Die Dame Lila

Die beiden älteren Damen an meinem Tisch machten mir Spaß.
Sie redeten nicht allzu viel, aber wenn sie denn Worte tauschten, dann grantelten sie meist. Und das in einem so entzückenden Hamburgerisch, dass ich einfach nicht weg hören konnte. Insgeheim hatte ich sowieso die Vermutung, dass die beiden Damen belauscht werden wollten. Oft ging es um ihre Katzen, die schon heißhungrig unter den extra reservierten Sonnenliegen auf sie warteten, um sich an der täglichen Fütterung zu laben.
`Das ist wohl das Liebesspiel des Alters` dachte ich so vor mich hin, während ich mich weiter still und heimlich dem Geplänkel an meinem Esstisch hingab.
Voller Ungeduld warteten die Damen auf die Eröffnung des Gesprächs meinerseits. Doch ich ließ mir damit Zeit, fast so, als wollte ich die dem Alter nachgesagte Geduld prüfen. Die Damen reagierten genauso unterschiedlich, wie sie auch zu sein schienen. Die scheinbar Ältere mit den lilastichigen und hoch auftoupierten Haaren widmete sich mit stoisch zur Schau gestellter Gleichgültigkeit der Bestückung ihres Katzen-Care-Paketes. Doch die neben mir sitzende, fast jugendlich wirkende Dame hielt es nicht mehr aus und erklärte mir mit einem zitternden Fingerzeig aus dem Fenster, die Rangfolge der bevorstehenden Fütterung. Ein wahres Panoptikum öffnete sich meinem Blick und ich musste an die Garfields und Felidaes denken, die bei der Lektüre gleichnamiger Comics und Bücher vor meinem inneren Auge lebendiger geworden waren, als meine eigenen Katzen, die ich einst Mitbewohner nennen durfte.

Sich um diese tatsächlich viel zu fetten Katzen zu kümmern, schien den Damen ein diebisches Vergnügen zu bereiten. Denn im Grunde war es durch die Hotelleitung untersagt und es gab einige Gäste, die sich an der hartnäckigen Weigerung der Damen, sich an dieses Verbot auch zu halten, doch sehr stießen.
Mir allerdings war es herzlich egal.
Ich dachte daran, dass auch das Alter eine gewisse Leichtfertigkeit bereit hielt und daran konnte ich mich erfreuen.

Die Damen behaupteten von sich, Freundinnen zu sein. Sie wohnten im gleichen Haus in Hamburg, pflanzten die gleiche Art von Balkonblumen, fütterten abwechselnd Igel, Raben oder Eichhörnchen und das fand ich sympathisch. Es entlockte mir eine Vision aus längst vergangenen Tagen. Oft hatte ich mit Freundinnen darüber philosophiert, dass wir in den Zeiten unseres Altersunruhestandes zusammen hocken würden, irgendwo am Strand, irgendwo auf der Welt. Wir würden uns zuprosten und über die Eroberungen längst vergangener Zeiten lästern. Ohja, hatten wir uns immer geschworen, wir würden die lustigsten Witwen der Welt werden und immer noch die Feste feiern, wie sie denn nun fielen. Vielleicht etwas leiser, vielleicht mit weniger Energie, aber doch mit dem nötigen Humor und dem kleinen Zwinkern in den immer noch blitzenden Augen.

`Wie lange diese beiden Damen wohl schon lustige Witwen waren? ´ dachte ich, als die Dame Lila anfing, mit ihrem Alter zu kokettieren. Sie wollte geschätzt werden. Und bewundert. Ich beschloss, der Dame diesen Gefallen zu tun, um ihr kurz darauf zu attestieren, wie „gut sie sich doch gehalten hätte“. `Das immer gleiche Spiel´, dachte ich. Früher hatten wir es mal „den Jahrmarkt der Eitelkeiten“ genannt. Aber da sprachen wir weniger vom Alter, sondern eher von der Art und Weise, wie die jeweilige Eitelkeit den Jahrmarkt zu beeindrucken pflegte.

Nun, die Dame Lila beeindruckte durch ihre fast asketische Art. Sie aß wie ein Spätzlein und sie nippte geziert an ihrem einzigen Glas Rotwein des Abends. Sie sprach davon, nie geraucht und immer penibel auf ihr Gewicht geachtet zu haben.
`Ein Jammer´, dachte ich und überlegte, ob die schmal zusammen gepressten Lippen und die kalten Augen etwas mit der Askese zu tun haben könnten. Die Jugendliche neben mir lachte trocken auf.
„Ich rauche und trinke und esse jetzt noch eine Portion Nachtisch. Und? Bin ich etwa dick?“
„Dafür hast du Bluthochdruck. Ich sage dir seit Tagen, du sollst keinen Alkohol trinken und nicht rauchen. Aber du hörst ja nicht!“ entrüstete sich die Dame Lila und entfernte sich zur Obstauswahl des Abends.

„Meinen Sie, dass man vom Rauchen Bluthockdruck bekommt?“ beugte sich die Dame Jugendlich flüsternd zu mir und ich musste unwillkürlich lachen. „Nun, gesund ist es nicht und das wissen wir ja wohl beide. Aber wir können uns gerne bei einem Mokka und einer Zigarette draußen weiter unterhalten, wenn Sie möchten.“ Das Lachen der älteren Dame, das in ihren Augen spitzbübisch aufleuchtete, bereitete mir ein noch größeres Vergnügen als die Widerspenstigkeit ihres Alters.

Zwei Abende später bedauerte sich die Dame Lila auf das Äußerste, als sie sich allein an meinen Tisch setzte. Ihre Freundin war wegen ihres Bluthochdrucks ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nie, wirklich nie, hätte sie während ihrer Urlaube in diesem Hotel Probleme gehabt, doch nun führe einmal ihre Freundin mit und schon fingen die Schwierigkeiten an.
Etwas irritiert hakte ich bei Frau Lila nach, in welchem Krankenhaus denn die Freundin nun liegt und wie es ihr dort ergehen würde. Das wüsste sie nicht, sagte Frau Lila entrüstet, denn die Freundin hätte sich ja nicht gemeldet bei ihr. Überhaupt wäre die ja so langsam, dabei wäre sie doch vierzehn Jahre jünger als Frau Lila selbst. Aber die Freundin würde schon am nächsten Tag wiederkommen, da war sich die Dame Lila ganz sicher, denn schließlich müsste die Erkrankte einen Tag später nach Hause fliegen und das ginge ja nun nicht anders.
Im Übrigen wüsste sie auch gar nicht, wen sie informieren sollte, denn die Namen der Anverwandtschaft ihrer Freundin, die würde sie gar nicht kennen.
Und nun ginge sie erst mal zum Buffet.

`Ein merkwürdiges Verständnis von Freundschaft´ dachte ich noch, als sie mit einem voll beladenen Teller wieder an meinen Tisch zurückkehrte. So sehr mir die Nachricht der Dame Lila auf den Magen geschlagen war, umso mehr hatte es offensichtlich ihr selbst einen guten Appetit beschert. Sie aß so viel, wie ich sie alle Abende vorher nie hatte essen sehen. War der Spatz vielleicht zu einem reißenden Wolf mutiert? Merkwürdigerweise packte sie an diesem Abend auch keine Leckereien für ihre Katzen ein, sondern vergnügte sich bei einem zweiten Glas Wein an sich selbst.

Ich wollte mich entrüsten, doch dann fiel mir ein Satz ein, den ich mal in einem Buch gelesen hatte. Es hatte etwas mit der fast unmenschlich wirkenden Gleichmut des Alters zu tun.*

Wie oft hatte ich mir bereits geschworen, niemals im Alter „so“ zu werden. Und genau das dachte ich in diesem Moment auch. Aber hatte ich überhaupt eine Wahl? Hatte ich nicht in letzter Zeit ganz merkwürdige Marotten an mir festgestellt, die ich als junger Mensch so verabscheute und nun scheinbar außerstande war, diese einfach zu umgehen?

`Ich mochte die Farbe Lila noch nie´ dachte ich zornig.

Also würde ich sicher auch niemals lila werden.
Hoffentlich.

*Sie besaß jenen scheinbaren Gleichmut des Alters, der unmenschlich wirkt und tröstet, ohne dass ein Wort gesagt oder eine Träne vergossen wird: sie war der lebende Beweis für das Vergessen und das Ende aller Dinge.“
(aus: „Die Hunde und die Wölfe“ von Irène Némirovsky)

  • Ich sage immer zu meinen Kolleginnen: „Wenn ich anfange, so zu werden, dann sagt mir bitte Bescheid.“ Die Frage ist nur, ob man etwas dagegen tun kann, wenn man weiß, dass man so wird, wie man nie werden wollte.

    Das ist ein guter Einstiegstext hier, ich freue mich auf weitere 😀

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