Unterwegs zu meinem ich
Es wird bereits merklich kühl. Ich merke, dass schon sehr bald der Herbst kommt, die ersten Blätter färben sich auch schon und das Ufer wird langsam bunt. Ich setze mich auf meinen Lieblingsplatz und schaue hinaus auf den Fluss. Heute liegt er ganz still da, als würde er auch diesen wunderschönen Sonnenuntergang genießen. Dann höre ich sie wieder, die Enten und Gänse. Hoch über mir fliegen sie. Ich schließe die Augen.
Sanft streicht meine Hand über das goldene Korn, die Luft ist schön warm und erfüllt vom Gesang der Vögel. Ich liebe den Sommer. Langsam gehe ich durch das goldene Feld und atme tief die wunderschöne Luft ein. Es ging mir nie besser.
So laufe ich einfach vor mich hin und beobachte alles was sich bewegt. Die Schmetterlinge, wie sie mit dem Sonnenschein tanzen. Die Vögel, wie sie sich gegenseitig über den Himmel jagen. Die ganze quirlige Masse, die immer nur in hektischer Bewegung ist. Aber ich nicht. Ich gehe hier nur meinen Weg und bin unterwegs. Ich wandere, gehe spazieren. Ich bin auf der endlosen Suche nach mir selbst.
So geh ich weiter. Immer weiter. Meine nackten Füße spüren jeden Stein unter meinem ruhelosen Körper, meinen Geist, der sich sehnt am Ziel anzukommen. Ich laufe durch dieses wundervolle Feld, durch diesen wundervollen Tag. Ich laufe und laufe. Ich bin unterwegs. Ich gehe eine Reise, die ein Leben lang dauert. Eine Reise, die jeder geht. Ich bin unterwegs zu meinem Ich. Das ist mein Ziel. Dort ist mein Weg, ein goldenes Feld und himmlischer Tag.
Am Ende des Kornfeldes steht ein kleines Häuschen. Es ist eigentlich nur eine Holzhütte. Sie sieht einladend aus, ich werde mir eine Pause gönnen. So gehe ich hinein. Ich sehe mir das Haus an, gehe durch jeden Raum, weil meine Füße nicht ruhen wollen. Es ist schön hier, wenn ich mit meiner Reise fertig bin, komme ich wieder.
Beim Hinausgehen fällt mir auf, dass die Sonne schon tief liegt, es scheint, als würde der Himmel brennen, so rot ist er. Ich gehe nach links hinein in den Wald. Dort ist es so schön kühl. Ich höre einen Bach, nicht weit von mir. Ganz automatisch tragen meine Füße mich zu ihm. Ein kleiner, klarer Bach. Er ist ganz klar und in schneller Bewegung. Ganz leise flüstert er mir zu, ich bin noch nicht am Ziel. Wie kann ein kleiner Bach, wie dieser nur so ruhelos sein, wie ich? Auch er ist sein Leben lang schon unterwegs. Immer in Bewegung und kann einem so vieles erzählen, wenn man die Zeit ihm zuzuhören. Doch ich habe sie nicht. Ich höre sie die Enten. Sie fliegen hoch über mir, sie sind auf dem Weg nach ihren Zuhause.
Ich drehe mich um, verlasse den Wald und den Bach. Ich lasse die Hütte hinter mir und auch das Feld. Immer weiter tragen mich meine Füße, immer weiter, immer weiter. Ohne anzuhalten laufe ich und suche mich.
Ich komme an einem Marktplatz vorbei, viele bunte Leute treiben sich hier. Sie tanzen und feiern ein fröhliches Fest. Sie erinnern mich an Figuren aus einem Buch. Sie sehen aus wie das fahrende Volk. Hier fühl ich mich wohl, ich werde eine Weile hier bleiben und einfach nur zusehen. Sie sehen so glücklich aus. Jetzt sind sie still meine Füße.
Der kalte Wind zwingt mich meine Augen zu öffnen. Die Sonne ist schon fast weg. Ich stehe auf und spüre das Gras unter meinen nackten Füßen. Ein Lächeln fliegt über mein Gesicht, als ich mich zum gehen wende. Ja. Ich gehe nach Hause, zu meinem bunten, ruhelosen und immer nach einem neuen Ort suchenden Völkchen. Ich weiß es jetzt. Mein Ziel waren sie. Ich bin zu ihnen gegangen und bin bei ihnen angekommen. Meine Reise ist vorbei, als ich wieder einmal meine kleine Hütte betrete und die willkommende Wärme spüre.
Schon lange bin ich nicht mehr unterwegs. Ich gehe nur noch zum Fluss und sehe ihm dabei zu, wie er auf dem Weg zu seinem Ziel ist. Mal aufgeregt, wie ein kleines Kind und mal schleppend, wie eine alte Frau.
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Chris Netzker