Die Zugfahrt

Gleich ist es geschafft. Die letzten Treppen hoch dann habe ich die düstere Umgebung der Unterführung verlassen. Das Hinaustreten ins Licht ist keine Erleichterung. Der Bahnsteig ist überfüllt. Ein kalter Wind lässt mich frösteln. Ich suche mir meinen Weg durch herumstehende Taschen und Koffer und blende das laute Gerede der Wartenden aus. Eine Gruppe Jugendlicher, jeder mit einem Handy in der Hand, aus dem laute Musik dröhnt, lasse ich weit hinter mir. Eine blecherne Lautsprecherstimme kündigt den einfahrenden Zug an. Bitte zurücktreten! Der Mann vor mir nimmt die Durchsage wörtlich und steigt mir prompt auf den Fuß. Ich unterdrücke den Fluch, der mir auf der Zunge liegt und stelle fest, dass er sich nicht mal entschuldigt. Meine Schläfen fangen an zu pochen, ganz im Rhythmus mit dem Geräusch des ankommenden Zuges. Das Quietschen der Bremsen dringt tief in meinen Kopf.

Ich habe das Gefühl, als würde es dort noch andauern als der Zug schon steht. Alle drängen sich nach vorne um ja als erstes im Waggon zu sein. Ich drücke kräftig mit und hab etwas Mitleid mit denen, die verzweifelt versuchen auszusteigen und sich ihren Weg durch die Masse zu bahnen. Ein Ellbogen im Bauch später bin ich an den Treppen angelangt, zieh mich mit einem Ächzer nach oben. In Gedanken schon mit der Möglichkeit beschäftigt, keinen Sitzplatz mehr zu ergattern, suchen meine Augen die Stuhlreihen ab. Da, ganz vorne ist einer. Ich hetze hin. Im letzten Moment setzt eine Mutter ihr kleines Kind drauf und lächelt mich entschuldigend an. Als würde mir das was helfen. Angenervt geht es weiter. Vorbei an zu großen Koffern, mit denen die glücklicheren Passagiere mit Sitzplatz den Gang verbarrikadieren. Ich stoße mir den Zeh an so einem Ungetüm und fluche jetzt doch. Am hintersten Ende des Zuges komm ich doch noch zu meinem Platz und lass mich müde hineinfallen.

Um mich herum viel zu viele Menschen. Die Alte neben mir hat das Gefühl ein Gespräch anfangen zu müssen. Ich hab keine Ahnung wieso manche Leute glauben, ich hätte immerzu Lust über das Wetter zu reden. So hmm ich ihr zu und füg zwischendurch ein „Ach so“ und ein „Na dann“ hinzu. Dabei versuche ich meine Gereiztheit nur in ihre Richtung auszustrahlen. Ihre Stimmungsrezeptoren scheinen eingerostet zu sein. Fröhlich plappert sie weiter. Wechselt vom Wetter zur allgemeinen Situation bei Reisen um mir dann den Grund für ihre zu nennen. Finde es seltsam dass sie über so persönliche Dinge spricht und das in einer Lautstärke, die das ganze Abteil mithören lässt. Der ältere Herr an meiner Seite erbarmt sich schließlich und beginnt auf die Fragen der Alten zu antworten. Langsam aber sicher kann ich mich aus dem Gespräch ausklinken.

Der Zug fährt mit einem Ächzen los. Ich schließe die Augen. Die Welt besteht nur noch aus Geräuschen. Das Zischen einer Dose, die geöffnet wurde, ein plärrendes Kind, die beruhigenden Worte einer Mutter. In ihrer Stimme schwingt so viel Gereiztheit mit, dass es mich nicht wundert, dass das Kind nicht daran denkt aufzuhören. Das Gespräch meiner Nachbarn ignoriere ich. Es gelingt mir sogar die Worte zu überhören und nur noch ihrem Klang zu folgen. Ein Plätschern aus dem Mund der Frau. Bedächtige, kurze Antworten im Bariton des Mannes. Das Rattern des fahrenden Zuges legt sich beruhigend über die Geräusche. Langsam bin ich in der Lage mich zu entspannen. Nicke kurz ein um ab und zu wieder die Augen zu öffnen. Das kurze Zwinkern lässt die Welt wieder zu mir vordringen.

Wie Fotos reihen sich die Bilder aneinander, die ich aus dem Fenster erhasche. Saftiges Grün einer Wiese wird abgelöst vom dunkleren Grüngrau eines Nadelwaldes. Alles wird vom drückenden Nebel überlagert, der auch meine Gedanken zu beherrschen versucht. Menschen und Maschinen sehe ich auch, will sie aber aus meinen Gedanken verbannen und konzentriere mich auf die Natur. Die lässt mich melancholisch werden. Ich habe keine Lust mehr die Augen zu öffnen und richtig zu erwachen. Will mich nicht mehr auf dieser Reise befinden. Frage mich nach dem Warum. Sehe keinen Sinn, möchte einfach nur ankommen und dort sein. Nicht hier, nicht jetzt. Wie aus dem Nichts dringt ein Sonnenstrahl zu mir durch. Erwärmt mein Gesicht. Lässt rotorange Punkte vor meinen geschlossenen Augen tanzen. Verdrängt die erdrückenden Gedanken und zaubert ein Lächeln auf meinen Mund.

________________
Annemarie Qoku