4 Gefallen

Es war schon wieder Freitag und es war wieder diese Bar. Sie saß am Tresen, leicht angetrunken und deprimiert beobachtete sie ihre Freundinnen, die sich schon alle irgendeinen der Dorftrottel geschnappt hatten, die genauso wie sie jeden Freitag in dieser Bar zu finden waren. Diese Inzestbrutstätte, in der jeder schon mit jedem rumgemacht hatte und es nur darum ging, die Langeweile wegzutrinken und dem eigenen Leben einen Glanz von Coolness zu verpassen. Sie hatte keinen Bock mehr darauf und hatte sich ihr dünnes Jäckchen schon zum gehen bereit gelegt, als plötzlich ein neues Gesicht am Eingang zu sehen war.
Seine Augen gewöhnten sich an die von bunten Lichtern und künstlichen Nebel durchdrungene Dunkelheit, dann ging er, ungeachtet aller Blicke und Verwunderung ob des neuen Gesichts, direkt zur Bar. Er bestellte, der Barmann nickte. Dann drehte er sich um, lehnte rücklings an die Bar. Er war ein bisschen älter als sie. Vielleicht Ende Zwanzig. Sein Bart sah aus wie der eines Mannes, der keine Zeit hatte, sich um ihn zu kümmern. Als ob er wichtigeres zu tun hätte. Die Dorftrottel, die Art Männer, denen sie sonst begegnete, wendeten viel Zeit auf, um ihr kümmerliches Inneres durch ein perfektes Äußeres zu bedecken. Er musste bemerkt haben, dass sie ihn anstarrte, denn er drehte sich zu ihr und lächelte.
Ein interessanter Mann, dachte sie. Dann rückte sie zu ihm rüber.
„Hi!“
Er nickte ihr zu.
„Hallo.“
Er beugte sich zu ihr rüber.
„Sag mal, könntest du mir vier Gefallen tun?“
Wow, gleich vier Gefallen, er geht aber schnell vor, dachte sie.
„Kommt drauf an, was es ist.“, sagte sie und lachte naiv.
„Ich habe nicht so viel Zeit.“, sagte er und zwinkerte.
„Was ist denn der erste Gefallen?“
Er holte ein zerfleddertes Notizbuch aus der Innenseite seiner Jacke und blätterte darin bis zur letzten beschriebenen Seite.
„Sind wir hier in Birkenfeld?“
Sie lachte und nickte.
„Ja, das hier ist das tolle Dorf Birkenfeld. Was ist der zweite Gefallen?“
„Würdest du mir deinen Namen verraten?“
Na dann bin ich ja gespannt, was die anderen zwei Gefallen sind, dachte sie
„Sara heiße ich, angenehm.“ Sie streckte die Hand aus. Er schüttelte sie.
„Kasimir, hallo Sara. Mit oder ohne h?“
„Ohne h.“
Er nickte, zog einen Kugelschreiber aus der selben Tasche, in der das kleine Notizbuch gesteckt hatte, und schrieb ihren Namen und das Datum neben den Ortsnamen „Birkenfeld“. Sie vorgebeugt las sie mit, was er schrieb. Über ihrem Namen stand ein anderer Name hinter einem anderen Ort. Und hinter dem Namen war ein kleines Häkchen.
„Wofür ist denn der Haken hinter den Namen?“
„Tja, das wäre mein dritter Gefallen. Sara, ich würde dich gern küssen, darf ich das?“
Hm, dann ist ja klar, was Gefallen Nummer Vier sein wird, dachte sie und fand selbst Gefallen daran. Sie nickte. Kasimir beugte sich vor und küsste sie. Kein schneller Wahrheit oder Pflicht Küsschen. Kein Willkommensbussi. Ein Kuss. Sie spürte die Lippen, die stoppeligen Barthaare und musste erstmal tief Luft holen, nachdem er fertig war, denn das hatte sie während des Kusses komplett vergessen. Er lächelte wieder. Und dann setzt er seinen Haken hinter den Namen Sara. Ihren Namen.
„Was ist der vierte Gefallen?“, fragte sie und war bereit, zu nicken. Er beugte sich nach vorne, noch weiter zu ihrem Ohr und fragte:
„Kannst du mir einen anderen deutschen Ort nennen? Möglichst weit weg?“
Okay, das muss die Masche sein, die Mädels zu verwirren, dachte sie. Dann dachte sie nach.
„Vechta.“
„Wo ist Vechta?“
„Weit oben, Niedersachsen. Meine Mutter kommt von da, wir haben da noch Verwandte.“
„Mit V geschrieben?“
Sie nickte und er schrieb den Stadtnamen in die nächste Zeile. Dann leerte er sein Glas in einem Zug, legte einen Schein auf die Tresen, nickte dem Mann dahinter zu, lächelte sie ein letztes Mal an, verabschiedete sich, stand auf und verließ die Bar. Perplex sah sie ihm hinterher, dann schnappte sie sich ihr Jäckchen und hastete ihm hinterher. Als sie an die feuchte frische Luft kam und ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah sie ihn gerade in ein Taxi einsteigen. Es musste auf ihn gewartet haben, denn in Birkenfeld bekam man nie einfach so ein Taxi. Sie rannte zum Taxi un klopfte an die Scheibe, er kurbelte sie runter.
„Wohin fährst du?“
„Nach Vechta. Eine Frau finden, die mich küsst.“
Dann bedeutete er dem Mann hinterm Steuer, loszufahren.

  • Grins. Okay, unsere Gleichstellungsbeauftragte wäre entsetzt, weil es eine Thekentussistory ist. Aber mir gefällt sie richtig gut 😉

  • Auch über Thekentussis muss es Geschichten geben 😉

  • Aaaahhh! Das hat was, das ist eine Art von subtilem Humor, den ich sehr mag! Man sieht das verdutzte Gesicht der Frau richtig vor sich! Sie wollte was erleben, na, jetzt hat sie was erlebt!
    Bin begeistert! Lieber Gruß von Mumpitz