Manchmal ist es so, meistens ist es anders
An manchen Tagen beherrschen Aggressionen mein Handeln. Ich führe gar keinen Krieg gegen den Krebs, die Tumore oder den Metastasen. Unzufriedenheit und das Gefühl nicht verstanden zu werden, führen zu elitären Verhaltensweisen und dann zische ich wie eine Schlange. Leise. In mich rein. Bis eine Explosion meinen Freigeist erreicht. Es gab Menschen und Orte, die meine Hölle waren. Erwähnte ich das schon?
Als ich 2011 zum ersten Mal an Krebs erkrankte, glaubte ich an eine Heilung durch die Chemotherapie. Tapfer schlug ich mich durch die Tage, Wochen, Monate. Es hieß, mich mit Hormonen zu behandeln sei kontraproduktiv. Das ließ ich so stehen, weil mir gar nicht bewusst war, was das bedeuten könnte. 2014 war der Krebs zurück. Erst in den Knochen und der Leber, inzwischen überall.
»Systemkrebs«, sagte der Palliativmediziner.
»Das Kind hat einen Namen«, dachte ich, »juchhe.«
An dem Tag, an dem ich erfuhr, dass ER zurück ist, verabschiedete ich mich. Mein Trost ist, dass ich glaube, dass mich mein Mann abholt, wenn Tag X kommt. Ich sehe ihn schon, er trägt seine schwarze Anzughose und ein weißes Hemd, ein paar Knöpfe sind auf, was ich immer erotisch fand. Wie sehr ich seine Hände vermisse, seine Aufmerksamkeit, sein Dasein.
»Bald«, denke ich.
Tröstlich!
Manchmal, wenn die Aggressionen mich abholen, mich aufrütteln, an mir zehren, als sei ich Jacke und Hose, aber nicht Haut mit Mensch darunter, klappe ich wie ein Gartenstuhl zusammen, ziehe mich zurück und brülle:
»Du kannst mich mal.«
Danach lache ich wieder mit meiner Freundin, die meinen schwarzen Humor teilt. Natürlich, nachdem sie sich daran gewöhnt hat. Ich nehme ihre Hand und lass sie mich begleiten, was sich gut anfühlt, weil sie da ist.
»Ich sage Piep, wenn es nicht mehr geht«, versprach sie vor Kurzem.
»Ich sage, lass mich gehen, wenn du über dieses ‚Piep‘ hinausgehst«, erwiderte ich.
Man muss sich einig sein, auch ohne große Worte.
Wenn ich an kalten Tagen aus dem Fenster schaue und, über die Dächer des Hinterhofes hinweg, den Schnee oder das Eis sehe, dann atme ich aus, was wie Rauch aussieht und denke, dass man einfach verfliegt. Ich mag die Stille, die in solchen Momenten siegt, weil sie mich wie Holz auf Wasser treiben lässt. Ich liebe das Meer. Erwähnte ich das schon? Wahrscheinlich nebenbei.
Ganz bei mir erfinde ich Farben für die Metastasen und stelle mir vor, ich würde im Dunkeln leuchten.
»Glühwürmchen sind …«, sagte mein Mann immer.
»Was?«, fragte ich.
Er blieb mir eine Antwort schuldig.
Chapéu de feltro típica.
Mumpitz
9. Jan 2015
Deine drei Texte gehören zusammen, sowohl thematisch als auch stilistisch. Es klingt wie eine Art Tagebuch, und obwohl es nur einen versteckten Handlungsstrang gibt, lies es sich spannend, macht neugierig, komisch, worauf bloß?
Silvi
9. Jan 2015
Es ist so eine Art Tagebuch, nur diesmal anders angefangen, hadere ich seit fast einem Jahr mit der Rezidiv-Diagnose, den neuen Medikamenten, den Nebenwirkungen, und so weiter. LG Silvi