Blog aus der Intensivstation – die lebensrettende Erste Hilfe
Dienstag, 16.2.2010 – Tag 3
Ich fühle mich heute nicht fit genug viele neue Worte zu finden, möchte aber an dieser Stelle an die vielen Rettungskräfte erinnern, die täglich Leben retten.
Mein großen Dank an die 2 englischen Sani’s, die mir am Samstag – nach Auskunft meines Arztes – das Leben gerettet haben. Sie sagte: „they did a brilliant job“.
Ich selbst bin in meiner Jugend in Frankfurt Rettungswagen gefahren, daher rührt wohl auch meine vielleicht eher unemotionale Betrachtungsweise eines eigentlich todernsten Vorganges, und die Fähigkeit hierbei recht gelassen zu bleiben, und für manchen vielleicht ganz unverstaendlich, jetzt schon locker rumzubloggen. Aber nur wenn diese Ersthelfer einen kühlen Kopf bewahren können ist eine optimale Erste Hilfe überhaupt möglich.
Ich werde versuchen die Helden ausfindig zu machen, um mich persönlich für ihren kompetenten Einsatz zu bedanken, denn sie haben eine gute Stunde lang, im Haus und im RTW, erfolgreich um mein Leben gekämpft.
Ich hoffe nicht jeder kennt diesen Beitrag aus 2006, und wenn doch, ich finde es lohnt sich immer wieder ihn zu lesen und er erlaubt mir, eine der befriedigendsten Tätigkeiten meines Lebens nicht zu vergessen.
Sama Frankfurt 24
Als Rettungswagenfahrer beim Arbeiter Samariter Bund
SAMA FRANKFURT 24 war häufig das Funkrufzeichen meines Rettungswagen (RTW). Es war nicht einer der heute üblichen zum Rettungswagen umgerüsteten Kastenwagen, sondern ein verlängertes Benz T-Modelle, mich einem etwas höheren Aufbau, darum auch oft Hoch-Lang genannt, denn stehen war darin nicht möglich.
SAMA ist das Kürzel des Arbeiter Samariter Bund, bei dem ich in Frankfurt von 1976 bis 1981 in meiner Freizeit ehrenamtlich Rettungswagen fuhr. Nicht als Zivildienstleistender, nicht im Rahmen einer 10 jährigen Katastrophenschutzverpflichtung, die einen vom Wehrdienst befreite, ich fuhr einfach nur so, aus Spaß an der Arbeit.
Ich war nach Frankfurt zugezogen, hatte gerade eine Bankkaufmannslehre begonnen und viele meiner neuen Freunde verschwanden am Wochenende, weil sie beim ASB Dienst taten. Das interessierte mich, und nach erstem Beschnuppern nahm ich an allen notwendigen Lehrgängen teil, und kam schnell in der RTW Hierarchie hoch, erst vom “Dritten” Mann (oder Frau), denn die rein ehrenamtlichen Besatzungen fuhren meist zu dritt, dann zum “Heiler”, dem Verantwortlichen für den Patienten, und zum Fahrer. Fahrer waren oft auch erfahrene “Heiler” und somit für den gesamten Einsatz verantwortlich.
Mit Blaulicht und Martinshorn nachts durch Frankfurt zu fahren hatte schon seine Reize, man lernt jedoch nicht aggressives Fahren, sondern ein eher defensives, denn man musste immer davon ausgehen, dass jemand anderes einen nicht sieht oder hört. Ein Freifahrtsschein war das Blaulicht daher nie, aber mit 120 km/h die Eschersheimer ungestraft runter zu donnern, dem Verkehr, der einem links und rechts ausweicht und Platz macht, das hat schon was für sich.
Vor 30 Jahren kannte man AIDS nicht so richtig, Einweghandschuhe waren eine unangenehme Option die man dankend ablehnen konnte, man hatte keine größere Angst vor Infektionen. Gelegentlich musste die ganze Mannschaft mit Wagen zwar nach einem Einsatz in die Desinfektion auf die Feuerwache, meist jedoch weil der HILO (hilflose Person) von Ungeziefer so zerfressen war, dass im Wagen alles nur noch krabbelte. Nach der DESI lebte nichts mehr, und selbst durfte man gute 4-5 Stunden in geliehenen Trainingsanzügen der Feuerwehr schlafen. Der Geruch der starken Desinfektionsmittel ging einem jedoch tagelang nicht aus der Nase.
Meist fuhr ich 24 Stunden Schichten am Wochenende, und Frankfurt hatte damals wie heute, besonders Nachts, viel Aktion zu bieten. Die ASB-Wache lag bei der Kleinmarkthalle, Berliner Strasse, und viele der nächtlichen Blaulicht-Einsätze ins Bahnhofsviertel oder nach Sachsenhausen gingen an uns. Im Sommer wurde dort bis zur Ohnmacht gesoffenen, oder die Zuhälter prügelten sich gegenseitig und ihre “Kunden” weich, zu Weihnachten häuften sich dann die Suizidversuche der Nutten. Schmunzeln musste ich aber bei dem armen Freier, der tot mit Herzinfarkt im Bordell lag. Lächelnd attestierte der Notarzt der sehr verunsicherten „Dame“ nur eine geringe Mitschuld.
Auf die A3 kamen wir zum Glück selten. Nur bei wirklich großen Massenunfällen ging es auf die Autobahn zum Einsatz, wo dann oft ein Treffen mit Christoph, dem Rettungshubschrauber und anderen RTW’s aus Offenbach oder Hoechst angesagt war. Wahre Schlachtfelder musste man dort betreten, und man lernte schnell die Bedeutung des Wortes “Triage”, der Selektierung oder moderner gesagt: der Prioririsierung. Ein Arzt, meist vom Christoph, nahm sie vor, und sie entschied über die Reihenfolge der Aufmerksamkeit. Leicht Verletzte mussten warten, aber leider auch der ein oder andere erkennbar hoffnungslose Fall.
Diese Erfahrungen erlauben es mir heute vieles in einem anderen, oft neutralerem Licht zu sehen. Oft fragt man sich ja, wie können Ärzte oder Helfer das ewige Leid und Elend, den Schmerz anderer, ertragen, wie kann es sein, dass sie nicht innerlich aufgefressen werden durch Bedenken oder Zweifel, immer genau das Richtige gemacht zu haben.
Die vielen hundert Einsätze, die ich vor 30 Jahren gefahren bin, sind zwar nie zur Routine geworden, konnten aber (fast) alle schnell verarbeitet und verkraftet werden. Schwerer waren die seltenen Einsetze, bei dem man den Patienten persönlich kannte, und für mich ist auch heute noch alleine die Vorstellung der Versorgung eines schwer verletzten Familienmitgliedes sehr belastend. Bei unbekannten Dritten hingegen kann man seine Ausbildung und bescheidene Erfahrung recht emotionslos zum Einsatz bringen. Man spielt sich nicht auf, erklärt sich nicht für wichtig, aber man ist in diesem Moment die beste da einzige anwesende Hilfe.
Nicht jeder Patient überlebt, für manche kommt jede Hilfe zu spät, aber das Adrenalin des Einsatzes erlaubte eigentlich immer klares Denken und eindeutige Entscheidungen. Ich will hier die Fähigkeiten der ehrenamtlichen Helfer nicht überzeichnen, wir waren keine Ärzte, oft nicht einmal voll ausgebildete Rettungssanitaeter wie sie heute ausnahmslos zum Einsatz kommen. Aber wir waren oft die Ersten und Einzigen am Einsatzort. Die manchmal schwierige Entscheidung war es abzuwaegen, rufe ich den NAW (Notarztwagen) oder versorge ich den Patienten und bringe ihn innerhalb 10 Minuten selbst in die nächste Klinik. Als Regelanweisung galt: mit Blaulicht hin wenn von der Leitstelle angewiesen, aber nicht mit Blaulicht in die Klinik. Sollte also der Zustand des Patienten kritisch sein, stabilisierten wir seine Situation und riefen den NAW, der dann übernahm oder unsere Fahrt vorbereitete. Es konnte vorkommen, dass die Leitstelle uns dennoch anwies, selber mit Blaulicht ins Krankenhaus zu fahren, da kein freier NAW zur Verfügung stand, aber diese Fälle waren selten.
Ich glaube heute ist das Rettungssystem anders aufgebaut, mit einer klareren Trennung zwischen Rettungsdienst und Krankentransport, einer klareren Regulierung hinsichtlich der nötigen Qualifikationen und Ausbildung. Wir waren damals nicht schlecht ausgebildet, hatten Ärzte die uns unterrichteten, aber wir waren keine “diplomierten” Rettungssanitaeter. Wir konnten zwar Infusionen anlegen oder Intubieren, auch der Einsatz des Defibrilators war gelernt, aber wir durften dies nicht ohne ärztliche Anweisung tun. Das war auch richtig so. Selten waren wir unterqualifiziert, denn unsere Hauptaufgabe war bei schwereren Fällen die Vorbereitung für den Arzt. Oft haben wir schon über Funk die ersten Erkenntnisse weitergeleitet, um dem Arzt nach seinem Eintreffen möglichst schnell ein eigenes Urteil zu erlauben.
Noch heute habe ich viele Erinnerungen an die Einsätze, skurrile, lustige, traurige aber auch grausame, gefährliche und langweilige, peinliche und ganz ganz Tolle.
Im Winter trugen wir meist ausrangierte grüne Militärparkas, mit einer weißen Armbinde auf der in großen Buchstaben „ASB – Rettungsdienst“ stand. Diese Binde hat mich einmal vor schweren Verletzungen geschützt: Frankfurt Sachsenhausen, Affentorplatz, Schlägerei gegen Mitternacht. So an die 30 betrunkene amerikanische Soldaten der Frankfurt Airbase hatten deutlich zuviel Apfelwein getrunken und prügelten sich animiert mit lokalen “harten” Kerls. Die 4 deutschen Polizisten (Rufzeichen FRANK) waren zwar anwesend, standen aber abseits und griffen nicht ein, die Schlägerei war einfach noch zu groß. Man erklärte mir einfach zu warten, denn die US Military Police (MP) wäre schon unterwegs um sich um ihre eigenen Landsleute zu kümmern. Die Schlägerei war munter im Gange, als plötzlich wie im Film 4 Jeeps um die Ecke kamen. 12 kühlschrankgrosse MP’s sprangen ab und stürmten den Platz. Ruhe schafften sie mit ihren Baseballschlägern, denn jeder der auch nur falsch zuckte kriegte einen kräftigen Schlag verpasst der jeden in die Knie zwang. Ich ging an die Arbeit um Platzwunden im Dutzend zu verbinden, als plötzlich ein MP auf mich mit erhobenen Schläger zustürmte und wohl für einen der Bösen hielt. Ich konnte mich nur im letzten Moment leicht drehen und mit ängstlichem Blick auf meine ASB Armbinde zeigen. Der MP nickte verständnisvoll, lächelte und zog den Schlag nicht durch.
Geprägt haben mich auch die damals berüchtigten Frankfurter Demonstrationen, bei denen sich 2 “Vereine” (die Linke und die Polizei) wahre Straßenschlachten lieferten. Sogar wir vom Rettungsdienst mussten Helme tragen um uns vor dem Steinhagel zu schützen, unsere Wagen mussten Blessuren ungeschützt einstecken.
Unverständlich bliebt für mich die Reaktion einer Gruppe von Demonstranten, die einen schweren Stein durch die Windschutzscheibe meines RTW warfen, wo ich doch gerade dabei war, 3 verletzte Demonstranten mit schweren Platzwunden ins Krankenhaus zu bringen. Die im Ansatz gerade noch verständlichen Ziele der Demonstrationen, wie der Protest gegen die Startbahn West oder die Atomkraft, verloren für mich danach stark an Glaubwürdigkeit. Der Stein traf mich zum Glück nicht, ich wurde nur dank Loch in der Scheibe etwas nass, als der aufmerksame Wasserwerfer die Situation zu meinen Gunsten klärte.
Diese Erfahrungen kann es so in der heutigen Welt für einen einfachen Studenten nicht mehr geben. Das heutige Rettungswesen ist – wie gesagt – auf professionellere Beine gestellt worden, die Ausbildungen ist viel intensiver, das Material, Wagen und Ausstattung, ist moderner und mächtiger, aber das heutige System kostet auch deutlich mehr Geld. Ob dies immer gerechtfertigt ist, will ich nicht beurteilen, aber schon vor 30 Jahren waren die Forderungen und Erwartungen mancher Patienten deutlich überzogen.
Ich glaube auch nicht, dass irgend einer der Einsätze von damals viel anders und vor allem nicht mit einem anderen Ergebnis verlaufen wäre als heute. Nur heute hätte ich Angst, eine pulsierend blutende Wunde mit den Händen schnell abzudrücken bis ein richtiger Druckverband vorbereitet ist, ich würde mich erst selber schützen wollen, und müssen. Auch hätte ich heute in manchen Situationen mehr Angst ohne Polizeipräsenz den nächsten Schritt zu gehen.
Aber ein tagelang anhaltendes Hoch hatte ich immer, wenn durch unsere schnelle Anwesenheit und ersten Hilfsmassnahmen ein Leben gerettet werden konnte. Diese Momente sind mir auch nach 30 Jahren noch sehr präsent, da prahlte man nicht mit, das wurde nie groß diskutiert, das wusste man einfach, schon vor den anerkennenden Worten des Notarztes.
Songline
16. Feb. 2010
Wir sprachen dieser Tage hier noch darüber, dass der Alltag für manche von uns auch den Umgang mit lebensgefählichen Situationen und dem Tod beinhaltet. Darüber denken wir anderen nicht oft nach. Wir sind, wie so oft, erst betroffen, wenn wir Betroffene sind. Oder wenn uns jemand daran erinnert, wie schnell wir Betroffene sein können.
Mumpitz
16. Feb. 2010
Ich kenne dich nicht, Bleiglass, und dennoch geht mir dein Bericht nahe. Ich wünsche dir alles Gute von hier! Dass du so privat schreibst, schafft eine warme und freundschaftliche Atmosphäre hier im Netzkritzler, so als wären wir unter uns. Das ist gut so, danke dafür. Bis bald wieder,
Mumpitz
manu
17. Feb. 2010
Gut, daß es sie gibt – die Menschen, die Leben retten!
Und Du – paß jetzt gut auf Dich auf! Gute Besserung!!
Fritzi
17. Feb. 2010
Ich kannte diesen Bericht noch nicht. Er gefällt mir sehr gut. Bei einigen Szenen musste ich schmunzeln.
Ein bisschen Magenschmerzen bekam ich bei dem Satz: „Nur heute hätte ich Angst, eine pulsierend blutende Wunde mit den Händen schnell abzudrücken bis ein richtiger Druckverband vorbereitet ist, ich würde mich erst selber schützen wollen, und müssen“ … natürlich hast du recht – und heute ist Hygiene, Desinfektion und Selbstschutz, aber auch die damit verbundene Unterbindung einer Weiterverbreitung von Keimen oberstes Gebot … doch jeder, der irgendwie in diesem Bereich praktisch arbeitet, weiss, dass es immer wieder Momente gibt, in denen all diese Hygiene nicht einzuhalten ist. – Ein derartiger Beruf bleibt immer so eine Art „Russisches Roulette“. Gerade bei denen, die als „Erstversorger“ auf der Bildfläche erscheinen.
Im Übrigen schliesse ich mich Mumpitz` Kommentar aus vollstem Herzen an.
Halt die Ohren steif!