Die andere Seite der Stadt
OBEN
Erleuchten Skyscraper die Stadt,
werfen Schaufenster Lichter auf die Straßen,
wird Kaviar verzehrt, im Minutentakt
aus dem Champagnerglas getrunken
dabei mit vornehm übergeschlagenen
Beinen, gepackt in Markenstiefel
Über den Börsenanstieg diskutiert
Und darüber gesprochen, wer
Mit welcher Luxuslimo auf die nächste Party gefahren wird.
In die VIP-Lounge, versteht sich.
20 METER DARUNTER
Kauert Moritz im U-Bahnschacht,
seine Zähne klappern vor Kälte, während
sich die Nacht über die Stadt legt und
er mit zitternden Fingern die heutigen
„Einnahmen“ zählt.
Drei Euro Fünfundzwanzig reichen nicht für Alkohol
Und Zigarretten, die er zum Überleben braucht und
Etwas zu Essen hatte er auch schon länger nicht mehr.
Und einen Schlafplatz sowieso nicht und überhaupt trägt
Er seit fünf Tagen dieselben Klamotten,
unfähig, sich irgendwoher etwas Neues zu besorgen.
DAZWISCHEN
Stehen wir, Deutschlands Kinder.
Täglich wählen zwischen Geld spenden oder ausgeben,
tägliches Leben in einer Überflussgesellschaft, in der
es am Nötigsten fehlt.
Respekt, Anerkennung und Toleranz.
Lieber fünfmal die Woche Hummer anstatt Moritz,
der vor seinem Autounfall einen ordentlichen Job hatte,
zwei Euro zuzustecken.
Lieber im Geldrausch Rauschgold kaufen als mit offenen Augen
Durch Frankfurts Straßen zu ziehen und zu schauen,
wer es im Moment nötiger hat.
Vielleicht gibt es ja jemanden,
dessen Kühlschrank nicht so gefüllt ist.
Der nägelkauend am Hungertuch nagt, weil.
Wir werden es nie wissen, wir
Werden immer nur die Reichen sein, die Wohlhabenden in einem Land,
das von Tag zu Tag größer, höher, besser wird.
Dass dabei viele untergehn, interessiert nicht.
Dunkelzahlen werden überlesen, man ist auf Glamour aus.
Ist das wahrer Reichtum?
Oder gehören wir letztlich nur zu denen,
die mit geschlossenen Augen reich tun?
Copyright (c) Lisa Schregle 2012