Der Anfang ist gemacht…und nun?
Seit Monaten liegen die ersten Seiten eines (Kurz)Romans bei mir herum. Obwohl ich ganz genau weiß, wo ich hinwill, kann ich nicht weiterschreiben (ich ahne ihr wisst, was ich meine)….Hier sind einige Zeilen für euch, seid nicht geizig mit Kommentaren, vielleicht helfen sie mir dieses Projekt in irgendeiner Form zu beenden… 🙂
I
Ich war ein liebes Kind. Ich war ruhig und gehorsam, gelehrig und hilfsbereit schon als Kleinkind. Oft sprachen meine Eltern in meiner Gegenwart, jedoch immer von mir in dritter Person, darüber, wie entlastend es doch sei, dass ich ihnen so wenig Kummer bereitete und dass man mir ohne Bedenken Aufgaben erteilen konnte, die sonst nur für ältere Kinder bestimmt waren. Ich war ein problemloses, liebes Kind und ich war stolz auf meine Begabung. Angespornt vom Ehrgeiz den Erwartungen meiner Eltern weiterhin gerecht zu werden und dem Wunsch Anerkennung und Liebe zu ernten durchstrebte ich meine Kindheit. Mutter und Vater gingen ihrer Vollbeschäftigung im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat nach und ich tat es ihnen, wie es von mir erwartet wurde, nach. Erwachsene gingen nun einmal zur Arbeit und Kinder in die Kinderkrippe, in den Kindergarten und dann in die Schule – ganztägig. So war es und diente dem Wohle aller. Man setzte sich nicht faul zu Hause auf die Backen, jeder hatte seinen Teil beizusteuern. Ich konnte sogar einen sehr großen Teil zum Wohle der Allgemeinheit beisteuern, denn ich war oft als Erste im Kindergarten und blieb bis zum Schluss, manchmal sogar noch ein bisschen länger. Dann gab mir Tante Brenner wichtige Aufgaben wie Aufräumen, Blumen gießen und Auskehren, bis ich abgeholt wurde. Zugegebenermaßen habe ich auch das eine oder andere Mal Unsinn verzapft, aber Tante Brenner war eine hervorragende Kindergärtnerin und wies mich mit ihrem umfangreichen pädagogischen Fachwissen schnell wieder in die richtige Spur.
Schnell war klar, dass es im Kindergarten wichtige Regeln zu befolgen gab. Ich versprach jeden Morgen beim Abschied, bestimmt auf die Tante zu hören und schön lieb zu sein, denn ich war ja schon ein großes Mädchen. Doch einige Dinge konnte eben auch ein großes Mädchen nicht im ersten Anlauf. Da wir Kinder den ganzen Tag im Kindergarten verbrachten, nahmen wir auch unsere Mahlzeiten gemeinsam ein. Mittags wurde von der Köchin im Kindergarten gekocht und wir Kinder erhielten eine ausgewogene Mahlzeit. Wir nahmen sie dankbar an und aßen brav auf, denn es wurde uns schon frühzeitig eingetrichtert, dass es eine Schande wäre das Essen wegzuwerfen, da doch die Kinder in Nikaragua Hunger leiden müssten. Schon damals war mir nicht klar, wie sich mein Verhalten auf die hungernden Kinder auswirken konnte, doch die bildhaften Erklärungen von den dunkelhäutigen Kindern mit dünnen Ärmchen und riesigen Wasserbäuchen hatten mich beeindruckt. Ich gab mir wirklich Mühe immer alles aufzuessen. Das Essen traf mal mehr, mal weniger meinen Geschmack, trotzdem leerte ich meinen Teller vorbildlich. Bis zu dem Tag, als ich das Hühnerfrikassee unserer Köchin aufgetragen wurde. Unsere Köchin nahm ihre Arbeit sehr ernst. Auch sie dachte wohl den ganzen Tag an nichts anderes als die hungernden Kinder in Nikaragua und hoffte ihnen einen Dienst zu erweisen, wenn sie jeden Zipfel des Hühnchens verarbeitete. So fand sich dann auch ein riesiges, dickes, wabbeliges, weißes Stück Hühnerhaut auf meinem Teller. Es schüttelte mich bereits beim flüchtigen Hinsehen. Mir war klar, dass ich gegen die Regeln verstoßen würde und mit taten die Kinder in Nikaragua wirklich leid, aber ich konnte nicht. Ich aß den Teller bis auf dieses Stück Schwabbel leer. Das Problem fing schon damit an, dass kein Kind seinen Teller mit meinem aufeinander stellen wollte. Dann krähte der dumme Christian laut über den Tisch: „Tante Brenner, Katja hat nicht aufgegessen!“. Nun starrten mich alle an. Ich wurde dunkelrot bis unter den Haaransatz, so sehr schämte ich mich. Mein Erklärungsversuch stieß auf wenig Mitgefühl. Schließlich entschied Tante Brenner, dass der Nachtisch erst verteilt wurde, wenn a l l e aufgegessen hatten. Ich spürte die fordernden Blicke der anderen Kinder. Meine Gesichtshaut brannte vor Hitze und ich fühlte mich in der Falle. Da mir keine Wahl blieb, nahm ich den Glibberklumpen mit der Geflügelhaut in den Mund. Als ich das unliebsame Stück auf meiner Zunge spürte und draufbiss überkam mich ein Schauer. Dann ging alles ganz schnell. Noch bevor ich irgendetwas dagegen tun konnte, erbrach ich meine ausgewogene Mahlzeit über den Tisch. Die Kinder schrien und mir liefen die Tränen. Mein Gesicht hatte ein schönes Weiß angenommen. Nachtisch bekam ich an diesem Tag nicht. Den hatte ich nicht verdient. Daraufhin habe ich mir im weiteren Verlauf meiner Kindergartenzeit die Technik des >Hinunterwürgens in einem Stück< angeeignet…
Angi
12. Jul 2011
„Hinunterwürgen in einem Stück“ um den Ekel in Grenzen zu halten- besser nicht darauf herumkauen, das macht es noch schlimmer.
Muss man das nicht zuweilen? Etwas schlucken, dass einem anschließend mächtig quer im Magen liegt? Gehört das zum Leben? Vor allem: Muss man das wirklich machen?
Ein klasse Ansatz, denn deine Story spielt ja in der DDR. Hat das Mädchen auch weiterhin schlucken müssen, um gruppenkonform zu sein? Oder hat sie öfter gegen die Regeln verstoßen? LG
enja
12. Jul 2011
Hallo Angie, vielen Dank für deinen Kommentar. Tatsächlich lernt sie früh sich anzupassen um Anerkennung zu erlangen und nicht ausgegrenzt oder bedrängt zu werden, doch noch im Kindesalter erlebt sie die Wende / den Zerfall…Die Story beginnt (nur) in der DDR. Die damaligen Erfahrungen sind wichtig um sich besser in das Mädchens hineinversetzen zu können. Es handelt sich nicht um eine typische Ost-West oder Wende -Geschichte.
enja
12. Jul 2011
Zum Ziel des Romans:
Ich werde die Geschichte eines Mädchens/ einer jungen Frau erzählen, die durch verschiedene Ereignisse (politisch, persönlich, familiär)den Halt im Leben und die Lust am Leben verliert. Darüber, dass es letztlich wichtig ist sich in irgendeiner Form seinen Problemen zu stellen. Ob und wie sie erkennt, dass sie eigentlich nur geliebt werden will…?
Angi
13. Jul 2011
Ja, das dachte ich mir schon und das hast du bereits in den ersten Seiten gut herausgearbeitet.
Spannend: Dem Leser ist noch nicht klar, in welche Richtung sich die Protagonistin entwickeln wird. Es bleibt genug Platz für die eigene Fantasie.
Warum also die Schreibblockade? Der Ansatz ist doch klasse. Ich hatte das, aus persönlichen Gründen, eine ganze Weile und kann dich gut verstehen. Da hilft wohl nur abwarten, aussitzen, sich immer mal wieder mit dem Stoff beschäftigen, dann kommt das wieder.
Mumpitz
13. Jul 2011
Hallo Enja,
mit deinem Hinweis auf das Ziel des Romans ist die Ironie, bisweilen der Sarkasmus deines Beginns zu verstehen. All die Erziehung zur Anpassung und zum Liebsein bekommt dem Mädel nicht gut, das merkt man jeder Zeile an.
Die Erlebnisse, die du erzählst, haben viele ähnlich erlebt – das trägt einerseits zur Identifikation mit der Hauptperson bei, andererseits hat man keinen großen Anreiz, weiterzulesen, weil man die beschriebenen Situationen so oder ähnlich schon kennt.
Vielleicht täte diesem Anfang gut, wenn die Erzählerin schon hier und da auf die spätere Entwicklung hinweist, neugierig macht, auf das, was noch kommt, auf die „Unerhörte Begebenheit“, die sich entwickeln wird, weil die Erziehung so war, wie sie beschrieben wird, so dass man die Zeilen mit Blick auf das Spätere liest und Lust bekommt weiterzzulesen.
Ich hoffe dir geholfen zu haben, schreiben kannst du vielversprechend, finde ich. Apropos ich – ich würde den Roman nicht mit „Ich“ anfangen.
Ciao Mumpitz
Angi
13. Jul 2011
Ein interessanter Aspekt. Doch weil man die beschriebene Situation kennt, möchte man wissen, wie diese Person damit umgeht.
Die Idee auf die spätere Entwicklung hinzuweisen (vielleicht in einem Prolog) finde ich richtig gut.
enja
13. Jul 2011
Vielen Dank für eure sehr konstruktiven Kommentare… Sie haben mir viel Bewegung in meinem Kopf verschafft. Ich werde euch auf dem Laufenden halten und wenn ihr nichts dagegen habt hin und wieder mit Leseproben versorgen. LG Enja
Songline
14. Jul 2011
„An dem Tag, an dem ich den Hühnerschwabbel aß, änderte sich alles. Bis dahin war ich ein liebes Kind. …“
So fängt der Roman nicht mit „ich“ an und baut Spannung auf, indem der Leser
1. alles über den Hühnerschwabbel wissen möchte
2. wissen möchte, wie es nach dem Hühnerschwabbel weiter geht.
Liebe Grüße
Song