Brief weit nach Mitternacht
Mein Liebster
Würde ich dich einmal mehr fragen dürfen, wie es dir geht, ich würde dich tausend Mal fester an mich binden, als ich es im Leben tat. Ich suche immer noch nach einer besseren Ausrede. Ich vermisse dich. Ich weiß, es klingt wie die lapidare Wiederholung einer Verzweifelten. Du sagst: „Halt aus.“ Ich wünschte, ich könnte. Manchmal ertrage ich diese mitternächtlichen Gewissensbisse besser, was mir nichts beweist. Du würdest mir wahrscheinlich sagen, ich solle damit aufhören. Habe ich das je gekonnt? Die Nächte machen mir die Einsamkeit klarer. Immer wenn ich nochmal aufstehe, um zu rauchen oder um mich zu fragen, ob der Wein mir helfen würde, dass ich durchschlafe … wie dir der Scotch. Nein. Ich möchte nicht darüber nachdenken, wie gut oder wie schlecht mir das bekäme.
Mein Morphium reicht für die nächsten Tage. Mich betrinken, dich wegtrinken … will ich das? Natürlich nicht. Nur die Schmerzen. Nicht nur die meiner Sehnsucht, auch die, die meine Tumore mir machen. Ich wünschte, ich könnte … und wieder … nein. Das ist nicht wahr. Du lebst immer noch in meinem Gestern und für morgen habe ich deinen Lieblingssaft gekauft. Immer montags, wenn die meisten sich über den ersten Tag der Woche aufregen, regt sich in mir der leise Verdacht, dass du das nie getan hast. Was sage ich denn wieder für einen Blödsinn? Ich trage deine Socken auf und lege dir ein Hemd raus. Das ist mein Alltag. In meiner Liebe zu dir entdecke ich neue Blüten. Vielleicht trage ich deshalb leere Blätter bei mir. Ich möchte keinen Gedanken verlieren. „Warum“, fragst du, „sind sie dann leer?“
Weil ich sie nicht aufschreiben muss, my Dear.
Songline
7. Juli 2014
Meinem Liebsten sagte ich heute: „Der Schmerz verrinnt nicht wie die Tage, er türmt sich zu einem Berg.“
Er antwortete: „Setze unseren Turm darauf, dass du höher bleibst als er.“