Reise der Irrwege
Hallo ich bin der Kastor und strahle von Innen heraus auf meiner Reise in eine leuchtende Zukunft.
Ich bin kein fossiler Energieträger aber für viele ein Fossil.
Von den Strapazen meiner diesjährigen Tour möchte ich hier berichten.
Start und Ziel sind immer identisch, nur die Route und die Fahrzeit ändern sich. Die, die ihren Nutzen und Gewinn aus mir gezogen haben, besorgten mir das Ticket aber kümmerten sich nicht um die Transportkosten. Für freie Fahrt sorgte die alte Tante in Berlin und ihre Kumpel aus der Atomlobby.
So wie man sich um die Laufzeitverlängerung meiner Kraftwerke bemühte, damit diese Reise der Irrwege noch weiter andauert. Alles zum Wohle des Volkes, oder zumindest einem kleinen Teil davon, der zufällig aus den Machern der Energiewirtschaft besteht.
Ich bin der populärste Passagier der Bahn denn ich mobilisiere fast so viele Menschen, wie ein Karnevalsumzug. Viele, denen die Zukunft unseres Planeten am Herzen liegt, wollen mich aufhalten um damit ein Zeichen zu setzen.
Dadurch werde ich aber auch gleichzeitig zu dem Passagier mit der größten Verspätung, wofür die Bahn ausnahmsweise mal nicht verantwortlich ist.
Auf meiner Reise nehme ich viele Menschen mit, diesmal so 12000 Polizisten und 50000 Gegner dieser verfehlten Energiepolitik.
Ich, ein Ungetüm aus kaltem Stahl mit einem leuchtenden Kern, sorge aber trotzdem für die Annäherung von Demonstranten und Polizisten. Zumindest auf der körperlichen Ebene, wenn zwei Staatsbedienstete einen Blockierer von den Gleisen tragen müssen.
Wenn ich im Vorbeifahren in die Gesichter der Akteure dieses Spektakels schaue, kann ich nicht nur bei den Gegnern die Angst vor meiner Fracht und vor einer strahlenden Zukunft erkennen. Auch die Gesichtszüge vieler Uniformierter verraten ihre Solidarität mit den Gedanken der Menschen, die sie von den Gleisen fernhalten müssen.
Statt sich neben die Blockierer zu setzen um ihre Meinung im stillen gewaltfreien Protest kundzutun, sind sie über ihre Dienstanweisungen dazu verpflichtet mir alle lebenden Steine aus dem Weg zu rollen. Also harren sie stundenlang in der Kälte aus, um für einen Hungerlohn eine Blockade zu beseitigen, die sie als Privatmenschen vielleicht sogar unterstützen würden.
Die Gegendemonstranten auf der anderen Seite können leider nicht von einem friedlichen Aufbegehren sprechen, solange irgendwelche fehlgeleiteten Vollpfosten diese Aktionen missbrauchen um Randale anzuzetteln.
Diesen Chaoten denen es nicht um die Sache geht sondern nur um Randale möchte ich bei meiner nächsten Reise nicht mehr begegnen.Polizeifahrzeuge anzünden ist zwar sehr medienwirksam, hilft aber niemandem bei der Diskussion um eine andere Energiepolitik.
Der oberste deutsche Dienstherr der Umwelt war auch unterwegs. Wer jetzt glaubt, er war auf dem Weg zu mir um den Menschen hier Rede und Antwort zu stehen, kennt die Charaktereigenschaften politisch Verantwortlicher in Deutschland aber schlecht.
Dafür hatte er keine Zeit, musste er sich doch um sein eigenes politisches und wirtschaftliches Fortkommen kümmern. Zu diesem Zwecke tourte er durch NRW und seichte Talkshows, um mit einem süffisanten Dauerlächeln auf Fragen zu reagieren, die ihn nicht ernsthaft in die Bredouille bringen konnten.
Sollte sein Karrieresprung in ein politisches Amt auf Länderebene wider Erwarten scheitern, und sein Weg auf den Abschiebebahnhof in Brüssel blockiert sein, werden dankbare Vorstandsvorsitzende aus der Energiewirtschaft ihm schon ein lohnendes Ziel seiner Karrierereise zuweisen.
Trotz aller Widrigkeiten und kreativen Behinderung ging mein Trip durch die deutschen Lande doch irgendwann zu Ende und ich kam wohlbehalten am Zielort an.
Und nun? Was bleibt in den Köpfen der Menschen hängen?
Die Aufregung hat sich gelegt. Die Diskussionen, ob ziviler Ungehorsam in dieser Form wirklich etwas bewegt, werden wieder verebben.
Es werden noch einige Anklagen wegen Nötigung, Sachbeschädigung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt verhandelt. Die Verurteilten werden zahlen oder können nicht. Der Bürger als gemeines Zahl- und Stimmvieh wird für meine Reisekosten und alle Auslagen aufkommen.
Bei den nächsten Wahlen haben wieder alle vergessen, welche Partei oder Koalition man für diese Energie- und Lobbypolitik abstrafen wollte.
Die Medien richten ihren Fokus wieder auf Themen die eine bessere Quote erwarten lassen, wie Hochzeitspläne bei Adels oder deutsche Rennweltmeister.
Alle vorher noch so laut Empörten fallen wieder in ihren Dämmerschlaf.
Bis zu dem Tag, an dem ich erneut mit meinen stählernen Hufen scharre, als Startsignal für eine neue Odyssee in eine strahlende Zukunft.
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M.Jung