Ich schloss die Tür des Hotelzimmers auf, stellte die Reisetasche ab und sah mich um. Es war gemütlich eingerichtet, mit einem kleinen Kühlschrank, Fernseher und einem Tisch, vor dem zwei Sessel standen. Wehmütig blieb mein Blick am frisch bezogenen Doppelbett hängen, das neben dem Fenster stand.
Seufzend zog ich meinen Mantel aus, holte mein Handy aus der Manteltasche, legte es auf den Tisch und ging ins Bad. Ich wusch meine Hände und schaute in den Spiegel. Ich sah nicht besonders gut aus, traurige, müde Augen blickten mich an. Was machst du jetzt allein an diesem 24. Dezember, schienen sie zu fragen, und die unglückliche Frau im Spiegel zog die Schultern hoch.
Auf eine Nachricht von Walter warten? Ich schüttelte widerwillig den Kopf. Nein, das war zwecklos, darauf brauche ich nicht warten, rannte aber ins Zimmer zurück und stellte mein Handy lauter, damit ich es auch klingeln hörte.

Ich sah zum Fenster hinaus. Draußen gingen die Laternen an, die kleine Stadt wirkte wie mit Puderzucker bestreut. Irgendwo läuteten Kirchenglocken. Wie oft hatte ich das jetzt schon erlebt, dass Walter mich versetzte? Dass er etwas versprach und es nicht hielt.
‚Aber sicher, Kleines, wir verbringen Weihnachten zusammen. Bis dahin habe ich alles mit meiner Frau geklärt‘, hörte ich ihn sagen. Und ich dumme Pute glaubte ihm. Schlug die Einladung meiner Eltern aus – ‚Kind, komm doch wenigstens Weihnachten mal nach Hause‘ – und sagte bei meiner Schwester ab – ‚Nicht, dass du Heilig Abend allein bist, komm doch zu uns, Berit und Jonas freuen sich, ihre Tante zu sehen.‘
Aber nein, ich hatte mich auf Walters Wort verlassen. Bis ihm vor ein paar Tagen einfiel, dass doch nicht alles mit seiner Frau geklärt sei, und er herumdruckste: ‚Ich gehöre zu den Kindern an Weihnachten, das verstehst du doch, Kleines?‘
Natürlich verstand ‚Kleines‘ das.

Seufzend schaute ich noch mal auf das Handy. Keine neue Nachrichten …es war mir aber so, als wenn es gepiepst hätte.
Ein langer heiliger Abend lag vor mir, ein einsamer Abend. Aber ich wollte es so, deshalb war ich gefahren. Das Zusammensein mit meiner Familie hätte ich heute nicht ertragen, die fragenden, verstohlenden Blicke…das traute Familienleben meiner Schwester, die strahlenden Kinderaugen unterm Tannenbaum.

Nein, ich wollte heute Abend, ausgerechnet heute Abend allein sein. Ich musste nachdenken, wollte die Geschenke auspacken, die alle mir mitgegeben hatten. Nicht mal zum Abendessen ins Hotelrestaurant würde ich gehen. Ich hatte auch keinen Hunger, aber – ich konnte mir auch nicht vorstellen, allein dort zu sitzen, inmitten all der fröhlichen Menschen.

Ich packte den Wein aus, ein Geschenk von meinem Kollegen Paul. ‚Für eine schöne Stunde – wünsche dir frohe Weihnachten‘ stand auf seiner Karte. Ich musste dran denken, wie sehr er mir den Hof machte, wie ungeschickt er mit mir flirtete, und wie kühl ich ihn immer abwies.
Ich suchte nach einem Glas und goss mir etwas von dem Wein für die schöne Stunde ein. Das war sie jetzt. Ich stellte das Radio an. Es wurden, wie konnte es anders sein, Weihnachtssongs gespielt.
Nur mein Handy blieb stumm.

Meine Schwester hatte ein paar Strümpfe für mich gestrickt, obwohl sie gar nicht gut stricken konnte. Gerührt zog ich sie an. ‚Dass du all das bekommst im neuen Jahr, was du dir wünschst, und endlich die große Liebe triffst‘, hatte sie auf die Karte geschrieben.
Ich schluckte.
Dann packte ich das Geschenk meiner Freundin aus – ein Kriminalroman. ‚Wenn du mal Langeweile oder Muße hast‘, stand auf der ersten Seite. Nun hatte ich sowohl das eine als auch das andere. Der Abend war gerettet.

Der gelbe Schein der Nachttischlampe tauchte das Zimmer in ein gedämpftes Licht, das Radio dudelte leise vor sich hin. Ich streckte mich auf dem Bett aus, nahm den neuen Roman, schlug die erste Seite auf, aber als die Buchstaben zu verschwimmen begannen, klappte ich es zu und starrte an die Decke.
So viele Menschen gab es in meinem Leben, die sich um mich kümmerten, die mit mir Weihnachten feiern wollten. Und nun – nun saß ich hier allein in einem fremden Hotelzimmer.
Selber schuld. Ich hatte ihm geglaubt. Wie lange wollte ich das eigentlich noch ..?

Im Radio sang Judy Garland gerade mit weicher Stimme mein liebstes Weihnachtslied ‚Have yourself a merry little Christmas‘, als mein Handy summte. Eine sms. Endlich! Vielleicht kommt er ja doch noch nach? Ich sprang mit einem Satz aus dem Bett und rannte zum Tisch.

‚Ich ruf dich an, wenn hier alles schläft. Wird spät. Vermisse dich. Frohe Weihnachten, Kleines.‘

Have yourself a little merry Christmas, let your heart be light, from now on, our troubles will be out of side…

Ich antwortete ihm: ‚Ich wünsche dir und deiner Familie auch frohe Weihnachten, Walter.‘

Und dann schaltete ich mein Handy aus. Ich legte es ganz unten in die Reisetasche, zog den Reißverschluss zu, schob die Tasche in den Schrank und schloss ihn ab.
Plötzlich verspürte ich Appetit. Vielleicht sollte ich doch eine Kleinigkeit essen gehen ..?