fridas Lesetipp: Val McDermid – Eine Erfinderin des Todes

ist meine ganz persönliche „Queen of Crime”.

Val McDermid, Schottin, Jahrgang 1955, zählt mittlerweile zu den profiliertesten zeitgenössischen Autorinnen im Krimi-Genre. Nach vielen anderen Auszeichnungen in den vergangenen Jahren erhielt sie in diesem Jahr mit dem „Cartier Diamond Dagger Lifetime Achievement Award” die höchste Auszeichnung, die man in der britischen Krimi-Szene für ein bisheriges Lebenswerk zu vergeben hat.

Val McDermid kreuzte zum ersten Mal 1990 meinen Lese-Weg. Der „Argument”-Verlag – bis dato eher bekannt für sein Programm politisch links orientierter Sachbücher und Literatur – legte ab Ende der 80iger Jahre unter der Marke „ariadne” ein eigenes Krimi-Programm auf. Das besondere am „ariadne”-Programm war, dass es sich ausschließlich um von Frauen geschriebene Krimi-Literatur handelte, in der ausschließlich Frauen die Hauptrollen spielten. Das war ein Novum zu jener Zeit.

Dass viele von diesen weiblichen Hauptfiguren gleichzeitig – wie ihre Erschafferinnen auch – bekennende Lesben waren, war ebenfalls ein Novum und ein Tabu gleichzeitig. Außer der „ariadne”-Reihe fällt mir kein Verlag ein, der zu jener Zeit „solche” Kriminalromane verlegt hätte.

Dass auch Val McDermid irgendwann in diese Reihe aufgenommen würde, war eigentlich keine Frage. Und so erschien bei „ariadne” 1990 Lindsey Gordon, kritische Boulevard-Reporterin mit schottischem Hintergrund, lesbisch und trinkfest, mit ihrem ersten Fall („Die Reportage”) – und das war gleichzeitig auch McDermids erstes Buch – auf der Bildfläche. Ich war sofort von Lindsey Gordon angetan. Obwohl mir heute die Lindsey-Gordon-Reihe (es sind insgesamt 7 Romane mit dieser Hauptfigur erschienen) wie eine McDermidsche Fingerübung erscheint, war bereits schon alles im Kern vorhanden, was das McDermidsche Krimi-Universum ausmacht: Wohldurchdachte und nie konstruiert wirkende Plots, glaubwürdige Figuren, Spannung, die bis zum Ende hält, überraschende Handlungstwists, die sich dennoch harmonisch in den Plot einfügen.

Nach Lindsey Gordon gingen einige Lese-Jahre ohne Val McDermid ins Land. Nein, nicht tatsächlich, denn sie hatte weiter fleißig veröffentlicht, eine zweite Reihe um eine Privatdektivin namens Kate Brannigan aufgelegt, und bereits ihre aktuelle Reihe um Tony Hill und Carol Jordan gestartet. Da Kate Brannigan jedoch nicht so mein Fall war und mein Lesehunger mittlerweile viele, viele andere Autorinnen verschlungen hatte, hatte ich Val McDermids Schaffen ein wenig aus den Augen verloren. Bis ich „Die Erfinder des Todes” („Killing the Shadows”) in die Hand und zu lesen bekam.

In „Die Erfinder des Todes” geht ein ganz besonderer Serienmörder um, und zwar einer, der Kriminalschriftsteller umbringt, und zwar nach der gleichen Methode, wie in deren Büchern beschrieben. Eine Profilerin, die gleichzeitig auf mehreren Verbrechensserien-Hochzeiten tanzt und mit einem ebenfalls bedrohten Krimiautor liiert ist, schafft es, am Ende den Mörder ganz allein zur Strecke zu bringen. Ich dachte, ich hätte damit schon alle möglichen perfiden Tötungsarten kennengelernt und den ultimativen Blick in ein psychopathisches Hirn getan.

Ich sollte mich täuschen.

Die Reihe um Dr. Tony Hill und DCI Carol Jordan

Mit der Reihe um Dr. Tony Hill und DCI Carol Jordan, deren erster Band 1997 unter dem Titel „Das Lied der Sirenen” („The Mermaids Singing, engl. 1995) auf den deutschen Markt kam, betritt auch der versierteste Krimileser eindeutig die tief dunkle Seite des Krimi-Mondes. Mittlerweile ist diese Reihe auf 7 Bände gewachsen, deren bisher letzter im Dezember auf dem deutschen Büchermarkt erscheinen wird.

Im Mittelpunkt stehen der klinische Psychologe und Profiler Dr. Tony Hill und Detective Chief Inspector Carol Jordan, die gemeinsam Serienmörder zur Strecke bringen. Es sind überaus schreckliche Verbrechen – manchmal habe ich mich schon gefragt, ob die Autorin nicht selbst davon Albträume hat – viel schrecklicher noch ist jedoch der exakte Einblick in die gestörte Psyche jener Sozio-und Psychopathen, die diese Taten aufs genaueste planen und mit der Präzision eines Uhrwerks durchführen. Sie sind zutiefst davon überzeugt, dass sie ein Recht auf das haben, was sie anderen antun, und sie sind intelligent genug, sich hinter der Maske des Normalen perfekt zu tarnen.

In Tony Hill haben diese Menschen einen ihnen gewachsenen Gegenspieler. Er besitzt die Fähigkeit, sich in ihr für uns verqueres, für sie jedoch völlig logisches Denken einzuklinken. Das führt natürlich nicht sofort zum Erfolg und ist auch das ein oder andere Mal mit Fehlern behaftet, die tödlich hätten enden können, aber am Ende ist das Profil, was er von ihnen erstellt, immer in sich stimmig.

Ihm auf der Polizeiseite gleichwertig zur Seite gestellt ist Carol Jordan, die sich im Polizeidienst gegen die versammelte Männlichkeit vom Detective Inspector zum Detective Chief Inspector mit eigener Spezialisten-Einheit hochkämpft. Sie setzt Tony Hills Profiling in die praktische Polizeiarbeit um, nicht ohne allerdings auch ihre ganz eigenen Ideen und Spuren zu verfolgen.

Was Val McDermids Reihe für mich so besonders macht, ist, dass jeder Roman aus dieser Reihe seine eigene Handschrift hat und dass alle diejenigen Personen, die sozusagen zum „Stammpersonal” gehören, eine individuelle Geschichte haben und sich weiterentwickeln.

Hauptschauplatz ist die fiktive Großstadt Bradfield im Norden Großbritanniens, mit allen Problemen, mit der eine Großstadt im wirtschaftlichen Niedergang zu kämpfen hat. Da aber sowohl Tony Hill als auch Carol Jordan einige Male ihre Arbeitsplätze wechseln (müssen), spielt „Schlussblende” im eher ländlichen Yorkshire, und „Ein kalter Strom” gleich ganz außerhalb, und zwar in Berlin -dort ist Carol Jordan undercover im Organisierten Verbrechen unterwegs – und auf dem Rhein zwischen Deutschland und den Niederlanden, dort ist der Serienmörder unterwegs, dem Tony Hill auf den Spuren ist.

Großbritannien ist eine multiethnische Gesellschaft mit vielen verschiedenen sozialen Lebensstilen.Täter und Opfer können schwarz, weiß oder asiatisch sein, sie können jung oder alt sein, sie können männlich oder weiblich sein, sie können hetero-oder homosexuell sein, sie können privilegiert oder unterprivilegiert sein.

Und das trifft gleichermaßen auch auf die Polizisten zu. Die Polizei ist im schlimmsten Fall korrupt, frauenfeindlich, homophob, rassistisch und völlig ignorant – und im besten Fall genau das Gegenteil davon. Carol Jordans spätere Spezialeinheit ist ein Spiegelbild dieser multiethnischen und multisozialen Gesellschaft im besten Sinne. In dieser arbeiten Weiße, Schwarze, Asiaten, Männer und Frauen, Hetero-und Homosexuelle relativ problemlos zusammen, weil Jordan selbst über jegliche Vorurteile erhaben ist.

Auch Polizisten und Polizistinnen können zu Opfern werden. Bei Val McDermid sind auch Polizisten und Polizistinnen sterblich bzw. sie geraten an den Rand des Todes in der Hand des Täters, oder aber werden wie Carol Jordan (in „Ein kalter Strom”) so erheblich in ihrer persönlichen Integrität beschädigt, dass sie in den nachfolgenden Romanen beständig mit den psychischen Folgen zu kämpfen hat.

Und auch Tony Hill hat seine ganz eigene persönliche Geschichte. Zwischen ihm und Carol Jordan spielt sich eine mehr oder minder unausgesprochene Liebesgeschichte ab, die beide in eine Freundschaft zu sublimieren zu versuchen. Denn Tony Hill ist aufgrund seines familiären Hintergrundes, über den wir Stück für Stück immer etwas mehr erfahren, zunächst unfähig, eine feste Beziehung zu einer Frau einzugehen. Im bisher letzten auf Deutsch erschienenen Band der Reihe, „Vatermord”, wird der Knoten in seiner Vergangenheit endgültig aufgelöst und es schien alles offen – und auch möglich.

„The Retribution” – der vorerst letzte Band der Reihe und bisher nur auf Englisch erhältlich – stellt dies jedoch wieder in Frage. In „The Retribution” wird Jacko Vance, der Killer aus „Schlussblende” reaktiviert. Er nimmt schreckliche Rache – und zerstört das Vertrauensverhältnis zwischen Tony und Carol. Wir werden abwarten müssen, wie die Autorin beide Figuren vor diesem Hintergrund weiterentwickelt.

Im übrigen gehört Val McDermid nicht zu den Krimi-Autoren, bei denen man den Verdacht nicht los wird, dass sie vor lauter Faszination, welche schrecklichen Verbrechen sie kreieren können, eine heimliche Komplizenschaft mit ihrem Täter eingehen. Ganz im Gegenteil, ihr Mitgefühl gilt den Opfern, die genauso wie der Täter ausführlich vorgestellt werden, mit einem Gesicht und einer Geschichte, die ihnen Individualität und Würde verleiht und sie nicht im Bewusstsein des Lesers nur als blutiges Bündel Mensch zurücklässt.

Aus Motiven der Reihe um Tony Hill und Carol Jordan entstand die ITV-Fernsehserie „Wire in the Blood” – diese lief bei uns im ZDF-Sonntagabendkrimi unter dem Titel „Die Methode Hill” – mit 6 Staffeln. Leider wurde die Serie 2008 aus Kostengründen eingestellt.

Ein kurzer Ausblick auf die Einzelwerke

Zwischen den Tony Hill/Carol Jordan-Romanen, die in Abständen von 2-3 Jahren erscheinen, sind bisher sechs – in Deutschland fünf – Romane erschienen, die inhaltlich für sich allein stehen, was Val McDermid nicht daran hindert, das Personal (Polizisten, Gerichtsmediziner) schon einmal übergreifend einzusetzen. 1999 erschien mit „A Place of Execution” („Ein Ort für die Ewigkeit”, dt. 2000) der erste in sich abgeschlossene Roman in dieser losen Reihe von Einzelwerken.

Es geht auch in den abgeschlossenen Romanen um Mord, jedoch – bis auf „Die Erfinder des Todes”- nicht um den Serientäter der Hillschen Prägung, sondern wesentlich um Mord aus Rache oder aus Habgier oder aus Vertuschung eines anderen Verbrechens. Diesem Täter kommt man weniger mit Profiling bei, sondern viel mehr mit traditioneller Polizeiarbeit. Das heißt jedoch nicht, dass dies ein weniger spannendes Metier wäre als das Profiling.

Ganz im Gegenteil: Alle Romane halten eine wunderbare Balance zwischen dem, was die Autorin dem Leser offensichtlich macht und dem, was sich zwischen den Zeilen abspielt und was der Leser nur bei genauestem Hinlesen erkennt – oder auch nicht. Vergangenheit und Gegenwart werden so geschickt ineinander verknüpft, dass man sehr aufpassen muss, um die Zeitebenen und die in ihren agierenden Personen richtig auseinander zu halten. Val McDermid schafft es auch in ihren Einzelwerken, eine besondere Atmosphäre in einer Mischung aus Schuld und Unschuld zu erschaffen.

Und hiermit komme ich zum Ende meines etwas länger geratenen Lesetipps. Ich habe Val McDermid übrigens zweimal bei einer Lesung erlebt. Sie ist eine außerordentlich bodenständige, humorvolle und auch charismatische Frau, die schnell ihre Zuhörerschaft in den Bann zu ziehen vermag.

Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere von Ihnen nun auf den Lese-Geschmack gekommen ist. Sie werden es nicht bereuen.

Zum Weiterlesen:

Tony Hill/Carol Jordan:

– „Das Lied der Sirenen”,dt. 1997 („The Mermaids Singing”, engl. 1995)
– „Schlussblende”, dt. 1999 („Wire in the Blood”, engl. 1997)
– „Ein kalter Strom”, dt. 2003 („The Last Temptation”, engl. 2002)
– „Tödliche Worte”, dt. 2005, („ TheTorment of the Others”, engl. 2004)
– „Schleichendes Gift”, dt. 2008 („Beneath the Bleeding”, engl. 2007)
– „Vatermord”, dt. 2010 („Fever of the Bone”, engl. 2009)

Einzelwerke:

– „Ein Ort für die Ewigkeit”, dt. 2000 („A Place of Execution”, engl. 1999)
– „Die Erfinder des Todes”, dt. 2001 („Killing the Shadows”, engl. 2000)
– „Echo einer Winternacht”, dt. 2004 („The Distand Echo”, engl. 2003)
– „Das Moor des Vergessens”, dt. 2006 („The Grave Tattoo”, engl. 2006)
– „Nacht unter Tag”, dt. 2009 („A Darker Domain”, engl. 2008)
– „Trick of the Dark”, engl. 2010, erscheint in Deutsch als „Alle Rache will Ewigkeit” Ende Dezember 2011

Einzelne Werke liegen auch als Hörbuch oder Hörspiel vor.

Homepage von Val McDermid: www.valmcdermid.com

© frida 2011

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