Freiheit, die ich meine
Sie wollte ihn, unbedingt. „Du bist so männlich“, raunte sie ihm ins Ohr und schmiegte sich in seinen muskelbepackten Arm. Sie liebte es, ihm durch die langen Haare zu streichen und auf seinem Motorrad mitzufahren. Auch seine Lederklamotten machten sie tierisch an. Bald zogen die beiden zusammen. „Warum auch nicht“, dachte er. Schließlich liebte sie ihn so wie er war: männlich, verwegen, frei.
„Warum sollten wir nicht heiraten?“, fragte sie kurze Zeit später. Er hatte nichts dagegen, das Zusammenleben klappte schließlich ganz wunderbar. Nun war er männlich, verwegen, fast frei und immer noch langhaarig.
Das blieb bis kurz nach der Hochzeit so. Plötzlich sagte sie Sätze wie: „Geh doch mal zum Friseur“ oder „Wie das aussieht, mit deinen Gezappel auf den Kopf“ und „Heute kommen meine Eltern zu Besuch, mach dir wenigstens einen Zopf“. Nun, irgendwann hatte er eine modische Kurzhaarfrisur. Schließlich liebte er sie und er fühlte sich immer noch männlich, etwas verwegen und fast frei. Nur dass es oben herum ziemlich kühl war, er erwog, eine Mütze zu tragen.
„Schatz, ist es nicht zu gefährlich, mit dem Motorrad zu fahren?“, hauchte sie ihm eines Abends ins Ohr. Sie hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht, tranken lieblichen Rotwein, hörten deutsche Schlager. Sie schmiegte sich in seinen noch immer muskulösen Arm. „Ich habe da letztens einen Artikel gelesen. Ich bin so besorgt um dich!“ Nach langem Kampf mit vielen nassgeweinten Taschentüchern gab er schließlich nach, verkaufte das Bike und die Lederklamotten. Nun trug er Stoffhose, Sacco, schwarze Slipper und fuhr einen Kombi. Er war männlich, chic gekleidet, nicht wirklich frei und oben herum blieb es kühl, denn eine Mütze passte nicht zu seinem neuen Outfit.
Es folgten Jahre des friedlichen Miteinanders. Er trank weiter lieblichen Rotwein, lernte deutsche Schlager zu lieben, schaute sich mit ihr zusammen die Lindenstraße an, ging jeden Morgen mit dem Hund Gassi und brachte frische Brötchen mit. Selbst den Pullunder, den sie ihm zum Geburtstag schenkte, trug er ohne zu murren. Doch völlig unerwartet stand sie mit gepackten Koffern vor ihm. „Du hast dich so verändert“, säuselte sie. „Als ich dich kennenlernte, warst du männlich und verwegen. Schau dich jetzt mal an…“
Neulich sah er sie. Sie hing am muskelbepackten Arm eines lederbekleideten Bikers. Er erwiderte grinsend den mitleidigen Blick des Langhaarigen. Fast hätte er ihm seine Mütze geschenkt, aber die braucht er noch eine Weile.
© Angie
Mumpitz
15. Nov 2013
Das ist in meinen Augen die beste Geschichte, die ich von dir bislang gelesen habe, Angie. Eine satirisch Parabel, die hunderttausendfach gelebt wird unter den Menschen.
Maultrommler
15. Nov 2013
Herrlich, ich hab beim Lesen viel gelacht, und ein Dauergrinsen hat Dein Text bei mir zurückgelassen.Der letzte Satz, schön süffisant.
Angi
15. Nov 2013
Hallo Ihr Lieben, danke, da habe ich ja mal ein Lob bekommen, was mich ganz besonders freut.
Wünsche ein schönes Wochenende
Angie