Die Lärmjägerin

Es war der erste Arbeitstag nach meinem Urlaub, als mir die Lieblingskollegin mit einem strahlenden Lächeln um den Hals fiel, um ihre Freude über meine Rückkehr zu bekunden. Warme Worte zum Empfang, es gibt wohl keinen Menschen, der sich nicht darüber freut, so in den Alltagstrott hinein geschubst zu werden.

Der Moloch wartete schon in Form von unübersichtlichen Papierstapeln auf dem Schreibtisch und der PC würde mich gleich mit unbearbeiteten Mails überschwemmen. Das konnte getrost noch ein wenig länger liegen bleiben. Arbeit läuft niemals davon.

Den süßen Worten der Kollegin folgte innerhalb einer Minute eine heftige Schimpfkanonade, die sich durch das Büro rollte wie eine Kanonenkugel. Huch! War die Freude so schnell wieder ad acta gelegt? Würde sich das ganze Papier mal auch so schnell selbständig in irgendwelchen Ordnerdeckeln verstecken, dann könnte ich auch gleich wieder in Urlaub gehen.

Der Anlass ihres Gezeters brummte im Hinterhof lautstark vor sich hin. Ab und zu brüllte der Ton eines unkontrollierten Gasgebens dazwischen. Dieser Höllenlärm kroch etagenweise die Wände hoch und schien in unserem Büro zu explodieren. In Windeseile knallten wir alle Fenster zu und atmeten erst mal. Atmen ist immer gut gegen Höllenlärm. Ohrstöpsel waren leider gerade nicht zur Hand.

Frau Kollegin erklärte mir, dass das jetzt schon ein paar Tage lang so ging. Morgens acht Uhr im Hinterhof einer Klinik. Röhrender Motor, gewürzt mit dem Bummbumm einer überdimensionierten Musikanlage im Auto und zum krönenden Abschluss die quietschenden Reifen der Abfahrt eines offenohrig geistesgestörten Autofahrers.

Am ersten Arbeitstag trage ich immer noch eine gewisse Gelassenheit in mir und so konnte mich das noch nicht weiter aus der Ruhe bringen. In diesem Hinterhof der Klinik schallte und krachte und bummerte es immer irgendwie und irgendwo. Und ich hatte mich tatsächlich schon öfter gefragt, wie hier in Gottes Namen kranke Menschen jemals gesund werden sollten. Und ob hier jeder Patient mit einem schweren Hörschaden entlassen wurde. Dieses Gebäude war eine glatte Fehlkonstruktion und der Architekt gehörte nachträglich noch zu hundertjähriger Dezibelhaft verurteilt.

Am nächsten Morgen war es schon nicht mehr so gut bestellt mit meiner Gelassenheit und ich schlug das Fenster ein wenig heftiger zu. Mit klitzekleinem Gewissensbiss wurde mir klar, dass auch ich zu der Lärmbelästigung beitrug. Jedenfalls diesen einen gewissen kleinen Moment lang.

Einen Tag später lief ich nach zehnminütiger Proletenkutschen-Dauerbeschallung die drei Etagen runter, um den Verursacher mal zu fragen, ob er einen rostigen Nagel im Kopf hat, der ihm das Denken blockiert. Atemlos unten angekommen, hörte ich nur noch die quietschenden Reifen und sah in den Schlund eines Auspuffs mit den Ausmaßen eines Ofenrohrs. Meine Wut konnte sich nicht entladen, aber mein Tag würde kommen, an dem ich den Wildwestfahrer mit einem Pfeil zur Strecke bringen würde. Mein zweiter Name ist Winnetou!

Mister Brummblöd machte mir einen Strich durch die Rechnung. Die nächsten zwei Tage verbrachten wir den Morgen in wunderbarer Stille, die Fenster weit geöffnet, um der Herbstsonne Einlass zu gewähren in das dunkle und graue Verlies unseres Büros.

Heute Morgen war es dann wieder so weit. Der Motor brummte sich wie ein apokalyptischer Reiter in meine Gehörgänge und mit einem Affenzahn rannte ich die Treppen hinunter, um den Köcher meiner aufflammenden Aggression mittels wohl gezielter Wortpfeile zu entleeren. Unten angekommen, stellte ich in aller Atemlosigkeit fest, dass er schon wieder schneller war als ich. Weg, einfach weg.

Entweder musste ich noch härter an meinen konditionellen Voraussetzungen arbeiten oder aber der Typ stellte so eine Art Prüfung für mich da. Vielleicht war er auf mich angesetzt, um zu testen, wann meine Geduld sich erschöpfte und meine Nervenspitzen sich in Luft auflösten.

Alles scheint möglich.

Meine Instinkte werden niedriger. Ich denke über aufgeschlitzte Reifen und eingedepperte Frontscheiben nach. Ich google nach Selbstschussanlagen.

Für Morgen brauche ich einen perfekteren Plan oder einen Fallschirm, mit dem ich diesem Bengel mal ordentlich auf das Dach springen kann.

Oder ich sollte doch mal meine Aufzugsphobie behandeln lassen.
Irgendwas muss jedenfalls geschehen.
Und zwar bevor Winnetou möglicherweise neu verfilmt wird.

😉

  • Nette Satire über die Schwierigkeiten zwischenmenschlichen Zusammenlebens! Können wir mit ein paar guten Ideen für deinen perfekten Plan helfen? Mein Vorschlag:

    Du mietest dir einen Baggerfahrer, der eine Baustelle vortäuscht. Kommt der Rüpel, hebt der Bagger den Wagen mit der Schaufel kurz hinten an und lässt ihn dann wieder plumpsen. Das Fahrzeug ist zwar noch heil, aber es müsste helfen, um den Krachmacher auf ewig zu vertreiben.

  • Häng ihm doch mal einen Zettel hinter den Scheibenwischer: „Wenn du leise losfährst, lade ich dich zum Essen ein.“

  • Tolle Ideen habt ihr! 😉 Bagger mieten, zum Essen einladen…hmpft. Ich steche ihm doch die Reifen auf 🙂

  • Winnetou muss schneller und leiser! schleichen, um den mit dem rostigen Nagel im Kopf an den Marterpfahl zu bringen:))
    gruß aus fra