Nein, wahrlich kein schauriger Anblick, kein Gefühl des Verbrechens nimmt mich nach dem Ausstieg aus der Bahn gefangen. Die Häuser entlang der Straße zum Verfall verdammt, zerschlagene Fenster, zerstörte Unterkünfte einer einst gut situierten Arbeitnehmerschaft, so wie man es noch an vielen Orten sehen kann. Die Natur bemächtigt sich ihrer und möchte schon Gras darüber wachsen lassen.
Nicht einmal der Eingang zum Museum schreckt mich auf.
Doch nur wenige Schritte später und ersten Berichten Überlebender lauschend, nimmt mich die Deutsche Geschichte gefangen.
Die riesige Halle, einst das Kraftwerk der Heeresversuchsanstalt, mit den drei mächtigen Schornsteinen, deutet schon das große Wahnsinnsprojekt, welches innerhalb kürzester Zeit zwischen 1936-1945 aus dem Boden gestampft wurde, die Machtgier und den Geltungsdrang an:
Auf diesem Stück Land befand sich Göbbels Brutstätte für seine Vergeltungs- und Demoralisierungswaffe, hier wurde die Rakete zum Zweck der Zerstörung und militärischer Überlegenheit gebaut, so ihrer Unschuld beraubt, ein Traumflieger zu den Gestirnen zu sein.
Hier lebten Forscher, Wissenschaftler und Militärgesandte in besten Unterkünften inklusive Urlaub an der See und rauschenden Festen.
Dort nebenan wurden Deportierte, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter angekarrt, zusammengepfercht unter unmenschlichen Bedingungen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Hier Ruhm und Geltungsdrang – Dort reiner Überlebenskampf
Hier die Träume der Menschheit in greifbarer Nähe – Dort alles zum Zwecke der Machtergreifung und alltägliche Grausamkeiten an den Menschen
Eine eigene abgeschottete Stadt, die soviel Erfinder- und Pioniergeistgeist in sich barg, welches der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber Mensch, Natur ,Ethik und Moral nicht gerecht wurde und so unendliches Elend für viele Tausende von Menschen hervorbrachte, die einfach benutzt wurden als Arbeitsmaterial und jeder Zeit als erneuerbar galten.
Und doch schaue ich zum Himmel, sehe in die Tiefe des Universums und fühle für einen Moment den Wunsch, nach den Sternen zu greifen, ihnen ein Stückchen näher zu kommen, ein Winziges ihrer Geheimnisse lüften und verstehen zu können. Mein Gefühl, so weit vom Bestreben nach Macht, Gewalt und Vernichtung entfernt, verliert sich in Melancholie und Traurigkeit beim Eintritt in die riesige Halle.
Auf einfache Art und Weise und wohl gerade deshalb so beeindruckend, unter die Haut gehend wird die Geschichte des 2.Weltkrieges dokumentiert.
Beginnend mit den Versailler Verträgen, Ausbreitung der Schlachtfelder, UN-Charta, Kinderlandverschickung, Vertreibung, Verluste, Elend, Technisches Wettrüsten, Kalter Krieg und Peenemünde mittendrin:
Denn genau hier gelang im Oktober 1942 der technische Durchbruch. Die erste Fernrakete wurde gezündet, jedoch nur zum Zweck, dem Militär größere Überlegenheit zu geben.
Beklemmung macht sich breit, kein Lachen, ernste und traurige Gesichter, Blicke des Unverständnisses bis hin zur Hilflosigkeit begegnen mir. Und auch ich trage all diese Gefühle von Raum zu Raum auch in mir. Meine Eltern kommen mir in den Sinn, selbst noch Kinder in jener Zeit, mussten flüchten, sich in Kellerräumen verstecken, zusammengepfercht, immer die heulende Sirene im Ohr. Ein Ton, der sich für alle Ewigkeit einprägt, sich unauslöschlich im Hirn eingebettet hat und sie auch später noch bei Alarmübungen zusammenzucken ließ.
Das Knacken, Knallen, die pfeifenden Geräusche der Bomben, das Bersten einer gefüllten Wasserleitung, die tödliche und zerstörerische Kraft des Einschlages und das Bröckeln und tosende Zusammenfallen der Häuser- Kartenhäusern gleich- waren sie doch bis dato Schutzburg und boten immer das wohlbekannte Dach über dem Kopf.
Schwarzweißfotos an der Wand
Mutter und Sohn, alleine zwischen all den zerbombten Häusern, ihr ganzes Hab und Gut in einem Koffer- überlebt, ja, das haben sie, ihre Blicke spiegeln all die Trauer und Hoffnungslosigkeit deren ein Mensch fähig ist, gepaart mit dem Unverständnis und keinerlei Kraft für die Frage nach dem – Warum -.
Hilflos stehe ich vor diesem Foto. Tränen steigen in mir auf, wollen einfach wegspülen, was so schwer zu ertragen und wohl nie zu verstehen sein wird. Schnell verlasse ich diesen letzten Raum, um mich zu fangen und wieder ruhig atmen zu können.
Am Ende des Rundgangs noch Fotos vom Weltall, ebenso von unserem wunderschönen Blauen Planeten. Ein Sandkorn nur im Universum, doch für uns auf Erden bedeutet es
LEBEN
Und in diesem Moment fällt mir wieder der Spruch von I. Kant ein, welchen ich auf einer Stele vor dem Museum gelesen habe:
Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt:
Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir!
Immanuel Kant (1724-1804)
Text : Tietze Linskens