Burn, Baby, Burn

Es waren die 1970er Jahre. Eine Zeit, in der viele Leute jede Menge merkwürdiger Dinge taten. Wir auch. Allerdings setzten wir noch eins drauf. Bei allen spinnerten Aktionen, die in der Dope-Ära vonstatten gingen, es war wohl niemand so närrisch, mit einer Leiche ein paar hundert Meilen quer durchs Land zu streifen. Im Hochsommer noch dazu. Richtung Wüste!

Wir, das waren ein junger Typ namens Larry und meine Wenigkeit, Big H. Bei dem Toten handelte es sich um Tim Morrison. Den müssten Sie eigentlich kennen, wenn Sie sich auch nur ein bisschen in der Musikgeschichte auskennen. Er war der Sänger der „Backdoors“. Hatte in den Sixties zwei Dutzend Top-Ten-Hits, die Combo. Ihr größter Erfolg war sicherlich „Surfers on the Storm“. Kennen Sie sicher – dadadidadum. Na, klingelt’s? Hah, wusste ich’s doch. Den Song kennt jeder. Auch heute noch.

Passen Sie gut auf. Ich lüfte nun auf meine alten Tage ein Geheimnis von epischer Größe, eines der der spektakulärsten Mysterien der Popkultur. Glauben Sie’s ruhig. Ich werde Ihnen sagen, was mit Tim Morrisons Leichnam geschah. Jawohl, es stimmt, was man sich erzählt. Die sterblichen Überreste wurden dreist geklaut. Das ging ja damals durch sämtliche Medien. Weltweit. Bis heute weiß allerdings niemand, wo die Leiche geblieben ist und was mit ihr geschah. Außer mir. Und Larry. Kein Kunststück! Wir waren schließlich die Leichenräuber.
Ah, ich sehe, ich habe Ihre Aufmerksamkeit. Nun, wo soll ich anfangen? Klaro, am besten da, wo es interessant wird. Eines Abends läutete Larry bei mir Sturm. Ich hauste damals in einer Kommune in Brooklyn, wenn ich nicht gerade mit der Band unterwegs war. Larry war wohl der größte Fan der „Backdoors“, nicht ein einziges Konzert verpasste er. Das Bürschchen scheute keine Kosten, um der Gruppe hinterherzureisen. Weiß der Henker, woher der Junge die Kohle hatte. Ich glaube, er war Sohn reicher Eltern. Der Glückliche! Tim war sein Idol. Wenn sie mich fragen, er wäre für unseren Chefcharismatiker in einen Bottich mit siedendem Öl gesprungen, hätte der das verlangt. Ich selbst war bloß der Roadie. Ich fand die Mucke zwar auch knorke, aber als so genannte „Fachkraft für Veranstaltungstechnik“ hat man es nicht so mit Romantisierungen und Starverehrung. Dafür sind die Arbeitszeiten einfach zu lang und die körperlichen Belastungen zu hoch. Wenn so eine Tour schon von den Künstlern als Schufterei empfunden wird, dann stellen Sie sich mal die Frage, was sie für die Schlepper, Aufbauhelfer und Kulissenschieber ist.

Tja, wie gesagt, eines Tages suchte Larry mich privat auf. Er trat mir fast die Tür ein, so aufgeregt war er. ‚Aitch, du musst mir helfen‘, flehte er mich an. Ich habe erst gedacht, er wäre auf einem Trip. Aber als sich in seiner glimmenden Augen sah, merkte ich, dass er auf etwas sehr viel Halsbrecherischem war – nämlich einer Mission. Mein verpenntes ‚Was’n los?‘ beantworte Larry mit einem festen Griff an meinen Kragen. Er schleifte mich die Treppe runter zu seinem Auto, einem psychedelisch bunt lackierten Camaro. Auf dem Rücksitz saß Tim – bleich, kalt, regungslos, tot. Der Junge hatte seinen Helden noch vor der Autopsie aus der Leichenhalle gestohlen. Hut ab. Das war sicher nicht leicht gewesen. So ein großer Star wie Tim wird schließlich auch als Toter bewacht.

Als ständiger Begleiter einer Rockband kann einen nichts mehr überraschen. Selbst auf die abnormsten, abartigsten Dinge reagiert man mit der Zeit nur noch mit einem müden Grinsen. Allerdings muss mein Gesicht in jenem Moment ziemlich fragend ausgesehen haben, denn Larry erzählte mir unaufgefordert und ausführlich seine Beweggründe für den Leichenraub. Tim hatte ihm kurz vor seinem Ableben, das übrigens stilecht für einen Rockmusiker durch einen Goldenen Schuss erfolgt war, im Vertrauen gesteckt, dass man ihn am Tag der Sommersonnenwende um Punkt Mitternacht in der Mojave-Wüste an einer alten Schamanenkultstätte verbrennen solle, auf dass seine Seele eins werde mit dem Sturmwind, zu einem Teil des großen Luftgeists! Seine Asche möge in alle Winde verstreut werden. Ach ja, bei seiner Verbrennung hätte er auch gern ein Surfbrett bei sich. Rockstarflausen. Aber Larry nahm die Spinnerei ernst. Er wollte den letzten Wunsch seines Abgottes unbedingt erfüllen. Doch er biss mit sein Ansinnen auf Granit. Niemand hielt ihn für glaubwürdig. Verlacht hatte man ihn gar. Da könne ja jeder kommen, hieß es. Tims Familie hatte Larry cool abblitzen lassen. Daraufhin war der Edelfan allerdings erst recht aktiv geworden. Ich sollte nun mithelfen, Tims Leiche samt Surfbrett zum gewünschten Bestattungsort zu karren. Tja, nun, ich bin ein Roadie. Leute von A nach B zu verfrachten, ist mein Job. Außerdem gehörte ich ja auch irgendwie zur Band. Folglich habe ich mitgemacht. Berufsehre.

Wir zuckelten also los. Auf Schleichwegen selbstverständlich. War gar nicht so einfach, die Leiche aus der Stadt zu kriegen. Jede Verkehrskontrolle hätte unserem Plan den Garaus machen können. On the road lief es dann geschmeidiger. Durchatmen konnten wir trotzdem nicht. Die Verwesung setzte ein. Bald stank Tim zum Himmel, und in den Kofferraum wollten wir ein Idol wie ihn nicht stopfen. Kadaver hin oder her, das wäre doch zu würdelos gewesen für den angehenden Surfin’ Bird. Ein Flugzeug zu chartern, hatten wir uns nicht getraut. Wegen des Entdeckungsrisikos. Mit dem Auto fühlten wir uns unauffälliger. Aber es wurde eine Ochsentour. Wir hatten nicht daran gedacht, ein Behältnis für den Leichnam zu besorgen. Je weiter wir in die wärmeren Regionen vordrangen, desto fauliger wurde die Luft. Bald hatten wir so viele Fliegen im Wageninneren, dass wir uns provisorische Atemschutzmasken basteln mussten. Doch bei allem Ungemach, wir erreichten unser Ziel. Wie es uns gelang, an den Mautstationen unterwegs vorbeizukommen, erzähle ich nachher gesondert. Das sind Abenteuergeschichten für sich. Ebenso die Sache mit der hübschen Hippie-Anhalterin, die wir irgendwo im Nirgendwo auflasen. Hach, was für ein Spaß! Tim hatte ja immer schon eine enorme Wirkung auf Frauen gehabt, doch erst als Toter raubte er den Ladys den Verstand.
Pünktlich am 21. Juni standen wir zur Geisterstunde in den Kelso-Dünen und kokelten Tim ins Jenseits. Mitsamt Surfbrett, ein echtes Mistral Equipe Race. Wir hatten Timmy auf der Rückbank belassen. Selbst Larry war es zu eklig gewesen, die inzwischen seifige Leiche anzufassen. Also hatten wir den Rücksitz ausgebaut. Oder besser: rausgewuchtet. Mit mehreren Kanistern Benzin übergossen, brannte Tim nun wie Napalm mit Paprika. In dicken schwarzen Schwaden verließ er unsere Welt. Larry stand total ergriffen da, das Wasser glänzte in seinen Augen. Ich selbst sah die Sache nicht ganz so melodramatisch. Aber ich war ja auch nur der Roadie.

„Weißt Du was, Aitch“, meinte Larry beinahe euphorisch, „das sollte man öfters machen.“
„Was?“, fragte ich. „Leichen verbrennen?“
„Eine große Feuerzeremonie“, erläuterte Larry. „Eine Party, ein Festival! Ein spirituelles Happening in der Wüste mit Kunstausstellungen, Musikkonzerten, Jahrmarkt, Tanz, Theater und was weiß ich noch alles. Jeder ist willkommen. Und wenn’s zu Ende ist, pfeift der Wind drüber.“
Ich sah Larry belustigt an.
„Jaaaaa“, steigerte sich der Jungenthusiast in seine Idee hinein, „ein leuchtendes Fanal der Indie-Kultur. Im Mittelpunkt des Ganzen wird eine Ikone, eine Figur in Menschengestalt verbrannt. Das Motto: Keine Spuren hinterlassen! Phantasie statt Kommerz. Und nennen tun wir das Ganze … „Burning Man“.
Jetzt platzte es aus mir heraus. Ich lachte mich regelrecht schlapp. Prustend legte ich dem kleinen Spinner die Hand auf die Schulter und rüttelte ihn durch. „Das, Larry, ist das Beknackteste, was ich je gehört habe. So ein Humbug. Was hast Du bloß für ein Kraut geraucht, Mann? Das wird nie und nimmer funktionieren. NIEMALS!“

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Harry Michael Liedtke

  • Ein typischer Liedtke! Danke dafür! Humor, so schwarz wie unter den Fingernägeln! Du hebst den absurdesten Blödsinn in den Bereich des Möglichen, des Realen, des Glaubwürdigen. Und das macht Riesenspaß!