Blog aus der Intensivstation – die Blutprobe
Mittwoch, den 17.2.2010 – Tag 4
Ein weiterer Tag mit wenig Fortschritt scheint vor mir zu liegen, da mein Kardiologe erst nächste Woche nach England zurückkommt. Aber vielleicht kriege ich ja auch das zur Analyse nötige Angiogram schon vorher gemacht.
Ich sehe im Prinzip ja das englische Gesundheitssystem NHS sehr positiv, es ist eine Art Bürgerversicherung für alle, die mit privaten Zusatzversicherungen abgerundet werden kann. Im Moment greift meine private noch nicht so richtig, da hierfür mein Kardiologe mich als privaten Patienten akzeptieren muss, erst dann kann ich auch in ein privates Krankenhaus verlegt werden. So sitze ich meine Zeit hier auf der intensiven Beobachtungsstation ab, da meine gesundheitliche Situation es noch nicht erlaubt, auf ein Einzelzimmer ohne konstante Beobachtung verlegt zu werden.
Für mich kein großes Problem, denn ich bin der lauteste Schnarcher hier auf der Station, und habe somit gewonnen.
Ich hatte vor 2 Tagen, als ich diesen Blog begann, viel vor, vielleicht für den Moment noch zuviel. So viele Gedanken und Meinungen haben sich in den letzten Tagen festgesetzt, zum Patienten-Datenschutz, der Organisation eines Krankenhauses, der Triage einer Station und den Wartelisten. Aber ich kriege es noch nicht auf die Reihe dies über einen längeren Zeitraum in sinnvolle und lesbare Worte zu gießen, es fehlt mir noch an der nötigen Konzentration.
Daher auch heute wieder ein Beitrag zwar zum Thema, aber aus der Konserve, ein ironischer Erfahrungsbericht aus dem Jahr 2007, als ich mich zu einer Blutprobe ins englische NHS wagte, ins gleiche Krankenhaus übrigens, indem ich auch heute liege.
Die Blutprobe
Ein Ausflug in das englische Gesundheitssystem
Ich bin mir ja zu nichts zu schade, und teste gerne Alternativen aus. Heute war mal eine Blutprobe angesagt. Nein, nein, keine Sorge, mir geht es gut, und die Ergebnisse der Blutprobe könnten auch ohne Labortest dank meiner offen zur Schau getragenen Risikofaktoren recht genau vorhergesagt werden.
Mein GP (General Practisioner = Hausarzt) meinte vor einigen Tagen: lass uns mal einen Bluttest machen. Ich fing schon an meinen Ärmel hochzukrempeln, wurde jedoch schnell gebeten damit aufzuhören und ausführlich über meine Optionen belehrt. Der GP nimmt keine Blutprobe, hierfür ist er keine Option, dafür wird er nicht bezahlt. Blutprobenentnahmen werden im mächtigen NHS (National Health System) nur von 2 Personenkreisen durchgeführt: der „Nurse“ in der Arztpraxis, oder besser noch gleich im örtlichen Krankenhaus, denn dort sind auch gleich die zentralen Labors.
Also die Nurse-Option hatte ich schon mehrfach getestet, die ist sehr nett, und kann es recht gut. Man lässt sich so 2-3 Wochen im voraus einen Termin zu berufsverträglichen Zeiten geben, kommt 15 Minuten früher und ist mit 30 Minuten Verspätung dann auch dran. Da sie dank Computer leider auch weis wie viel man beim letzten Mal wog, gibt es selten Lob.
Ich mag ja Krankenhäuser, bin in meiner Jugend in Frankfurt beim ASB Rettungswagen gefahren und wollte eigentlich immer Arzt werden. Also entschloss ich mich heute mal die Krankenhausoption zu versuchen.
Mein GP gab mir einen ausgefüllten Blutprobenbeutel mit und erklärte mir, das ginge alles ganz einfach und schnell im Krankenhaus. Nun gut, aber ich würde ja nicht im Internet schreiben wenn ich nicht vorab noch etwas Recherche machen würde. Google half schnell zum Kingston Hospital Website, und dort fand man gut sortiert unter dem Stichwort „Blood Tests“ die einfache Prozedur beschrieben. Gehe in den ersten Stock des Outpatients Gebäude, nehme dir eine Nummer, und warte bis sie aufgerufen wird. Die Bedeutung von „nüchtern“ hatte ich schon vor 40 Jahren in diesem Zusammenhang verstanden und wandte sie auch heute seit langem mal wieder richtig an.
Um 9:00 Uhr morgens geht’s im Krankenhaus los, und da ich nicht allzu lange auf meinen ersten Tageskaffee warten wollte, war ich schon um 8:50 im ersten Stock. Aber was zum Teufel war hier los? Hatten alle Altersheime der Umgebung mit Bussen ihre Bewohner hier abgegeben, war dies die örtliche Kita für Senioren? Ich hoffte nur, das die nicht alle schon ein Nümmerchen gezogen hatten. Auf zum Automaten und blaue Nummer ziehen: 34! Erleichterung machte sich breit, viele 75 Jährige schienen nur ihre 82 jährige Freundin zu begleiten. Sofort fing mein mathematische Hirn an zu rechnen: angenommen hinter der Tür sind 4 Blutabnehmer, 34:4 macht so um die 8, jeder Schicht braucht 5 Minuten, also in einer halben Stunde bin ich hier raus. Nicht schlecht, aber nicht ganz richtig. Die gute Nachricht war, es fing um 9:00 Uhr gleich mit Nummer 10 an, ich war also als 24ter dran, die schlechte war mehr menschlicher Natur: Venen älterer Mitbürger sind nicht so leicht mit der Nadel zu treffen.
Es war frappierend und statistisch fast schon interessant: konnte der Patient beim aufrufen seiner Nummer vom Stuhl hochspringen und ohne Gehhilfe in den Behandlungsraum hasten, kam er meist innerhalb von 1-2 Minuten wieder raus. Next! Unsere Senioren schafften aber nur einen Schnitt von 5 Minuten.
22 – Halbzeit
20 nach 9, Halbzeit. Neue Verzögerungen stellten sich ein, manch einer hoffte mit Charme die Nummer mit der Nummer zu vermeiden, schafften dies zwar nicht, aber hielten dennoch den Betrieb auf. Und immer mehr „Patienten“ erschienen und zogen ihr Ticket. Nach einem kurzen Blick auf das gezogene Los verdunkelte sich ihr Gesicht, und bei vielen, wie bei mir, fing auch gleich das Kopfrechnen an.
Da kam mir eine Geschäftsidee: nächstes Mal ziehe ich nicht nur eine Nummer, sondern 2, also die 34 und die 35. Wenn nun nach einer halben Stunde jemand sehr enttäuscht drein schaut, kann ich Los 34 zum Sofortkauf oder zur Auktion anbieten. 10 Euro wäre dies vielen für eine deutliche Verkürzung der Wartezeit wohl wert, und der siegreiche Blick an mir vorbei zu ziehen und vor mir dran zu sein (denn ich behalte ja die 35) tröstet sicherlich über den finanziellen Verlust.
Auf was für krumme Gedanken man bei Warten auch kommen kann, na, zum Glück befand ich mich in einem Krankenhaus.
34 – Ich bin dran
20 vor 10, Endspurt, ich bin dran. Da ich vom Sitz aufspringen kann und ohne Gehhilfe hasten kann, war ich nach ganzen 40 Sekunden wieder draußen, ich glaube dies war Tagesrekordszeit. Der Pfleger war genial, er fragte nach meine Namen und Geburtsdatum, verglich dies mit den Daten auf meinen mitgebrachten Blutprobenbeutel, summte leise zum laufenden Kofferradio und traf ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern meine Vene, und um 9:41 war ich auf dem Weg nach Hause.
Diese Option „Krankenhaus“ ist nicht schlecht, dauert nicht viel länger als die Option „Nurse“, dennoch glaube ich, dass das Krankensystem viel Geld sparen könnte wenn es einen Blutproben DIY-Set zu kaufen gäbe. Ich würde ihn gerne testen. Es gibt ja immerhin schon in Japan (beheizte) Toiletten, die eine Urinprobe nehmen können und das Ergebnis automatisch per email an den Hausarzt weiterleiten. Klo an Doktor: Harnsauerealarm, Gichtgefahr.
Nachtrag:
Als ich ging war Losnummer 68 zu vergeben, also später zu kommen um den Bussen vom Altersheim auszuweichen lohnt sich nicht. Aber ich hätte alle 10 Minuten eine Nummer ziehen sollen (40, 45, 52 und so) und wäre jetzt vielleicht 50 Euro reicher.
Mumpitz
17. Feb 2010
Sehr schön an der netten Beschreibung ist die Geschäftsidee! Das könnte man ausbauen! Überhaupt habe auch ich schon die Erfahrung gemacht, dass man Warte-Situationen sehr gut zum Sammeln neuer Eindrücke und Ideen gebrauchen kann. Input sozusagen.
Liebe Grüße von hier!
Fritzi
17. Feb 2010
Ich weiss ja nicht, welchen Job du hast, aber … so denken Freiberufler – isn´t it? 😆
Songline
17. Feb 2010
Die Blutprobe ist sehr amüsant. Hab mehrfach lauthals lachen müssen. Auf die Idee mit dem Blutproben DIY-Set kannst auch nur Du kommen! 😉