Straßenpoesie: Passagenspaziergänge

Die nackten Füße spüren jeden Kopfpflasterstein. Es muss vorher geregnet haben.
Die Nase riecht duftendes Essen. Der Magen sagt Hallo, ich bin da.
Die Augen können sich nicht entscheiden, wohin sie blicken wollen und haben weniger zeit als sie brauchen.

Die Köpfe der Schaufensterpuppen drehen sich, wenn wir nicht hinsehen.
Preisschilder ändern sich, wenn sie jemanden sympathisch finden.
Die Türglocken klingeln dann schon leise und freudig, bevor die Tür sich öffnet.

Ein bärtiger Junge samt Hund posiert vor einer Hauswand und hinter einem Schild: Hund braucht Geld, um Herrchen zu füttern.
Das alte Postamt aus ehrwürdigen Mauern ertrinkt in einer Flut von illegal angebrachten Plakaten.
Eine Werbetafel wirbt wirkungslos für eine Ansammlung zukünftiger Geschäfte, die den gleichen alten Scheiß verkaufen.

Sonnenlicht spiegelt sich in den Pfützen.
Melancholie umspült die nackten Beine.
Wäscht die alten Steine sauber.

Und die Seele füllt sich mit diesem warmen, nicht beschreibbarem Gefühl.

  • Der letzte Satz beschreibt genau das, was der Text macht: Er taucht den Leser in eine Gefühl, das er nicht beschrieben kann. Da sind diese Sätze, in die man eintauchen möchte, und dann wieder welche, zu denen man Abstand nimmt, immer im Wechsel, so dass man denkt: „Mmmh, bin ich jetzt in der Situation drin oder nicht?“
    Jedenfalls ist es toll geschrieben.