Freiheit, die ich meine

Sie wollte ihn, unbedingt. „Du bist so männlich“, raunte sie ihm ins Ohr und schmiegte sich in seinen muskelbepackten Arm. Sie liebte es, ihm durch die langen Haare zu streichen und auf seinem Motorrad mitzufahren. Auch seine Lederklamotten machten sie tierisch an. Bald zogen die beiden zusammen. „Warum auch nicht“, dachte er. Schließlich liebte sie ihn so wie er war: männlich, verwegen, frei.

„Warum sollten wir nicht heiraten?“, fragte sie kurze Zeit später. Er hatte nichts dagegen, das Zusammenleben klappte schließlich ganz wunderbar. Nun war er männlich, verwegen, fast frei und immer noch langhaarig.

Das blieb bis kurz nach der Hochzeit so. Plötzlich sagte sie Sätze wie: „Geh doch mal zum Friseur“ oder „Wie das aussieht, mit deinen Gezappel auf den Kopf“ und „Heute kommen meine Eltern zu Besuch, mach dir wenigstens einen Zopf“.
Nun, irgendwann hatte er eine modische Kurzhaarfrisur. Schließlich liebte er sie und er fühlte sich immer noch männlich, etwas verwegen und fast frei. Nur dass es oben herum ziemlich kühl war, er erwog, eine Mütze zu tragen.

„Schatz, ist es nicht zu gefährlich, mit dem Motorrad zu fahren?“, hauchte sie ihm eines Abends ins Ohr. Sie hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht, tranken lieblichen Rotwein, hörten deutsche Schlager. Sie schmiegte sich in seinen noch immer muskulösen Arm. „Ich habe da letztens einen Artikel gelesen. Ich bin so besorgt um dich!“ Nach langem Kampf mit vielen nassgeweinten Taschentüchern gab er schließlich nach, verkaufte das Bike und die Lederklamotten. Nun trug er Stoffhose, Sacco, schwarze Slipper und fuhr einen Kombi. Er war männlich, chic gekleidet, nicht wirklich frei und oben herum blieb es kühl, denn eine Mütze passte nicht zu seinem neuen Outfit.

Es folgten Jahre des friedlichen Miteinanders. Er trank weiter lieblichen Rotwein, lernte deutsche Schlager zu lieben, schaute sich mit ihr zusammen die Lindenstraße an, ging jeden Morgen mit dem Hund Gassi und brachte frische Brötchen mit. Selbst den Pullunder, den sie ihm zum Geburtstag schenkte, trug er ohne zu murren. Doch völlig unerwartet stand sie mit gepackten Koffern vor ihm. „Du hast dich so verändert“, säuselte sie. „Als ich dich kennenlernte, warst du männlich und verwegen. Schau dich jetzt mal an…“

Neulich sah er sie. Sie hing am muskelbepackten Arm eines lederbekleideten Bikers. Er erwiderte grinsend den mitleidigen Blick des Langhaarigen. Fast hätte er ihm seine Mütze geschenkt, aber die braucht er noch eine Weile.

© Angie

Die Schreibaufgabe

Heute lernen wir, wie man einen Liebesbrief schreibt. Stellen sie sich ihre große Liebe vor. Was würden sie ihm/ihr schreiben?

Große Liebe??? Habe ich noch nicht gefunden. Kann ich die Übung vielleicht überspringen oder einen Brief an meinen Hund schreiben? Den liebe ich nämlich sehr!

Sollten sie im Moment noch niemanden haben, so bemühen sie ihre Fantasie. Was würden sie fühlen, wenn sie die große Liebe gefunden hätten. Schreiben sie es auf.

Was fühle ich? Na ja, ich habe ziemlich großen Hunger. Geht das auch? Hmmm mal überlegen. Ich könnte schreiben: Ich habe Hunger nach dir. Quatsch, eigentlich habe ich Hunger auf einen großen Teller Spaghetti mit Sahnesoße. Mist ich fange fast an zu sabbern. Ob ich erst was esse?

Lassen sie sich nicht ablenken. Stehen sie zu ihren Gefühlen, erst das macht sie zu einem guten Autor. Versuchen sie es einfach.

Also gut, dann versuche ich es jetzt. Ich schreiben Alan, das ist meine Lieblingsromanfigur. Ihn könnte ich mir gut als potenziellen Liebhaber vorstellen.

„Lieber Alan“

Mir knurrt vielleicht der Magen, aber ich lasse mich jetzt nicht ablenken, nicht von meinem undankbaren Körper.

„Lieber Alan, danke für das Date am gestrigen Abend. Das essen war so lecker! Ich träume immer noch von deiner Sahnesoße, die die Spaghetti erst perfekt gemacht haben.“

Ja gut, das ist erst einmal in Ordnung. Jetzt knurrt der verflixte Magen schon wieder. Nicht ablenken lassen!

„Vielleicht kannst du mir das Rezept dafür zukommen lassen, dann kann ich das Gericht allein kochen.“

Das klingt allerdings nicht so besonders liebevoll und schon gar nicht erotisch. Wo ich mir Alan immer als Liebhaber vorgestellt habe. Ich lasse das mit dem Essen mal lieber. Was könnte ich statt dessen…

„Geliebter Alan, das Abendessen gestern war wirklich wunderbar. Die Sahnesoße…“

Schon wieder die Soße, das streiche ich raus.

„Doch noch wunderbarer warst du, mein Liebster. Ich kann immer noch deine Finger auf meinem Körper spüren.“

Da war mal dieser bescheuerte Typ, als ich 15 war. Der hat versucht mich an sich zu drücken, beim Klammerblues im Jugendheim. Anschließend hatte ich einen blauen Fleck auf dem Rücken und habe deswegen ne Menge Ärger mit meiner Mutter bekommen. Sie hatte immer Angst, ich kriege ein Kind. So ein Quatsch. Halt-ein Kind, das ist eine gute Idee.

„Lieber Alan, ich bin schwanger. Ich hoffe du kannst das Kind ernähren.“

Ne, das geht auch nicht. Schwanger einen Tag nach dem Treffen. Verflixt, warum muss es auch unbedingt ein Liebesbrief sein? Kann ich nicht einfach einen Brief an den Installateur schreiben, oder noch besser an meinen Arbeitgeber?
„Sehr geehrter Herr Bossenkötter, wie sie sicher schon gehört haben, bin ich eine erfolgreiche Autorin. Mein neuester Roman wird in Kürze verfilmt. Die Hauptrolle spielt Keira Knightley, finden sie nicht auch, dass sie mir ein wenig ähnlich sieht. Übrigens: die männliche Hauptrolle übernimmt Hugh Jackman, the sexyes man alive. Da ich deshalb im nächsten Monat an jedem Tag am Set sein muss, kündige ich hiermit das Arbeitsverhältnis per sofort. Hochachtungsvoll“
Das wäre mal ein Brief! Aber nein, es soll ja ein Liebesbrief sein. Mein Bleistift ist schon ganz abgekaut, kein Wunder, bei meinem Hunger. Ich versuche es noch einmal.

„Liebster Alen,“

Das Telefon klingelt. Nein, ich gehe nicht dran. Aber es könnte natürlich auch ein Notfall sein. Vielleicht hat meine Mutter einen Unfall, in dem Alter stürzt man schon mal. Es ist wohl besser wenn ich abhebe. Mist, wo ich gerade so kreativ bin.

„Hallo! Oh, Hallo Jenny. nein, ich bin nicht beschäftigt, was ist denn los? Spontan Essen gehen? Ist es schon so spät? Da sieht man mal wie schnell die Zeit vergeht, wenn man einen Roman schreibt. Ja klar, ich bin in 15 Minuten in unserer Pizzeria. Ich freuen mich schon auf die Spaghetti Carbonara.“

Sicher

Sie waren einander so sicher,

dachten nicht an die Gefahr.

Glaubten an ewig, für immer,

plötzlich schien nichts, wie es war.

Mit einem Mal waren sie Fremde,

erkannten einander nicht mehr.

Sehnten sich nach dem Vertrauten;

suchten, bemühten sich sehr.

Doch ach, je mehr sie sich mühten,

entfernten sie sich von einand‘,

denn die Herzen, sie wurden ganz eisig

und zurück blieb der kühle Verstand.

So analysierten sie fleißig,

warum und weshalb es geschah.

Begannen Gefühle zu messen

ihre Liebe war nimmer mehr da.

Gesundheitscheck

Hartriegel erwachte durch ein unbestimmtes Grummeln in seinen Innereien. Seufzend gestand er sich ein, dass die jährliche Diagnose schon lange fällig war. Erneut grummelte es, dieses Mal so heftig, dass der geplagte Hartriegel es nicht mehr ignorieren konnte. Erneut seufzend brachte er sich mit einem leichten Knopfdruck von der senkrechten Schwebeschlafposition in Aufwachstellung. Während er sich, den Hintern kratzend, in Richtung der Nasszelle bewegte, erkannte er an den gewohnten Geräuschen, dass auch seine derzeitige Gefährtin aufgewacht war.
„Morgendliche Grüße, Hartie.“
Er murmelte einen Morgengruß, während er darüber sinnierte, ob die gemeinsame Zeit abgelaufen war. In den letzten Dekaden ging ihm Lihoba mehr und mehr auf die Nerven. Vielleicht sollte er sie gegen ein Exemplar der neueren Generation ersetzen. Die neuen Begleitrobotinnen wurden im Netz verstärkt angepriesen und schienen einfach alle Lebensbereiche abzudecken, was bei der alten Version nicht der Fall war. Nun, das konnte er in Ruhe entscheiden, jetzt würde er sich den wichtigeren Dingen widmen.
„Ich denke, ich werde eine Diagnose machen lassen“, verkündete er beim Vitaminfrühstück.
„Das ist eine gute Idee, mein Lieber“, wie üblich lächelte Lihoba zustimmend, doch heute erinnerte ihn ihr Gesichtsausdruck an die Zeichnungen des vor Urzeiten ausgestobenen Carcharodon Carcharias. Ihre Zeit schien wirklich abgelaufen zu sein.
Eilig würgte Hartriegel seinen Energiedrink hinunter. „Ich will dann mal los!“

Vor der Wohneinheit erfasste ihn die übliche Sturmböe. Nun, er konnte sich glücklich schätzen, an einem geschützten Ort zu leben. Durch den hohen, die Stadt komplett umgebenden Damm war das Wetter erträglich. Das die Bewohner ihre Stadt nicht verlassen konnten, nahm man hin, vermisste eigentlich nichts. Human City bot Schutz, Nahrung und ein gewisses Mass an Unterhaltung. Die wenigen Menschen, die es, starrsinnig wie sie waren, außerhalb der schützenden Mauern aushielten, schienen nicht viel mit einem zivilisierten Humanoiden gemein zu haben. Dem unsagbaren Wetter ausgeliefert ähnelten sie eher Tieren, das wurde nur zu oft im Netz propagiert. Hartriegel hatte sich im Bildungsbereich genau über die, in grauer Vorzeit durch eine gewisse Unachtsamkeit ausgelöste Umweltkatastrophe informiert. Hier erfuhr er, dass sie nicht mehr rückgängig zu machen war, doch man hatte gelernt damit umzugehen, zumindest in der größten Stadt des Planeten.

Das Sammeltaxi brachte Hartriegel direkt bis vor die Tür des Diagnosetowers. Hier begrüßte ihn die allseits beliebte Empfangsmaschine.
„Gesunde Grüße“, schnarrte sie. „Womit kann ich helfen.“
Hartriegel verzog das Gesicht. Er bevorzugte Empfangsmaschinen, die ihn annähernd an seine Spezies erinnerten, was hier nicht der Fall war. Trotzdem bemühte er sich um einen freundlichen Tonfall. „Ich hätte gerne einen Rundumcheck.“
Die Maschine schwieg für einen Moment und taxierte ihn mit ihren Sensoren. „Das würde in Deinem Fall 750 Einheiten kosten, dieses Angebot beinhaltet ein persönliches Gespräch mit Herrn Doktor Schmunck. Die kleine Diagnose, ohne persönliche Beratung, kann ich für 400 Einheiten anbieten.“
„Was?“, Hartriegels Magen und Darmtrakt kam in Wallung und auch in seinem Gemüt fing es an gewaltig zu grummeln. „Die letzte Komplettdiagnose habe ich noch für 500 Einheiten bekommen, allerdings ohne Gespräche. Ich habe nicht vor, das Gesundheitssystem zu sanieren. Ich will nur einen Check!“
Die Maschine schien ihn erneut zu taxieren. „Ich habe nicht verstanden. Bitte wiederholen: Wünschst Du die komplette Diagnose für 750 Einheiten, inclusive eines persönlichen Gespräches mit Herrn Doktor Schmunck, oder die kleine Diagnose für 400 Einheiten?“
Hartriegel war kurz davor, in Unruhe zu verfallen, was ihn einigermaßen verblüffte. Hatte er vergessen, seinem Frühstück die Glücklichmacher hinzuzufügen? Das konnte er sich nicht vorstellen, denn bisher hatte er die Riegel routinemäßig in seinem Energiedrink aufgelöst und so immer zu sich genommen. Schließlich war die Einnahme dieses Medikamentes eine Grundbedingung für das Leben in Human City. Jeder, der sich dem entzog, wurde früher oder später aussortiert, verschwand auf nimmer Wiedersehen im Chaos hinter dem Schutzdamm.
„Ich wünsche die große Diagnose für 750 Einheiten“, sagte er laut und deutlich, seine merkwürdigen Gefühlswallungen mit aller Macht unterdrückend. Insgeheim nahm er sich vor, sofort nach dem Heimkommen zur Sicherheit noch einen Glücksriegel zu sich zu nehmen.
Die Empfangsmaschine schnarrte. „Ich wiederhole: eine komplette Diagnose. 750 Einheiten, sofort nach dem Einloggen zu entrichten. Begib Dich bitte in Einheit 7.“
Wie üblich entpuppte sich die Einheit als ein steriler Raum, dessen gesamte Rückwand von der Diagnosemaschine eingenommen wurde.
„Gesunde Grüße“, begrüßte sie den eintretenden Patienten. „Bitte den Andockpunkt frei machen. Anschließend wirst Du in den Schwebeschlaf versetzt, während die Diagnose erstellt wird. 750 Einheiten werden automatisch von Deinem Konto abgebucht. Nach dem Aufwachen wird Herr Doktor Schmunck ein persönliches Gespräch mit Dir führen. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, entspanne Dich.“
Während Hartriegel seinen Overall seitlich öffnete, um die steckdosenartige Andockstelle in seiner Hüfte freizumachen, versuchte er sich weiter zu entspannen, was nur bedingt gelang. Die Maschine schien seine Unruhe zu bemerken, denn während sich ihre Tentakel leise surrend auf ihn zuschlängelten, wiederholte sie den letzten Satz. „Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, entspanne Dich.“

Hartriegel erwachte mit laut klopfendem Herzen. Ein schwarz gekleidetes Wesen stand vor ihm und schaute ihn freundlich an. „Da ist unser Patient ja wieder“, tönte es mit jovialer Stimme. „Ich bin Doktor Schmunck. Wie fühlen Sie sich?“
Prüfend schaute der Angesprochene sich um. Er befand sich in einer Einheit, die sich nicht wesentlich von Nummer 7 unterschied. Oder war dies gar die Einheit 7 und die Diagnosemaschine hatte sich auf wunderliche Weise in die Wand zurückgezogen?
„Ich fühle mich gut“, erwiderte er vorsichtig. „Es grummelt nicht mehr in meinem Inneren.“
„Nun, das Grummeln ist nicht das Problem“, begann Dr. Schmunck, immer noch sehr liebenswürdig. „Es handelte sich um ein altersbedingtes Unwohlsein. Damit könnten Sie leben, mein Bester. Etwas anderes macht uns große Sorgen“, hier zögerte der Doktor einen Moment, räusperte sich. Sein Gesicht bekam einen verknautscht-traurigen Ausdruck. „Wir haben festgestellt, dass Sie es versäumt haben, sich die nötige Dosis des im Volksmund als Glücklichmacher bekannten Medikamentes zuzuführen. Das ist sehr bedenklich, denn dadurch ist es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Sie reagieren über, haben zu viele Aggressionsstoffe produziert und sind somit für unsere Gesellschaft nicht mehr tragbar.“ Hier verstummte der gute Doktor.
„Aber, aber.“, Hartriegel schluckte krampfhaft. Alle Horrorgeschichten über Amokläufe in den dunklen Zeiten fielen ihm mit einem Schlag ein. Sollte er tatsächlich, ohne es zu wollen, zu einem solchen Aggressor mutieren? Er fasste sich an den Magen, konnte jedoch nichts fühlen. Hartriegel hob die Hand. Er fühlte, dass er die Hand hob, doch er sah sie nicht. Genau so ging es ihm mit seinen Beinen. Sein Körper schien sich in Luft aufgelöst haben.
Fassungslos schaute er den Doktor an, der ihm plötzlich seltsam unwirklich vorkam. Doktor Schmunck schüttelte begütigend den Kopf. „Wie Sie gerade bemerken, sind wir gezwungen gewesen, Sie erst einmal stillzulegen. Ihr Bewusstsein befindet sich zurzeit in einem Genpool, bis wir beschlossen haben, wie wir weiter mit Ihnen verfahren. Das kann einige Zeit in Anspruch nehmen.“ Die Silhouette Doktor Schmuncks wurde zunächst undeutlich, löste sich schließlich in einem flockigen Nebelschwaden auf. Gleichzeitig fing es in Hartriegels Eingeweiden an zu rumoren.

„Heuri, Hallo und friedvolle Grüße. Hier ist euer Muntermacher, Human Netzradio, mit einer brandaktuellen Meldung: Wieder sind einige wenige Humanoiden aufgegriffen worden, die versuchten, den Frieden in unserer schönen Stadt zu stören. Doch durch die Achtsamkeit unserer Mitbürger sind die asozialen Elemente schnell ausfindig gemacht worden. Nach einer angemessenen Läuterung bekommen auch diese Störenfriede eine neue Chance. Nun zum Wetter…“
Hartriegel erwachte durch die unerträglich muntere Stimme des Moderators und ein unbestimmtes Grummeln in seinen Innereien, ein Grummeln, das er einfach nicht ignorieren konnte. Entschlossen brachte er sich in die Aufwachstellung und während er sich, den Hintern kratzend, in Richtung der Nasszelle bewegte, beschloss er, auf keinen Fall und niemals wieder einen Gesundheitscheck machen zu lassen, denn manchmal werden Träume wahr.

Leseprobe ‚Murphys Abenteuer‘

1.Murphy kann sehen

Langsam wachte der kleine Dackelwelpe auf und rekelte sich. Wie immer lag er nah an seine Mutter und die Geschwister gekuschelt. Wie schön warm und weich sich das anfühlte!
Heute war irgendetwas anders als sonst, es erschien ihm alles sehr viel heller und auch lauter. Er öffnete die Augen.
MOMENT! Er konnte die Augen öffnen! Zum ersten Mal in seinem, bis jetzt drei Wochen dauernden Leben sah er.
Und nicht nur das – er konnte auch hören. Das helle Licht und die vielen Töne verwirrten ihn und er schaute hilfesuchend um sich.
„Hallo mein kleiner Murphy, aufgewacht?“ sagte eine liebe Stimme. Der Dackeljunge wusste ganz von selbst, dass die Stimme seiner Mutter gehörte. Jetzt regten sich auch die Geschwister. Murphy beeilte sich, um als erster an die Zitzen seiner Mutter zu kommen, denn er hatte plötzlich einen mächtigen Hunger. Als er sich satt getrunken hatte, kuschelte er sich wieder ganz dicht an und schlief glücklich ein.

Als er das nächste Mal aufwachte, hatte er ganz schlimme Zahnschmerzen und jammerte drauflos. Liebevoll leckte ihn seine Mutter ab.
„Du bekommst deine Milchzähne, mein Kleiner. Das tut ein bisschen weh, aber es vergeht auch wieder. Trink noch ein wenig Milch und dann kuschelst du dich ganz nah an mich.“ Das tat der kleine Dackel auch, und bald war er eingeschlafen.

2.Ein seltsames Wesen

An diesem Morgen wurde er durch seine Geschwister geweckt. Einer seiner Brüder versuchte Murphys Pfote in den Mund zu nehmen, während ein anderer seine Nase ableckte. Das kitzelte ganz schön. Murphy drehte den Kopf schnell weg und schaute sich interessiert um. Er saß zusammen mit seiner Mutter und den fünf Geschwistern in einer großen Holzkiste, die innen mit Sägespänen ausgelegt war. Der Raum, in dem sie sich befanden war ziemlich groß und dunkel, aber Murphy hatte keine Angst. Er war ja nicht allein.
Plötzlich ging die Tür auf und ein seltsames Wesen betrat den Raum.
„Das ist ein Mensch, Kinder“, sagte seine Mutter. „Ihr müsst immer nett zu ihm sein und ihm gehorchen, denn er ist unser Rudelführer. Er füttert uns und er sorgt für unsere Sicherheit.“
„Aber er sieht komisch aus, Mama“, wagte Murphy einzuwenden.
Liebevoll schaute seine Mutter ihn an. „Das macht nichts. Er ist zwar nicht so hübsch haarig wie wir, aber er bringt das Futter.“
Der Mensch hatte eine große und eine kleine Schüssel in den Händen. Er beugte sich hinunter und stellte die Schüsseln auf den Boden, während er redete. „So, hier ist euer Futter. Einmal für die Mutter und eine Schüssel für die Jungen.“
Murphys Mutter ging zu der großen Schüssel und fraß daraus. Während sie kaute, ermunterte sie ihre Welpen: „Der kleine Napf ist für euch. Versucht das Futter einmal. Es schmeckt sehr gut.“ Vorsichtig ging Murphy als Erster zu dem kleinen Napf und roch an dem Inhalt. Ja, das roch sehr angenehm. Dann probierte er laut schmatzend. Hmm, das schmeckte wirklich gut, wenn auch nicht so gut wie Mamas Milch. Nach und nach wagten sich auch seine Geschwister an den Napf, der Ruck-Zuck leergefressen war. Der Mensch hatte ihnen mit großen Vergnügen zugeschaut und nahm die leeren Schüsseln auf. „Donnerwetter“, staunte er, „das nächste Mal muss ich euch ein bisschen mehr Futter bringen.“
„Das ist eine gute Idee“, sagte Murphy.
Der Mensch drehte sich um. „Das ist ja ein ganz Frecher! Kläfft mich jetzt schon an.“
„Nein, ich meinte nur, dass du das nächste Mal mehr Futter mitbringen sollst“, sagte Murphy, aber der Mann verstand ihn wohl nicht. Er ging aus dem Raum, ohne geantwortet zu haben.
„Ihr müsst wissen, dass nur ganz wenige Menschen unsere Sprache sprechen“, erklärte die Dackelmutter. „Die Meisten machen sich gar nicht die Mühe uns zuzuhören. Doch wir können uns ihnen trotzdem verständlich machen. Sie sind nur manchmal etwas schwer von Begriff.“
Sie seufzte. „Wir müssen ein wenig Geduld aufbringen, früher oder später verstehen unsere Menschen, was wir von ihnen möchten.“
Das war alles sehr aufregend für Murphy. So legte er sich hin und machte ein Nickerchen.
Mittags wachte er davon auf, dass der Mann in den Raum kam und mit den Futterschüsseln klapperte.
Weil Murphy nun schon wusste, wie es ging, bemühte er sich wieder als erster an den kleineren Napf zu kommen. Das gelang ihm mit einem Trick: Er kniff einfach die Augen zu, nahm Anlauf und rannte los. Schon hatte er die Nase im Futternapf. Hm, das schmeckte ihm von Mal zu Mal besser. Trotzdem mochte er nicht auf Mutters Milch verzichten und holte sich nach dem Essen noch einen Nachtisch bei ihr.

3.Ein besonderer Tag

Die Tage vergingen. Murphy trank Milch, aß das Futter, das der Mensch regelmäßig vorbeibrachte, und schlief ganz viel. Zwischendurch spielte er mit seinen Geschwistern.

So nach und nach traute er sich immer weiter aus der Ecke heraus, in der die Schlafkiste für ihn und seine Familie stand. Bald hatte er, zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern alle Teile der Garage, denn das war der große Raum, beschnüffelt. Jetzt kannte er sich richtig gut aus und tollte mit seinen Geschwistern im ganzen Raum herum. Wenn die Kleinen zu stürmisch mit einander umgingen ermahnte sie die Mutter:
„Vorsicht Kinder, verletzt euch nicht. Merkt euch: Wenn ihr in irgendetwas beißt und es quiekt oder schreit, dann müsst ihr loslassen, denn dann ist es lebendig…“

Heute schien ein besonderer Tag zu sein, denn die Dackelmutter leckte ihre Jungen sehr sorgfältig ab. „Kinder, ihr müsst sauber sein, denn es kommen Leute, die euch anschauen.“
Sie seufzte tief. „Wir werden uns bald trennen müssen. Ihr findet eure Menschen, denn sie suchen euch jetzt bestimmt aus. Ich muss zurück zu meinen Leuten.“
„Ich will auch mit zu deinen Leuten, Mama“, piepste Murphy erschrocken. „Mich braucht keiner aussuchen, denn ich will keinen eigenen Menschen. Die sind mir zu groß und sie riechen komisch!“
Beruhigend leckte ihm seine Mutter über den Kopf. Sie kam aber nicht mehr dazu, ihm zu antworten, denn die Tür öffnete sich. Herein kam der Futterbringer und nach ihm betraten zögernd zwei weitere Menschen den Raum.
„Jetzt benehmt euch gut, Kinder“, flüsterte die Mutter. „Das sind die Ersten, die sich einen von euch aussuchen möchten. Ein Mann und eine Frau, das ist schon mal gut. Sie sehen freundlich aus, das ist noch besser.“
Finster schaute Murphy zu dem Pärchen hoch. Das waren also die Leute, die ihn von seiner Mama und den Geschwistern trennen wollten! Denen würde er es zeigen!
Er stürzte sich auf den Größeren der Beiden. „Hey, du, ich will bei meiner Mama bleiben. Wenn du mich aussuchst, dann beiß ich dich“, sagte er laut. Zur Bekräftigung biss er in einen langen Faden, der dem Mann aus dem Schuh hing.
„Ha! Ich meine es ernst!“
Die Frau ging in die Hocke und streichelte ihm sacht über den Kopf. „Och, schau mal Alan, ist der süß! Er mag dich!“
Alan lachte. „Ja, das ist ein munterer kleiner Kerl und ich mag ihn auch.“ Mit diesen Worten streichelte auch er den kleinen Hund.
Einen Moment lang schloss Murphy genießerisch die Augen. Streicheln fühlte sich noch besser an, als Mutters Abschlecken. Dann besann er sich und versuchte gefährlich zu knurren, während er den Schuhfaden weiter lang zog.
Wieder lachte der Mann. „Der Kleine ist wirklich super, was meinst du? Wollen wir ihn nehmen?“
„O ja, Alan, er ist so süß und auch so lebhaft. Ich habe ihn jetzt schon lieb! Und wie süß er maunzt!“ Die Frau schien gar nicht zu begreifen, dass Murphy gefährlich knurrte.
„Das ging ja schnell“, meldete sich der Futtermensch zu Wort. „Wissen sie schon einen Namen für den Kleinen?“
Alan brauchte nicht lange zu überlegen. „Ja, sicher, er heißt Murphy“, meinte er nach einem kurzen Blick auf den kleinen Hund, der immer noch an seinem Schnürsenkel zerrte.
Verblüfft ließ Murphy los. „Woher weißt du denn meinen Namen?“ fragte er.
Alan nahm ihn auf den Arm. „Da staunst du, mein Kleiner“, sagte er. „Du und ich – wir werden ein super Team.“
Murphy konnte gar nicht anders, er kuschelte sich an und schloss die Augen, während Alan ihm den Bauch kraulte. „Jetzt bleibst du noch einige Zeit bei deiner Mutter. In drei Wochen holen wir dich ab.“
Der Futtermensch mischte sich ein: „Ja, dann behalte ich das Tier eben bis sie aus dem Urlaub kommen. Das ist kein Problem.“
Behutsam setzte Alan den kleinen Hund wieder zu seiner Mutter in die Kiste. „Ja, dann sind wir uns einig. Der Welpe ist sowieso im Moment noch besser bei seiner Mutter aufgehoben. In drei Wochen hat er das richtige Alter.“
Zum Abschied streichelte er Murphy noch einmal. „Bis bald, Kumpel. Wir sehen uns!“

Als die Hundekinder später völlig erschöpft von all der Aufregung des Tages neben ihrer Mutter einschliefen, flüsterte Mama ihrem kleinen Murphy ins Ohr. „Siehst du, das sind DEINE Menschen – du hast sie und sie haben dich ausgesucht! Genau so muss das sein!“

4.Allein

Im Laufe der nächsten Tage kamen immer wieder Leute, um sich einen Welpen auszusuchen. Die meisten nahmen ihren Hund sofort mit, obwohl die Tiere nicht einmal sechs Wochen alt waren. Bald blieben nur noch Murphy und seine Mutter übrig, die von Tag zu Tag trauriger wurde.
„Ach mein Kleiner, unsere gemeinsame Zeit läuft bald ab“, sagte sie ein ums andere Mal.
„Ach was, Mama, wir sind doch zusammen.“ Murphy wollte nicht zugeben, dass ihm die Geschwister ganz schön fehlten. „Vielleicht musst du gar nicht weg.“
Die Dackelmutter fuhr ihm liebevoll mit der Zunge über den Kopf und seufzte. „Ich wollte es wäre so. Aber der Mann, der uns das Futter bringt, ist kein guter Mensch. Er hat meinen Leuten Geld geliehen und weil sie es nicht zurückzahlen konnten, hat er einen Handel mit ihnen abgeschlossen: Er nimmt mich mit und verkauft meine Jungen. Anschließend bringt er mich wieder nach Hause. Doch jetzt bin ich ja hier und wir wollen an etwas Anderes denken…“

Dann, eines Morgens, wachte Murphy auf und war ganz allein.
Er blinzelte.
Wo war seine Mutter?

„Mama“, rief er und noch einmal lauter: „Mama???“
Er bekam keine Antwort. Der Raum erschien ihm plötzlich riesengroß und duster. Er fühlte sich ganz schrecklich einsam. So rollte sich der kleine Dackel zusammen und weinte leise vor sich hin, bis er schließlich erschöpft einschlief.

Irgendwann später schreckte er auf. Der Futtermensch stand vor ihm und betrachtete ihn abschätzend.
„Wenn ich gewusst hätte, wie viel Ärger du mir machst, du Töle.“ Mit diesem Worten packte er den kleinen Hund und trug ihn ins Freie.
Der blinzelte, denn das Sonnenlicht kam ihm ungewohnt hell vor. Der Futtermensch setzte ihn auf dem Boden ab und Murphy machte zögernd ein paar Schritte, um sich gleich wieder ängstlich an den Menschen zu drücken.
Eine Meute von großen Hunden stürzte auf ihn zu und umringte ihn laut bellend.
„Was willst du hier, du kleiner Mistköter“, bellte ihn der gefährlich aussehende Rudelführer an.
Murphy senkte ehrerbietig den Kopf. „Das weiß ich nicht, denn der Mensch hat mich hier her getragen“, sagte er leise und drückte sich noch enger an das Hosenbein des Futtermannes.
Der schüttelte den kleinen Hund ab. „Dann sieh mal zu, wie du klarkommst“, murmelte er und stapfte davon.
Die Hundemeute rückte drohend näher. Der Rudelführer stürzte sich auf den Welpen und rannte ihn um.
„Nur damit du weißt, wer hier das Sagen hat“, meinte er, und zu den anderen Hunden gewandt: „Der Mensch schert sich nicht um den kleinen Kacker. Wir können also unseren Spaß mit ihm haben.“

Von Stund´ an zitterte Murphy um sein Leben. Die Meute trieb ihr böses Spiel mit ihm, wann immer sie Langeweile hatte. Meistens umringten die Hunde ihn. Einer stürzte sich auf ihn und warf den kleinen Kerl um. Sobald er sich wieder aufgerappelt hatte, stürzte schon der nächste Hund auf ihn zu und das Spiel ging von neuem los.

Der Mensch kümmerte sich wenig um das böse Treiben. Gerade, dass er dafür sorgte, dass der Welpe genug zu essen bekam. Nur wenn Murphy all zu sehr weinte, weil er nicht ein noch aus wusste, ging der hartherzige Mann dazwischen und trieb die Hundemeute auseinander.
Schließlich sperrte der den Welpen wieder in der großen Garage ein, in der Murphy mit seinen Geschwistern und seiner Mutter gewesen war. Dort drückte sich der Kleine in eine Ecke und zitterte vor Angst. Wie groß und dunkel es hier war, so ganz allein

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Meinst du, es könnte zwischen uns funken?
Ja, worauf wartest du dann noch,
schreib mir doch einfach mal:
Maggie-Alice@tiscal.de

Januar

„ …und wie soll es jetzt weiter gehen?“, diese Frage hatte sich Alice schon unzählige Male gestellt. Bis jetzt war sie noch zu keiner befriedigenden Antwort gelangt.
Gut, sie hatte in den letzten Monaten einiges geschafft:
In einer Ehe gefangen, die über 25 Jahre währte und in den letzten Jahren immer weiter auseinander driftete, hatte sie die Initiative ergriffen, obwohl ihr das nicht leicht gefallen war.
Zuerst hatte sie sich einen Job in einer Boutique gesucht, von dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Es war sicherlich nicht ihr Traumberuf, aber er half ihr, eine bisher ungeahnte Selbstständigkeit zu entwickeln.
Dann die Gespräche mit den Jungen: Was meint ihr, wollt ihr mit mir ausziehen, oder möchtet ihr hier in eurem gewohnten Umfeld bleiben? Die Antwort war ganz klar, beide Knaben wollten mit ihr zusammen den Schritt in die Unabhängigkeit wagen.

Der nächste Punkt auf der Liste war schon schwieriger zu bewältigen: Eine geeignete Wohnung musste gefunden werden. Hier half der Zufall: Ihre Arbeitskollegin war in der Tageszeitung auf eine Annonce gestoßen:

„Suche Nachmieter, drei Zimmer, Küche, Bad.“

Die Miete hielt sich im Rahmen des Bezahlbaren und die Wohnung erwies sich als ideal für Alices  Zwecke.
Der nächste Schritt war ihr unglaublich schwer gefallen. Sie hatte nächtelang wach gelegen und sich überlegt, wie sie sich mit ihrem Mann auseinander setzen sollte. Wie konnte sie ihm, der sich immer noch blind und taub stellte, der offensichtlich nicht dran interessiert war über die Situation zu reden, klar machen, dass sie ihn verlassen würde?
Letztendlich hatte sich das Gespräch als halb so schlimm erwiesen, wie sie es befürchtet hatte.
„Ich werde dich verlassen“, Alice ergriff spontan die Gelegenheit. Im Fernseher lief gerade die Werbepause und sie konnte hoffen, seine Aufmerksamkeit für sich beanspruchen zu können.
„A-ha“, er schien nicht richtig verstanden zu haben und Alice redete atemlos weiter.
„Ich habe eine kleine Wohnung angemietet, zum Ersten des nächsten Monats ziehe ich aus!“
Alfred setzte sich auf, er schien langsam zu begreifen, was seine Ehefrau da von sich gab.
„So, das hast du alles schon geregelt? Schön das ich auch davon erfahre“, er redete sich in Rage, „du willst mich wohl erschrecken, was! Buh, jetzt habe ich aber Angst! Wie willst du denn alleine klar kommen?“
Jetzt war Alice nicht mehr zu bremsen. Frust und Wut hatten sich schon lange in ihr aufgestaut.
„Du arroganter Blödmann merkst wohl gar nichts! Hauptsache du hast deinen Fernseher, deine geregelten Mahlzeiten und immer ein kühles Bier. Wie es mir geht interessiert dich überhaupt nicht!“
Alfred musterte sie von oben bis unten: „Ehrlich gesagt: nein, es interessiert mich nicht. Sei froh, dass ich dich und die Blagen mit durchziehe. Ohne mich würdet ihr keinen Monat zurecht kommen! Und jetzt ist Schluss mit dem hysterischen Gekeife, der Film geht weiter.“
Mit diesen Worten wandte er sich dem Fernseher zu und konzentrierte sich wieder auf den Agenten mit der Lizenz zum Töten.
Wortlos verließ Alice das Zimmer, eigentlich war alles gesagt.

In den nächsten Wochen hatte sie gepackt. Viel wollte sie nicht mitnehmen, schließlich sollte es ein neues Leben werden und da wollte sie sich nicht mit Ballast aus der Vergangenheit beschweren. Alfred versuchte ihr Tun weitgehendstes zu ignorieren. Manchmal, wenn sich ihre Packerei gar nicht übersehen ließ, grinste er süffisant, oder ließ einen ironischen Kommentar vom Stapel. So richtig ernst schien er sie jedenfalls nicht zu nehmen.
Eine Woche vor dem Umzugstermin setzte er sich zu ihr in die Küche: „So, jetzt hast du es auf die Spitze getrieben, nun wird es Zeit, dass du wieder normal wirst.“
Alice schaute ihn mitleidig an: „Weißt du was, so normal wie in der letzten Zeit bin ich fast 20 Jahre nicht mehr gewesen. Wenn du bis jetzt noch nicht gemerkt hast, was los ist, so kannst du mir nur leidtun.“
Am Umzugstag fehlte jede Spur von ihm. Scheinbar hatte er in aller Frühe das Haus verlassen.
Kurz nach dem Auszug tauchte er überraschen in der neuen Wohnung auf und sie bat ihn völlig verblüfft herein. Er flegelte sich in einen Sessel und schaute  sich neugierig um.
„So schlecht sieht es hier ja gar nicht aus.“
„Da kannst du mal sehen“, Alice war richtig stolz auf sich.
„Ich hätte gedacht, dass du schon nach ein paar Tagen zu mir zurückgekrochen kommst.“ Alfred war wirklich unbelehrbar. „Na gut, dann dauert es halt ein wenig länger.“
Alice blieb die Luft weg. Schweigend erhob sie sich und öffnete die Zimmertür. „Wo es hinaus geht weißt du wohl alleine! Lass dich hier nie wieder blicken!“
Alfred lief rot an und stürzte zur Tür hinaus. Die Wohnungstür knallte er mit einer solchen Wucht zu, dass sie direkt wieder auf sprang, was die Jungen auf den Plan rief. Sven nahm seine weinende Mutter in den Arm.
„Sei froh, dass du ihn los bist. Du brauchst dir nie wieder etwas sagen lassen!“
Johannes, mit einem hitzigeren Temperament ausgestattet als sein Bruder, ballte die Fäuste. „Am liebsten würde ich ihm die Meinung sagen!“
„Ihr seid lieb. Ich heule ja nur vor lauter Wut! Euer Vater wird ´s nie lernen!“

Das war einige Zeit her, der Umzug schon lang über die Bühne gegangen und Alice genoss ihre neu erworbene Freiheit. Das erste wirklich zwanglose Weihnachtsfest seit Jahren hatte sie mit den Jungen bei ihrer Mutter verbracht, die recht froh war, den ungeliebten Schwiegersohn los zu sei. „Ich wollte dir nie dreinreden, Kind, aber ich habe mir schon von Anfang an gedacht, dass dieser Mann nicht der Richtige für dich ist!“
Auch Alices Freundinnen waren einstimmig der Meinung, dass die Trennung früher oder später hätte kommen müssen. Maggi, schon im Kindergarten ihre beste Freundin, hatte ihr gut zugeredet, Alfred zu verlassen. „ Du bist viel zu schade für den Birnenkopf. Er wird sich nie ändern, er braucht eine Putzfrau mit Familienanschluss,  mehr nicht“, sagte sie ein ums andere Mal.

Das Zusammenleben mit den Söhnen erwies sich als unkompliziert. Die Zwei, 17 und 20 Jahre alt,  schienen selbst froh zu sein, dass sie so ziemlich tun und lassen konnten, was sie wollten. Jeder hatte sein Zimmer bezogen und sich häuslich eingerichtet. Den Küchendienst teilen sie sich und auch das klappte reibungslos.
Sven, der Ältere hatte sich zudem schwer verliebt. Seine Flamme war mehr oder weniger in seinem Zimmer eingezogen, was im elterlichen Haus von seinem Vater niemals toleriert worden wäre.
Alice musste zwar viel mehr arbeiten, aber das gefiel ihr und es gab ihr ein unglaublich tolles Gefühl von Unabhängigkeit. Doch obwohl sie einen großen Bekanntenkreis hatte und nicht wirklich allein war, fehlte etwas. Sie seufzte tief. Es wäre wirklich schön, sich richtig zu verlieben. Man müsste ja die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
„Nie wieder mit einem Mann zusammen wohnen – und niemals und unter keinen Umständen wieder in die Ehefalle tappen!“Das hatte sie sich hoch und heilig geschworen.
„Ach was, du alte Ziege“, schollt sie sich selber, „in deinem Alter sollte man nicht mehr so dumme Gedanken haben!“

Trotzdem ließ der Gedanke sie nicht los und so brachte sie bei einem der feucht-fröhlichen Weiberabende, die sich nach Alices Trennung wieder eingebürgert hatten, das Gespräch auf ihre sehnsüchtigen Gedanken. Heute hatten sich die Schwestern Gabi und Gilla ausgeklinkt und so saßen nur Alice und Maggie zusammen. Alice hatte es sich auf dem Fußboden bequem gemacht, während Maggie im Schneidersitz auf dem Bett hockte.
Maggie, geborene  Freifrau von Kollogurski war schon seit unendlichen Zeiten geschieden. Als 17-jähriges Kind hatte sie sich Hals über Kopf in eine Ehe gestürzt, die dann auch prompt schief gegangen war. Im verflixten siebten Jahr hatte sie ihre Koffer gepackt und war gegangen.  Seither gab es in unregelmäßigen Abständen einen Favoriten, aber diese Geschichten hielten in der Regel so lange, bis der Gute sich fest an sie binden wollte, dann konnte Maggie die Beziehung durchaus abrupt beenden.
In einem Fall hatte sie eine Ausnahme gemacht: Winston, 10 Jahre jünger, war mit Sack und Pack bei ihr eingezogen. Die Geschichte ging eine geraume Weile gut. Maggie arbeitete in der Chefetage eines gutgehenden Unternehmens und sorgte so für ein sicheres und gutes Einkommen, Winston versorgte den Haushalt und die Katze. Dann allerdings war Maggie heftig erkrankt und hatte als Folge ihren Job verloren. Je mehr ihr Bankkonto schrumpfte, umso mehr schrumpften scheinbar Winstons Fürsorge und Liebe. In letzter Zeit hatten sich die Beiden häufig gestritten und Winston war kürzlich, nach einem wüsten Streit,  in ein Ein-Zimmer-Apartment, eine Etage höher gezogen.
„Was macht Sir Winston, hat er sich schon eingerichtet?“, die Frage konnte sich Alice nicht verkneifen.
„Vergiss es, er hat die sündhaft teuren Büromöbel mit genommen, die ich ihm gekauft habe. Dann gibt es oben noch eine Einbauküche, die ist standartmäßig in den Wohnungen. Ansonsten hat er keine Möbel und schläft auf einer Matratze, die ich ihm mitgegeben habe.“
Alicia grinste: „Hast du dir wenigstens eine Entschädigung für die Büromöbel geben lassen, in welcher Form auch immer…“
„Ach geh´ mir doch los, Winston ist chronisch pleite“, Maggie nahm einen kräftigen Schluck Rotwein, „ und falls du auf etwas anderes anspielst: da geht gar nichts und ich habe wirklich alles ausprobiert!“
„Das kann ich mir nicht vorstellen, Winston ist doch gerade mal Mitte Dreißig, da dürfte seine Leistungsfähigkeit noch nicht gelitten haben.“
„Das hast du aber schön gesagt. Ich gebe dir mal ein Beispiel, ja!“ Maggie redete sich in Rage. „Letztens habe ich mir sündhaft teure Dessous geleistet, ein Traum in schwarz. Das hat mich ein Heidenmoos gekostet. Du weißt ja, je weniger Stoff, umso teurer ist die Wäsche. Ich habe mich eine Stunde lang gestylt, mir den Alabasterleib mit wohlriechender Creme gesalbt, mir Heighheels und die superscharfe Wäsche angezogen und bin vor ihm auf und ab gestöckelt. Winston saß vor seinem Computer und ich dachte er würde mich gleich vernaschen. Pustekuchen! Er hat kurz aufgeschaut und gemeint ich solle mir lieber einen Badmantel anziehen, ich würde mich sonst noch erkälten.“  Sie seufzte. „Wenn ich mir überlege, wie das vor ein paar Jahren gewesen ist!“
Hier nickte Alice träumerisch. Sie konnte ihre Freundin gut verstehen.
„Wäre es nicht schön, sich zu verlieben, so richtig mit Schmetterlingen im Bauch, Kribbeln in den Fußsohlen, mit rosaroter Zuckerwatte und himmelblauen Wolken!“
„Du spinnst ja, wie soll das gehen? Immerhin sind wir beide Mitte 40. Wo kriegt man da einen geeigneten Kandidaten für das Kribbeln und Kitzeln her! Männer in unserem Alter sind entweder verheiratet und suchen etwas nebenbei, oder sie sind  geschieden und müssen für Frau und Kinder bezahlen. Mal abgesehen davon, dass die Geschiedenen gerade mal ihr Auskommen haben, so tragen die Meisten ´ne Macke davon, sonst wären sie´s ja nicht – geschieden, meine ich! Dann gibt’s noch die unverheiratet gebliebenen…das die normal sind, das kann ich mir nicht vorstellen! Schöne Aussichten!“
So schnell ließ sich Alice nicht entmutigen. „Es muss ja nicht Brad Pitt sein, der ist sowieso zu jung, aber so´ n Clooney im Westentaschenformat müsste es doch geben. Er braucht auch nicht reich zu sein, aber ein regelmäßiges Einkommen wäre schon schön. Vor allem aber muss er lieb, nett, fürsorglich, humorvoll, verständnisvoll…“
Hier unterbrach Maggie sie: „…und superpotent sein!“
Die Freundinnen gackerten los.
„Weißt du was, wir suchen uns gemeinsam einen Westentaschenclooney!“ mit diesen Worten prostete Alice ihrer Freundin zu.

Februar

„Du spinnst ja“, Maggie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „So nötig kannst du´s doch wohl nicht haben.“
Das Geplänkel am ‚Weiberabend‘ hatte Wirkung gezeigt. Alice durchforstete seit einiger Zeit regelmäßig die Kontaktanzeigen, welche jeden Samstag  in der Tageszeitung annonciert wurden.
„Bingo“, das klang wirklich nett und nicht so gestelzt wie es hier wohl an der Tagesordnung war.  Da suchte ein ‚sympathischer, humorvoller  Single‘ eine ‚liebenswerte, lustige Freundin‘.
Alice hatte sich gleich daran gemacht,  einen kurzen Brief verfasst und ihn, versehen mit einem Foto und großen Hoffnungen abgeschickt. Eine Woche später bekam sie wirklich eine Antwort und verabredete sich kurzentschlossen. Man soll ja nichts auf die lange Bank schieben.
Freudestrahlend erzählte sie Maggie von dem Date und war nicht wenig erstaunt, über die Reaktion.
„Das wird nix“, stellte die Freundin trocken fest.
„Wie kannst du bloß gleich so negativ drauf sein? Vielleicht ist das ein ganz Netter, jedenfalls klingt er so. Und im Übrigen will ich ihn mir doch nur mal anschauen.“
„Dann achte aber lieber darauf, dass du die Möglichkeit hast, gleich wieder weg zu kommen, wenn es nötig ist!“
So nach und nach rückte Maggie mit dem wahren Grund für ihre Bedenken heraus. Sie hatte vor längerer Zeit selbst die Idee eine Annonce aufzugeben. Die Resonanz war verblüffend und Maggie ging daran, einen Bewerber nach dem anderen ‚abzuarbeiten‘. Allerdings stellte sie nach kurzer Zeit fest, dass es nicht ganz einfach war, den Traumprinzen zu finden. Ein Bewerber schien ihr schlimmer zu sein als der andere.
Schließlich ging sie dazu über, sich auf einem Parkplatz zu verabreden. Sie blieb im Auto sitzen und schaute sich an, was da so aus dem Auto stieg um im Zweifelsfall gleich weg fahren zu können.
„Du ahnst es nicht, es waren wirklich Typen dabei, das ging gar nicht und ich bin gleich wieder weg gefahren. Einmal preschte ein Porsche auf den Parkplatz.
‚Nicht schlecht‘, dachte ich, aber auch nur so lange, bis sich die Fahrertür öffnete.
Es stieg ein Mensch aus, der eine frappierende Ähnlichkeit mit Marlon Brando hatte. Jetzt nichts gegen Marlon in jungen Jahren, so einen knackigen Stanley Kowalski hätte ich mir noch gefallen lassen.  Aber der Typ sah aus wie der Pate nach dem letzten Bandenkrieg, als ob er gerade von ‚der Matratze‘ gekommen wäre. Dazu war er von oben bis unten mit dicken Goldketten behängt!  Als der sich auch noch anschickte, freudestrahlend auf mein Auto zuzugehen, da habe ich sowas von Gas gegeben!“ Maggie schüttelte sich.  „Danach habe ich die Sache aufgegeben.“
„Ach komm schon“, Alice ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. „Think positiv! Wenn er nett ist und einen Bruder hat, dann wickle ich den in Seidenpapier und bringe ihn dir mit!“

Alice betrat sie das kleine Bistro und war ganz hibbelig. Als Treffpunkt hatte sie wohlweislich ein Lokal ausgesucht, das sie sonst nie besuchte. Schließlich musste nicht jeder sofort mitbekommen, dass sie sich auf ein Date per Annonce eingelassen hatte. Das klang so furchtbar hausbacken und spießig. Sie war früh dran und steuerte einen Tisch an, ohne sich groß umzusehen.

„Ach das ist aber ein Zufall!“
„Nein“, dachte Alice, denn diese Stimme kannte sie nur zu gut.
„Angelika, was machst du denn hier“, begrüßte sie ihre Arbeitskollegin.
„Ich habe meine Schwester besucht und wir haben hier einen Kaffee getrunken. Meine Schwester ist gerade weg, du müsstest ihr fast noch begegnet sein. Aber sag mal lieber, was dich hierher verschlagen hat!“
Na das fing ja wirklich gut an.
„Also, na ja“, es nutzte ja nichts, „ich bin hier verabredet.“
„Soso, verabredet?“ Angelika war überhaupt nicht neugierig. „Mit wem denn?“
Alice seufzte ergeben: „Mit einem Mann und bevor du weiter fragst, ich habe ihn über eine Zeitungsannonce kennen gelernt.“
„Das ist ja interessant. Ich habe nichts weiter vor; weißt du was, ich warte hier mit dir. Dann wird dir die Zeit auch nicht so lang. “ Angelika war die Diskretion in Person.
Das fing ja gut an. Alice hoffte inständig, dass der zu erwartende Mann wenigstens einigermaßen normal aussah. Schließlich hatte sie ihn noch nie gesehen. Während sie ihm ein Foto von sich geschickt hatte, musste sie sich auf seine Selbstbeschreibung verlassen.
Maggies Horrorgeschichten gingen ihr durch den Kopf, während Angelikas Smalltalk  an ihr vorbeirauschte und sie krampfhaft versuchte, die Eingangstür im Auge zu behalten, die sich gerade öffnete. Ein Herr mittleren Alters betrat das Bistro und sah sich suchend um. Alice fiel ein Stein vom Herzen, das musste er sein und er sah auf den ersten Blick nicht unsympathisch aus! Zielsicher steuerte der Mann ihren Tisch an.
„Hallo, ich glaube wir sind verabredet“, irritiert schaute er die beiden Frauen an. „Oder irre ich mich?“
Alice strahlte ihn an. „Nein, das stimmt schon. Meine Arbeitskollegin wollte sowieso gerade gehen.“
Sie stupste Angelika unter dem Tisch an, die sich auch wirklich brav verabschiedet.
„Wir sehen uns ja morgen, Alice“, meinte sie mit einem verschwörerischen Augenzwinkern.

Alice verdrehte die Augen. „Uff, das wäre geschafft! Sie sind also Herr Ölschlegel?“
„Für sie bitte Ludger“, er grinste. „Diese Arbeitskollegin ist wohl von der neugierigen Sorte, oder?“
„Das kann man wohl laut sagen, aber sie ist ja jetzt gegangen“, auch Alice musste grinsen. „Es ist schön, dass sie sich trotz der Doppelbesetzung an den Tisch gewagt haben.“
Ludger zuckte die Achseln. „Och, das ist kein Problem für mich. Ich bin von Beruf Makler und habe  mit Menschen aller Couleur zu tun. Da ist mir nichts fremd, nichts menschliches, jedenfalls.“
„A-ha“, jetzt schaute Alice etwas irritiert drein, aber Ludger ließ ihr keine Zeit weiter über seine Worte nachzudenken. „Ich möchte sie zum Essen einladen. Hier ist doch nicht das richtige Ambiente für ein angemessenes Kennenlernen.“
Er wedelte der Kellnerin mit einem Geldschein zu. „Selbstverständlich zahle ich.“
Etwas anders hatte Alice sich das Kennenlernen schon vorgestellt. Sie hatte daran gedacht, es zunächst einmal bei einem gemeinsamen Kaffee zu belassen und sich bei gegenseitiger Sympathie wieder zu treffen. Eigentlich war sie auch viel zu aufgeregt zum Essen, aber wenn Ludger sie unbedingt ausführen wollte, so mochte sie ihm das nicht abschlagen. Er schlug ein Nobelrestaurant ganz in der Nähe vor.
„Hier fühlen sie sich doch bestimmt viel wohler“, bemerkte er wenig später und griff über den Tisch nach Alices Händen. „Ich muss ihnen etwas beichten. Ich bin noch nicht wirklich Single.“
Alice entzog ihm ihre Hände. Das wurde ja immer besser. „Wie meinen sie das?“
„Na ja, ich erwäge die Trennung. Formal bin ich zwar verheiratet, aber meine Frau geht völlig über meine Bedürfnisse hinweg. Ein Mann sollte so nicht behandelt werden.“
Alice wusste nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollte.„Heißt das, dass sie noch mit ihrer Frau zusammen leben und sich anderweitig orientieren möchten?“
Ludger verzog das Gesicht: „Aber, aber, meine Liebe, welch eine unromantischer Ausdruck: ‚Anderweitig  orientieren‘! Ich suche eine nette und hübsche Frau, die offen für alles Neue ist und mich versteht. Ich bin nicht unvermögend, müssen sie wissen.“
Alice wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie kam sich vor, wie in  einer Sitcom mit dem Titel  ‚Schnulz und Moos‘.
Wieder nahm Ludger ihre Hände und schaute ihr tief in die Augen: „Wenn sie mir die Gelegenheit dazu geben, dann werde ich sie von meinen Qualitäten zu überzeugen wissen. Sicher haben sie bemerkt, dass dieses Restaurant zu einem Hotel gehört…“
Jetzt wurde es Alice doch zu bunt. „Das kommt mir alles zu plötzlich. Ich war davon ausgegangen, dass sie ledig sind.“
„Sicherlich kann man hier auch kurzfristig ein Zimmer mieten“, Ludger ließ nicht locker. „Und bestimmt würde es ihnen gefallen, sich von mir verwöhnen zu lassen! Wie ich schon bemerkte, ich bin für alles offen!“
Alice schluckte. Er mochte für alles offen sein, sie ganz bestimmt nicht. „Ich denke nicht, dass ich hier übernachten möchte. Ich muss morgen früh raus, es wird Zeit für mich“, jetzt reichte es aber wirklich.
„Aber, aber, meine Liebe. Das habe ich doch nicht böse gemeint. Wir sollten den Abend nett beenden. Ich werde auch ganz brav sein, versprochen.“
„Ja, wir sollten den Abend wirklich beenden“, meine Alice trocken und stand auf.
„Warten sie bitte einen Augenblick! Ich zahle nur schnell und dann bringe ich sie wenigstens zu ihrem Auto“, Ludger wurde hektisch. Zögernd setzte sich Alice auf die Stuhlkante. Vielleicht reagierte sich wirklich über. Eigentlich war Ludger ganz nett und schließlich hatte er sie großzügig eingeladen. Zu nahe getreten war er ihr nicht wirklich, er hatte ihr eigentlich nur einen  Vorschlag gemacht, ohne sie zu bedrängen. Sie sollte ihn kühl und gelassen abweisen und die Form wahren.
So verließen die Beiden gemeinsam das Lokal und steuerten den Parkplatz an, auf dem Alice ihr Auto abgestellt hatte. An Ort und Stelle  angekommen, ging Ludger zur Großoffensive über. „Überlegen sie es sich, meine Liebe“, meinte er drängend, während er sich an sie presste. „Ich habe einiges zu bieten.“ Mit diesen Worten versuchte er, sie zu küssen. Alice tastete nach ihrem Autoschlüssel und bemühte sich gleichzeitig, seinen feuchten Händen und den noch feuchteren Lippen zu entgehen. Das war gar nicht so einfach, denn dieser Mann schien plötzlich seine Hände überall zu haben.
„Urks“, jetzt hatte er es tatsächlich geschafft, in Kussposition zu kommen und fuhrwerkte mit seiner Zunge in ihrem Mund herum. Alice biss kräftig zu. Ludger jaulte auf und ließ sie los. Die Gelegenheit nutzte sie, um  schnellstens in ihr Auto zu kommen. Wenigstens klemmte der Schlüssel nicht und sie bekam das Türschloss sofort auf. Ohne weiter auf den leicht angeschlagenen Romeo zu achten startete sie den Motor und gab Gas.

wie es weiter geht? Tja, das steht im Roman……

Ruhrpottliebe

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1974

„….und du kommst ganz bestimmt? Fest versprochen?“ Annerose klang völlig aufgelöst, was zum einen an der schlechten Telefonverbindung, zum anderen an ihrem Zustand lag.
Elisa versuchte beruhigend zu klingen. „Ja klar komme ich, das habe ich dir schon ein Dutzend Mal gesagt! Schließlich heiratet man nur einmal im Leben!“
„Eben, mein Brautkleid ist ein Traum, du wirst es ja sehen. Ich bin so aufgeregt“, dass hätte Annerose nicht extra betonen müssen. Seit sie Elisa vor einiger Zeit erzählt hatte, dass sie und Mario heiraten würden, schwankte sie permanent zwischen Euphorie und Panik hin und her.
Annerose und Elisa kannten sich seit ihrer gemeinsamen Lehrzeit. Anne hatte ein Jahr später als Elisa mit der Ausbildung zur Bürokauffrau bei einem Opelhändler angefangen. Die Beiden verstanden sich von Anfang an und wurden schnell Freundinnen.
Hinzu kam, dass die beiden Mädchen bald zwei mit einander befreundete Arbeitskollegen kennen lernten, die bereits ihre Lehre abgeschlossen hatten und als Gesellen in der Werkstatt arbeiteten.
Während es zwischen der blonden, vorwitzigen Annerose und dem bulligen Mario Meier gleich funkte, dauerte es einige Zeit und Überredungskünste, bis sich Elisa auf Marios besten Freund,  Alfred Gimpel einließ. Das lag weniger an seinem merkwürdigen Hausnamen, als an dem fehlenden ‚zündenden Funken‘ ihrerseits.
Obwohl Alfred ihr oft genug seine Liebe erklärte, erschien es Elisa so, als ob zwischen ihnen etwas fehlte. Sie hätte gar nicht ausdrücken können, woran es haperte, aber die große Liebe, die sie sich erträumt hatte, war hier offensichtlich nicht vorhanden.

So fiel es Elisa nicht schwer, nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung Gelsenkirchen den Rücken zu kehren und zu ihrem Bruder nach Berlin zu ziehen. Peter war lange zur See gefahren, hatte sich dann aber in Berlin nieder gelassen und arbeitete als Kellner in einem Restaurant am Kurfürstendamm. Da er bis dato nur ein möbliertes Zimmer bewohnt hatte, mieteten die Beiden zusammen eine Wohnung an.

Von Alfred hatte sie sich vor ihrer Übersiedelung nach Berlin getrennt und hörte nur noch ab und zu über Anne etwas von ihm. In letzter Zeit allerdings erzählte auch die Freundin nichts mehr. Elisa dachte kaum noch an ihn und genoss ihre neu erworbene Freiheit und Unabhängigkeit.
Vor einiger Zeit war eine Karte von Annerose und Mario ins Haus geflattert.

Ihre Vermählung geben bekannt:

Annerose van der Heidt und Mario Meier

Elisa sah die ganze Geschichte eher skeptisch. Sie wusste zwar, dass ihre beste Freundin nur zu gerne von zu Hause ausziehen und so ihrem despotischen Vater entgehen wollte, aber deshalb gleich heiraten? So etwas kam für sie überhaupt nicht in Frage, denn es war mühsam genug gewesen, sich frei zu strampeln.

In der Folgezeit warnte Elisa die Freundin oft genug davor, vorschnell zu heiraten, denn schließlich war die angehende Braut erst 17 Jahre jung. Die ließ sich aber weder von ihrer Freundin, noch von den Formalitäten, die es wegen ihrer fehlenden Volljährigkeit gab, abschrecken. Sie war wild entschlossen mit Mario vor den Altar zu treten.
„Herrlich – endlich muss ich nicht mehr heimlich auf der Toilette rauchen, weil mein Vater sonst ausflippt. Ich muss nicht mehr alles essen was auf den Tisch kommt und anschließend den Finger in den Hals stecken, damit ich mein Gewicht halte! Ich kann nach Hause kommen, wann ich möchte und niemand macht mir Vorschriften.“

Elisa konnte nur hilflos mit dem Kopf schütteln. „Warum wartest du nicht, bis du 18 bist und ziehst dann einfach von zu Hause aus. Dann kannst du erst einmal alleine wohnen und wirklich unabhängig sein. Einmal mit Mario verheiratet hast du wieder jemanden auf dem Hals, der dir Vorschriften macht.“
Annerose ließ sich nicht beeindrucken. „Mario frisst mir aus der Hand, er würde mir niemals sagen was ich zu tun und lassen habe.“
„ja dann…“, wenn Anne unbedingt in ihr Unglück rennen wollte, dann war das nicht zu ändern. So gab Elisa es auf, die Freundin umstimmen zu wollen und hörte sich geduldig alles an, was es über die anstehende Hochzeit zu erzählen gab.

***

Jetzt fuhr der  Zug in den Gelsenkirchener Hauptbahnhof ein. Elisa konnte sich noch gut an den Tag vor mehr als einem Jahr erinnern: Sie hatte im Zug in Richtung Berlin gesessen und überhaupt nicht gewusst, wie es weiter gehen würde. Der Gedanke, nach dort hin zu übersiedeln war ihr spontan gekommen und auf der Zugfahrt schlotterten ihr aus Angst vor der eigenen Courage die Knie. Doch bei der Ankunft wartete ihr Bruder bereits auf dem Bahnsteig und die Angst war wie weggeblasen.
Peter hatte schon im Vorfeld alles organisiert, so dass die Geschwister sofort in die neue Wohnung einziehen konnten, die möbliert war.

Das Zusammenleben gestaltete sich völlig problemlos, da Peter als Kellner meistens abends, bzw. nachts arbeitete, während  seine Schwester tags über im Büro tätig war. Oft sahen sich die Geschwister nur zwischen Tür und Angel. Einerseits war das schön, weil Elisa tun und lassen konnte was sie wollte, andererseits fühlte sie sich oft allein. Zuweilen dachte sie mit Wehmut an ihren Gelsenkirchener  Freundeskreis zurück. In Berlin kam sie sich viel anonymer vor, als das in ihrer Heimatstadt der Fall gewesen war.  In letzter Zeit machte ihr einer von Peters Arbeitskollegen heftig den Hof und sie traf sich häufig mit ihm, obwohl sich auch hier die große Liebe nicht einstellen wollte.
„Wahrscheinlich liegt es an mir“, dachte sie häufig. „Sicher erwarte ich zu viel und deshalb klappt es nicht mit der Liebe.“

Inzwischen hatte der Zug gehalten, Elisa stieg aus und sah sich suchend um. Sie musste nicht lange schauen, denn ihr Vater kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
„Da bist du ja, Spatz!“

„Schön wieder zu Hause zu sein, Papa. Wartest du schon lange?“
„Eine Weile, aber das ist überhaupt nicht schlimm.“ Er ließ seine Tochter los und griff nach ihrem Koffer. „Den nehme ich schon, der ist ja viel zu schwer für dich.“
Auf der Fahrt nach Hause schwärmte Kalle von der neuen Wohnung. „Du wirst es ja endlich selber sehen, Spatz, die neue Wohnung ist nicht mit der Bude zu vergleichen, in der wir gehaust haben. Sogar einen Balkon gibt es und wir sind die ersten Mieter, das Haus ist nagelneu. Erstbezug…“, er ließ das Wort genießerisch über seine Zunge rollen und wiederholte es noch einmal. „Erstbezug! Selbst deine Mutter ist zufrieden. Seit unserem Umzug hat sie noch keine Herzprobleme gehabt, was kein Wunder ist, denn auch finanziell geht es steil bergan.“
Kalle, schon mit 45 Jahren Frührentner, betrieb mit seiner Frau zusammen eine Trinkhalle, da seine Rente mehr als mickerig war. Elisa grinste, denn Ilse brachte seit Jahren mit ihren eingebildeten Herzproblemen sämtliche Ärzte zur Verzweiflung. „Na, dann scheinst du ja alles im Griff zu haben. Was macht Bertram?“
„Jaa“, sagte Kalle gedehnt. „Er hat die Erwartungen deiner Mutter erfüllt. Sie wollte immer, dass eines ihrer Kinder die ‚höhere Schule‘ besucht. Bertram ist auf der Realschule und sie ist zufrieden. Er bemüht sich sie nicht zu enttäuschen.“

Wenig später hielt er auf dem Parkplatz, der sich vor einem groß angelegten Plattenbau befand.  „Hier sind wir also. Ist es nicht ein fabelhaftes Haus! Innen gibt es sogar einen Hof, in dem dein Bruder Fahrrad fahren kann.“
„Ja, es sieht toll aus“, murmelte Elisa nicht gerade begeistert. Sie konnte sich nicht vorstellen in einem solchen Wohnsilo zu leben.
„Du musst erst mal mit reinkommen, es gibt sogar einen Fahrstuhl“, Kalle stellte den Koffer ab und drückte auf den entsprechenden Knopf.
Elisa folgte ihm in die Kabine, wo er ein paar Papierschnipsel aufsammelte. „Ich bin hier der Hausmeister und für die Sauberkeit zuständig. Wir bekommen dafür einen Mietnachlass von 50 Mark – monatlich“, erklärte Kalle, als er den Blick seiner Tochter bemerkte.
„Ach und ihr müsst das gesamte Treppenhaus putzen? Was sagt denn Mutter dazu?“ fragte Elise interessiert.
„Ne, ich soll nur für Sauberkeit im Fahrstuhl sorgen, deine Mutter will mir sogar mithelfen“, Kalle warf sich in die Brust. „Und ich habe eine Kurbel für den Notfall, falls der Fahrstuhl stecken bleibt bringe ich sie zum Einsatz!“
„Na das ist ja klasse“, insgeheim war Elisa froh, nicht mehr im elterlichen Haushalt zu wohnen, sonst hätte wohl sie für die ‚Sauberkeit im Fahrstuhl‘ sorgen müssen. Ihre Mutter hatte von jeher ein Talent zu delegieren.
Inzwischen waren Vater und Tochter vor der Wohnungstür angelangt. Kalle steckte den Schlüssel ins Schloss, kam aber nicht mehr dazu, sie zu öffnen. Bertram riss die Tür von innen auf und fiel Elisa um den Hals.
„Da bist du ja endlich“, krähte er glücklich.
„Hallo Brüderchen“, Elisa drückte ihn an sich um ihn einen Augenblick später wieder weg zu schieben. „Mensch bist du groß geworden, nicht mehr lange und du hast mich ein!“
„Puh, ich werde dich überragen!“ Bertram erinnerte sich wieder daran, dass er mit seinen zehn Jahren schon ziemlich erwachsen war.
Seine Schwester grinste ihn an. „Ja, das will ich doch hoffen, mein Lieber.“

Die Geschwister verband eine tiefe Zuneigung, denn Elisa hatte sich, bis sie ausgezogen war, in jeder Hinsicht um ihren Bruder gekümmert.
Als Bertram auf die Welt kam, war Ilse bereits 37 Jahre alt gewesen und hatte weder die Lust, noch die Geduld sich um das Baby zu kümmern. Hinzu kam, dass sie durch den plötzlichen Tod ihrer Mutter völlig aus der Bahn geworfen wurde und sowohl sich, als auch den Haushalt, ihren Mann und die Kinder völlig vernachlässigte. Das Baby überließ sie ihrer kleinen Tochter.

Bald darauf eröffneten die Jollenbecks eine Gastwirtschaft und jetzt war Ilse völlig überfordert.
Anfangs hatte man eine Hilfe, die alle anfallenden Arbeiten erledigte und sich um die Kinder kümmerte, doch schnell fehlte das nötige Kleingeld und so kümmerte sich Elisa neben dem Haushalt auch wieder um den kleinen Bruder. Peter, der Älteste, war bereits mit 16 Jahren zur Handelsmarine gegangen. Er tauchte nur noch sporadisch zu Hause auf, so dass Elisa allein auf weiter Flur stand.

Als er noch ziemlich klein war, fragte Bertram seine Schwester einmal, wer denn die dicke, blonde Tante wäre, die ihn öfter im Vorbeigehen abknuddelte und Elisa musste ihn darüber aufklären, dass es sich um seine Mutter handelte. Das hielt Bertram allerdings nicht ab, seine Schwester weiterhin Mama zu rufen.

Jetzt jedenfalls war Elisa wieder in Gelsenkirchen und wurde auch von ihrer Mutter herzlich begrüßt. Bertram erlaubte ihr großmütig in seinem Zimmer zu übernachten und so freute sich Elisa auf die Hochzeit ihrer besten Freundin.

***

„Hübsch siehst du aus, Spatz. Pass mal gut auf dich auf“, Kalle sah seine Tochter bewundernd an, die sich einmal um die eigene Achse drehte.
„Möchtest du nicht mitkommen und alle Jungens, die sich für mich interessieren verscheuchen? So wie früher!“ fragte Elisa grinsend.
Allerdings war es, als sie ins ‚mannbare Alter‘ kam, schwer, ihren Vater davon zu überzeugen, dass nicht jeder junge Mann nur ‚das Eine‘ wollte. Er versuchte wie eine Glucke über sie zu wachen und schlug so manchen Bewerber in die Flucht.
Leider war es ihm nicht immer gelungen, seine Tochter vor allem Schlimmen zu bewahren, denn Elisa musste eine Vergewaltigung über sich ergehen lassen. Sie hatte aus Scham und Verletztheit nie darüber gesprochen und den Vorfall mehr oder weniger verdrängt. Nur Ilse, die ihre Tochter damals in Empfang genommen hatte, wusste davon, sprach aber nie über die Vorkommnisse.
Jetzt sollte es zu Anneroses und Marios Hochzeit gehen und Elisa schüttelte alle unerfreulichen Gedanken ab. „Darf ich ihnen in die Stola helfen, schöne Frau?“ Galant legte ihr Vater das selbstgehäkelte Teil um die Schultern und Elisa hakte sich bei ihm unter. „Dann wollen wir mal!“

„Soll ich dich nachher nicht lieber abholen? Wir haben doch jetzt ein Telefon und du kannst mich jeder Zeit anrufen, ich bin unter Garantie wach“, fragte der besorgter Vater, als er seine Tochter vor der Kirche absetzte, wo sich die Hochzeitsgesellschaft bereits versammelte.
Wieder musste Elisa grinsen. „Das fehlt mir auch noch. Danke, Papa, es ist wirklich nett von dir, aber ich nehme mir einfach ein Taxi….oder ich lasse mich von einem der schnuckeligen jungen Männer, die ohne Zweifel  an meinem Tisch Schlange stehen werden nach Hause fahren“, fügte sie nach einem leicht boshaften Blick auf ihren Vater hinzu.
Der reagierte auch prompt. „Ich versohle dir gleich den Hintern, du freche Kröte! Mach mir die Jungens nicht verrückt!“  Mit einem Winken machte sich Kalle auf den Heimweg, während sich seine Tochter zu den Hochzeitsgästen gesellte.

…wie es weiter geht steht im Roman……

Ruhrpottadel

Prolog

Da sitze ich also vor einer langen Liste von Namen und Daten. Das ist er,  der Stammbaum der Familie Jollenbeck.
Der erste im Kirchenbuch eingetragene Jollenbeck hieß Johann-Heinrich. In seinem Fall gibt es keine weiteren Informationen. Von seinem Sohn Peter ist wenigstens bekannt, dass er 1742 geheiratet hat. Der Name seiner Frau ist ungewöhnlich ‚Caer Bley‘. Vielleicht war das eine französische Hugenottentochter auf der Flucht?
HALT Angie, geht es noch? Wie soll eine solche Person wohl nach Niederzissen gelangt sein?

Der Name wird wohl eher auf einen Schreibfehler des Ortsgeistlichen zurückzuführen sein, als auf eine wilde – romantische Liebesgeschichte.
Blaues Blut ist auch nicht in Sicht, nicht mal ein oller, versoffener Raubritter.

Beim Anschauen der vielen Namen überkommt mich eine seltsame Melancholie. Sie viel Leben, so viele Menschen, die gelacht, geliebt, gelitten und gestritten haben. Die ihr oft viel zu kurzes Leben mit jemandem geteilt haben. Die Kinder zeugten, groß zogen, vielleicht vorzeitig zu Grabe trugen. Die glücklich waren und sicher zuweilen traurig.
Was bleibt?
Ein trockener Eintrag im Kirchenregister: Geburt, Eheschließung, Tod.
Es wäre vermessen die komplette Familiengeschichte zu erzählen und so erzähle ich nur einen ganz kleinen Teil der Geschichte, die auch meine ist.

1955-1973

„Da kommen meine Eltern mit dem neuen Kind!“ Peter, der auf dem Hof spielte, war ganz aufgeregt. „Mama, zeig doch mal her! Und wie heißt die noch mal?“
„Dein Schwesterchen heißt Elisa und wenn du sie sehen möchtest, dann musst du mit hoch kommen.“
„Och nö, da spiele ich lieber weiter.“ Peter fand die Schwester, die auch noch angefangen hatte wie am Spieß zu brüllen, recht hässlich und langweilig.
Ja, da war das neue Kind also, aber was war nicht alles passiert: Kalle und Ilse mussten feststellen, dass sich der Obst- und Gemüsehandel einfach nicht rentierte. So hatten sie schweren Herzens beschlossen, das Geschäft aufzugeben.
Da auf der Kokerei dringend Arbeiter gesucht wurden, bewarb sich Kalle dort und bekam tatsächlich eine Anstellung als Anlagenfahrer. Diese Tätigkeit lag ihm zwar gar nicht, ernährte aber die Familie nicht schlecht. Man zog in eine Zechenwohnung um, die aus einer Wohnküche und einem Schlafzimmer bestand. Die Räume waren groß, so dass Ilse, dem Modischen in jeder Beziehung nicht abgeneigt, im hinteren Teil der Küche zwei Cocktailsessel  und einen Nierentisch unterbrachte. Das Ganze war zwar unbequem, aber modern. Die Toilette befand sich auf dem Flur und man musste sich den Raum mit den Nachbarn teilen.

Gebadet wurde einmal in der Woche in einer großen Zinkbadewanne die unten ganz nippelig war, so dass man nicht darin herumrutschen konnte, ohne sich den Podex aufzuschubbern. Zuerst ging der Hausherr in die Wanne, dann die Frau des Hauses und zuletzt die Kinder – die kleinsten ganz zuletzt. Das Wasser wurde im großen Einkochkessel auf den Kohleherd erhitzt und dann vorsichtig umgeschüttet.

***

Zwischen Karl und Ilse kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Karl, Zeit seines Lebens ein Schürzenjäger, hatte nicht nur mit Ilse, sondern auch mit Thea Kuhlmann ein Kind gezeugt und das fast zeitgleich.
Ilse und Thea hatten die gleiche Schule besucht, sich aus den Augen verloren und sich als verheiratete Frauen aus Zufall wieder getroffen.
Man traf sich zu viert, war sich sympathisch und feierte so manche Nacht durch, wobei sich auch Ilse und Hans Kuhlmann näher kamen. Allerdings behielten beide, eher phlegmatisch veranlagt, einen kühlen Kopf.
Bei Thea und Karl verhielt es sich anders. Die Beiden trafen sich heimlich wann immer das möglich war und hatten keinerlei Hemmungen. Oft ging Thea am Abend mit dem Vorwand ihrem Heinz noch Zigaretten zu besorgen aus dem Haus. Sie stellte sich unter das jollenbecksche Fenster und pfiff. Karl, allzeit bereit, hatte plötzlich keine Zigaretten mehr, oder musste unbedingt noch weg. Das Pärchen huschte dann für eine Quickie in die nächste Toreinfahrt und kam zwar meist ohne Zigaretten, aber zufrieden zurück nach Hause.

Das ging eine ganze Weile gut, bis Thea feststellte, dass sie schwanger war. Das stellte ein wirkliches Problem für sie dar, denn Heinz war nicht gerade sexuell aktiv zu nennen. Hinzu kam, dass er den Coitus Interruptus praktizierte und sich da völlig beherrschen konnte.
Bei einem klärenden Gespräch zeigte sich Karl nicht gerade von seiner besten Seite: „Was soll‘s, schließlich bist du verheiratet und wirst schon wissen wie du das hinkriegst. Jedenfalls ist es besser, wenn wir uns nicht mehr heimlich treffen!“

Völlig verzweifelt animierte Thea Heinz zu einer außerplanmäßigen Liebesnacht. Im richtigen Moment klammerte sie sich so fest an ihn, dass er gar nicht anders konnte. Diese Maßnahme verkaufte sie anschließend, auch ihrer Freundin Ilse gegenüber, recht gut: „Ich habe mir so sehr ein zweites Kind gewünscht, da musste ich den Heinz ganz einfach überraschen!“
Heinz machte eine gute Miene zum bösen Spiel.
Die Spannungen zwischen Thea und Karl waren nicht mehr zu übersehen. Thea machte Andeutungen, ließ spitze Bemerkungen fallen und giftete Kalle vermeintlich ohne Grund an. Der maß sie mit spöttischen Blicken und ließ alle Anfeindungen von sich abprallen. Ilse, Böses ahnend, stellte ihren Ehemann zur Rede und er gestand ihr den Fehltritt.

Völlig aufgelöst packte die betrogene Ehefrau  ihren Koffer, nahm ihren Sohn an die Hand und flüchtete in die elterliche Wohnung. Adolf hatte, wie immer, keine Meinung, aber Anna blieb ihren Prinzipien treu: „Du wolltest diesen Mann  haben, jetzt musst du dein Päckchen tragen, Kind. Du bist hochschwanger, willst du denn das Kind in Schande bekommen?“
Konsequent wie sie nun mal war brachte Anna ihre Tochter und den Enkel wiederHeim zu Karl, der erleichtert versprach so etwas nie wieder zu machen.

Das Kind, Werner, kam zwei Monate später als  Elisa zur Welt und seine Mutter behauptete nie ein hässlicheres Wesen gesehen zu haben. Nicht nur, dass er einen schwarzen Haarflaum am ganzen Körper hatte, er wurde auch mit einem Wolfsrachen geboren. Beide Großmütter gerieten sich fürchterlich in die Haare, weil jede behauptete, dass es so etwas Hässliches wie dieses Kind in ihrer Familie noch nie gegeben hätte, das müsse doch wohl das Erbe der anderen Familie sein!

…….siehe auch www.ruhrpottadel.de