Ein bisschen Freiheit

„Wohin sind wir eigentlich gerade unterwegs?“
Sie sprach spontan, aus dem Nichts heraus. Ihr Mund war ganz nah an meinem Ohr und ich konnte ihren Atem spüren. Meine Mundwinkel zuckten leicht, ich hatte selber keine Ahnung:
„Frankreich? Holland? China? Was macht das für einen Unterschied?“
Ich beobachtete weiter die vereinzelten Wolken, die hoch über uns vorüberzogen, während unter uns und dem Güterzug, auf dem wir lagen, das Gleisbett dahinratterte.
Sie nahm meine Hand und schlang ihre Finder in meine, jetzt flüsterte sie, was ich über das Geräusch des Zuges hinweg kaum verstehen konnte:
„Ich habe das Gefühl, wir sind schon viel länger unterwegs als nur zwei Tage. Mein stressiger Alltag liegt irgendwo hinter dem Horizont und wir entfernen uns jede Sekunde weiter von ihm.Ich fühle mich frei!“
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Bis zum letzten Stern

Computerlogbuch des Raumschiffs Detection 1, 14. April 3354, Universum Z 2.3.
Haben den letzten Stern des Universums Z 2.3 erreicht. Kein Leben gefunden.
Das ist jetzt das 29. Paralleluniversum und noch immer sind wir dem Ziel unserer Suche keinen Schritt näher.
Die Unzufriedenheit innerhalb der Crew wächst. Erfolg muss her.
Aber auch meine Zuversicht beginnt zu schwinden. Meine Rolle als Captain zwingt mich, stark zu sein, der Crew Hoffnung zu geben. Doch wird das zunehmend schwerer.
Ganz anders verhielt sich das am Tag unserer Abreise. Er ist nun 20 Jahre her. Was waren wir damals doch euphorisch. Fühlten uns wie Captain Kirk. Warteten nur darauf Mister Spock die Hand zu schütteln.
Für jeden von uns stand fest, wir würden in absehbarer Zeit auf intelligentes Leben stoßen.
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Die ersten Schritte und noch weiter

Eins… zwei… drei… Los! So das war’s: der erste Schritt meiner Reise. Mein Körper fühlt sich unkontrolliert an, schwer steuerbar, aber keineswegs außer Kontrolle. Ein zweiter Schritt, das ist mein vorläufiges Ziel. Wankend komme ich zum Stehen, wie mühsam. Meine noch recht beschränkten Messungskünste, sagen mir, dass es noch ungefähr ein halber Meter ist, bis ich meine erste Pause machen kann. Ich trete den Kampf an, auf mein intaktes Innenohr vertrauend. Das Bein hebe ich leicht an und lasse mich nach vor fallen, ob das gut geht? Nein. Links, rechts, nach vorn, nach hinten wieder rechts wanke ich bis sich mein Schwerpunkt dann schlussendlich doch in eine für mich ungünstige Lage befindet und … ich hinfalle. Gedemütigt sitze ich da, das Kichern der Großen nehme ich kaum wahr. Mein ganzer Körper widmet sich nur einer Aufgabe, dem Wiederaufstehen. Bei solch einer „patschaten“ Motorik leichter gesagt als getan. Nach etlichen nicht minder peinlichen Versuchen gelingt es mir mich meiner zwei Beine so weit zu bemächtigen um die Hände nicht zu brauchen. Los geht’s wieder. Nur noch eine kleine Strecke… für die Menschheit, nicht für mich.
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Bahn-Episoden – Endstation Zwangsjacke

Vorweihnachtlicher Donnerstag, Hauptbahnhof Hannover.
Aus den Lautsprechern am Bahnsteig 3 ertönt: „Auf Gleis 3 und 4 im Abschnitt B steht ein unbeaufsichtigtes schwarzes Gepäckstück. Der Besitzer wird gebeten, dieses sofort abzuholen!“
Die Lichterketten spiegeln sich in den Fensterfronten, die auf die Bahnsteige führen.
Ein roter Koffer verliert sich zwischen den Passanten. Einsames Rot unter einer Anzeigetafel, welche einen 10 Minuten verspäteten Zug nach Hildesheim auf Gleis 3 anzeigt.

Wartestieg.
Düdeldidei. „Sicherheitsdurchsage: Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.“
Die Passanten schrecken vor dem roten Koffer zurück, drängen sich dicht aneinander an das Geländer, welches den Blick auf die Kaufhausstraße im unteren Bahnhofsbereich freigibt: Lebkuchenherzen, Bratwürste, gequetschte Brüstchen in Korsetts, Lackhaare, blinkende Hundeleinen, Tanz unter dem Weihnachtsbaum.
„In der Friseurstube Dritschmann wurde ein rosa Koffer abgegeben. Die Dame wird gebeten, das Gepäckstück unverzüglich abzuholen!!!“
Die Bahn gleitet ein am Gleis 3. Der Griff des roten Koffers wird von einer zerbrechlichen Hand eines kajalverschmierten Mädels ergriffen und in die am Mitteleingang des 2. Wagenteils drängelnde Schlange geschoben, wo sich ihre Spur verliert.
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Das letzte Gespräch

Er hatte in zwei, statt, wie von den meisten vorausgesagt, in fünf Jahren den Weg in die Chefetage geschafft. Andreas Krüger wusste jedoch, wie dünn das Eis war, auf dem er sich von jetzt ab bewegte. Daran hatte die Alte, wie sie alle die Besitzerin hinter vorgehaltener Hand nannten, von Anfang an keine Zweifel gelassen: „Krüger, Sie brauchen nur drei Dinge hier oben“, sagte sie bei seinem Antrittsgespräch.
An ihren Augen sah er, dass sie keine Antwort erwartete. „Erfolg, Erfolg und nochmal Erfolg. Was ich nicht brauche, ist irgendeine Erklärung, warum er ausblieb. Klar?“
„Das ist ganz in meinem Sinne, Frau Direktor Schmitz. Davon können Sie bei mir ausgehen, sonst wäre ich wohl kaum so schnell die Karriereleiter hochgestiegen.“
Sie lächelte bösartig: „Schön, wenn wir uns in diesem Punkt einig sind. Sie sollten nur eines wissen, junger Mann. Meine Angestellten sehen mich nur zwei Mal.“ Sie ließ einen Moment Pause, um ihren Punkt besser wirken zu lassen. „Beim Anfangen und beim Aufhören. Ich denke wir haben uns da verstanden.“
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Das erste Glas – Lebensmut

„‘Es ist doch ganz einfach mit dem Saufen aufzuhören. ‘ Jakob hatte sich mit jenem überheblich- überlegenden Gesichtsausdruck, der mich schon bei unserer ersten Begegnung sehr gestört hatte, in seinem Ledersessel zurückgelehnt – die fleischigen Hände auf dem Bauch gefaltet. ‚Du musst nur das erste Glas stehen lassen!‘Ich hatte ihn angestarrt. Wortlos. Sprachlos. Dann war ich einfach gegangen und nie wieder in jenes Büro von “Rettungsanker“ zurückgekehrt, einer Organisation die Suchtkranke unterstützt wieder lebenstüchtig und –froh zu werden. Dennoch waren es eben diese, Jakobs Worte, die mich dazu brachten, mich aufzumachen die Sucht zu besiegen. Es ist mir gelungen, wenn ich auch noch viele erste, zweite und auch sechste und siebte Gläser trinken musste, bevor das Glas vor dem nächsten einfach nur das letzte Glas wurde.
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In Gedanken eingetaucht

Gerade hatte ich mir vorgenommen, üppig Kaffee zu trinken. Es war eine sehr große Tasse Kaffee, denn der Löffel sank auf den Grund und ich konnte ihn nicht mehr sehen. Ergo beschloss ich mich meiner Kleidung zu entledigen und der Sache mit meiner neuen Taucherausrüstung auf den Grund zu gehen.
Zuvor hatte ich mittels großer Fußzehe in Erfahrung gebracht, ob die Flüssigkeit auf ein erträgliches Maß abgekühlt war. Und tatsächlich: Optimale Betriebstemperatur – will sagen: Handwarm. Ich sprang kurz entschlossen in die übergroße Kaffeetasse.
Da es sich um einen Milchkaffee handelte, wurde mir die Sicht genommen. Weiße Schleier bedeckten die Glasfläche der Taucherbrille. Doch mein Kompass, den ich noch aus meiner Pfadfinderzeit aufgehoben hatte, leistete gute Dienste.
Nach nicht einmal einer Zigarettenlänge konnte ich den Grund der Kaffeetasse erreichen. Doch unvorsichtigerweise stellte ich mich mit den Füßen auf den Boden der Kaffeetasse. Dieser aber war mit einer kniehohen Schicht Schlamm bedeckt. Dieser Schlamm bestand aus purem Zucker und hatte seiner Beschaffenheit nach die gleiche Sogwirkung wie Treibsand.
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Unbefleckter Schnee

Ihre Augen sahen verträumt auf die weiße Schneelandschaft rechts von ihr. Noch war er unberührt, rein, einfach nur wunderschön. Vereinzelt schneiten ein paar Flocken herab, die das gesamte Ambiente noch weihnachtlicher machten. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Einfach alles war perfekt. Sie war glücklich, wunschlos glücklich. Natürlich wusste sie, dass das kein dauerhafter Zustand war, doch sie war ein Mensch, der den Moment lebte und das Leben liebte.
Sie hörte gerade Musik, im Moment ruhige, die sie persönlich an Weihnachten erinnerte, allerdings eigentlich keine Weihnachtslieder waren. Leise summte sie vor sich hin, außer ihr war im Moment sowieso keiner auf dieser verlassenen Straße. So war auch der Schnee am Gehweg unberührt und nur ihre eigenen Fußspuren waren hinter ihr zu sehen.
Sie freute sich sehr darauf ihn zu sehen. Ihre große Liebe. Darwin. Sie und Darwin waren nun schon zweieinhalb Jahre zusammen und immer noch glücklich. Darwin ist 19, zwei Jahre Älter als Blanca, aber ihre Gefühle füreinander sind noch wie am ersten Tag, den Blanca nie vergessen wird. Heute ärgerte sich Blanca auch nicht, durch die eisige Kälte so lange zu ihrem Freund fahren zu müssen, denn sie freute sich schon so sehr auf das Wochenende, dass alles andere unwichtig erschien.
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Der Weg zum Ziel der Wünsche (oder eher der Weg zur Erkenntnis)

Müde rieb sich Marie die Augen, griff nach der Kaffeetasse mit zittriger Hand
und probierte es noch einmal. Das kann doch nicht so schwer sein, dachte sie und spürte dabei die Schwere ihrer Hände, wie sie auf die Tischplatte sanken und versuchten etwas zu tun, was ganz selbstverständlich war, aber es klappte nicht.
,,Na los“, machte Marie sich Mut. Immerhin hatten es ihre Hände jetzt geschafft, die Kaffeetasse zu umklammern. Marie atmete tief durch, und ganz langsam hob sie die Tasse mit beiden Händen und trank endlich ihren ersten Schluck.
Währenddessen ging draußen vor dem großen Küchenfenster allmählich die Sonne auf. Wie schön ihr Garten in dem noch fahlen Tageslicht jetzt aussah. Sie hatte das immer gemocht. Es war die schönste Zeit des Tages: Die Stille. Das langsame Erwachen. Kein Laut war zu hören. Es war 5 Uhr in der Früh, und der Rest der Welt schien zu schlafen. Komisch, dachte sie, als die Kinder noch klein waren und später auch zur Schule mussten, hätte sie ein Königreich gegeben, für eine Stunde mehr Schlaf.
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Ein ganz normaler Tagesbeginn

„Tschüss, schlaft noch ein bisschen“, sage ich zu meinen Kanarienvögeln und knipse das Licht aus, bevor ich die Wohnung verlasse.

Es ist Donnerstag, ich fahre durch das Foyer und sehe durch die gläserne Haustür, dass mein Fahrdienst schon auf mich wartet. Uwe und Anja stehen auf dem Parkplatz, rauchen und ziehen die Köpfe ein, um sich vor dem kalten Herbstwind und dem leichten Nieselregen zu schützen.

„Guten Morgen“, rufe ich ein wenig zu fröhlich, wie um mich selbst davon zu überzeugen, dass ich wach und fit für den Arbeitsalltag bin. Die beiden erwidern meinen Gruß und ich fahre auf die elektrische Hebebühne, die mich in den geräumigen Ford-Bus schweben lässt. Drinnen sitzt bereits das kleine Mädchen aus Indien. Sie hat eine leichte geistige Behinderung und eine spastische Lähmung. Mit ungelenken Fingern wischt sie die beschlagene Scheibe sauber. Aus ihrem mp3-Player klingt Bollywood-Musik.
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