Franziska im Hochhaus

Mit quietschenden Reifen landete Franziska mitten in einer Ansammlung grauen Betons.
Hier schien es nicht den Hauch von Farbe zu geben. Außer einem kleinen Spielplatz im Zentrum all dieser Wohnsilos war hier wirklich nichts, was sie zum Verweilen einladen konnte. Schaukeln und rutschen würde ihr jetzt wirklich Spaß machen, aber dafür hatte sie wohl vorerst keine Zeit. Sie konnte Panju förmlich dort oben grummeln hören, dass sie sowieso schon viel zu lang gebraucht hatte, um wenigstens in die Nähe ihres neuen Einsatzortes zu kommen.

Mit großen Augen starrte Franziska die hohen Häuser an.

„Jetzt staunst du, was?“ grinste Hans-Werner sie frech an. „Einfach wird das nicht. Wir suchen mal unsere Bekannten und du kannst dich ja schon mal umschauen. Aber eins sage ich dir direkt: hier wird sowieso nicht viel gesprochen! Die meisten Menschen, die hier leben, kennen sich fast gar nicht, ja, die grüßen sich noch nicht mal.“

„Woher weißt du das denn?“

„Ach, man bekommt schon so einiges mit. Wir haben einmal im Monat Ratten-Stammtisch in einem Burgerschuppen am Bahnhof und da wird halt viel erzählt…“

Kaum ausgesprochen, machten sich ihre beiden neuen Freunde auch schon auf den Weg Richtung Kellergewölbe. Nun gut, dachte sie, dann schaute sie sich einfach mal ein bisschen um.

Auf dem Spielplatz war überhaupt nichts los. Das war sehr bedauerlich, denn Franziska unterhielt sich gerne mit Kindern. Meistens hatten die viele lustige Geschichten zu erzählen und ließen sie oft mitspielen. Das Versteckspiel liebte sie am meisten, denn aufgrund ihrer Größe, wurde sie meistens nicht entdeckt und konnte fast immer gewinnen.
Trübselig steuerte sie auf die nächstbeste Haustür zu. Sie würde halt warten, bis diese sich wie von Zauberhand öffnete. Und siehe da: lange musste sie auch nicht warten und sie konnte schon in das Haus schlüpfen. Eine ältere Dame machte sich schweren Schrittes offensichtlich auf den Weg zum Supermarkt. Jedenfalls zog sie so ein rosafarbenes Ungetüm auf Rollen hinter sich her, in das sicher ganz viele Einkäufe hinein passen würden.

Und nun? dachte Zis. Hier sah alles so gleich aus. Meterlange Gänge mit vielen Türen, eine sah aus wie die andere. Und das sollte sie sich jetzt Etage für Etage anschauen? Franziska beschloss, den Aufzug zu nehmen. Das hatte sie schon öfter gemacht und sie fand das Gefühl im Bauch so schön, wenn der Aufzug sich ganz schnell nach oben oder unten bewegte. Vorfreudig machte sie sich auf den Weg und sah das große gelbe Schild schon aus der Ferne leuchten „Außer Betrieb“ stand darauf. Mal abgesehen davon, dass sie keinesfalls in der konditionellen Verfassung war, so viele Stufen zu laufen, um sich jede Etage genauer anzuschauen, fragte Franziska sich auch, wie die alte Dame mit ihrem rosafarbenen Gefährt das nach ihrem Einkauf bewerkstelligen wollte. Vielleicht hatte die aber auch Glück und wohnte im Erdgeschoss.

Trostlos.
Es war hier alles so trostlos.
Da war es ja gar kein Wunder, dass den Menschen die Sprache abhanden gekommen war.

Mit hängenden Zöpfen und äußerst missmutig machte sie sich auf, um die Kellertreppe zu suchen. Sie würde wirklich Hilfe brauchen, das hier war nicht allein zu schaffen.
Die Kellergänge sahen leider auch nicht anders aus als der Rest des Hauses. Lange, endlose Gänge, brummende Rohre und ein Gitterverschlag neben dem anderen. Falls sie den Schweigsamen jemals finden sollte, musste sie sich überlegen, wie sie es ein paar Wochen in dieser Umgebung aushalten sollte.

Aus der Ferne vernahm sie lautes Lachen und so etwas Ähnliches wie Musik. Ob hier eine Party stattfand? Partys waren immer gut, sie mochte es, wenn die Menschen sich mal so richtig austobten. Dass auch Ratten wilde Partys feierten, konnte Franziska zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Als sie am Ende des langen Ganges ankam, traute sie ihren Augen und Ohren kaum. Ungefähr zwanzig Ratten tanzten und drehten sich wie die Verrückten und hörten dabei laut eine Musik, die in ihren Ohren ziemlich unmelodisch klang. Zwischendurch leckten sie an einer Flüssigkeit, die aus einer umgekippten Flasche tröpfelte. Und mitten drin: Hans-Werner! Das war tatsächlich ein Haudegen, der ließ ja nichts aus!

„Komm´ ran, Mädel!“ brüllte er „ hier ist schwer was los! Die Jungs aus der Südstadt haben es echt drauf! Punkrock und Wodka und das geht vermutlich die ganze Nacht so weiter!“

In der Ecke sah sie Hannelore sitzen. Der grimmige Gesichtsausdruck sprach eine sehr deutliche Sprache.
„Hannelore, was sollen wir denn jetzt machen? Die sind doch alle gleich sturzbesoffen, da kann ich doch niemanden mehr fragen, wie ich den Schweigsamen denn nun finden soll.“

Hannelore rümpfte die Nase, dass die Haare nur so flatterten „ach Schätzeken, mach dir mal keine Sorgen, ich weiß längst ALLES. Ich kenne das Spielchen schon: unter Vorwand einer heiligen Mission reist Hans-Werner immer wieder mal in die Südstadt, um dann hier ganz unheilig abzufeiern. Morgen leidet er wieder wie ein Hund, aber der braucht mich gar nicht erst um ein Aspirin bitten. So was kommt mir nicht in den Keller!“
Franziska musste doch sehr grinsen. Da schimpfte diese Rattendame wie ein Rohrspatz, aber man merkte ihr doch ganz deutlich an, dass sie ihrer Herzensratte doch sehr zugetan war. Höchstwahrscheinlich hatte sie irgendwo in ihrem heimischen Kellerverschlag haufenweise Aspirin liegen, das sie aus den Schubladen irgendwelcher trinkfreudiger Finanzbeamter stibitzt hatte.

„Wenn du längst ALLES weißt, dann lass mich doch bitte mal an deinem ALLES teilhaben! Und vielleicht hast DU ja eine zündende Idee, wie ich diesen Menschen dann dazu bringen soll, endlich mal den Mund aufzumachen, wenn es um sein Glück geht.“

„Bernhard.“

„Bitte?“

„Er heißt Bernhard, wohnt hier im Haus im dritten Stock und seine Freundin ist letzte Woche ausgezogen.
Seitdem trinkt er literweise Wodka, den ihm die Jungs von hier unten laufend stehlen, um es ihm gleich zu tun. Männer! Alle gleich, das kannst du mir glauben!“

„Aha. Und was nun?“

„Jetzt laufen wir in den dritten Stock und blasen diesem Blödmann mal ordentlich den Marsch!“

Gesagt.
Und los marschiert.
In heiliger Mission.
Ganz ohne Wodka.

  • Seufz – da isse Franziska wieder! Wunderbar, die Story von Ratten und Menschen! Doch wer ist hier der Mensch???

  • Männer! Genau! Bin ja mal gespannt, ob Franziska es schafft, dass wenigstens Bernhard wieder in die Spur kommt 😉

  • Nun ist sie ihrem Ziel ja schon um einiges näher.Schafft sie auch den Rest? Hat es denn dieser Bernhard überhaupt verdient, dass sich Franziska so für ihn ins Zeug legt?

  • Danke für euer Interesse an Franziska! Och, ich denke schon, dass es (fast) jeder Mensch verdient, dass man sich für ihn ins Zeug legt. Ich habe noch 2 weitere Teile fertig, merke aber grade, dass es immer schwieriger wird mit diesem Bernhard. Naja, mich hetzt ja keiner, nö?
    😉