Rücksicht oder nicht

Es ist ein wunderschöner, sonniger Freitagnachmittag an dem Franz und ich unserem Hobby nachgehen wollen. Wir sind beide passionierte Angler und möchten heute im Duisburger Hafen unser Glück versuchen. Der sogenannte Zielfisch ist der Zander, aber dafür müssen wir vorher noch ein paar Köderfische fangen, damit am Abend der ein oder andere Zander zu uns findet und sich später schmackhaft zubereiten lässt. Wir packen also unsere komplette Ausrüstung in den Wagen von Franz und starten durch. Franz ist ein sehr guter und sicherer Autofahrer, daher lehne ich mich als Beifahrer zurück und genieße die Fahrt. Wir müssen etwa 20 Kilometer über die Autobahn um zum Duisburger Hafen zu kommen. Er tritt aufs Gaspedal und los geht die Reise. Wir fahren schon ein kurzes Stück auf der Bahn, unterhalten uns angeregt, wie groß die Fische sind die wir fangen und wie schwer, oder wie es beim letzten mal war, da bemerke ich wie neben mir etwas Großes die Sonne verdunkelt. Es ist ein LKW, der auf die Autobahn auffahren will. Franz bleibt natürlich ganz cool, hält gleichmäßig das Tempo und fährt mit dem LKW immer gleich auf. Der Fahrer des LKW hupt mittlerweile und gibt weiter Gas, aber Franz lässt sich davon nicht beirren. Mir wird jetzt langsam Angst und Bange und ich mache mich gestikulierend und winkend bei Franz bemerkbar.

Der meint nur: „Der muss abbremsen, ich halte hier die Spur, ich habe Recht.“
„Franz, fahr rüber, los“, schrei ich ihn an.
Aber er winkt nur ab und verneint: „Der hält schon, hab mal keine Angst“.
Mit einem schlenker und qualmenden Reifen kommt der LKW zum stehen und ich kann die Wut und die Handgestik des Fahrers im seitlichen Spiegel sehen. Der ist stinksauer und ich hoffe nur, dass wir den nicht wiedersehen aber abgesehen davon ich bin auch stinksauer.
„Bist du eigentlich total verrückt, du irrer Vollidiot? Du hast uns fast umgebracht du Irrer.“
Ich kann mich kaum beruhigen und mir ist danach, ihn auf der Stelle zu erwürgen, aber kurz darauf hab ich mich wieder eingekriegt. Nach einigen weiteren Kilometern kommen wir dann zur Ausfahrt. Bevor wir sie erreichen, stehen wir in einem Stau, da genau hier ein LKW seine Ladung auf der Fahrbahn verteilt hat. Damit sind wir zum Stillstand verdonnert. Wir sitzen schon eine ganze Weile recht ruhig im Wagen und denken an nichts böses, da knallt es laut auf und mit einem quietschendem und knatschendem Geräusch entlädt sich der rechte hintere Reifen unseres Fahrzeugs.
„Toll, das jetzt auch noch,“ krächzt Franz, „ich hab kein Werkzeug dabei, hab ich für das Angelzeug zu hause gelassen.“
„Ganz großes Kino“, ist mein einziger Kommentar.
Nach einer langen Wartezeit löst sich der Stau auf. Nur wir stehen noch auf dem Seitenstreifen, hilflos und sehr blöde dreinschauend. Es wird mittlerweile dunkel und wir haben ein Warndreieck aufgestellt, die Warnblinklichtanlage angeschaltet und den Pannendienst angerufen. Gelangweilt sitzen wir im Wagen, da nähert sich von hinten ein LKW. Sollen wir doch noch Glück haben? Hinter uns in etwa 50 Metern Entfernung bremst der Fahrer langsam ab, steigt aus und…
Uns beiden werden die Knie weich. Ist das nicht der Fahrer von dem LKW, der heute Nachmittag die Vollbremsung hinlegen musste? Was hält der Fahrer denn in seiner rechten Hand? Wir können es noch nicht genau erkennen, aber es sieht aus wie ein Wagenkreuz. Wir verkriechen uns sofort ins Auto, doch er kommt weiter auf uns zu. Jetzt ist er kaum 2 Meter hinter uns und ich beginne mit den ersten Gebeten.
„Vater unser….“
Dann klopft es an meiner Tür. Warum gerade bei mir? Ich fasse allen Mut zusammen, stemme mich gegen die Tür und stoße sie mit aller Wucht auf. Der LKW-Fahrer springt ein wenig zurück und grinst.
„Wir haben das nicht mit Absicht getan, es tut uns Leid, schlagen sie uns nicht, bittttteeeeee“!
Dabei hab ich ihn förmlich angeschrien. Der Fahrer schaut mich nur verdutzt an und fragt: „Was tut euch leid? Ich will doch nur helfen, hab über Funk gehört, dass ihr eine Reifenpanne und kein Werkzeug habt.“
Mit dem Wagenkreuz in der Hand steht er da und lacht lauthals, wobei auch Franz und ich nicht mehr an uns halten können und lachen was das Zeug hält.
Wir haben dann mit Hilfe unseres guten Samariters den Reifen gewechselt, uns nochmals bedankt und die Fahrt fortgesetzt. An diesem Abend haben wir dann keinen Fisch mehr gefangen, aber die Einsicht gewonnen, vielleicht doch ein bischen mehr Rücksicht auf Andere zu nehmen.

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Reiner Wüst