Slam und ich

Deutsche Meisterschaften in meiner Stadt.
Ja, da muss ich doch hin.
Mir Literatur-Pop angucken.
Mich sowas von amüsieren, dass die Schwarte kracht.

War doch letztens auch so.
Bei der Poesieschlachtpunktacht.
Kann doch nicht so schwer sein.
Trotz aller Lustlosigkeit.
Da sind dieser und jener.
Jau, da geht richtig was ab.

Welt der Worte.
Gerapt.
Gepogued.
Gehottet.

Flott, das.

Wenn die da oben nicht alle so farblos klamottet wären.
Wieso tragen Studenten der Neuzeit schon Rentnerbeige bis Großstadtgrau?
Kann mir eh keiner erklären.

Altersklasse weit unter mir.
Der Titelverteidiger gibt alles.
Aber mir bei Weitem nicht genug.

Alles stereotyp.
So durchschaubar.
So unwunderbar.

Und da kommt der Lokalmatador meiner Stadt.
Kapuze in der Stirn.
Spricht über die große Depression.
Und wie scheiße das Leben eben ist.

Nerv getroffen.
Den vorne in der Stirn.
Falls es da einen gibt.
Also einen Nerv meine ich.
Muss aber irgendwie.
Kommt in der Herzgegend an und lässt mich unkontrolliert Bier trinken.

Der wird Erster des ersten Halbfinales.
Wird wohl am nächsten Tag untergehen.
Die Nummer mit dem Scheißleben zieht nicht immer.
Auch wenn das immer so weiter geht.
Also das Scheißleben meine ich.

Beim nächsten Slamer steht so ein Typ in graubeige mit Schiebermütze vor mir und raubt mir den Atem.
Heyho, der ist froh.
Der freut sich.
Und jedes Mal wenn er die Arme hebt, denke ich: lass die Arme unten, du stinkst.
Aber der klatscht weiter.
Warum klatscht der an Stellen, die ich voll für den Arsch finde?
Und warum klatscht der, wenn der bei jeder Armbewegung Stinkbomben streut?

Arschloch, denke ich.
Er ist ein stinkendes Arschloch, der von nix eine Ahnung hat.
Denke ich so.
Stimmt wahrscheinlich nicht.

Und für den Gedanken gibt es dann noch mal eine Flasche Bier, die nicht schmeckt und eine Zigarette, die doof qualmt.
Gehe ich eben.
Zieh´ mir mitten in der Nacht Pommes mit Mayo rein.
Denke an den Regener, der da kräftig besingt, dass die böse und heiß ist.
Also die Mayo, meint der Regener.

Aber das Leben ist doch sowieso scheiße.
Darauf einen Grappa zur Nacht.
Der das Fett in meinem Körper aufsaugen soll.
Und letztendlich nur bewirkt, dass ich endlich müde werde.

Leben ist scheiße.
Und ich bin mittendrin.
Und der nächste Slam findet ohne mich statt.
Die Welt funktioniert auch ohne Popart.
Scheiß auf die Mayo.
Die ist sowieso böse und heiß.
Meint der Regener.

(Ein bisschen inspiriert durch das Lied „Kopf aus dem Fenster“ von Element of Crime)

Nie wieder…

…sagte sie sich,
immer und immer wieder.

Noch bevor Katharina an diesem Morgen ihre Augen öffnete, wusste sie schon, was sie erwartete.
Nichts.
Oder noch weniger als nichts. Falls es so etwas überhaupt gab.

Ihre graue Laune kroch an ihr hoch wie eine kalte Schlange und mit dem zu wenig an Schlaf schälte sie sich aus ihrem Bett. Die Dusche hatte eine halbwegs erfrischende Wirkung nach dieser unglaublich schwülwarmen Nacht.
Sommernächte sind verführerisch. Sie laden dazu ein, auf dem Balkon zu verweilen und die Sterne zu beobachten. Sie boten mit ihrem warmen Lüftchen genug Gelegenheiten, nachtblaue Gedanken auf Reisen zu schicken. Und sich Gefühlen hinzugeben, die völlig irrational waren.

In dieser Nacht fühlte und dachte Katharina viel. Dennoch fühlte sie sich fehl am Platz, fehl in ihr selbst.

Gestern hatte er für sie völlig unerwartet nach etlichen Wochen und Monaten mal wieder ein Lebenszeichen von sich gegeben. Mit einem kleinen Aufleuchten surrte das Handy ihr eine neue Nachricht entgegen. Völlig emotionslos las sie von einer tiefen Sehnsucht in ihm, von der sie wusste, dass sie diese Sehnsucht am allerwenigsten stillen konnte. Wonach er suchte, das wusste er wohl selbst nicht so genau. Und auf dieser schier selbstzerstörerischen Suche, legte er immer mal wieder unter vollen Segeln in ihrem Herzenshafen an. Wenige Worte, die sie immer wieder mitten ins Zentrum trafen.

Katharina glaubte sich schon längst entwöhnt. Manchmal kam es ihr vor wie eine Diät. Am Anfang war es schwer, zu verzichten. Auf seine Worte, seine Hingabe, sein Dasein in ihrem Leben. Ihre Gefühle übten Verzicht. Es war doch ganz einfach, ließ sie nicht schon seit Wochen die Schokolade weg? Es war doch alles nur eine Frage der Konsequenz und des eisernen Willens.

Die hämmernden Gedanken ließen in ihr nach wie die Sucht nach dem Stück Zucker. Es wurde alles irgendwann weniger. Das Gewicht auf ihrer Waage und die Herzschwere in ihrem Körper…alles nahm gleichzeitig in stetigen kleinen Schritten ab.

Und so wie sie immer wieder dieser Heißhunger überfiel, so löste auch diese SMS ein paar Stunden später wieder wahre Kaskaden an ambivalenten Gefühlen in ihr aus. Wieso suchte er doch immer wieder den Kontakt zu ihr, nur um sie dann wieder in das tiefe Tal des Schweigens zu stoßen?

Sie hatte es wieder getan. Mitten in der Nacht den PC hochgefahren und ihm eine endlos lange Mail geschrieben. Diese paar Worte von ihm hatten mal wieder ausgereicht, in ihr einen Sturm auszulösen, der jegliche Vernunft und all ihre konzentrierten Entwöhnungsversuche wie ein Kartenhaus in sich zusammen fallen ließen.

Während die Worte aus ihrem Herz direkt in die Tastatur flossen, wusste sie: er würde auch diese Nachricht wieder unbeantwortet lassen. Wieso, wieso nur, war sie so dumm und schaffte es einfach nicht, die Tür in ihr ein für alle Mal abzuschließen?

Nach der zweiten Tasse Kaffee an diesem Morgen sagte sich Katharina wohl schon zum tausendsten Mal: nie wieder! Nie wieder werde ich auf ihn reagieren.
Mit einer unglaublichen Wut löschte sie seine Nummer aus ihrem Handy und seine Maildresse aus ihrem Email-Konto. Nie wieder würde sie irgendwas von ihm neu abspeichern. Dieses Mal würde sie ihre Diät durchhalten. Sie war sich so sicher wie niemals zuvor.

Als er ein paar Wochen später vor ihrer Tür stand und sie mit durchdringendem Blick anschaute, klingelte dieses „nie wieder“ sehr laut und sehr schrill in ihr auf.

„Mach´s gut“ sagte Katharina und schloss ganz leise die Tür.

Für immer.

~~~

Immer vorwärts.
Schritt um Schritt.
Es geht kein Weg zurück.
Was jetzt ist, wird nie mehr ungeschehen.
Die Zeit läuft uns davon.
Was getan ist, ist getan.
Und was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen.
(Wolfsheim – Es geht kein Weg zurück)

A.K. Mai 2011

Ein gestohlener Tag

Es war ein Morgen wie jeder andere. Wie immer stand sie sehr früh auf, mit dieser nicht zu bändigenden Vorfreude auf den Tag. Sie ließ sich die Zeit, die ihr sonst immer zu entgleiten drohte. Oder in die sie sich zwang. Es war ihre stille Stunde, die sie für sich ganz allein hatte.

Sie genoss das lauwarme Wasser der Dusche, ließ es langsam an ihrem noch nachtwarmen Körper hinunterlaufen und folgte den einzelnen Tropfen, die sich spitzbübisch über ihren Körper verströmten. Haut und Haar ließ sie an der Luft trocknen, sie legte ein leichtes Make-up auf und lebte sich langsam am offenen Fenster in den neuen Tag. Der erste Kaffee duftete genauso verführerisch wie ihr frisch geduschter Körper. Einen Moment lang blitzte in ihr der Gedanke auf, einfach mal auszubrechen aus ihrer Routine.

Doch wie jeden Morgen schmierte sie die Butterbrote für die Familie, legte das Obst dazu und eine kleine winzige Süßigkeit für jeden, weckte nacheinander ihre müden Krieger und scheuchte sie mit einer Engelsgeduld aus dem Haus.
Erst dann packte sie ihre Sachen zusammen für den langen Arbeitstag, der vor ihr lag. Als sie wenig später vor dem großen grauen Büroklotz aus ihrem Auto stieg, beschlich sie dieses leise Gefühl der Unvernunft.

Warum nicht einfach mal blau machen? Hier und jetzt und heute? Ohne sich rechtfertigen zu müssen, was sie mit den geklauten Stunden anzufangen gedachte.
Sie lehnte sich an die Fahrertür, steckte sich eine Zigarette an und blies Kringel in die Luft.
Und in diesen fünf Minuten fiel die Entscheidung des Nichtfunktionierens. Sie rief ihre Kollegin an und teilte ihr mit, dass sie eine böse Migräne leider nicht arbeitsfähig sein ließ.

Dann stieg sie wieder in ihr Auto und fuhr zum großen Fluss.
Einatmen, ausatmen.
War das wirklich sie?
Einfach der Pflichterfüllung die rote Karte zeigen und sich davon zu stehlen?

Langsam ging sie den kleinen ausgetretenen Weg entlang zu der kleinen Bucht, die sie ihr Eigen nannte. Sie war immer schon der Meinung gewesen, dass dieser kleine Sandstrand nur für sie erschaffen worden war. Und wie erwartet war auch niemand dort, der ihre Ruhe hätte stören können. Sie packte ihr Frühstück aus und ihr Buch, legte sich auf die Decke, die sie immer im Auto spazieren fuhr, ohne sie jemals benutzt zu haben.

Sie zählte die Wolken.
Und als keine Wolken mehr kamen, setzte sie sich auf und zählte die Schiffe, die sich langsam flussaufwärts schleppten. Zählen war für sie Meditation. Und noch nicht ganz bei zehn angekommen, bemerkte sie schon diese bleierne Müdigkeit, die sie seit Tagen mit sich führte. Sie war so leer, so ausgebrannt, so völlig erschöpft.

Sie überließ sich dem Schlaf.
Träumte sich weg aus ihrem Leben und hinauf auf einen der vorbeiziehenden Pötte auf großer Fahrt. Sie war Flussfrau, ganz einfach ging das, in der Traumwelt. Sie war Kapitän und Schiffsjunge zugleich. Dabei hatte sie noch nie in ihrem Leben auf einem Schiff gestanden, sie immer nur aus weiter Ferne beobachtet und ihre Gedanken mit ihnen auf die Reise geschickt. Auf die offene See.

Als sie wieder wach wurde, stand die Sonne schon ziemlich hoch. Sie räkelte sich wohlig, öffnete widerwillig ihre Augen und sah ihn in respektvollem Abstand auf ihrem Strand sitzen. Fast war sie geneigt, laut aufzulachen. Er trug einen eleganten Anzug, die Krawatte saß eng und korrekt. Und er war barfuß. Die Schuhe hatte er offensichtlich seiner Aktentasche hinterher geschmissen.

Als hätte er gemerkt, dass sie erwacht war, drehte er sich langsam zu ihr um und schaute ihr direkt in die Augen. Sofort begann er zu lächeln. Das ganze Gesicht strahlte, er schien zu leuchten. Bot sie so einen belustigenden Anblick? Sie schreckte hoch und ordnete ihre verrutschte Kleidung.

„Wie lange beobachten Sie mich schon?“ fragte sie ihn in diesem leicht vorwurfsvollen Ton.

„Oh, ich habe sie nicht beobachtet, sondern nur hier gesessen und mich vergewissert, dass niemand ihren Schlaf stört.“

Idiot! Hielt er sie für so naiv?

Sie zog es vor zu schweigen und Löcher in das Wasser zu starren.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Sie dachte nein und sagte ja.

Ungeachtet seines Aktenkoffers und seiner Schuhe kam er langsam auf sie zu und setze sich zaghaft zu ihr auf die Decke.

„Haben Sie sich einen Tag gestohlen?“ fragte er sie.

„Ja, mir war so nach Ausbrechen zumute.“

„Mir auch.“

„Und? Wie fühlt es sich an?“

Er schwieg. Schien die Antwort in sich hin und her zu schaukeln.

„Man meint, man hätte etwas Unrechtes getan, aber in Wirklichkeit hat man etwas für sich getan. Ist es nicht so?“ hakte sie nach.

„Ich bin jeden Tag hier. Wissen Sie, ich bin schon seit zwei Monaten arbeitslos, aber meine Familie weiß es nicht.“

Sie schluckte. Jeden Tag saß er hier? Allein? Darauf wartend, dass er wieder nach Hause gehen konnte?

„Aber warum? Warum sagen Sie Ihrer Familie denn nicht, dass Sie arbeitslos sind? Sie werden es doch sowieso merken. Irgendwann.“

„Ich hoffe, dass ich schnell wieder Arbeit finde. Und das Loch in der Kasse stopfe ich mit meinen geheimen Ersparnissen.“

Warum erzählt er ihr das alles? Sie war eine wildfremde Person. Oder lag es gerade daran? Tagelang auf den Fluss zu starren, ohne mit einem Menschen reden zu können…das machte vielleicht beliebig in der Gesprächigkeit.
Und sie suchte nach Worten, die passen könnten. Fand sie aber nicht.

„Ich möchte Sie nicht mit meinen Problemen belasten. Denn Sie haben sich offensichtlich nur diesen einen Tag der Freiheit gegönnt. Den sollten Sie anders verbringen.“

Sie schwiegen.
Irgendwie fühlte sich das so schon ganz okay für sie an. Sie hatte von diesem Tag nichts erwartet, außer ein paar Stunden für sich allein. Warum sollte sie die nicht teilen? Teilen mit einem Menschen, der zuviel von dem Allein hatte?

„Und was machen Sie morgen?“ wollte sie von ihm wissen.

Er lachte bitter auf.
„Na, was wohl? Wieder hier sitzen und warten.“
„Warten worauf?“

„Auf Sie?“

Wie konnte ein Mensch nur so lethargisch sein, dachte sie.
Und gleichzeitig wünschte sie sich nichts sehnlichster, als am nächsten Tag wieder hier neben diesem Mann im Anzug zu sitzen.

Sie erhob sich und ging. Nach ein paar Schritten, drehte sie sich noch einmal um und sah in sein trauriges Gesicht. „Behalten Sie die Decke, wir werden sie morgen wieder brauchen, wenn ich mit Ihnen die Stellenanzeigen der Tageszeitung durchgehe.“

Ein letztes Lächeln besiegelte ihren Geheimbund.

Die Lärmjägerin

Es war der erste Arbeitstag nach meinem Urlaub, als mir die Lieblingskollegin mit einem strahlenden Lächeln um den Hals fiel, um ihre Freude über meine Rückkehr zu bekunden. Warme Worte zum Empfang, es gibt wohl keinen Menschen, der sich nicht darüber freut, so in den Alltagstrott hinein geschubst zu werden.

Der Moloch wartete schon in Form von unübersichtlichen Papierstapeln auf dem Schreibtisch und der PC würde mich gleich mit unbearbeiteten Mails überschwemmen. Das konnte getrost noch ein wenig länger liegen bleiben. Arbeit läuft niemals davon.

Den süßen Worten der Kollegin folgte innerhalb einer Minute eine heftige Schimpfkanonade, die sich durch das Büro rollte wie eine Kanonenkugel. Huch! War die Freude so schnell wieder ad acta gelegt? Würde sich das ganze Papier mal auch so schnell selbständig in irgendwelchen Ordnerdeckeln verstecken, dann könnte ich auch gleich wieder in Urlaub gehen.

Der Anlass ihres Gezeters brummte im Hinterhof lautstark vor sich hin. Ab und zu brüllte der Ton eines unkontrollierten Gasgebens dazwischen. Dieser Höllenlärm kroch etagenweise die Wände hoch und schien in unserem Büro zu explodieren. In Windeseile knallten wir alle Fenster zu und atmeten erst mal. Atmen ist immer gut gegen Höllenlärm. Ohrstöpsel waren leider gerade nicht zur Hand.

Frau Kollegin erklärte mir, dass das jetzt schon ein paar Tage lang so ging. Morgens acht Uhr im Hinterhof einer Klinik. Röhrender Motor, gewürzt mit dem Bummbumm einer überdimensionierten Musikanlage im Auto und zum krönenden Abschluss die quietschenden Reifen der Abfahrt eines offenohrig geistesgestörten Autofahrers.

Am ersten Arbeitstag trage ich immer noch eine gewisse Gelassenheit in mir und so konnte mich das noch nicht weiter aus der Ruhe bringen. In diesem Hinterhof der Klinik schallte und krachte und bummerte es immer irgendwie und irgendwo. Und ich hatte mich tatsächlich schon öfter gefragt, wie hier in Gottes Namen kranke Menschen jemals gesund werden sollten. Und ob hier jeder Patient mit einem schweren Hörschaden entlassen wurde. Dieses Gebäude war eine glatte Fehlkonstruktion und der Architekt gehörte nachträglich noch zu hundertjähriger Dezibelhaft verurteilt.

Am nächsten Morgen war es schon nicht mehr so gut bestellt mit meiner Gelassenheit und ich schlug das Fenster ein wenig heftiger zu. Mit klitzekleinem Gewissensbiss wurde mir klar, dass auch ich zu der Lärmbelästigung beitrug. Jedenfalls diesen einen gewissen kleinen Moment lang.

Einen Tag später lief ich nach zehnminütiger Proletenkutschen-Dauerbeschallung die drei Etagen runter, um den Verursacher mal zu fragen, ob er einen rostigen Nagel im Kopf hat, der ihm das Denken blockiert. Atemlos unten angekommen, hörte ich nur noch die quietschenden Reifen und sah in den Schlund eines Auspuffs mit den Ausmaßen eines Ofenrohrs. Meine Wut konnte sich nicht entladen, aber mein Tag würde kommen, an dem ich den Wildwestfahrer mit einem Pfeil zur Strecke bringen würde. Mein zweiter Name ist Winnetou!

Mister Brummblöd machte mir einen Strich durch die Rechnung. Die nächsten zwei Tage verbrachten wir den Morgen in wunderbarer Stille, die Fenster weit geöffnet, um der Herbstsonne Einlass zu gewähren in das dunkle und graue Verlies unseres Büros.

Heute Morgen war es dann wieder so weit. Der Motor brummte sich wie ein apokalyptischer Reiter in meine Gehörgänge und mit einem Affenzahn rannte ich die Treppen hinunter, um den Köcher meiner aufflammenden Aggression mittels wohl gezielter Wortpfeile zu entleeren. Unten angekommen, stellte ich in aller Atemlosigkeit fest, dass er schon wieder schneller war als ich. Weg, einfach weg.

Entweder musste ich noch härter an meinen konditionellen Voraussetzungen arbeiten oder aber der Typ stellte so eine Art Prüfung für mich da. Vielleicht war er auf mich angesetzt, um zu testen, wann meine Geduld sich erschöpfte und meine Nervenspitzen sich in Luft auflösten.

Alles scheint möglich.

Meine Instinkte werden niedriger. Ich denke über aufgeschlitzte Reifen und eingedepperte Frontscheiben nach. Ich google nach Selbstschussanlagen.

Für Morgen brauche ich einen perfekteren Plan oder einen Fallschirm, mit dem ich diesem Bengel mal ordentlich auf das Dach springen kann.

Oder ich sollte doch mal meine Aufzugsphobie behandeln lassen.
Irgendwas muss jedenfalls geschehen.
Und zwar bevor Winnetou möglicherweise neu verfilmt wird.

😉

Alles irgendwie ex

„Versuchen Sie doch einfach mal einen Düsseldorfer Korn, wenn Sie keinen Killepisch mögen“ sagte die Frau hinter diesem kleinen Durchreichefenster von dieser kleinen Lokalität in der Flinger Straße, die sich ´Kabüffke`nennt und nur ausgewählte Spirituosen für ihre Gäste bereit hält.

Ja nun gut, warum auch nicht? Bis zu diesem Zeitpunkt kanntest du den Düsseldorfer Korn nur vom Hörensagen, da konntest du den also genauso gut mal mit dem Kopp im Nacken in dich rein schütten. War jetzt eh schon egal. Nach all den Stunden in diversen Brauereien dieser Stadt.
„Ex und hopp“ sagte damals der „mit-dir-zusammen-den Kopp-nach-hinten-Kipper“ und so ging das dann hopp und da war der Korn dann sehr schnell ein Exkorn.

Das fiel dir da so ein, als du an einem sonnigen Dienstagnachmittag durch deine Stadt geschlichen bist und deine Blicke von hier nach da und den Menschen hinterher geschickt hast.
„Was iss?“ sagte der Typ vor dir zu dem Mädel an seiner Seite. „Nix“ zischte sie.
Klassisch, denkst du.
Wahrscheinlich ist der Typ bald ihr Ex.

Eine Ecke weiter rauscht ein BierBike an dir vorbei.
Zwölfsitzer.
Voll besetzt.
Fass Bier in der Mitte.
Und ein Riesengebrülle auf dem Bike. Dienstag um siebzehn Uhr und schon volle Pulle Party in der Stadt. Du denkst, das wäre nur am Wochenende so, aber so kann man sich täuschen. Lange Theke, heißt auch lange Woche, wenn es ums Feiern geht. Hoffentlich gibt das nicht Krawall am Ende des Fasses und nachher sind die Jungs da nur noch Exkollegen.

Überhaupt das mit dem Ex. Dir fällt der Lehmann ein. „Neue Vahr Süd“ heißt das Buch vom Regener und der hat da den Lehmann durch seine Bundeswehrzeit begleitet. Und als der Lehmann sich gedanklich von seinem alten Leben in sein neues aufgemacht hat, da hat der auch über diese ganzen Exe vor sich hinphilosophiert. Weil irgendwann ist eben jeder nur noch Ex von irgendwas und irgendwem.
Exkollege.
Exkumpel.
Exgymnasiast.
Exsoldat.
Ex-WG-ler.

All so was.
Ex eben.

Ja, denkst du so vor dich hin, das ist echt so im Leben. Da bist du nach dem letzten Korn am Kabüffke schneller Exbekanntschaft als du gucken kannst. Das schwimmt einfach so weg, Leben ist ja ein großer Fluss. Manchmal auch einer aus flüssigem Korn. Das ist eben so, da kann man manchmal gar nicht viel dran machen.

Das ist wie mit dem Tausendfüßler, an dem trotz aller Hässlichkeit an Graubeton dein Herz so hängt. Das dauert nicht mehr lang, dann ist das ein Exbauwerk dieser Stadt. So wie das alte ARAG-Haus, das du als Kind immer so toll gefunden hast, weil es so treppenstufenartig gebaut war und du dir immer vorgestellt hast, wenn du ein Riese wärst, dann könntest du dem Haus mal eben auf das Dach steigen. Jahre später machte es an einem Sonntagmorgen einfach „bumm“ und weg waren die Treppenstufen für den Riesen in dir. Einfach so. Das war dann eben das Ex-ARAG-Haus. Wer weiß jetzt schon, was die hier noch so alles in die Luft sprengen, so wie eben das alte Rheinstadion 2002 in Einzelteilen durch die Luft flog.
Exstadion. Ex-Lieblingsstadion.

Der Lehmann hat schon Recht, denkst du, als dich so ein Typ anspricht.
Ganz schön jung und ganz schön hübsch fragt er dich ganz schön keck, ob du ihm einen persönlichen Gegenstand von dir geben könntest und schielt dabei auf deinen Rucksack.
Die Frage nach dem Sinn und Zweck hättest du dir von vornherein sparen können. Aber irgendwie ist der Typ lustig und du drückst ihm dein Feuerzeug in die Hand. Das mit dem Emblem vom Exdrittligisten. Er strahlt dich an und du kannst es nicht sein lassen, ein bisschen zu frotzeln : „Haste jetzt aber Glück gehabt, dass ich dir nicht ein gebrauchtes Taschentuch in die Hand gedrückt hab, wa?“
Und da ging es hin, dein Exfeuerzeug mit einer Exzufallsbekanntschaft. Letztere auf der Jagd nach neuen persönlichen Exgegenständen von irgendwelchen anderen Menschen.

Du wohnst schon in einer bekloppten Stadt, denkst du.
Exklusiv, irgendwie.
Extravagant.
Exzessiv.
Extrem.

Alles irgendwie ex, denkst du und schlenderst wieder weiter.
Mit der Absicht, dir ein schönes kühles Alt auf alle Exe dieser Welt zu trinken.
Denn das mit dem Korn war ja schon längst ex und hopp.

A.K. 2009

Franziska im Hochhaus

Mit quietschenden Reifen landete Franziska mitten in einer Ansammlung grauen Betons.
Hier schien es nicht den Hauch von Farbe zu geben. Außer einem kleinen Spielplatz im Zentrum all dieser Wohnsilos war hier wirklich nichts, was sie zum Verweilen einladen konnte. Schaukeln und rutschen würde ihr jetzt wirklich Spaß machen, aber dafür hatte sie wohl vorerst keine Zeit. Sie konnte Panju förmlich dort oben grummeln hören, dass sie sowieso schon viel zu lang gebraucht hatte, um wenigstens in die Nähe ihres neuen Einsatzortes zu kommen.

Mit großen Augen starrte Franziska die hohen Häuser an.

„Jetzt staunst du, was?“ grinste Hans-Werner sie frech an. „Einfach wird das nicht. Wir suchen mal unsere Bekannten und du kannst dich ja schon mal umschauen. Aber eins sage ich dir direkt: hier wird sowieso nicht viel gesprochen! Die meisten Menschen, die hier leben, kennen sich fast gar nicht, ja, die grüßen sich noch nicht mal.“

„Woher weißt du das denn?“

„Ach, man bekommt schon so einiges mit. Wir haben einmal im Monat Ratten-Stammtisch in einem Burgerschuppen am Bahnhof und da wird halt viel erzählt…“

Kaum ausgesprochen, machten sich ihre beiden neuen Freunde auch schon auf den Weg Richtung Kellergewölbe. Nun gut, dachte sie, dann schaute sie sich einfach mal ein bisschen um.

Auf dem Spielplatz war überhaupt nichts los. Das war sehr bedauerlich, denn Franziska unterhielt sich gerne mit Kindern. Meistens hatten die viele lustige Geschichten zu erzählen und ließen sie oft mitspielen. Das Versteckspiel liebte sie am meisten, denn aufgrund ihrer Größe, wurde sie meistens nicht entdeckt und konnte fast immer gewinnen.
Trübselig steuerte sie auf die nächstbeste Haustür zu. Sie würde halt warten, bis diese sich wie von Zauberhand öffnete. Und siehe da: lange musste sie auch nicht warten und sie konnte schon in das Haus schlüpfen. Eine ältere Dame machte sich schweren Schrittes offensichtlich auf den Weg zum Supermarkt. Jedenfalls zog sie so ein rosafarbenes Ungetüm auf Rollen hinter sich her, in das sicher ganz viele Einkäufe hinein passen würden.

Und nun? dachte Zis. Hier sah alles so gleich aus. Meterlange Gänge mit vielen Türen, eine sah aus wie die andere. Und das sollte sie sich jetzt Etage für Etage anschauen? Franziska beschloss, den Aufzug zu nehmen. Das hatte sie schon öfter gemacht und sie fand das Gefühl im Bauch so schön, wenn der Aufzug sich ganz schnell nach oben oder unten bewegte. Vorfreudig machte sie sich auf den Weg und sah das große gelbe Schild schon aus der Ferne leuchten „Außer Betrieb“ stand darauf. Mal abgesehen davon, dass sie keinesfalls in der konditionellen Verfassung war, so viele Stufen zu laufen, um sich jede Etage genauer anzuschauen, fragte Franziska sich auch, wie die alte Dame mit ihrem rosafarbenen Gefährt das nach ihrem Einkauf bewerkstelligen wollte. Vielleicht hatte die aber auch Glück und wohnte im Erdgeschoss.

Trostlos.
Es war hier alles so trostlos.
Da war es ja gar kein Wunder, dass den Menschen die Sprache abhanden gekommen war.

Mit hängenden Zöpfen und äußerst missmutig machte sie sich auf, um die Kellertreppe zu suchen. Sie würde wirklich Hilfe brauchen, das hier war nicht allein zu schaffen.
Die Kellergänge sahen leider auch nicht anders aus als der Rest des Hauses. Lange, endlose Gänge, brummende Rohre und ein Gitterverschlag neben dem anderen. Falls sie den Schweigsamen jemals finden sollte, musste sie sich überlegen, wie sie es ein paar Wochen in dieser Umgebung aushalten sollte.

Aus der Ferne vernahm sie lautes Lachen und so etwas Ähnliches wie Musik. Ob hier eine Party stattfand? Partys waren immer gut, sie mochte es, wenn die Menschen sich mal so richtig austobten. Dass auch Ratten wilde Partys feierten, konnte Franziska zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Als sie am Ende des langen Ganges ankam, traute sie ihren Augen und Ohren kaum. Ungefähr zwanzig Ratten tanzten und drehten sich wie die Verrückten und hörten dabei laut eine Musik, die in ihren Ohren ziemlich unmelodisch klang. Zwischendurch leckten sie an einer Flüssigkeit, die aus einer umgekippten Flasche tröpfelte. Und mitten drin: Hans-Werner! Das war tatsächlich ein Haudegen, der ließ ja nichts aus!

„Komm´ ran, Mädel!“ brüllte er „ hier ist schwer was los! Die Jungs aus der Südstadt haben es echt drauf! Punkrock und Wodka und das geht vermutlich die ganze Nacht so weiter!“

In der Ecke sah sie Hannelore sitzen. Der grimmige Gesichtsausdruck sprach eine sehr deutliche Sprache.
„Hannelore, was sollen wir denn jetzt machen? Die sind doch alle gleich sturzbesoffen, da kann ich doch niemanden mehr fragen, wie ich den Schweigsamen denn nun finden soll.“

Hannelore rümpfte die Nase, dass die Haare nur so flatterten „ach Schätzeken, mach dir mal keine Sorgen, ich weiß längst ALLES. Ich kenne das Spielchen schon: unter Vorwand einer heiligen Mission reist Hans-Werner immer wieder mal in die Südstadt, um dann hier ganz unheilig abzufeiern. Morgen leidet er wieder wie ein Hund, aber der braucht mich gar nicht erst um ein Aspirin bitten. So was kommt mir nicht in den Keller!“
Franziska musste doch sehr grinsen. Da schimpfte diese Rattendame wie ein Rohrspatz, aber man merkte ihr doch ganz deutlich an, dass sie ihrer Herzensratte doch sehr zugetan war. Höchstwahrscheinlich hatte sie irgendwo in ihrem heimischen Kellerverschlag haufenweise Aspirin liegen, das sie aus den Schubladen irgendwelcher trinkfreudiger Finanzbeamter stibitzt hatte.

„Wenn du längst ALLES weißt, dann lass mich doch bitte mal an deinem ALLES teilhaben! Und vielleicht hast DU ja eine zündende Idee, wie ich diesen Menschen dann dazu bringen soll, endlich mal den Mund aufzumachen, wenn es um sein Glück geht.“

„Bernhard.“

„Bitte?“

„Er heißt Bernhard, wohnt hier im Haus im dritten Stock und seine Freundin ist letzte Woche ausgezogen.
Seitdem trinkt er literweise Wodka, den ihm die Jungs von hier unten laufend stehlen, um es ihm gleich zu tun. Männer! Alle gleich, das kannst du mir glauben!“

„Aha. Und was nun?“

„Jetzt laufen wir in den dritten Stock und blasen diesem Blödmann mal ordentlich den Marsch!“

Gesagt.
Und los marschiert.
In heiliger Mission.
Ganz ohne Wodka.

Franziska fährt Rad

Als Franziska aus ihrem wohligen Schlummer erwachte, schauten sie vier große, dunkle Knopfaugen erwartungsfreudig an. Zis rieb sich gründlich die Augen und musste erst die Erinnerungsfäden sortieren, um sich darauf einen Reim machen zu können.

Ohja!
Kalt und frierend hatte sie in diesem dunklen Kellerloch doch tatsächlich neue Freunde gefunden, die sich ohne große Fragen zu stellen um einen Eindringling ihrer Unterwelt kümmerten.

Hans-Werner stupste mit seiner ausgesprochen attraktiven Nase ihren Schwimmreifen an und fragte „wozu trägst du den da?“

„Ich bin schon einmal zu oft in irgendwelchen Gewässern gelandet, als dass ich mich freiwillig ohne Schwimmreifen außer Himmels begebe.“

„Außer Himmels. Soso.“ ließ Hannelore etwas naserümpfig verlauten. „Du bist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern durch ein Loch gekrabbelt und in unserer Wohnung gelandet. Also erzähl´ hier mal keinen Mist, Schätzchen.“

„Ja aber…“ wollte Franziska zu einem längeren Vortrag ausholen.

„Nix aber! Du willst uns hier für dumm verkaufen! Kein Mensch fällt mit einem Schwimmreifen einfach so vom Himmel, selbst wenn er noch so klein ist wie du!“

„Erstens bin ich kein Mensch und zweitens war es überhaupt nicht einfach bei starkem Seitenwind vom Himmel zu fallen….“ antwortete Zis trotzig „und drittens…fällt mir grad nix Vernünftiges ein.“

Die Ratten glucksten. Erst ganz leise, dann immer lauter. Und schließlich brüllten sie vor Lachen, schmissen sich auf den Rücken und hielten sich die Bäuche fest. Also so komisch fand Franziska sich nun auch wieder nicht. Gut, ein wenig ungewöhnlich gekleidet, grade so um den Bauch rum, aber doch durchaus ansehnlich mit ihren langen blonden Locken. Warum lachten die bloß so ohrerschütternd?

Keuchend erklärte Hans-Werner „ ach weißt du, wir haben hier unten echt schon so einiges erlebt! Tanzende Katzen, singende Hunde und es war sogar mal ein Papagei dabei, der bauchreden konnte. Also wird an deiner Version der übergewichtigen Himmelsbotin schon was dran sein. Iss jetzt erst mal was!“

Übergewichtig!
Er hatte tatsächlich übergewichtig gesagt!
Und ihr gleichzeitig etwas zu essen angeboten.

Mistkerl!

Aber der Hunger war doch stärker als Franziskas Empörung und so langte sie erst mal kräftig zu.
Es gab lange Fäden in roter Farbe und gelbe Kissen mit Löchern drin. Das schmeckte richtig gut! Ungefähr zwei Stunden später fühlte sie sich endlich einigermaßen gesättigt und rieb sich genüsslich den Bauch. „Eine Frau ohne Bauch ist wie ein Himmel ohne Sterne“ flüsterte sie. Das hatte sie mal bei einer ihrer Reisen in einer sehr schönen Küche am Kühlschrank hängen gesehen. Das hatte ihr wirklich gut gefallen. Und alles was Franziska gut gefiel, konnte sie sich auch gut merken.

„Nun sag´ schon, in welcher wichtigen Mission bist du unterwegs? Es ist Wochenende und die Schnarchnasen sind alle ausgeflogen, uns ist ein bisschen langweilig“ sagte der Rattendetektiv, der sich wohl in einem Moment völliger Selbstüberschätzung den Namen Matula gegeben hatte.

„Och, das ist alles gar nicht so einfach“ antwortete Franziska etwas verzagt „ich soll einen großen Schweiger zum Reden bringen, damit er sein Glück nicht verliert. Aber ich weiß nicht, wie er heißt, sondern nur, dass er in einem Hochhaus wohnt und keinen Balkon hat, auf dem ich hätte landen können. Außerdem hat dieses grottige Navigationssystem mal wieder versagt und ich bin in einem Kleingarten gelandet, in dem giftige Zwerge mir an die Wäsche wollten.“

„Hast du sie verprügelt oder wie konntest du den Wichteln entkommen?“

„Ich bin einfach los gerannt, aber die waren echt schnell und so habe ich mich mit einem Hechtsprung in die Kanalisation gerettet und jetzt bin ich hier bei euch.“

Miss Marple rieb sich ausdauernd die Nasenhaare und meinte „also die Hochhaussiedlung ist am Ende der Stadt, das ist echt weit, da müssen wir hin radeln. Ein paar Bekannte von uns hausen dort. Die sind ein bisschen runter gekommen, aber durchaus hilfsbereit.“

Radeln.
Franziska sollte radeln.
Das hatte sie noch nie in ihrem Leben gemacht und hatte auch nicht den blassesten Schimmer, wie das wohl gehen könnte mit ihren kurzen Beinen.

„Keine Sorge“ meinte Hans-Werner „ wir haben kürzlich ein E-Bike geklaut, das geht ganz einfach, wir brauchen nur gemütlich auf dem Lenker hocken und ab geht die Post!“

Gesagt, getan.
Hannelore links, Hans-Werner recht und Zis mitten drin. Yippieh, der Wind zauste sie ordentlich durch, aber es machte einen Heidenspaß durch die Straßen dieser Stadt zu rasen. Allerdings beschäftigte sie doch eine schwer wiegende Frage: wie sollte sie in einer Hochhaussiedlung bloß diesen einen Menschen finden, bei dem sie eine kurze Zeit zur Untermiete wohnen sollte?

Nun, sie würde eine Lösung finden.
Schon bald!

Hau weg

Draußen brüllt mir die Sonne ihre fünfunddreißig Grad entgegen.
Es ist Sommer, endlich Sommer!

Und mir ist kalt. So kalt.

Wie sang der Maffay noch?
„Und es ist Sommer, das errrrste Mal im Leben…“
Schnulze!
Und dennoch habe ich mich mit der neu aufgenommen Version bestens arrangiert. Der Mann gibt ein Lebensgefühl wieder. Eins aus dieser Zeit, wo man nicht wohin wusste mit all den Gefühlen und Sehnsüchten und Bedürfnissen, die ganz tief in einem selbst um Hilfe schrieen und sich der Mund nicht öffnen konnte, um diesen Schrei in die Welt zu entlassen.

Doch manchmal frage ich mich, ob sich dieser Hilfeschrei nicht immer mal wieder in einem selbst wiederholt.
Im Laufe eines langen Lebens.

Wie schrieb heute jemand in einer Mail?
„Sind wir nicht alle inzwischen so drauf, dass wir einen Hau weg haben?
Aufgrund all unserer Erfahrungen?“

Hau weg.

Was heißt das denn im Klartext?
Hau weg die Scheiße?
Hau weg im Sinne von: wir sind doch alle ein bisschen bluna?

Na und?

Mir wird immer noch kälter.
Und das in der ersten großen Hitzewelle des Jahres.

Jetzt erst merke ich, wie sehr du mir fehlst. Was du mir bedeutest in all den Monaten, endlosen Wochen, Tagen, Minuten und Sekunden, die wir umeinander rum schleichen, uns ineinander verkeilen, uns wieder los lassen, um erneut übereinander herzufallen. Jetzt erst. Immer dann, wenn es augenscheinlich zu spät ist, noch irgendwas an den Tatsachen zu ändern, die man sich selbst erschaffen hat. Jetzt erst. Doch schon.

Bluna.
Hau weg.

Tränenstau entlädt sich.
Wortstau bildet sich.

Hau weg den Sommer.
Ob nun das erste oder das letzte Mal im Leben.

Scheiß Sommer!

Franziska bei den Kellerratten

Franziska schnappte schwer nach Luft als sie aus den stinkenden Strudeln der Kanalisation auftauchte.
Was für ein Höllenritt! Sie musste wirklich mehr Sport treiben, wenn sie eines Tages wieder in ihre Himmelsgefilde zurückkehrte. So viel war mal klar! Sie kam sich vor wie James Bond in geheimer Mission, nur dass der immer irgendwie so fit und durchtrainiert wirkte, dass ihm kein Berg zu hoch und keine Klippe zu steil erschien.
Sie würde es mit Wolken-Rodeo versuchen, das würde ihren verweichlichten Körper schon stählen.

Sie quetschte sich durch eine kleine Maueröffnung und wurde vor lauter Dunkelheit ganz blind.
Wo war sie? Weit entfernt hörte sie leises Rascheln und Zischen und Franziska bekam es nun doch mit der Angst zu tun.

Nass und müffelnd lehnte sich Franziska an eine Wand und fühlte staubigen Dreck an ihren Händen. Sie war so einsam und ihr war so kalt. Wie sollte sie bloß ohne fremde Hilfe und den Funken eines Lichts wieder hier raus kommen?

Mit wehem Herzen zitterte sie vor sich hin und ihr kamen die Tränen. Okay, dachte sie, durch laute Schluchzer konnte sie vielleicht irgendjemanden auf ihren jämmerlichen Zustand aufmerksam machen. Im Zweifelsfall wurde ihr aber auch einfach nur etwas wärmer.

Mit heißem Kopf und roten Augen nahm Franziska plötzlich diese Stimme wahr, die ganz sanft und leise sagte:
„Hey, warum weinst du so? Kann ich dir vielleicht helfen?“

Eine Ratte!
Es war eine Ratte!
Franziska mochte keine Ratten, das waren kleine Dreckschleudern, die Krankheiten übertrugen und gemeingefährlich überall alles anfraßen. Jedenfalls hatte sie das mal so gehört. Und dass eine Ratte plötzlich hilfreich und gut nach ihrem Befinden fragte, ließ sämtliche Alarmglocken in ihr laut schrillen. Sicher eine Hinterlist! Ganz bestimmt wollte dieses Vieh aus ihr ein nettes Barbecue machen und sie bei lebendigem Leib verspeisen!

„Jetzt hör endlich auf zu weinen und sag´ doch endlich mal was! Du bist ja ganz nass, ich hole dir schnell eine Decke!“
Was für ein seltsames Wesen! Wenn Franziska ganz ehrlich zu sich war, dann musste sie feststellen, dass diese Ratte einen gütigen Gesichtsausdruck hatte und außerdem ihre Augen lächeln ließ. Sollte es wirklich so sein, dass sie ihre Vorurteile in diesem Kellerloch begraben musste und eine Ratte auf Anhieb sympathisch fand?
Dann wurde das hier ja noch zu einem ausgesprochen lehrreichen Auftrag in Sachen Himmelskommando.

„Hier, wärm dich erst mal ein bisschen auf. Wie heißt du denn?“ sagte die Ratte mit wärmender Stimme und reichte ihr einen alten Putzlappen, der offensichtlich im Reich der Ratten eine Decke darstellte.

„Ich heiße Franziska und habe einen wichtigen Auftrag zu erfüllen, aber anscheinend bin ich nur vom Pech verfolgt und finde meinen Einsatzort bei dem Schweigsamen nicht.“

„Oh! Da bist du hier goldrichtig! Ich kenne sämtliche Kellergewölbe dieser Stadt. Mein Name ist Hans-Werner, aber jeder nennt mich hier Matula. Und wenn ich dir meine Gefährtin vorstellen darf: das ist Hannelore, aber ich nenne sie nur Miss Marple, denn sie hat viel mehr Fahndungserfolge aufzuweisen als ich.“

Franziska schüttelte kräftig ihre blonden Zöpfe und glaubte nicht, was sie da gerade gehört hatte! Detektive der Unterwelt hatten sie gefunden und würden ihr hier raus helfen. Da war sie sich plötzlich ganz sicher. Denn auch Hannelore beziehungsweise Miss Marple machte einen friedlich-freundlichen Eindruck auf sie.

„Jetzt ruh´ dich erst mal aus“ sagte Hannelore „ wir besorgen dir was zu essen. Die haben hier im Finanzamt eine ganz vorzügliche Küche. Und dann sehen wir weiter.“

Kaum ausgesprochen, wieselten Hans-Werner und Hannelore los. Endlich konnte Franziska mal schlafen und sich auf ein leckeres Mittagessen freuen. Und dann würde sie mit Hilfe dieser beiden Spürnasen auch den Schweigsamen finden.

Mit diesem äußerst zufriedenstellenden Gedanken schlief Franziska ein und entschlüpfte in die Welt der Träume.

Franziska und die Gartenzwerge

Mit einem ungeheuerlichen rrruuuummmmsss landete Franziska auf dem Boden der Tatsachen. Sie hatte sich völlig verschätzt, was ihre Geschwindigkeit anging. In den letzten Monaten hatte sie nicht so viel zu tun gehabt, Panju machte viel selbst, reiste durch die Weltgeschichte und überließ sie ihrem Tagwerk, das meistens aus süßem Nichtstun bestand. Und übermäßigem Essen. Das rächte sich jetzt! Franziska hatte Übergewicht und das sorgte dafür, dass sie sehr hart in diesem Garten aufschlug und sich nur langsam berappeln konnte.

Es dauerte etwas bis sich ihre Augen vom Flugwind erholt hatten und endlich aufhörten zu tränen.
Und was sie dann sah, erschien ihr ausgesprochen unwirklich. Vier superhässliche Gartenzwerge hatten sich um sie gruppiert und starrten sie unfreundlich an. Wo war sie denn hier bloß gelandet? Es konnte sich doch unmöglich um den Garten des Schweigsamen handeln, denn der wohnte doch laut Panjus Angaben in einem Hochhaus und hatte noch nicht mal einen Balkon. Dieses hundsgemeine Navigationssystem hatte mal wieder versagt! Das konnte ja noch heiter werden, denn bei ihrer letzten Reise hatte Franziska schon wertvolle Zeit damit vergeudet, ihren Einsatzort zu finden.

„Was ist denn das für eine?“ knurrte der Zwerg mit der Schubkarre vor sich hin.
„Und warum trägt sie um Himmels Willen einen Schwimmreifen?“ piepste der Typ mit dem Korb auf dem Rücken.

Dumme Frage! Schließlich hatte Franziska es oft genug mit Sturmböen zu tun und landete schon mal in Riesenpfützen, aus denen es ohne Schwimmreifen kein Entkommen für sie gab. Aber woher sollten das schon diese Zwerge wissen, die tagein tagaus sicher nichts anderes taten, als ihre Mini-Parzelle umzupflügen.
Tse.

„Wie heißt du und was willst du hier?“ knurrte die Schubkarre.

„Ich heiße Franziska und habe einen wichtigen Auftrag zu erfüllen. Scheinbar bin ich völlig falsch auf der Erde gelandet und muss erst meinen Einsatzort suchen.“

Allmächtiges Schweigen.
Und Atmen.
Oder eher war es doch ein Schnaufen.

„Du kannst uns viel erzählen!“ piepste der Korb „es ist nicht das erste Mal, dass hier Eindringlinge unsere Radieschen klauen!“

„Ich klaue gar nichts! Ich esse keine Radieschen, sondern ausschließlich Sternenmüsli und Regenbogenschokolade!“

„Die Tussi verarscht uns doch!“ brüllte der Zwerg mit….ja, was war das eigentlich, was er da mit sich rumschleppte?

Die Tussi gibt dir gleich einen rechten Aufwärtshaken dachte Franziska ganz leise.
Sie hatte schon mal davon gehört, dass es hier unten kleine Wesen gab, die Gedanken lesen konnten und vielleicht gehörten diese Giftzwerge ja dazu.

„Lass sie uns erst mal in deine Karre packen und verstecken“ meinte Piepsi mit dem Korb.

„Jetzt passt mal auf Freunde. Ich habe nicht vor, mich länger bei euch aufzuhalten. Ihr könntet mir doch einfach sagen, wie ich von hier aus in die Siedlung des Schweigsamen komme und schon seid ihr mich los!“

Schon wieder Schweigen.
Anscheinend war Franziska schon da. Hier schwiegen anscheinend alle nett vor sich hin. Und maulten zwischendurch mal. Oder piepsten. Nur um dann wieder in laut schnaufendes Schweigen zu verfallen.
Diesen Job hatte sie sich wahrlich einfacher vorgestellt.

Mit einem beherzten Griff riss Franziska sich den Schwimmreifen bis in die Achselhöhlen und rannte los.
Unter dem Zaun durch und mit einem Affenzahn den kleinen Weg hinter dem Zaun entlang. Sie grinste ihr frechstes Grinsen, fühlte sich bereits in Sicherheit und nahm ein bisschen Fahrt aus ihrer Flucht, als sie hinter sich ein Schnaufen und ein gepiepstes „Scheiße ist die schnell“ vernahm.

Mit einem weltmeisterlichen Sprung rettete sich Franziska in die Öffnung eines Kanaldeckels.

Eine Frau von Welt wusste eben, wozu man immer einen Schwimmreifen bei sich haben sollte.

Platsch