PS: Dann gibt es mich nicht mehr
»Stell dir vor, du erzählst sie mir«, sagte meine Freundin.
Sie meinte, meine Geschichte und taufte sie: »Ghostwriter«, was mir gefiel. Seit Tagen denke ich über einen Anfang nach und was ich überhaupt erzählen soll, will, kann. Die Grenzen sind so eng, beinah fließen sie ineinander über. Ich stelle mir vor, ich erzähle sie dir und ich erzähle sie genau einmal. Was geschrieben steht, bleibt. Wo es letztendlich bleibt, entscheide nicht ich, sondern du. Vielleicht kommst du mit. Nimm dir alle Zeit, die du hast, nur bedenke: Manchmal glaubst du, es wäre noch genug übrig, dabei hat der Tod nur vergessen sich anzumelden. Ich stelle mir vor, du würdest mich fragen:
»Was sind deine Lieblingsfarben und wo bist du zu Hause?«
Meine Antworten haben die Wenigsten interessiert, als hätten sie mich nach meinem Befinden gefragt und erwartet, ich sage:
»Gut, es geht mir gut.« Meist sagte ich das auch.
Irgendwie denke ich an August 2011. Ich bin mit meinem Mann spazieren gewesen, er hat Fotos von mir gemacht. Weißt du, er hat mich geliebt. Ich glaube fest daran. Nein, ich gehe noch weiter, denn ich glaube, niemand hat mich je so geliebt wie er. Ich habe ihn geliebt. Mit meinem Herzen. Das hört sich an, als sei es normal, aber das ist es nicht. Es gibt nicht mehr sehr viele Menschen, die mit dem Herzen gleichermaßen lieben wie mit dem Verstand. Nichts abwägen, keine Liste führen, keine Vorwürfe in den Raum stellen und stehen lassen. Wir haben uns geliebt.
»So einfach ist das«, höre ich ihn gerade.
Wahrscheinlich, weil er das stets sagte. August 2011, Sommer, der Monat, in dem ich Geburtstag habe, und jener, nach dem sich alles änderte. Die Fotos fand er so schön, wie er mich schön fand.
»Gut, dass du einen grauen Star hast«, sagte ich.
Wir haben beide gelacht, er zog mich an sich, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und sagte:
»Du bist schön, intelligent und die tollste Frau, die so einer wie ich nicht verdient hat.«
So einer wie er? Genau so einer. Ich schüttelte den Kopf. Das ist gerade so echt.
»Du sollst nicht über mich reden«, höre ich ihn, »erzähle deine Geschichte.«
Meine? Die ist so uninteressant. Sie stand in vielen seiner Texte, nur nie ganz. Wie ich nie ganz war. Durch ihn fühlte ich mich um Gefühle reicher. Aber ohne ihn weiß ich wieder, dass ich es nie war. Im September 2011 bekam ich die Diagnose ‘Brustkrebs’. Meinem Mann blieb fast die Bratwurst im Halse stecken, als ich aus dem Aufzug kam, weinte und sagte:
»Krebs.«
Das ist so ein Angstwort, oder? Beim ersten Mal schon. Es folgten Untersuchungen, dann wurde mir der Tumor inklusive Brust entfernt. Chemotherapie. Tabletten. Müdigkeit. Haare weg. Meine wunderschöne Mähne. Cortison. Ich wurde dick. Ich wog mal 63 Kilo. Nach dem Marathon waren es 86. Ich fühlte mich dick, ich sah dick aus, ich war und bin es. Mein Mann sagte:
»Du bist schön, dein Körper ist es, egal ob mit einer oder keiner Brust. Ich liebe dich, dich.«
Das tat so gut. Er berührte mich so sanft, so wie vor der OP, ich beobachtete seine Blicke dabei, er verzog keine Miene. Seine Hand lag auf der hässlichen Narbe und er sagte:
»Selbst die finde ich schön, weil sie zu dir gehört.«
2011 und 2012 habe ich gekämpft. 2013 wurde ich müde. 2014 starb mein Mann. Ich kann meine Geschichte nicht erzählen, weil ich nicht erzählen kann. Vielleicht bitte ich dich morgen nochmal, mich zu begleiten. Du sitzt da und fragst dich, wohin? Rück’ mal näher, ich flüstere es dir ins Ohr:
»Zwischen die Zeilen, bis ich schweige, dann gibt es mich nicht mehr.«