05.03.2014
Schlicht! Ich habe dies alles schlicht gehalten, weil er es nicht anders gewollt hätte.
Mea Culpa. Meine Schuld ist unermesslich und er würde jetzt sagen: „Nein, das ist sie nicht, weil du nicht schuld bist.“ Ginge es nicht um ihn, würde er meine Hand halten und mich an sich drücken, um meine Gedanken zu teilen, mich von ihnen heilen, tröstend sich um mich legen oder vor mich werfen. Wo war er, wenn ich ihn am dringendsten brauchte? Ich wurde das oft gefragt und ich fragte es mich oft. Seine Antwort war immer: „Ich bin bei dir, in jeder Minute, in der ich atme. Ich war bei ihm, in jeder Minute, die er vergaß Luft zu holen. Bis auf einmal.
Dieses eine Mal ist: … warum ich nun hier stehe und diese Dinge sage: Sein Lachen war ansteckend, seine Traurigkeit mitreißend, wie sein Humor. Hilfsbereit war er und großherzig. Ich schätzte zahllose Eigenschaften, die aufzuzählen diese Zeit nicht ausreichen würde. Ich sagte: „Du riechst nach Sommer“, und er antwortete: „Das ist nur der Angstschweiß.“ Diese einmalige Schlagfertigkeit war, was ich liebte, neben all den Dingen, die zu lieben bereit, er mich gemacht hat.
Wir haben eine Reise unternommen und haben ein Ziel nie aus den Augen verloren: Den Respekt vor uns. Es war nicht eine Minute langweilig mit ihm. Gerade jetzt würde er den Kopf schütteln und mir sagen, dass er ein Nichtsnutz unter Nichtsnutzen ist. Aber wäre ich nur halb so bescheiden wie er war, würde ich nicht hier stehen und mein Herz sagen lassen, was mein Herz flüstert, in jeder Nacht, die er mir fehlt, weil er da ist – auch wenn er es nicht ist.
Ich habe ihn 2000 kennengelernt. Kurz vor Silvester stand er vor mir an dem DJ-Pult und sagte, er müsse nach Hause fahren und sei nach Weihnachten wieder da. Ich habe mit den Schultern gezuckt und dachte: „Wieder so einer.“ Nein, er war nicht wieder so einer. Am 30.12.2000 war er zurück. Wir kamen uns in nur einer Nacht, in der ich ihm alles über mich erzählte und er zuhörte, näher. Dieses Zuhören machte mich verliebt in ihn. Beim ersten Betreten seiner Wohnung sah ich ihm auf seinen kleinen Hintern. Später beichtete ich: „Ich wollte dir damals rein kneifen.“ Er sagte: „Dann wären wir kein Paar geworden.“ Fortan kniff ich ihm immer in diesen kleinen Hintern und er grinste.
Heute stehe ich hier und denke, wir hatten gar keine Zeit. Es ist so viel offen geblieben. Im Stress und aus Sorge um unsere Söhne sind wir manche Nacht nicht in den Schlaf gekommen, es folgte die Insolvenz der Firma. Er verlor Boden. Betrank sich. 2004 habe ich ihn geheiratet. Ich ihn, weil ich ihn fragte, ob wir uns trauen wollen. „Lass uns heiraten“, sagte ich und er: „Walhai“. Ich stieß ihn an und er scherzte: „Ich dachte, du willst Haie raten.“ Er war wunderbar, zärtlich, nah. Ich sehe seine Gestiken, seine verschiedenen Grimassen. Wenn er schmollte, lachte ich. „Du lachst mich immer nur aus“, sagte er. Und ich: „Ich lache dich an, Schatz.“
„Ich pass auf dich auf“, hat er immer gesagt. Seine innere Zerrissenheit war mir bewusst, dennoch erfüllte er mir jeden meiner Wünsche, war er auch noch so groß. Wir fuhren nachts durch die Straßen, hörten laute Musik. Sangen manchmal mit. Ich möchte ihn erzählen. Möchte nichts vergessen. Nicht die Partys, die wir gefeiert haben, und nicht die erste Fahrt nach Rostock. Sein Vater war ihm wichtig. Er rief ihn manchmal nach einem Boxkampf im TV an oder redete mit ihm über die WM. Mit seiner Mutter sprach er jeden zweiten Tag, sie telefonierten sehr oft, auch ihr wollte er Trost sein. Seine Familie war ihm wichtig und er hätte jetzt gesagt: „Wie es sich gehört.“ Über seinen Bruder redete er selten, aber wenn, dann war da auch immer der Schelm, der mir erzählte, dass er auf einem der Geburtstage sagte: „Kommt Hans und Jürgen, ihr beiden.“
Wie er mit Freunden ein Boot „ausgeliehen“ hat, wie er sich über ein Motorrad freute, das gar nicht für ihn war und … Es gibt unzählige Dinge, die er mir erzählte, manche auch zwei und dreimal. Wo er überall war und dass er nicht gerne fliegt. Dass lediglich eine Tür von ihm bleibt, wenn er mal stirbt. Ich habe ihm versprochen es wird mehr bleiben, und halte es, weil es Geschichten sind, die von ihm bleiben.
Ich sehe ihn, höre, wie er mich etwas fragt, höre mich, wie ich ihn etwas frage und keine Antwort bekomme oder nur eine sehr leise. Als ich ihn anflehte wieder aufzustehen, sagte, dass der Boden viel zu kalt ist … als ich die Sanitäter fragte, ob sie ihn mir wieder heile machen, als ich begreifen sollte, dass es nicht mehr geht … als ich schrie, dass ich schuld bin … ich, weil ich ihn diesmal nicht gerettet habe, diesmal nicht … Da war etwas, das den Atem anhielt: Das war ich. Ich will den Atem anhalten, damit es leise wird und er laut.
Mit jeden Tag, der vergeht, mit jedem seiner Stücke, die Dinge, die ihm wichtig waren, von denen er wollte, dass ich sie habe, fühle ich mich wie eine Diebin, weil es seine sind. Die Liebe, die er mir gab, erwarte ich von niemandem mehr. Die, die ich ihm gab, gab ich ihm mit. Er sagte immer, er würde zurückkommen und sich an mein Bett setzen. Ich habe seinen Mantel, seinen Hut und Schal, für den Fall, dass er im Winter kommt. Er war allein, als er starb. Allein. Das wird er jetzt nie mehr sein. Nie mehr.
Ich liebe dich, mein Herz. Nicht nur gestern.
Anmerkung: Diese Rede habe ich auf der Trauerfeier zur Beerdigung meines Mannes selbst verfasst und gesprochen. Mein Dank gilt: Meinen Söhnen, meiner Familie, Freunden, Nachbarn und Bekannten.
Maultrommler
8. Mrz 2014
Ich würde Dir gerne etwas sagen – aber mir fehlen die Worte.
Silvi
13. Mrz 2014
Dass sie dir fehlen, ist genug gesagt. Vielen Dank.
Mumpitz
11. Mrz 2014
._.
Silvi
13. Mrz 2014
Ich weiß nicht was es bedeutet, aber danke.