Grenzenlos

Ich lache, so laut und kräftig in die Nacht hinein. Drehe mich, tanze ein kleines Stück an der Straße entlang. Es ist ein tolles Gefühl, so frei, so unaufhaltsam. Es durchdringt meinen ganzen Körper. Ein Kribbeln, ein Kribbeln der Freiheit, wie wenn man Fallschirm springt. Ja, es ist sogar ein kleines bisschen so wie fliegen, als ob ich durch die Wolken fliege und irgendwann, wenn ich die richtige Wolke gefunden habe, schwebe ich ein Stück auf ihr, frei wie ein Vogel, so unaufhaltsam. Ich kann hin gehen, wohin ich will. Es dauert keine zwei Sekunden und ich bin da, angekommen im Paradies. In meinem eigenen persönlichen Paradies. Dort ist alles so, wie ich es mir vorgestellt habe. Das Bild, welches die Phantasie entworfen hat, ist plötzlich real. Auf einmal kann ich alles, alles wovon ich je geträumt habe. Ich bin die beste Tänzerin, die beste Sportlerin. Egal was ich wollte, es ist plötzlich wahr. Niemand kann mir etwas vorschreiben. Ich kann tun und lassen was ich möchte. Meine Welt, mein Leben. Ohne Zwang, ohne Dinge, die ich tun muss. Es gibt keinen Zeitdruck mehr. Zeit existiert nicht mehr. Zeit hat keine Bedeutung mehr. Es gibt nur noch das Leben, so wie ich es will. Ich habe soviel Zeit für etwas, wie ich möchte, so viel Zeit, wie ich brauche.

Alle Blumen blühen in den schönsten Farben lila, rot, gelb, weiß, alles ist dabei. Die Bäume kommen mir plötzlich noch höher und riesiger vor. Ihre langen kräftigen Äste wehen im Wind, Blätter wirbeln durch die Luft, mal schnell, mal langsam, hoch und runter. Wie eine Melodie schweben sie sanft durch die Luft. Die Stämme der Bäume sind fest im Boden durch die Wurzeln verankert. Er trägt alles in den Himmel, durch den Wind, den er erzeugt. Er fängt die Dinge von oben auf und gibt neue Dinge nach oben in die Luft frei. Der Baum, er bildet die Verbindung zwischen Erde und Himmel.

Alles kann ich plötzlich verstehen, es gibt keine Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Alles erscheint so klar und doch so unwahr, fast unrealistisch. Ich tanze, tanze durch den Wald, vorbei an der kleinen Lichtung, über die Felder und von den Feldern wieder zurück auf den Weg. Blätter und Blüten wehen durch die Luft. Ich trage ein weißes Kleid. Es kommt mir so vor, als würde ich mit den Blüten und Blättern durch die Luft fliegen. Als ob sie mich heben und durch die Luft schweben lassen. Es macht so unendlich viel Spaß.

Ich laufe weiter durch die Gegend. So frei, so ruhig, so ausgeglichen. Alles gefällt mir, egal was es ist, es fasziniert mich. Die Nacht, so dunkel und mächtig. So kraftvoll und herausfordernd. Dunkel, ein Loch. Ich sehe ein Loch. Es kommt auf mich zu, langsam baut es sich immer mehr vor mir auf. Es ist eine Art Strudel. Ich spüre den Sog. Er zieht mich immer mehr an. Es ist kalt, die Bäume toben. Der Wind wirbelt mir durchs Haar. Ich rutsche immer mehr zu dem Loch hin, es zieht mich an. Es ist jetzt mindestens schon dreimal so groß und breit wie ich. Es zieht mich mit, saugt mich ein, ein Loch, ein dunkles riesiges Loch.

Ich öffne meine Augen. Ich sehe alles verschwommen. Ich reibe mir den Sand aus den Augen. Ich liege in einer Ecke, neben mir liegt meine Tasche. Ich richte mich langsam auf. Mein Kopf brummt, meine Hände zittern. Ich fühle mich schwach, so als ob ich gar nicht geschlafen hätte. Ich schaue auf den kalten harten Boden, vor mir liegt das Foto. Das Foto von dir, das Foto wo du noch glücklich neben mir stehst. Es ist das letzte Foto, was von dir und mir gemeinsam existiert. Ich trage es bei mir, jeden Tag, zu jeder Zeit. Warum bist du nicht mehr bei mir? Warum musstest du gehen? Du hinterlässt mir ein Rätsel. Ein Rätsel, welches niemand lösen kann, außer dir selbst.

Es ist eine Grenze, die ich nicht überwinden kann. Ich spüre dieses Ziehen in mir. Langsam schleicht es sich in mir hoch. Erst still und leise, dann immer stärker. Ein Schmerz in meinem Herzen, eine Erinnerung, eine Grenze die da ist, scheinbar unüberwindbar. Ich merke, wie mir Tränen aus der Augenwand fließen. Sie brennen und sind heiß. Langsam kullern sie an meinen Wangen runter, hinunter zum Kinn, bis sie abfallen. Ich will frei sein, ich will, dass alles gut ist. Langsam greife ich nach meiner Tasche und ziehe den Löffel und den Behälter mit der Flüssigkeit heraus. Ich mische die Flüssigkeit mit Wasser, dann erhitze ich sie mit einem Feuerzeug, welches ich unter den Löffel halte. Danach ziehe ich die Flüssigkeit in eine Spritze, schnüre mir mit dem Gurt den Arm ab und tauche wieder ein, in eine Welt ohne Grenzen.

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Laura Funke