Auf und Ab

Jana steigt im Erdgeschoss in den Fahrstuhl. Sie ist eine der Hauptpersonen dieser Geschichte. Sie drückt auf die 20, 2 Schritt zurück, warten. Derweil steht Alfred im Untergeschoss vor einem Getränkeautomaten. Auch er ist hier Protagonist.
Während die Türen sich vor Jana schließen, entnimmt Nebendarsteller Gregor seiner linken Hosentasche ein Schlüsselbund, ergreift den Generalschlüssel in grüner Plastikeinfassung, steckt ihn ins Schloss und dreht ihn nach links. Die von Jana gewählte Halteanweisung wird daraufhin nachhaltig gelöscht, Fahrtunterbrechung im 3. Stock, Gregor steigt zu, verlässt den Aufzug wieder im sechsten. Dass es keinen Zielbefehl mehr für Etage 20 gibt, bemerkt Jana erst, als sie schon auf dem Weg ins Untergeschoss ist. Die Türen öffnen sich, Alfred betritt die Kabine, drückt auf die 20 und wendet Jana seine rechte Seite zu, den Rücken zur Spiegelwand, welche die Fahrstuhlkabine einseitig auskleidet. Dieser Stellung liegen 3 Überlegungen zu Grunde.

Erstens: Ein vis-a-vis birgt ein zu hohes Risiko für das Auftreten peinlicher, zumeist nonverbal vorgetragener und oft urzeitlich anmutender Kommunikationsartefakte.
Zweitens: Die entgegengesetzte Ausrichtung, also Rücken zur Mitfahrerin, könnte als unhöflich empfunden werden.
Drittens: Der Blick in den Spiegel wirkt eitel.
Es bleibt der Blick auf die Bedienoberfläche des Fahrstuhls. Türen zu, Aufzug fährt los, Jana schaut auf Alfred, Alfred auf die Etagenanzeige, in Stockwerk 4 wendet er den Kopf, deutet ein Nicken an, Jana indes hat sich dem Spiegel zugewandt, spät bemerkt sie seinen Gruß – zu spät, um den Linksschwenk ihres Hauptes noch zu unterbrechen. Also tut sie, als hätte sie nichts gesehen, Alfred tut, als hätte er nicht genickt, stillen Einverständnisses haben beide sich durchschaut.
Er in Zugzwang, da sie seit Stockwerk 7 wieder in Richtung Tür schaut, also Drehung nach rechts, die Blicke treffen sich flüchtig, dann noch einmal im Spiegel, es folgt eine kurze Betrachtung seiner selbst und schließlich das Erreichen der Ausgangsposition. T (Pirouette) = 4 Etagen.
Alfred, in Bewusstwerdung der vollzogenen Tanzeinlage, wird rot wie ein Radieschen, daher schnelle Wendung zur Tür, was Jana 5 Stockwerke an haartechnischen Korrekturarbeiten ermöglicht.
Nach einer Gesamtfahrzeit von 3 Etagen für Gregor, 21 Etagen für Alfred und 34 Etagen für Jana öffnet sich der Aufzug im 20. Stock und entlässt 2 Personen, die in entgegengesetzten Richtungen ihrer Wege gehen ohne einander eines weiteren Blickes zu würdigen.

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Henrik Lode

  • Wie immer, gefällt mir richtig gut!! Eine Geschichte, in der sich viele wiederfinden dürften. Zu viel Denken, nichts falsch machen wollen und bloß nicht über den eigenen Schatten springen.

    Liebe Grüße
    Anja

  • Klasse analysiert, all das winzige zwischenmenschliche, was sich ergeignet, wenn man sich ungewollt so nahe kommt wie im Fahrstuhl. Ein subtiler Humor dabei, der aus der scheinbaren Objektiv-Analytik linst!