Nie wieder…

…sagte sie sich,
immer und immer wieder.

Noch bevor Katharina an diesem Morgen ihre Augen öffnete, wusste sie schon, was sie erwartete.
Nichts.
Oder noch weniger als nichts. Falls es so etwas überhaupt gab.

Ihre graue Laune kroch an ihr hoch wie eine kalte Schlange und mit dem zu wenig an Schlaf schälte sie sich aus ihrem Bett. Die Dusche hatte eine halbwegs erfrischende Wirkung nach dieser unglaublich schwülwarmen Nacht.
Sommernächte sind verführerisch. Sie laden dazu ein, auf dem Balkon zu verweilen und die Sterne zu beobachten. Sie boten mit ihrem warmen Lüftchen genug Gelegenheiten, nachtblaue Gedanken auf Reisen zu schicken. Und sich Gefühlen hinzugeben, die völlig irrational waren.

In dieser Nacht fühlte und dachte Katharina viel. Dennoch fühlte sie sich fehl am Platz, fehl in ihr selbst.

Gestern hatte er für sie völlig unerwartet nach etlichen Wochen und Monaten mal wieder ein Lebenszeichen von sich gegeben. Mit einem kleinen Aufleuchten surrte das Handy ihr eine neue Nachricht entgegen. Völlig emotionslos las sie von einer tiefen Sehnsucht in ihm, von der sie wusste, dass sie diese Sehnsucht am allerwenigsten stillen konnte. Wonach er suchte, das wusste er wohl selbst nicht so genau. Und auf dieser schier selbstzerstörerischen Suche, legte er immer mal wieder unter vollen Segeln in ihrem Herzenshafen an. Wenige Worte, die sie immer wieder mitten ins Zentrum trafen.

Katharina glaubte sich schon längst entwöhnt. Manchmal kam es ihr vor wie eine Diät. Am Anfang war es schwer, zu verzichten. Auf seine Worte, seine Hingabe, sein Dasein in ihrem Leben. Ihre Gefühle übten Verzicht. Es war doch ganz einfach, ließ sie nicht schon seit Wochen die Schokolade weg? Es war doch alles nur eine Frage der Konsequenz und des eisernen Willens.

Die hämmernden Gedanken ließen in ihr nach wie die Sucht nach dem Stück Zucker. Es wurde alles irgendwann weniger. Das Gewicht auf ihrer Waage und die Herzschwere in ihrem Körper…alles nahm gleichzeitig in stetigen kleinen Schritten ab.

Und so wie sie immer wieder dieser Heißhunger überfiel, so löste auch diese SMS ein paar Stunden später wieder wahre Kaskaden an ambivalenten Gefühlen in ihr aus. Wieso suchte er doch immer wieder den Kontakt zu ihr, nur um sie dann wieder in das tiefe Tal des Schweigens zu stoßen?

Sie hatte es wieder getan. Mitten in der Nacht den PC hochgefahren und ihm eine endlos lange Mail geschrieben. Diese paar Worte von ihm hatten mal wieder ausgereicht, in ihr einen Sturm auszulösen, der jegliche Vernunft und all ihre konzentrierten Entwöhnungsversuche wie ein Kartenhaus in sich zusammen fallen ließen.

Während die Worte aus ihrem Herz direkt in die Tastatur flossen, wusste sie: er würde auch diese Nachricht wieder unbeantwortet lassen. Wieso, wieso nur, war sie so dumm und schaffte es einfach nicht, die Tür in ihr ein für alle Mal abzuschließen?

Nach der zweiten Tasse Kaffee an diesem Morgen sagte sich Katharina wohl schon zum tausendsten Mal: nie wieder! Nie wieder werde ich auf ihn reagieren.
Mit einer unglaublichen Wut löschte sie seine Nummer aus ihrem Handy und seine Maildresse aus ihrem Email-Konto. Nie wieder würde sie irgendwas von ihm neu abspeichern. Dieses Mal würde sie ihre Diät durchhalten. Sie war sich so sicher wie niemals zuvor.

Als er ein paar Wochen später vor ihrer Tür stand und sie mit durchdringendem Blick anschaute, klingelte dieses „nie wieder“ sehr laut und sehr schrill in ihr auf.

„Mach´s gut“ sagte Katharina und schloss ganz leise die Tür.

Für immer.

~~~

Immer vorwärts.
Schritt um Schritt.
Es geht kein Weg zurück.
Was jetzt ist, wird nie mehr ungeschehen.
Die Zeit läuft uns davon.
Was getan ist, ist getan.
Und was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen.
(Wolfsheim – Es geht kein Weg zurück)

A.K. Mai 2011

  • Wenn das Fass übergelaufen ist, schafft man das „nie wieder“. Und zwar für immer.
    Schöne Erzählung.