Nach 10 Jahren: Geplatze Träume in Afghanistan

Das hatte man sich irgendwie anders vorgestellt. Rein mit den Truppen in Afghanistan, die Terrorgruppe Al-Qaida im Handstreich ausschalten, die Taliban vernichten oder zumindest vertreiben, die Afghanen als Freunde gewinnen und dem afghanischen Volk alles zu geben, was sie seit Jahrzehnten vermissten: Frieden, Wohlstand, Sicherheit im eigenen Land und am besten auch noch eine Demokratie nach westlichem Muster – und dies alles in kürzester Zeit.

Nicht nur die ausländischen Truppen, die in Afghanistan als Befreier auftraten, sondern auch die Afghanen hatten diese Vorstellungen und deshalb wurden die Alliierten auch freudig begrüßt.

Doch der Traum von Sicherheit, Wohlstand und Frieden ist mittlerweile längst zerplatzt wie eine Seifenblase. Und nicht nur für die Truppen ist aus den Verheißungen mittlerweile ein Desaster geworden, sondern auch für die Afghanen selbst. Al-Qaida sind sie zwar, wie es aussieht, losgeworden, aber die Taliban sind eher wieder dabei, Macht und Einfluss zu gewinnen.

Woran mag es liegen, dass so gut wie nichts von den seinerzeitigen Vorstellungen in Erfüllung gegangen ist? Nun, ich denke, man hat von Anfang seitens der Alliierten zu viel Wert auf die militärische Seite gelegt. Das mag für das Militär durchaus verständlich sein, aber es war eben ein großer Fehler, denn man hat es versäumt, sich rechtzeitig um den Aufbau eines funktionierenden afghanischen Staatswesens zu kümmern. Als man endlich erkannte, dass es nicht reicht, Truppen in ein Land zu schicken, sondern doch noch etwas mehr dazu gehört, hat man es leider versäumt, mit den richtigen Leuten zusammenzuarbeiten. Anstatt sich mit loyalen Einheimischen an einen Tisch zu setzen, legte man das Schicksal in die Hände korrupter Politiker und der Warlords – das konnte nicht gutgehen.

So kam es dann auch, wie es kommen musste. Immer mehr Soldaten wurden nach Afghanistan geschickt, die Zahl der getöteten Soldaten wird von Jahr zu Jahr höher und man erreicht praktisch nichts. Von einer Kontrolle der angespannten Situation kann wohl kaum gesprochen werden. Und ich habe das Gefühl, es wird eher immer schlimmer.

An die Hauptleidtragenden der ganzen Tragödie denkt dabei kaum jemand: die afghanische Zivilbevölkerung. Auch hier kennt die Zahl der Getöteten nur noch eine Richtung, nämlich nach oben.

Natürlich sollte man nicht verkennen, dass es auch Fortschritte in Afghanistan gibt. Zumindest in den größeren Städten ist wieder ein einigermaßen normales Leben möglich. Es gibt Strom, Nahrung und Wasser in ausreichendem Maße; Straßen, Brücken und Krankenhäuser wurden gebaut; Mädchen dürfen die Schule besuchen und das gesamte Bildungssystem wurde verbessert. Hierfür wurde mit Sicherheit sehr viel Geld ausgegeben, was in Anbetracht der Lage auch richtig ist. Aber mit Geld alleine befriedet man halt kein Land und solange es in einigen Regionen die Taliban gibt, wird besonders die Landbevölkerung wenig von der zivilen Aufbauhilfe profitieren.

Doch wahrscheinlich könnte noch mehr geholfen werden, wenn viele Hilfsgelder nicht in falsche Hände geraten würden. Denn in einem so korrupten Land wie Afghanistan gibt es viele Profiteure, aber leider gehört das gesamte Volk nicht dazu. So positiv die Erfolge in den Städten auch sind, das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Auch von einer auch nur in Ansätzen erkennbaren Demokratie ist weit und breit nichts zu sehen. Klar, es fanden in Afghanistan Wahlen statt, aber was haben die für eine Aussagekraft? Keine, denn wie hinlänglich bekannt ist, war das Wahlergebnis gefälscht.

Ich sehe es mittlerweile so, dass auch noch so viele Versuche, das Land unter Kontrolle zu bekommen, scheitern werden – und das gilt sowohl für die militärische als auch für die zivile Entwicklung des Landes. Denn für ein erfolgreiches Gelingen sind zwei Seiten erforderlich: auf der einen diejenigen, die helfen wollen und auf der anderen Seite diejenigen, die sich helfen lassen. Und auf der Seite derjenigen, die sich eigentlich helfen lassen müssten, ist in den Augen des Westens kein vernünftiger Gesprächspartner vorhanden. Will man aber etwas erreichen, muss man notgedrungen auch die Taliban mit ins Boot holen, da die nun einmal eine Macht im Lande sind. Solange dies nicht geschieht, wird das mit den hehren Versprechungen in Afghanistan nichts.

Aber ich persönlich glaube eh nicht mehr, dass man in Afghanistan noch viel bewegen kann und deshalb halte ich es für das Beste, alle Truppen abzuziehen. Denn man muss erkennen, dass es für die Afghanen wenig bringt, ausländische Truppen im Land zu haben. Es bringt auch wenig, sie nicht im Land zu haben, also kann man die Truppen auch ebenso gut abziehen.

Ob der Aufbau dort wirklich so gut vorangeht, wie seitens der Politik behauptet wird, bezweifle ich. Danach sollen die Alliierten sich bis 2014 aus Afghanistan zurückgezogen haben, weil die dortigen Sicherheitskräfte bis dahin in der Lage sein sollen, selbst für die Sicherheit im Land zu sorgen. Das glaube ich nicht.

  • Ein schwieriges Thema. Es ist hier glaube ich leichter etwas verkehrt zu machen als etwas richtig. Und es aus der Ferne zu beurteilen finde ich noch schwieriger. Aber ich freue mich, dass auf dem Kritzler ein solcher Gedankenanstoß Platz gefunden hat!