An einem seltsam langen Tag

Sein Großvater hatte das Haus einst erbaut, und es stand gut geschützt vom Lärm der Straße und viel Wiese und wildgewachsene Sträucher umsäumten seine Mauern. Ein kleiner Teich war einmal angelegt worden und verschiedene Laubbäume sind in den Jahren hoch und dicht gewachsen. Es war ein kleines, aber dennoch gut bewohnbares Haus. Doch nun gehörte es dem Handwerker ganz allein, denn alle Generationen, die seine Räume einst mit Leben füllten, waren nicht mehr.
Am frühen Morgen also machte sich der Handwerker endlich daran, das alte Haus, und wenn es die Zeit zuließ, auch den Garten in Ordnung zu bringen. Denn er war noch jung wie dieser Frühlingsmorgen und hatte allen Schwung und die Kraft, so dass es leicht sein dürfte, die notwendig gewordenen Reparaturen an diesen Tag zu schaffen. Die noch zarten Knospen an den Bäumen waren kurz vor dem Aufspringen, und er fühlte sich gut und begann mit seiner Arbeit.

Mit der Zeit begann sich auch die Luft zu erwärmen. Die Blätter an den Bäumen standen nun in sattem Grün, und die Arbeit an dem Haus ging voran. Doch es war mehr zu tun als der Handwerker vermutet hatte. Nun zeigten sich zum ersten Mal dünne Falten auf seiner Stirn. Dennoch, er würde das schon schaffen, auch wenn die Arbeit nun hart war und sein Gesicht nicht mehr so jung wirkte. Das ständige Auf und Ab auf der Leiter, den Mörtel in die schadhaften Stellen des Hauses bringen, die Dachrinne säubern und gerade biegen, die Fugen des verwitterten Kaminkopfes mit frischem Mörtel festigen. So viele Sachen gab es zu erledigen. Es wurde ihm klar, dass dies ein sehr langer Tag werden dürfte, und während sich der Handwerker erneut auf den Weg machte, die Leiter hochzusteigen, flirrte die Luft in der Sommerhitze und alle Arbeit ging nur schwer und langsam vorwärts.
Manchmal hörte der Handwerker nun mitten in der Arbeit auf. Sein Körper schien ihm müder als sonst und auch sein Barthaar, das im Laufe dieses Tages stark gesprossen war, flimmerte leicht grau im Sonnenlicht. Dann setzte er sich in die Wiese und ruhte ein wenig im Schatten der Bäume. Dabei stellte er sich vor, er wäre kein Handwerker und hätte kein Haus und keinen Garten. Er wäre vielleicht ein reicher Mann. Oder nur ein Fabrikarbeiter. Er könnte vielleicht die ganze Welt bereisen. Oder als Beduine im Sand der Wüste auf einem Kamel reiten. Aber nach einer Weile machte er sich wieder auf den Weg und ging zu dem Haus und verrichtete weiter seine Arbeit.
Gottlob hatte die Hitze am frühen Nachmittag nachgelassen. Es war ganz angenehm zu arbeiten und eine schwache Gelbfärbung der Blätter verriet dem Handwerker, dass der Tag schon weit vorangeschritten ist. Er fühlte Zweifel, ob er tatsächlich seine Arbeit heute schaffen würde. Auch fühlte er sich jetzt ein wenig einsam. Nun ja, dachte der Handwerker, und stieg von der Leiter.
Am späten Nachmittag dann, während das Laub der Bäume lautlos in die Wiese fiel, machte sich der Handwerker auf den Weg. Er ging jetzt sachte und seinem Alter entsprechend, so dass jeder Schritt, den er tat, würdevoll wirkte. Als er die Gartenbak erreicht hatte, ließ er sich auf dem dunklen Holz nieder. Müde senkte der Handwerker seinen grau gewordenen Kopf in den Nacken, um einen Blick in den herbstblauen Nachmittagshimmel zu werfen. Die letzten Blätter des Kirschbaumes fielen herab. Ein unabänderlicher welker Geruch erfüllte die Luft.
Etwas später dann an diesem Tag wurde es kälter und es fiel der erste Schnee. Der Handwerker machte sich nun daran, alles Handwerkzeug einzusammeln und im Keller des Hauses zu verstauen. Es dämmerte und ein rosafarbener Streifen am Horizont zeigte noch die Richtung der abgesunkenen Sonne. Er ging ins Haus und nach einer Weile knisterte das Feuer im Kamin und eine dampfende Tasse mit Tee gefüllt stand auf dem Tisch. Er machte es sich auf dem Sofa bequem, und im Widerschein des Feuers sah sein Gesichter nun noch älter und noch runzeliger, aber zufrieden und unbesiegt aus. Er lehnte sich zurück in das weiche Polster des Sofas. Und während er immer schläfriger wurde und dann einschlief, träumte er wie einst sein Großvater von dem Haus und dem großen Garten und das alles irgendwann einmal in all seiner Pracht erstrahlen könnte.

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Uwe Neugebauer