Und dein Fußgetrippel auch nicht.
Und wir beginnen lautlos zu verharren, angepasst an die Monotonie, angepasst an die ungeahnten Weiten zwischen den Schienen.
Ich weiß nicht, ob es einfacher wäre zu reden.
Buchstaben zu Worten, Worte zu Sätzen werden zu lassen.
Doch dazu müsste jemand von uns damit beginnen, etwas zu sagen und vielleicht wäre das dann dieser Neubeginn, auf den wir warten.
Die Uhr tickt. Der Zug fährt unbeirrt immer geradeaus.
Wir sind dabei, stehenzubleiben.
Hängenzubleiben zwischen dem, was niemand sagen möchte.
Aber worüber ich nicht schweigen kann (..)

(c) Text und Fotos: Lisa Schregle 2014

Bewusst/Los

Ich lasse los.
Ich lasse bewusst los.
Ich bin bewusstlos und
verharre unsichtbar zwischen den Betonbauten
wie früher, als wir zwischen den Ansichten hängenblieben und
uns irgendwann verliefen.
Aber verloren gingen wir nie.
Stattdessen verloren wir Chancen und verpassten Möglichkeiten,
es besser zu machen als zuvor.
Denn perfekt wollten wir immer sein,
ein perfektes Leben zwischen zerstörten Gehirnzellen und der Zigarette im
Mundwinkel führen, doch
Statt zu fliegen, fielen wir in Löcher und
Versanken im Untergrund.
Versanken zwischen Schulden und Krisen und kamen nicht wieder hervor.
Deshalb lasse ich los.
Ich lasse bewusst los und verharre ohne Bewusstsein
Und warte auf ein besseres Morgen.

(c) Lisa Schregle 2014

Rückwärtsgang

Zwischen zwei Welten vergessen,
verharrt er still,
unfähig, sich zu bewegen.
Die Eintrittskarte fürs Niemandsland liegt
auf dem Küchentisch bereit,
doch etwas hält ihn davon ab,
danach zu greifen.
Stattdessen bleibt er und spuckt
große Töne in verschiedenen Richtungen, doch
Töne müssen keine Musik sein,
sie können genauso gut Lärm verursachen, der
in den Ohren brennt und
in den Augen wehtut
wenn man nicht davor schon in dem Staub erstickt,
in dem er seinen Körper zur Ruhe bettet.

Zwischen zwei Welten vergessen,
greift er nach jedem Strohhalm, den
er erreichen kann, ohne aufzustehen,
denn seine Beine tragen ihn nicht mehr,
jeder Schritt eine Qual, er verharrt
gefangen in sich selbst und vor sich
nur seinen eigenen Schatten,
der Bahnen vorauswirft und in die Richtung zeigt,
in die es gehen könnte, wenn.
Doch er verharrt im Stillstand.
Verharrt im Stillstand zwischen zwei Welten,
weil seine eigene schon lange verloren ist.
Und jeden Zentimeter, den er noch zurücklegen kann,
lässt er zaghaft hinter sich, weil er es nicht schafft,
nach fremden Händen zu greifen,

Zwischen zwei Welten vergessen bleiben
die Erinnerungen wach.
Denn irgendwann war auch sein Leben besser,
es lief im Fluss.
Nun hat es
jeden Rhythmus verloren und zerfließt
zwischen den wenigen Sonnenstrahlen im Fensterrahmen
jeden Tag ein Stückchen mehr
bis nichts mehr bleibt
bis nichts mehr übrig sein wird von dem,
der zwischen zwei Welten verloren ging.

(c) Lisa Schregle 2014

Woanders

Rückwärts liege ich,
gefangen bin ich, halte
mich irgendwo fest, kahle Äste
behindern Straßen,
die im Nebel vor sich hin dämmern,
meine Augen lassen nicht zu,
dass ich noch irgendetwas sehe,
Blicke schweifen in entgegengesetzte Richtungen
davon und ehe ich mich versehe
liege ich auf wackeligem Boden,
liege zwischen weißen Wänden,
umgeben von Schläuchen und Lichtern und Stimmen,
die auf mich einreden, doch ich verstehe kein Wort
Jemand hält meine Hand, lässt sie los, bin ich allein?
Ich ringe nach Luft, um zu atmen
und ringe nach Atem, um zu überleben.

(c) Lisa Schregle 2014

o.T

Ich taumel über alte Bretter, kann
Mich kaum mehr halten, jeder
Atemzug verdunstet im Herbstnebel, an
Deinen Wimpern hängen Tautropfen.

Wenn ich könnte, würde ich
Doch frei sein war immer nur ein Traum von uns,
während wir schreiend zwischen den Betonbauten
Tag für Tag mehr Antrieb verlieren

Erschlafft bleiben wir zurück,
suchen nach Gründen und Ursachen
Finden nur leere Plastikflaschen, zerknüllte
Alufolienbutterbrothüllen.

Was weißt denn du schon davon?

(c) Lisa Schregle 2014

Clown

Hey, lass uns tanzen
Wir hängen senkrecht
Zwischen den Fäden wie
Marionetten, unfähig
Unwillig, uns zu bewegen verharren
Still zwischen applaudierenden Mengen
Emotionslose Fratzen hinter
Lachenden Masken mit
Künstlichen Wimpern klimpern, ein
Ausdruck von Freude auf
Den geöffneten Lippen, bereit
Für Liebe, Leben, Verwegenheit wir
Kriegen Geld dafür, zehn Euro die Stunde
Dann sind wir reich, wenn
Wir uns fallen lassen zwischen den Schranken
Irgendwer wird uns schon auffangen, wird
Die Fassade bewahren.

Doch was macht ein Clown, dem sie die Maske klau’n?

(c) Lisa Schregle 2014

Big City Life

Dear Big City Life,
du hast mir Disneyland versprochen, doch
dann standen wir irgendwo auf kaltem Asphalt zwischen
Wolkenkratzern und Skyscrapern
mitten in einer fremden Stadt
überrannt von Menschenmassen,
die wir nicht erkannten
und wollten uns treiben lassen,
mitreißen von der Menge
doch ich entglitt deinen Händen und verlor mich erneut,
blieb wieder allein zurück und
im Kopf nur die Angst zu ertrinken.

(c) Lisa Schregle 2014