Glück und Erfolg wurden ihnen in die Wiege gelegt, doch das Schicksal hatte andere Pläne. Eine Rezension zu Juliane Kobjolkes Liebes- und Kriminalroman "Atlantik Allee" (erschienen im Cenarius Verlag; ISBN: 978-3-940680-14-3)
Wer den Klingelton unseres neuen Schnellmelders mag und das Lied gerne in Gänze hören möchte, findet es hier: „River Flows in You“ von Yiruma, bekannt geworden als „Edward’s Song“ aus dem Film „Twilight“. Soll ich neben dem Lied auch die Bücher empfehlen? Ich selbst habe mich – obwohl nicht unbedingt Fan des Genres – durch […]
eigentlich wollte ich Euch die Seite ab 2019 in neuem Gewand und wieder voll funktionstüchtig präsentieren. Insbesondere wollte ich Eure Seiten auch auf kleinen Geräten wie Smartphones lesbar machen. Aber nach zwei Wochen Arbeit am Netzkritzler-Double muss ich leider sagen, dass dies aufgrund vielfältiger technischer Probleme nicht funktionieren wird.
Immerhin ist es mir gelungen, die Fehlermeldung beim Aufruf der Blogs zu entfernen, so dass Ihr alle wieder Zugriff auf Eure Seiten habt. Ferner sind alle gespeicherten Texte noch erhalten und wieder abrufbar.
Ich lasse die Seite daher in ihrem jetzigen Zustand ruhen und bedanke mich bei allen, die sich über viele Jahre hier eingebracht haben. Wer einen Link auf seinen neuen Wirkungskreis setzen möchte, kann dies gern als Kommentar zu diesem Text tun.
Lust auf einen Streifzug durch die Geschichte des Tanzes? Oder auf einen Video-Tanzkurs zum Mitmachen? Oder auf eine zusätzliche Möglichkeit für unsere Chat-Watchers, ein paar Pfunde loszuwerden? Okay, dann gibt’s hier 6 Minuten bester Unterhaltung.
Ich hab schon versucht, da mitzuhalten, bin aber bein Breakdance gescheitert 😉
Victor Dorn schaute sich interessiert um. Wenn er richtig schätzte – und im Schätzen war er super –, dann tummelten sich etwa 1200 Leute im Tagungssaal und dem dazugehörigen Foyer. Zur Hauptversammlung der Aktiengesellschaft Chemoroxx, einem der renommiertesten Produzenten von Spezialchemikalien in Deutschland, hatten sich 845 stimmberechtigte Aktionäre angemeldet, die 9.105.746 Stimmen vertreten sollten. Der Rest der Gesellschaft setzte sich aus den Angehörigen und Freuden der Anteilseigner zusammen sowie den heuer in großer Zahl beiwohnenden Medienvertretern. Der enorme Andrang, speziell jener seitens der Presse, hatte seinen Grund. Die anstehende Sitzung versprach turbulent zu werden, um nicht zu sagen markerschütternd. Und ihm, Vic Dorn, kam bei diesem Spektakel eine wesentliche Rolle zu.
Das alteingesessene Ruhrgebietsunternehmen hatte schwer Schlagseite bekommen. Eigentlich befand man sich sogar nicht mal mehr in unsicherer Seitenlage, sondern lag schon kieloben. Schwärme von Finanzhaien und Pleitegeiern schnappten in ihrer Fressgier bereits nach dem sinkenden Schiff. Was vor drei Jahren als leichter Abschwung begonnen hatte, war mittlerweile zu einer existenzbedrohlichen Krise ausgeartet. Eine selbstverschuldete Krise, um es klar zu sagen, erwachsen aus Fehlentscheidungen und gescheuten Strukturmaßnahmen. Im letzten Jahr hatte man den Konzern deswegen gar aus dem Verzeichnis der 100 wichtigsten DAX-Werte gestrichen. Eine Schmach sondergleichen, aber noch lange nicht das Schlimmste. Das war der tiefe Fall des Aktienkurses von 12 Euro auf mickrige 2,50 innerhalb von zwei Jahren. Dieser Absturz hatte so richtig ins Kontor reingeknallt.
Vor diesem Hintergrund konnte man sich denken, dass die Stimmung im Sitzungssaal geladen war. So viele finstere Gesichter auf engstem Raum gab es sonst nur im Nahen Osten bei Protestaufmärschen gegen religionsverunglimpfende Karikaturen zu sehen. Victor für seinen Teil hätte nichts dagegen gehabt, wenn es hier und heute genauso rund ging.
Als einer der letzten freien Hauptaktionäre der Chemoroxx hatte er auch allen Grund, stinkig zu sein. Zu viel von seinem Geld war als blauer Dunst durch die Werksschlote in die Atmosphäre geblasen worden. Aber damit würde heute Schluss sein. Er hatte sie alle auf dem Kieker, die Herren aus den Chefetagen, die seiner Meinung nach die Unternehmung fahrlässig an den Rand des Ruins getrieben hatten. Als normaler Aktionär – und trotz seiner beachtlichen Stimmenanteile war er nichts anderes – konnte man der Geschäftsführung nicht so ohne weiteres die Zügel aus der Hand nehmen, aber einmal im Jahr mussten die Bosse Rechenschaft ablegen, und wehe ihnen, wenn sie dabei durchfielen. Und der jetzige Vorstand hatte nicht den Hauch einer Chance, mit heiler Haut davonzukommen, sprich entlastet zu werden. Dafür würde er schon sorgen. Keinen Stein würde er auf den anderen lassen, weder hier im Interconti-Hotel noch im Konzern.
Sicherheitshalber taxierte Victor noch mal sein Abbild in einer der mit Spiegelglas eingefassten Ziersäulen im Foyer, um zu kontrollieren, ob alles an ihm makellos aussah. Er wollte heute zwar liebend gern unangenehm auffallen, aber bitte nicht wegen eines verlotterten Äußeren. Doch ja, befand er, Eigenlob mochte vielleicht stinken, aber seine 1 Meter 87 hatte er formschön in Stellung gebracht. Sein kurzgeschnittenes, braunes Haar lag straff zurückgekämmt ohne einen einzigen Wirbel am Kopf, sein zackig gestutzter Kinnbart verlieh seiner ohnehin markanten Kieferpartie etwas Rücksichtslos-Aggressives. Lediglich die etwas angegrauten Schläfen hätten verraten können, dass er das 40. Lebensjahr bereits überschritten hatte. Extra für diesen Abend hatte er sich Kontaktlinsen besorgt, auf das er jünger und kraftvoller wirkte. Brillen lassen Menschen älter erscheinen, und nichts an seiner Person sollte auch nur im Ansatz so etwas wie Schwäche ausstrahlen. Victor drehte sich seitlich ins Profil und strich sich über den Bauch. Die Diät der letzten Wochen hatte angeschlagen, er schaute drahtig und elastisch aus. Sein teurer, dunkelblauer Anzug saß genauso einwandfrei, wie es die nette Verkäuferin aus seiner Maßschneiderei versprochen hatte. Nun gut, bei der von ihm hingeblätterten Mordssumme war das auch das Mindeste. Selbstzufrieden rückte Viktor seine Krawatte gerade. Nicht, dass es nötig gewesen wäre. Alles perfekt! Von ihm aus konnte es losgehen. Joe Ackermann hatte bei seinem Gerichtsprozess nicht besser ausgesehen. Victor schnalzte selbstverliebt mit der Zunge. Die Redaktion des Stilratgebers von Men’s Health hätte ihm Geld bezahlt, um ihn für ihre nächste Ausgabe ablichten zu dürfen.
Roswitha, seine Assistentin, stöckelte herbei. Sie überreichte ihm eine Akkreditierungskarte und heftete die ihrige an das Revers ihres Hosenanzuges. Auch sie checkte noch einmal seine Erscheinung ab.
„Hach, was sehen sie heute gut aus, Herr Dorn“, befand sie treuherzig, um sofort im Anschluss entschuldigend zu klarlegen, „also, ich meine … nicht, dass sie sonst etwa weniger gut aussehen würden. Ich wollte damit nur sagen, heute wirken sie ganz besonders stattlich.“ Mit jedem Wort war ihre Stimme brüchiger geworden, was sie mit fahrigen Handbewegungen hatte ausgleichen wollen. Freilich ein vergeblicher Versuch. Victor lächelte milde. Roswitha war eine dumme Nuss. Allerdings bloß, wenn sie in seiner Nähe war. Der Grund dafür lag auf der Hand: Sie war hoffnungslos und bis über beide Ohren in ihn verschossen. Infolgedessen überkam sie in seiner Gegenwart stets eine ungeheuerliche Nervosität, die sich in haarsträubenden Ungeschicklichkeiten und Verhaspelungen niederschlug. Victor störte sich nicht dran. Er war ein netter Chef. Respekt sollte man vor ihm haben, keine Angst. Außerdem war Roswitha ansonsten eine höchst kompetente, zuverlässige Mitarbeiterin. Ihr Büro hatte sie voll im Griff, und schon so manches Mal waren ihre Recherchevorarbeiten für wichtige Finanzverhandlungen entscheidend gewesen.
„Danke für das Kompliment, Rosy“, erwiderte er gentlemanlike. „Seien Sie doch nicht so furchtbar nervös. Auf mir liegt doch heute der Druck und die ganze Aufmerksamkeit, nicht auf Ihnen. Und wirke ich etwa aufgeregt? Also bitte, kühlen Sie runter! Hauptsache, Sie haben gleich die nötigen Produktionsdatenblätter und Kalkulationstabellen zur Verdeutlichung meiner Ausführungen parat. Übrigens, wo ist denn Ihr Aktenordner?“
Roswitha wurde schlagartig knallrot. Mit einem „Ach du meine Güte!“ machte sie auf dem Absatz kehrt und hetzte zurück ins Parkhaus, um ihre vergessenen Unterlagen zu holen, die entweder im Kofferraum oder auf dem Rücksitz seiner Karosse lagen. Allein auf dem kurzen Wegstück bis zum Ausgang knickte sie zweimal mit ihren hochhackigen Schuhen um. Victor seufzte und grinste gleichzeitig. Roswitha, Roswitha, dachte er, wenn wir nicht bald den richtigen Mann für dich finden, scheuert dein zentrales Nervensystem vor Überanspannung noch durch.
Victor gestand ein, dass seine Toleranz in Bezug auf ihre Pannenlastigkeit einer gewissen Eitelkeit entsprang. Er mochte es eben, von hübschen Damen angeschmachtet zu werden. Das stärkte sein männliches Ego. Nicht, dass er jemals auf Rosys Freifahrtsignale angesprungen wäre. Mit Frauen konnte er nicht so. Er empfand sie zwar gemeinhin als angenehm im Umgang, aber das große Prickeln setzte bei ihm in ihrer Gegenwart nicht ein. Für die meisten seiner Geschlechtsgenossen mochten Brüste das Höchste sein, aber er fuhr nun mal mehr auf Brusthaar ab. Vielleicht nicht gerade ein wuchernder Bärenpelz, aber so ein neckischer Flaum, gerade dicht genug zum Kraulen, das war doch was Feines …
Abrupt verfinsterte sich seine Miene. Dr. Theo Wurm, der Vorstandsvorsitzende von Chemoroxx, schlich an ihm vorbei. Victor bedachte ihn mit einem giftigen Blick. Das passt, dachte er, dass diese Null durch die Hintertür gekrochen kommt. Bei Wurms Inthronisierung vor sechs Jahren war’s noch der rote Teppich gewesen, da hatte bloß die Krone gefehlt für den neuen Walzerkönig auf dem Börsenparkett. Jetzt wollte sich nicht mal mehr der popeligste Kleinaktionär mit ihm gemeinsam fotografieren lassen. Jaja, so schnell kann sich die Lage ändern. Grimmig schaute Victor dem Noch-Vorsitzenden nach, der sich geduckt an der Wand entlang zur Bühne drückte. Erst wollte er dem wütenden Mob laut Bescheid geben, dass der Stein des Anstoßes angerollt kam, aber er unterließ das denn doch. Er wollte den Wurm stilvoll abmurksen, mit aufgeklapptem Visier, von Angesicht zu Angesicht, in einer offenen Redeschlacht mit dem gesamten Vorstand.
Mitleid mit Wurm und Konsorten verspürte Victor nicht. Das wäre ja auch noch schöner gewesen. Die Bande hatte genau gewusst, welche Strafe auf Versagen stand. Und mal ehrlich, so erbärmlich würde es ihnen nach der Degradierung nicht ergehen. Die anstehende Demütigung würde ihnen mit klingender Münze vergolten werden, im Elend keiner von ihnen landen. Leider! Die Gesamtabfindung würde mit Sicherheit einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen. Da gibt es nun wirklich Schlimmeres. Frag nach bei der normalen Belegschaft, von der nicht wenige den Gang zum Arbeitsamt würden antreten müssen.
Nun ja, Victor wollte jetzt nicht so tun, als läge ihm das Schicksal der gewöhnlichen Arbeitnehmerschaft allzu sehr am Herzen. Unter seiner schnieken Oberfläche verbarg sich ein gerissener, harter Hund. Er war viel zu sehr Finanzmanager, als dass ihn das Mitleid mit der geplagten Werktätigenklasse emotional hätte davonschwemmen können. Wer bedauerte denn ihn wegen seiner Verluste? Na also …
Abgeklärt schaute Victor zu, wie sich der Tagungssaal langsam füllte. Solche Massenaufmärsche waren nichts Neues für ihn. Von derartigen Versammlungen hatte er im Schnitt drei pro Monat. Bei den meisten war der Anlass freilich wesentlich erfreulicher. Immer mehr Personen nahmen ihre Plätze hinter den schlichten, in langen Reihen aufgestellten Bürotischen ein. O ja, die Zeichen standen auf Sturm. Spruchbänder, Banner und Plakate wurden ausgerollt und aufgehängt, und nicht ein freundliches Wort stand auf ihnen zu lesen. Oder doch, eines vielleicht! „Theo, lass dich nicht gehen. Geh selbst!“ War doch nett.
Victor weidete sich geradezu an den grimmigen Mienen seiner Aktionärskollegen. So egoistisch sie auch sonst in ihren Entschlüssen waren, hier waren sich mal alle einig. Die Unternehmensleitung musste weg, und heute würde sie hinfort gefegt werden. Das war sicher. Victor konnte sich deshalb so gewiss geben, weil es im Grunde ausschließlich von seiner Entscheidung abhing. Wenn er sich nachher bei den entsprechenden Abstimmungen sperrte, war es für Wurm und seine Gang vorbei. Victor verfügte einfach über zu viele Anteile, um noch länger ignoriert zu werden. In den letzten Monaten hatte er trotz der prekären Lage des Unternehmens noch mal kräftig zugekauft. Jetzt kam niemand mehr an ihm vorbei. Außerdem hatte er eine breite Phalanx aufgebaut. Seine Schlachtlinie reichte vom Bund der Kleinaktionäre bis hin zu den starken Kreditgeberbanken. Sie alle würden mit ihm stimmen. Eigentlich war der Vorstand selber schuld. Spätestens mit seiner dreisten Squeeze-out-Taktik hatte er die Eigner der im Streubesitz befindlichen Aktien – also der frei am Markt handelbaren Papiere – zutiefst und für alle Zeiten verprellt. Squeeze-out ist der börsentechnische Ausdruck für einen Vorgang, der sich vergleichen lässt mit dem Bemühen eines Elefanten, sich die Mücken, Zecken, Flöhe und Milben von seiner Haut zu pusten. Nun, in diesem Fall war das Ganze schiefgegangen. Das Kleinvieh hatte sich nicht ausquetschen lassen, es hing immer noch fest im Pelz und stand voll im Saft. So, und nun ging’s andersrum weiter, die Mücken würden den Elefanten fällen, ihn beharrlich zu Boden piksen.
Die restlichen Vorstandsmitglieder waren in der Zwischenzeit eingetrudelt. Pagen eilten zu den noch im Flur stehenden Gästen und teilten ihnen mit, dass es in fünf Minuten los gehe. Man solle doch jetzt bitte den Sitzungssaal betreten.
Roswitha hechelte heran, beschwert mit zwei riesigen Ordnern. Victor nickte ihr aufmunternd zu, ihrem entschuldigenden Dackelblick Rechnung tragend. Er ließ ihr den Vortritt, als sie eintraten. Gemessen schritten sie beide zu ihrem Platz. Vorne halblinks, zweite Reihe, zwischen dem Vertreter der Deutschen Bank und dem Chef des Betriebsrates. Der Versammlungsleiter trat ans Mikro, das Gemurmel hörte auf, der kurzen Begrüßung folgte die unnötige Vorstellung der auf dem Podium vertretenen Sachbereichsleiter, Direktoren und Vorständler. Dann begann die Beichte. Die nächsten zwei Stunden wurden bestimmt durch Zahlen, größtenteils rote, und ernste Gesichter, ebenfalls zumeist in rot. Die Ausführungen liefen samt und sonders auf das Gleiche raus: Fallende Erlöse, steigende Beschaffungspreise, ein daraus resultierender Negativgewinn. Alte Hüte, stand alles schon in der Bilanz. Langeweile kam dennoch nicht auf. Die Ersten fingen an zu Murren. Hie und da fielen auch Kraftausdrücke. Die Stimmung heizte sich auf. Victor gefiel’s. Der Tag nahm den erwarteten, erwünschten Verlauf. Vergnügt beobachtete er Dr. Theo Wurm, der unruhig auf seinem Sitz herumrutschte. „Heute ist Dein letzter Tag an der Unternehmensspitze“, schickte Victor seinem Gegenspieler ein telepathisches Grußwort, „gleich stürze ich dich.“
Wurm schien die gedankliche Botschaft tatsächlich vernommen zu haben. Erschrocken hob er den Kopf und starrte suchend, mit angstvoll flackerndem Blick ins Publikum. Er fand nur Wut und Feindseligkeit. Mutlos krümmte sich das Würmchen wieder auf seinem Stuhl zusammen. Aber ihm war nur eine kurze Zeit in seiner Deckung gewährenden Fötushaltung vergönnt. Er musste nun ran. Sein Redebeitrag war fällig. Na dann, gute Nacht! Wurms Vortrag wurde der erwartete Rohrkrepierer. Tapfer trat der Oberboss unter dem eisigen Schweigen des Publikums ans Redepult – und anschließend von einem Fettnäpfchen ins nächste. Böse ausgedrückt, seine Rede war das verbale Äquivalent seiner sich dem Ende neigenden Amtszeit, nämlich eine Serie von Pannen. Wurm startete mit einem Witz und ging damit direkt baden. Das Schweigen wurde nur noch lauter, obwohl der Joke gar nicht mal übel gewesen war. Wurms anschließender Versuch, mit ausgeklügelten Zahlenspielen Kompetenz auszudrücken, brachte ihm hingegen nur Gelächter ein. Als dann auch noch bei seiner PowerPoint-Präsentation der Projektor ausfiel, konnte er sein Vorhaben vergessen, sich als Kämpfer aufzuspielen. Sein fast hysterischer Zornesausbruch ließ ihn jetzt zu allem Überfluss auch noch hilflos ausschauen. Victor schmunzelte wie der Li-La-Launebär. Wurm war mit den Nerven runter. Neben ihm wirkte sogar Roswitha kühl wie ein Eisblock. Mit dem Einsetzen des Frage- und Antwortteils zog Victor die Schlinge um den Hals des Wurms zu. Seine Verbündeten und er schossen abwechselnd ihre Wortpfeile ab, und keiner verfehlte sein Ziel. Ihre Zwischenrufe und -fragen zerschnitten Wurm förmlich. Der Vorsitzende sah aus, als stünde er gefangen in einem Gitternetz aus Laserstrahlen. Widersprüche, Rüffel, Anfechtungen, Drohungen, Insulte und Beschwerden prasselten auf den Vorstandschef ein. Stich für Stich wurde er zerfräst. Victor lief zu Höchstform auf. Anhand Roswithas profunder Infomappen zerpflückte er jedes Gegenargument des Wurms schon im Ansatz. Während seine Assistentin bewundernd zu ihm aufschaute, legte Victor einen wahren Erweckungsgottesdienst hin mit ihm als neuen Messias. Sein Widersacher zerfiel hingegen förmlich zu Staub. Mittlerweile bot Wurm ein zutiefst jämmerliches Bild, sogar im Nadelgestreiften sah er schäbig aus. Durch ständiges Nesteln war die Krawatte verrutscht, sein Kragen hing schief und der oberste Hemdknopf hatte sich gelöst. Zu seinem ramponierten Aussehen kam noch eine ausgeprägte Leichenbittermiene. Alles was noch an Wurm glänzte, war der Schweiß. Bis in die letzte Reihe war erkennbar, wie ihm die Suppe die Stirn hinunterrann. Klatschnass klebte das spärliche Haar am Kopf, an der Nasenspitze sammelten sich dicke Tropfen, die alle zwei Minuten aufs Pult platschten. Nach etwa einer Stunde Trommelfeuer verpasste Victor dem schwer Angeschlagenen den Todesstoß. „Wir erwarten, dass Sie die Konsequenzen ziehen, Herr Dr. Wurm!“, blaffte er. Der Beifall war tosend. Wurm, ganz Opfer, wankte geschlagen zurück zu seinem Platz. Nun denn, formulierte Victor im Geiste in Imperatormanier, so lasset denn die Abstimmungen beginnen. Doch daraus wurde vorerst nichts. Ein Redner stand noch aus, und zwar Dr. Thomas Brennecke, der Finanzchef des Konzerns, der Herr aller Konten. Victor traf es wie ein Blitz. Meine Fresse, sieht der Kerl gut aus, dachte er. Ein junger David Bowie stand vor ihm, gewandet wie der ältere David Bowie. Victors Atem wurde heiß. Gebannt starrte er in Richtung Podium und suchte die dort stehende Gestalt nach Schönheitsfehlern ab. Er entdeckte keine. Sogar das etwas zu lange Haar im Nacken und die leicht unregelmäßigen Zähne störten nicht, sie erhöhten vielmehr den Sexappeal des für seine Position noch erstaunlich jugendlichen Mannes. Nach dem heruntergekommenen Wurm wirkte Brennecke erst recht wie ein junger Gott. Bekleidet war er mit einem Premium Herrenanzug, Schurwolle, grau mit Streifen, der ihn einfach nur umwerfend aussehen ließ. Das Sakko saß in der Länge genau richtig, es endete exakt auf der Mitte zwischen Kragen und Schuhsohlen. Dabei war der Taillenknopf das Zentrum des Anzugs und befand sich etwa auf Höhe des Bauchnabels. Zu dem maßgeschneiderten Anzug trug Brennecke eine handgefertigte Seidenkrawatte, terrakottafarben mit feinen Streifen in Hellblau. Bewundernd tastete Victor den sexy Finanzjongleur mit seinen Blicken ab, und er hätte wer weiß was dafür gegeben, wenn er für die Tuchfühlung nicht bloß die Augen, sondern auch die Hände hätte benutzen dürfen. Aaah, der junge Herr Doktor besaß Geschmack, unzweifelhaft. Man musste nicht mal wie Victor ein Klamottennarr sein, um dies zu erkennen. Was für ein edles Stöffchen: Toccami-Qualität, schlank machende Schnittform, mit Mittelschlitz und schmalen Revers, Paspel-Pattentaschen, klassische Hose ohne Bundfalte. Victor nickte anerkennend. Yessir, so ein Sakko würde er sich auch zulegen, und zwar gleich, nachdem er hier raus war. Brennecke hatte noch kein Wort gesagt, und doch gehörte der Saal bereits ihm. Hinreißend elegant, aber trotzdem lässig stand er da und ließ seine Präsenz auf die sich unversehens beruhigende Allgemeinheit wirken. Ganz hinten in Victors Hirn bimmelte ganz, ganz leise noch eine letzte Alarmglocke. So sportlich und frisch Brennecke auch wirkte, der Aufputz war vielleicht eine Spur zu clean. Victor versuchte, sich zu sammeln. Er musste aufpassen, durfte sich nicht durch dieses „Impression Management“ die Sinne vernebeln lassen. Doch dann zeigte der diplomierte Mathemagier ein unwiderstehliches Lausbubenlächeln, und der letzte Widerstand im Saal erlahmte. Auch Victor, aus zahllosen Konferenzen als strahlender Sieger hervorgegangen, fiel ohne einen einzigen Schuss Pulver. Völlig baff ließ er sich willenlos von Wurms Joker durch den Soll-und-Haben-Dschungel führen. Und was konnte Brennecke reden. Mannomann, wirklich herrlich, als wäre Cicero wiederauferstanden. Brennecke sprach ruhig, beinahe leise, aber sein samtiges Timbre ließ das Publikum und ganz speziell Victor an seinen Lippen kleben. Was er sagte, hatte Hand und Fuß, jedenfalls hätte jeder Zuhörer dies beschworen. Gemeinplätze wurden plötzlich zu Wortgewalt, Entschuldigungen zu Erfolgsgeschichten, Defizitberichte zu Kampfansagen. Victor entgingen die rhetorischen Kniffe nicht, dafür beherrschte er sie selbst gut genug. Allein, er konnte sich nicht wehren. Mit offenem Mund hockte er in einer rosaroten Wolke, festgezurrt von ihren Schlieren und benommen von ihrem Dunst. Als würde er von Schalmeienklängen umschmeichelt, saß Victor becirct da und lauschte. Alles, was zuvor grundfalsch gewesen war, mutete nun richtig an oder kam Victor zumindest halb so schlimm vor. Die immensen Beschaffungskosten für Rohstoffe – nun gut, was sein muss, muss eben sein. Die auf breiter Front unangemessen hohen Löhne und Gehälter – was soll’s, man muss auch gönnen können. Und dass die Produktpalette falsch zusammengestellt worden war – na ja, wir alle machen Fehler. Mit dem Begriff Missmanagement ist man immer so leicht bei der Hand, dabei geziemt es sich nicht, vorschnell zu urteilen, besonders nicht in der Hochfinanz. Gut, sicher, dass einige wichtige Patente verschlampt worden waren, hätte man verhindern müssen. Aber in dem hektischen Tagesgeschäft kann einem echt schon mal was durchgehen, und es war ja schließlich keine Absicht gewesen. Bestimmt nicht! Außerdem sei gar nicht die Führungsriege für das gegenwärtige Dilemma verantwortlich, sondern der Staat. Na klar, wer sonst! Die Rahmenbedingungen stimmten nicht mehr, besonders galt dies im Bereich der Steuern. Warum sonst würde die Chemoroxx in Ländern der so genannten Dritten Welt expandieren wollen und dort so rasch Fuß fassen? Victor schämte sich jetzt beinahe. Was zuvor gerechter Zorn gewesen war, erschien ihm nun als peinliche Erbsenzählerei. Drei Millionen Euro hatte Victor die Unfähigkeit der Firmenleitung gekostet, aber ach, sei’s drum, er besaß ja noch sieben. Verzückt horchte er Brenneckes In-extenso-Erläuterungen zum Themenbereich „Absatzschwankungen bei modifizierten Siliconen und organischen Oligomeren“. Mensch, wenn er gewusst hätte, wie interessant und spannend dieses Sachgebiet war, hätte er sich schon viel eher damit beschäftigt. Hach, Dr. Tom, was bist du süß, schwärmte er in Gedanken wie ein liebestoller Teenager. So begeistert er zunächst von dem noblen Fulldress gewesen war, so sehr störten ihn nun die Stoffbahnen. Unwillkürlich begann er, sich Dr. Tom nackt vorzustellen. Das Wasser lief ihm dabei im Mund zusammen. In seinem Oberstübchen spulte Victor seinen eigenen Film ab: Pink Narcissus Part 2. Er bemerkte gar nicht, dass er nunmehr beinahe ebenso stark transpirierte wie sein Erzfeind Theo Wurm. Aber er bemerkte etwas anderes. Herrje, das letzte Mal, dass er so einen Ständer gehabt hatte, war noch zu der Zeit von Helmut Kohls Kanzlerschaft gewesen. Hätte man ihn jetzt nach vorn ans Podium gebeten, wäre er gezwungenermaßen auf drei Beinen dorthin gestelzt. Victor bemühte sich, an etwas Unattraktives oder gar Widerliches zu denken. Frösche, Spinnen, der Nudelauflauf seiner Mutter … nichts half. Im Gegenteil, sein bestes Stück legte befremdlicherweise noch an Ausdehnung zu. Verdammt, musste ausgerechnet jetzt seine Libido entflammen?! Victor schwitzte Blut und Wasser. Wenn das nun jemand sah … Er strengte sich weiter an, seine Fantasie warf bereits Blasen: gekochter Spinat, eine Raucherlunge, Punk Outfits, Inge Meysel, verwesende Leichen … willst du wohl einlaufen … noch mehr Spinnen, Frauenfußball … Dr. Theo Wurm! Flopp, sein Freudenspender zog sich wie schockgefrostet zusammen. Na Gott sei Dank, atmete Victor auf, das war knapp gewesen! Er gewahrte, dass Roswitha ihn verlegen musterte. Sie hatte sicherlich etwas bemerkt, ihr enttäuschter Blick sprach Bände. Als Victor sie unsicher anlächelte, blickte sie bockig nach vorn. Victor tat es ihr gleich. Zum Henker, Dr. Tom stand dort noch immer im Adamskostüm. Mit aller Konzentration bemühte sich Victor, ihn wieder anzuziehen. Es half nichts, die Blutgefäße schwollen erneut an. Nur Augenblicke später hatte er abermals einer Boner in Fahnenmastgröße. Aber jetzt war ihm das auch egal. Er hatte es versucht, es ging halt nicht. Und außerdem, eigentlich sollte er sich freuen. Immerhin war er nicht mehr der Jüngste, dass er ohne Pillen oder sonstige Hilfsmittelchen noch zu solch einer mächtigen Latte fähig war, verlieh doch Lebensmut. Er verkantete die Beine in sichtversperrender Stellung, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ seinen Kopffilm weiterlaufen. Trotz seiner verkrampften, unbequem Körperhaltung entspannte er innerlich. Während sich seine Gedanken um „La bella figura“ drehten, endete Dr. Brenneckes Redebeitrag. Die Abstimmungsprozedur startete. Punkt für Punkt wurde nun mit Bitte um Handzeichen über das Wohl und Wehe der Chemoroxx entschieden. Victor bekam von alledem nichts mit. Er saß da und träumte. Er bemerkte nicht, wie die Zeit verstrich, bekam nichts mit von dem Tuscheln um ihn herum und erst recht nichts von den zahlreichen fragenden Blicken. Auch Roswithas verzweifeltes Stupsen und Armrütteln schreckte ihn nicht auf. Mit einer unwirschen Geste und einem bösen Zischeln bedeutete er ihr zu schweigen, und treu wie sie war, folgte sie ergeben. Verklärt hing Victor seinen erotischen Fantasien nach, die Augen geschlossen und die Ohren auf Durchzug. Dann war die Sitzung vorbei. Der Vorstand droben auf der Bühne applaudierte schüchtern, unten im Auditorium herrschte Fassungslosigkeit an der Grenze zum Entsetzen und Totenstille. Eben diese abnorme Geräuschlosigkeit ließ Victor aufwachen. Verwirrt schaute er sich um, irgendetwas stimmte nicht. Was sollen denn all die bösen Blicke, grübelte er … Dr. Wurm trat die Stiegen der kleinen Treppe hinab, trat mit dankbarer Miene und Tränen in den Augen zu Victor und schüttelte dem völlig Verdutzten voller Rührung die Hand. Sogar einen Schulterklopfer gab es. Langsam realisierte Victor, was da gerade passiert war. Das durfte doch nicht wahr sein! Er hatte sich blenden lassen, war eingelullt worden von einer hübschen Larve. Sein Magen, sein Herz, seine Atemwege, sein Gehirn – es gab kein Organ in seinem Körper, das sich nicht zusammenklumpte. „Ach du Scheiße“, war alles, was er denken konnte, immer nur „Ach du Scheiße“. Fast eine Viertelstunde stand er wie vom Donner gerührt im Raum, Mittelpunkt der wütenden Musterungen und geifernden Hasstiraden derjenigen, die nicht zum Buffet abgedampft waren. Roswitha hatte bei ihm ausgeharrt, aber nur widerwillig und aus Pflichtgefühl. Als sie sah, dass das Blut wieder durch seinen Kreislauf zu pulsieren begann, hielt sie ihre Aufgabe für beendet.
„Ich geh dann mal zum Wagen“, bemerkte sie spitz. Und weg war sie. Ohne zu stolpern.
Mit eckigen Bewegungen drehte sich Victor um in Richtung Ausgang. Am hinteren Ende des Saales sah er Dr. Thomas Brennecke stehen, ein Gläschen Sekt in der Hand und im Plausch mit ein paar VIPs. Kurz streiften sich sein und Victors Blick. Brennecke lächelte, aber keineswegs hämisch. Er nickte Victor sogar freundlich zu. Nanu, sollte da vielleicht was gehen? Jäh fand Victor wieder in die Rolle des Jägers zurück. Die Schlacht mochte verloren sein, wahrscheinlich sogar der Krieg, aber zu Beutefeldzügen kann man zum Glück immer wieder aufs Neue aufbrechen. Irgendwo gibt es immer irgendwas zu gewinnen, Begehrenswertes existiert in den verschiedensten Formen. Diese Vielfalt sollte man unbedingt ausnutzen, keine Gelegenheit zur Eroberung verstreichen lassen. Wer nicht kämpft, hat schon verloren – im Krieg wie in der Liebe!
Margot Käßmann zog heute die Konsequenzen aus ihrer Autofahrt unter Alkoholeinfluss und trat von ihren Ämtern zurück. Ein Schritt, der Respekt verdient.
Nein, sie hat nicht den Kopf in den Sand gesteckt und die Sache ausgesessen. Sie hat nicht darauf gehofft, dass über den Vorfall irgendwann Gras wachsen würde. Sie hat keine Entschuldigung und keine dumme Ausrede gesucht, um im Amt bleiben zu können.
Margot Käßmann ist heute einen Weg gegangen, den man sich in der Vergangenheit von manchem Politiker gewünscht hätte: Sie hat sich zu ihrem Fehlverhalten bekannt und ist von ihren Ämtern als Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zurückgetreten.
Am vergangenen Samstag hatte sie mit einem Blutalkoholwert von 1,54 Promille eine rote Ampel missachtet. Man mag es Zufall nennen, oder Glück, oder auch göttliche Vorsehung, dass dabei niemand zu Schaden kam. Doch auch wenn die Sache glimpflich abgegangen ist: Eine Trunkenheitsfahrt mit einem Wert ab 1,1 Promille gilt generell als Straftat und wird mit einer Geldstrafe, 7 Punkten in Flensburg und dem Entzug der Fahrerlaubnis geahndet.
Kann jemand, der eine Straftat begangen hat, noch eine moralische Instanz sein? In den Augen Margot Käßmanns nicht. Sie begründet ihren Rücktritt damit, dass sie nicht mit der notwendigen Autorität im Amt bleiben könne. Damit beugt sie sich ihrer eigenen Moral und wirft diese nicht um der Macht willen über Bord.
In ihrer Presseerklärung hat sie sich bei allen bedankt, die sie auf ihrem Weg begleitet haben. Und sie endete mit einer Feststellung, die sie auf ihrem weiteren Weg als Pastorin begleiten wird: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“
Für sie ist gerade jetzt die Zeit, da sie diese Hand braucht.
Heute hab ich etwas sehr Charmantes auf Youtube entdeckt: Google-Geschichten. Hier bestätigt sich mal wieder, dass eine einfache Idee oft zu wirkungsvolleren Ergebnissen führt, als kompliziert ausgeklügelte Geschichten. Schaut es Euch an!
Traumwerkstatt für Raketenpioniere, Wissenschaft und Forschung, aber auch die Brutstätte einer neuen „Vergeltungswaffe“
Nein, wahrlich kein schauriger Anblick, kein Gefühl des Verbrechens nimmt mich nach dem Ausstieg aus der Bahn gefangen. Die Häuser entlang der Straße zum Verfall verdammt, zerschlagene Fenster, zerstörte Unterkünfte einer einst gut situierten Arbeitnehmerschaft, so wie man es noch an vielen Orten sehen kann. Die Natur bemächtigt sich ihrer und möchte schon Gras darüber wachsen lassen.
Nicht einmal der Eingang zum Museum schreckt mich auf.
Doch nur wenige Schritte später und ersten Berichten Überlebender lauschend, nimmt mich die Deutsche Geschichte gefangen.
Die riesige Halle, einst das Kraftwerk der Heeresversuchsanstalt, mit den drei mächtigen Schornsteinen, deutet schon das große Wahnsinnsprojekt, welches innerhalb kürzester Zeit zwischen 1936-1945 aus dem Boden gestampft wurde, die Machtgier und den Geltungsdrang an:
Auf diesem Stück Land befand sich Göbbels Brutstätte für seine Vergeltungs- und Demoralisierungswaffe, hier wurde die Rakete zum Zweck der Zerstörung und militärischer Überlegenheit gebaut, so ihrer Unschuld beraubt, ein Traumflieger zu den Gestirnen zu sein.
Hier lebten Forscher, Wissenschaftler und Militärgesandte in besten Unterkünften inklusive Urlaub an der See und rauschenden Festen.
Dort nebenan wurden Deportierte, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter angekarrt, zusammengepfercht unter unmenschlichen Bedingungen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Hier Ruhm und Geltungsdrang – Dort reiner Überlebenskampf
Hier die Träume der Menschheit in greifbarer Nähe – Dort alles zum Zwecke der Machtergreifung und alltägliche Grausamkeiten an den Menschen
Eine eigene abgeschottete Stadt, die soviel Erfinder- und Pioniergeistgeist in sich barg, welches der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber Mensch, Natur ,Ethik und Moral nicht gerecht wurde und so unendliches Elend für viele Tausende von Menschen hervorbrachte, die einfach benutzt wurden als Arbeitsmaterial und jeder Zeit als erneuerbar galten.
Und doch schaue ich zum Himmel, sehe in die Tiefe des Universums und fühle für einen Moment den Wunsch, nach den Sternen zu greifen, ihnen ein Stückchen näher zu kommen, ein Winziges ihrer Geheimnisse lüften und verstehen zu können. Mein Gefühl, so weit vom Bestreben nach Macht, Gewalt und Vernichtung entfernt, verliert sich in Melancholie und Traurigkeit beim Eintritt in die riesige Halle.
Auf einfache Art und Weise und wohl gerade deshalb so beeindruckend, unter die Haut gehend wird die Geschichte des 2.Weltkrieges dokumentiert.
Beginnend mit den Versailler Verträgen, Ausbreitung der Schlachtfelder, UN-Charta, Kinderlandverschickung, Vertreibung, Verluste, Elend, Technisches Wettrüsten, Kalter Krieg und Peenemünde mittendrin:
Denn genau hier gelang im Oktober 1942 der technische Durchbruch. Die erste Fernrakete wurde gezündet, jedoch nur zum Zweck, dem Militär größere Überlegenheit zu geben.
Beklemmung macht sich breit, kein Lachen, ernste und traurige Gesichter, Blicke des Unverständnisses bis hin zur Hilflosigkeit begegnen mir. Und auch ich trage all diese Gefühle von Raum zu Raum auch in mir. Meine Eltern kommen mir in den Sinn, selbst noch Kinder in jener Zeit, mussten flüchten, sich in Kellerräumen verstecken, zusammengepfercht, immer die heulende Sirene im Ohr. Ein Ton, der sich für alle Ewigkeit einprägt, sich unauslöschlich im Hirn eingebettet hat und sie auch später noch bei Alarmübungen zusammenzucken ließ.
Das Knacken, Knallen, die pfeifenden Geräusche der Bomben, das Bersten einer gefüllten Wasserleitung, die tödliche und zerstörerische Kraft des Einschlages und das Bröckeln und tosende Zusammenfallen der Häuser- Kartenhäusern gleich- waren sie doch bis dato Schutzburg und boten immer das wohlbekannte Dach über dem Kopf.
Schwarzweißfotos an der Wand
Mutter und Sohn, alleine zwischen all den zerbombten Häusern, ihr ganzes Hab und Gut in einem Koffer- überlebt, ja, das haben sie, ihre Blicke spiegeln all die Trauer und Hoffnungslosigkeit deren ein Mensch fähig ist, gepaart mit dem Unverständnis und keinerlei Kraft für die Frage nach dem – Warum -.
Hilflos stehe ich vor diesem Foto. Tränen steigen in mir auf, wollen einfach wegspülen, was so schwer zu ertragen und wohl nie zu verstehen sein wird. Schnell verlasse ich diesen letzten Raum, um mich zu fangen und wieder ruhig atmen zu können.
Am Ende des Rundgangs noch Fotos vom Weltall, ebenso von unserem wunderschönen Blauen Planeten. Ein Sandkorn nur im Universum, doch für uns auf Erden bedeutet es
LEBEN
Und in diesem Moment fällt mir wieder der Spruch von I. Kant ein, welchen ich auf einer Stele vor dem Museum gelesen habe:
Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt:
Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir!
Immanuel Kant (1724-1804)
Au weia. Gestern war hier im Chat vielleicht was los. Man könnte glatt meinen, es ist Vollmond 🙂
Unter anderem entstand die Idee für eine gemeinsame Fortsetzungsgeschichte, in der unbedingt die Wörter Roulade, Rollade und Rollator vorkommen müssen.
Mit genau dieser geht es jetzt los. Jeder darf mitschreiben. Die Fortsetzung wird jeweils als Kommentar hier unter den Artikel gesetzt. Jede Fortsetzung darf höchstens 10 Zeilen lang sein. Ich füge die Fortsetzungen einmal am Tag an die Geschichte an. Alles klar? Dann geht’s los:
Mit geschickter Hand zog Karl die Krawatte zurecht. Ein prüfender Blick in den Spiegel bestätigte ihm, dass er in den kommenden Stunden zumindest optisch einen guten Eindruck machen würde. Noch einmal kämmte er sein Haar quer über die kahle Stelle auf seinem Hinterkopf. Noch ein wenig Taft, dann waren die Strähnen derart fixiert, dass sie auch bei Windstärke 6 nicht kraftlos neben dem Ohr herabsinken würden. Karl schlurfte in den Flur, zog Mantel, Schal und Hut an und begab sich dann, auf den Rollator gestützt, auf den Weg zum Fahrstuhl.
In Gedanken sah er sich mit federndem Schritt und lässigem Schwung in der Hüfte, den Weg bis zum Lift gehen. Seine eingeschränkte Mobilität machte ihm sehr zu schaffen. Zumal seine Eitelkeit es nicht erlaubte, sich mit dem Rolator zu zeigen. Mürrisch sah er sich in der Spiegelwand des Fahrstuhls an. Wenigstens konnte er so sehen, ob die Strähnen dekorativ gelegt waren.
Einen Moment zu lange hat er sich bewundert. Kurz bevor Karl an der Tür ist, schließt die Kabine sich wieder und bringt ihn in den 7. Stock. Bestimmt muss er dann auch wieder mit in die Tiefgarage fahren. Er mag es nämlich gar nicht, wenn Jemand seinetwegen warten muss.
Frau Schmitz. Schon wieder! Als sich die Fahrstuhltür öffnete, wünschte sich Karl nichts sehnlicher, als mit einem gewagten Sprung dem Fahrstuhl entfliehen und die Treppen hinablaufen zu können. Doch nun war er mit diesem Quasselweib im Lift gefangen und es gab kein Entrinnen. “Oooh, Herr Wedel, Sie haben sich aber fein gemacht! Man könnte ja meinen, sie hätten ein Rendevouz!” Sie unterbrach ihr Gesäusel für 5 Sekunden, wohl in der Erwartung einer Antwort. ‘Du kannst warten, bis Du schwarz wirst’, dachte Karl und blickte demonstrativ auf die Etagenanzeige, die nur schneckenlangsam Rettung verhieß. Noch 4 Stockwerke. “Mein Mann, Gott hab ihn selig, hat sich ja auch immer so fein gemacht, wenn er mit mir zum Tanzkaffee gegangen ist.” Noch 3. “Er hat immer gesagt ‘Hilde’, hat er gesagt, ‘wenn man ausgeht, muss man gut aussehen’.”
‘Seh ich aus, als wenn ich zum Tanzcafè gehe?’, denkt Karl. ‘Mit dem Rollator! Die Olle hat ne Meise’ Karl guckt grimmig. Frau Schmitz stört das nicht. “Und er hat auch immer gesagt: Hilde, hat er gesagt, man muss das Leben genießen so lange man noch kann. Und nun ist er tot. Schon zwei Jahre.” Erdgeschoss. Gott sei Dank! Karl schickt ein Stoßgebet zur hellerleuchteten Fahrstuhldecke. Aber das Elend nimmt kein Ende. Ausgerechnet die alte Schmitz erdreistet sich, Karl mit ihrem dicken Hintern die Lifttür aufzuhalten, damit er nicht wieder rauf und runter fahren muss. “Kommen Sie Herr Wedel. Ich bleib mal zwischen den Türen stehen, damit die Tür nicht so schnell wieder zugeht.” Es gibt nichts peinlicheres für einen alten Mann, als sich von seiner unbeliebten etwa gleichaltrigen Nachbarin helfen zu lassen. Noch dazu, wenn diese die Hausmafia in Person ist. Morgen spricht der ganze Block darüber, dass er nicht mal mehr allein aus dem Fahrstuhl kommt. ‘Der Tag ist hin. Eigentlich könnt ich nun auch gleich zu Hause bleiben.’ denkt sich Karl, während er ein “Danke Frau Schmitz.” aus sich herauspresst.
Die Worte pressen sich leichter aus seinem Mund als Karl sich an Frau Schmitz vorbei. Ihr volumunöser Körperbau mit den nicht minder ausladenden Brüsten ragen so weit in die Fahrstuhltür, dass Karl nicht ins Freie gelangt, ohne Körperkontakt mit Frau Schmitz aufzunehmen. Der verzweifelte Versuch, sich durch einen kräftigen Rempler mit dem Rollator etwas mehr Platz zu verschaffen, scheitert kläglich. Die Fahrstuhlmasche ist die einzige Gelegenheit, bei der Frau Schmitz körperliche Nähe zu einem Mann erfährt, und eine solche Chance lässt sie sich nicht entgehen. ‘Es kann nur noch besser werden’, denkt Karl, ’schlimmer wird’s nimmer’.
Als beide in der Tür stecken, scheint sich Frau Schmitz aufzublähen wie ein Luftballon, nichts geht mehr, kein vor, kein zurück. Karl merkt, dass Frau Schmitz die Intimität des Augenblicks genießt. Und er ist überrascht. Nachdem er sich sicher ist, dass niemand in der Nähe ist, fühlt sich der Leib, der sich da an ihn presst, ganz warm an und weich. Aber nur für einen Moment lässt Karl diese Schwäche zu, mit aller Gewalt presst er sich ins Freie. Als der Druck plötzlich nachlässt, schießt Karl mit dem Rollator mit Wucht über den Flur, auf die gegenüberliegende Wand zu. Dann, wie eine Billardkugel, prallt er ab und stürzt die Treppe hinab, ein rasendes Gepolter. Erst auf dem nächsten Flur endet der Unglücksflug. Als er die Augen aufschlägt und beginnt, seine Knochen zu zählen, beugt sich das besorgte Gesicht von Frau Schmitz über ihn. “Karl”, haben Sie sich etwas getan! Bitte, so sprechen Sie doch!
“Hilfe…, Hihilfeeee. Soo helfen Sie uns doch.” Panisch kreischt Frau Schmitz im Hausflur rum. “Pssstttt. Sie trommeln noch das ganze Haus zusammen!” zischt Karl. “Gott sei Dank. Sie leben.” Frau Schmitz ist sichtlich erleichtert. “Ja, ja. So schnell stirbts sich nicht.” brummelt Karl und versucht sich aufzusetzen. ‘Meine Güte, ist das peinlich.’ denkt er sich. ‘Da liege ich dieser Schreckschraube zu Füßen.’ Vergessen ist der kurze Moment des erotischen Knisterns. Jetzt ist praktisches Denken gefragt. Immerhin muss Karl irgendwie wieder in die Senkrechte kommen. Frau Schmitz, die ihm helfend unter die Arme greifen will, wehrt er ab und klapst ihr auf die Finger. “Setzen Sie sich doch bitte auf meinen Rollator. Dann kann ich mich gut aufstützen und komme alleine wieder hoch.” Karls Bitte klingt wie ein Befehl. Frau Schmitz gehorcht und Karl rappelt sich auf die Knie und dann ganz langsam auf die Füße. Ihm wird ein wenig schwummerig und er betastet seinen Hinterkopf. “Oh jeh, das wird ne mächtige Beule.” Frau Schmitz drückt besorgt an Karls Kopf herum.
Eines muss man Juliane Kobjolke wirklich lassen: Mut hat sie! Die stürmische Liebesgeschichte zweier smarter, attraktiver Jungdynamiker aus der (süd-)deutschen Upperclass niederzuschreiben, so etwas traut sich noch nicht mal Hera Lind. Die Frage ist: Kommt die Thüringer Autorin damit durch? Um es gleich vorwegzunehmen: Sie kommt! Dass ihr dies gelingt, liegt an zwei Dingen: Einem gerüttelt Maß sprachlicher Eleganz und einem feinen dramaturgischen Kniff.
Immer, wenn der Schmalz nämlich beginnt, die Buchseiten zusammenzupappen, schlägt das Geschehen in eine Kriminalstory um, und schon ist das Weiterblättern kein Problem mehr. Dieser Wechsel von Romantik und Thrill ist sehr geschickt gemacht. Nicht nur, dass die unterschiedlichen Ebenen den Erzählfluss beleben, die ständige Stimmungsschwankung zwischen gefühlig und bedrohlich bietet dem Leser die Möglichkeit, sich den Zentralfiguren von zwei Seiten zu nähern. Das eine untermauert zudem das andere, was der Handlung einen doppelten Boden verleiht.
Es ist schon erstaunlich. Die beiden Protagonisten, die man im ersten Moment so gern als Yuppies diffamieren möchte, werden einfach nicht unsympathisch oder gar uninteressant. Man gönnt ihnen sogar, dass alles gut ausgehen möge. Und das, obwohl sie sich permanent in Aktivitäten ergehen, von denen man gemeinhin annimmt, dass sie das „Tagwerk“ schnöseliger Wohlstandsjünglinge ausmachen: Porsche fahren, Tiefseetauchen, Cruisen mit der Jacht, Globetrottern … Aber die Gefühlswelten der von Konflikten und Tragödien gebeutelten Hauptfiguren Katinka und Christoph sind einfach zu eindrücklich entworfen, als dass Neid und Missgunst aufkommen könnten. Im Einfangen von Aufgewühltheit und Melancholie beweist die Autorin psychologisches Gespür. So gelingt es ihr auch, gängige Klischees zu unterlaufen. Man glaubt ihr bei der Lektüre unbesehen, dass selbst Leute aus der abgehobenen Oberschicht eine Seele und sogar ein Gewissen haben können. Da stört es denn auch nicht, dass Katinka und Christoph ein gewisser Reißbrettcharakter anhaftet, was ihre äußerliche Beschaffenheit angeht. Man könnte angesichts ihres auf Krawall gebürsteten Innenlebens sogar meinen, eben dieses Stereotyp sollte ganz bewusst unterlaufen werden.
(…) Das Felsenplateau lag in zwölf Metern Tiefe. Das Licht hatte nicht mehr die Kraft des Tages und während sie an der Riffkante absanken, wurde das Wasser merklich kühl. Trotz der ausgezeichneten Sichtweite umgab sie bald eine schummrige Dämmerung, welche weniger Waghalsige bereits das Gruseln gelehrt hätte. Katinka jedoch hatte es immer geliebt, in den Abendstunden zu tauchen. Aus zahlreichen düsteren Felsspalten lugten Muränen, beäugten die Besucher starren Blicks. Alle paar Sekunden klappten sie ihre Mäuler auf und zu, zeigten ihre spitzen Zähne. Eine Leopardenmuräne schnippte blitzartig hervor, schloss den Kiefer um eine ahnungslos vorbeischwimmende Brasse und verschwand ebenso schnell, wie sie erschienen war, im Dunkel des Felsens. Den orange gestreiften Clownfisch, der Katinka und Christoph seit einigen Metern begleitete, hatte sie verschont. Clownfische waren für ihre Neugier bekannt, dieses Exemplar machte keine Ausnahme, zeigte sich überdies besonders mutig, als er sich vor Katinka stellte und ihr frech in die Maske schaute. (…)
Überhaupt prägt das Buch ein ungeheurer Sprachzauber. Beschreibungen von höchster Detailgenauigkeit verdichten sich zu einer geradezu filmreifen Bildhaftigkeit. Wenn Juliane Kobjolke beispielsweise über die Unterwasserwelt referiert, möchte man selbst als ausgewiesener Tauchmuffel mit hinunter in die Tiefe, so farbig mutet das dunkle Blau an. Lässt die Tochter einer Deutschlehrerin Street Kids miteinander reden, dann trifft sie genau den Jargon. Jeder, der selbst schreibt, wird wissen, wie schwierig es ist, Jugendsprache wiederzugeben, ohne dass der Soziolekt krampfhaft bemüht und gekünstelt rüberkommt. Die gelernte Informatikerin (!) hat das hingekriegt. Nie wirkt der Slang aufgesetzt, der Ton ist durchgehend stimmig. An dieser Stelle ein Tipp für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, selbst mal zu schriftstellern: Dieses Buch erspart den nächsten Kursus für kreatives Schreiben. Man kann sich hier in Sachen Sprache einiges abschauen.
Eine echte Schwäche hat der Roman allerdings: Es regiert zu oft der Zufall. Manche Ereignisse und Begegnungen sind in hohem Maße unwahrscheinlich, um es freundlich auszudrücken. Für Lovestorys mögen Zufälle zwar durchaus ein belebendes, emotionalisierendes Element sein, Kriminalgeschichten verleihen sie hingegen in der Regel eine Attitüde des Laissez-faire. Haben diese Deus-ex-machina-Effekte bei Herzensangelegenheiten durchaus ihren Sinn (wer wünscht sich nicht bei der Partnersuche Einmischung von oben?), so wirken sie im Crime-Fach unangenehm manipulativ. In diesem Bereich hätte „Atlantik Allee“ mehr Raffinesse und detektivische Feinarbeit vertragen können.
Auch löst sich am Ende alles zu glatt auf. Auf den letzten Seiten wird der Roman zu dem, was er zuvor nicht hat sein dürfen und was bis dahin wirklich geschickt vermieden wurde: Soap! Das aber ist kein Versehen. Es hat auch nichts mit Stilunsicherheit zu tun. Dies ist ohne Zweifel von der Autorin so gewollt – und von der breiten Leserschaft wohl auch so gewünscht!
Englisch wird die Arbeitssprache. Jeder muss Englisch verstehen und Englisch sprechen können.
Das sagt unser neuer EU-Kommissar Günther Oettinger. Und er geht selbst mit bestem Beispiel voran: