Berlinale 2012 – Eine persönliche Retrospektive

Die Bären sind vergeben, die verschiedensten anderen Filmpreise auch. Heute ist der letzte Tag der Berlinale 2012 – und ich bin glücklich, dass ich in diesem Jahr diesem besonderen Filmereignis für einige Tage nahekommen konnte.

Als großer Fan des Kinos hatte ich mir immer schon mal gewünscht, die Berlinale zu besuchen. Und in diesem Jahr haben wir – meine Schwester und ich – diesen langgehegten Wunsch uns endlich einmal erfüllen können.

Das Glück war eindeutig auf unserer Seite: Wir bekamen noch ein Hotelzimmer – für die zweite Hälfte der Berlinale. Und da in der zweiten Hälfte viele Premieren bereits gelaufen sind und der Hype der Medien nicht mehr so groß ist, war es auch am Ende nicht wirklich schwierig, für unsere Wunschfilme noch Karten zu bekommen.

Wettbewerb, Panorama, Forum, Forum Expanded, Generation, Berlinale Special, Hommage, Retrospektive – das sind die großen Sektionen der Berlinale. Und natürlich muss man sich bei der Fülle der in den verschiedenen Sektionen angebotenen Filme bereits vorher eine Wunschliste machen, damit man ausreichend Alternativen zur Verfügung hat. Und man sollte sich zusätzlich überlegen, ob man nicht doch einem Film den Vorzug gibt, der möglicherweise sonst nie wieder in unseren Kinos zu sehen ist.

Man hat die Qual der Wahl, und man darf den Mut nicht sinken lassen, wenn im Vorverkauf scheinbar die Wunschfilme und -termine schon ausverkauft sind. Wir haben schnell gelernt, dass sich das morgendliche Anstellen an den Kinokassen meistens lohnt. Denn der Tagesverkauf findet immer direkt an den Kinokassen statt. Und die Berlinale zeigt ihre Filme zu rund 70 % in den beiden großen Multiplex-Kinos am Potsdamer Platz, wo sich auch das zum „Berlinale-Palast” umfunktionierte „Theater des Westens” befindet.

Um dem Besucher-Ansturm gerecht zu werden, muss zwangsläufig auf das Angebot der Multiplexe zurückgegriffen werden, die ja – egal, was man von ihnen hält – mehr als Mindestansprüche an Ton und Bild und freie Sicht von allen Plätzen aus erfüllen. Derart von einer von cineastischer Begeisterung und Erwartung getragenen Atmosphäre erfüllt, werde ich wohl so schnell nicht wieder die eher seelenlose Multiplex-Architektur erleben.

Die Berlinale ist ein Kino-Gemeinschaftserlebnis der ganz besonderen Art. Lange Schlangen vor den Kinosälen, die sich nach Einlass schnell füllen. Ein international durchmischtes Publikum, neugierig, aufgeschlossen, aber auch kritisch, was man ansonsten so nicht erlebt. Und wo hat man schon mal die Gelegenheit, mit dem Regisseur (oder der Regisseurin) bzw. den Darstellern direkt nach dem Film zu diskutieren, auch wenn der Film bereits schon einige Male gezeigt worden ist?

Und natürlich gehören auch die stundenlang vor dem Roten Teppich wartenden Fans dazu – wie die zwei Mädels, die mit ihren Schlafsäcken vor dem Berlinale-Palast kampierten, um Robert Pattinson („Twilight”) zu sehen. Oder die Autogramm-Jäger, die vor den Pressekonferenzen am Hintereingang warten, um den Stars ein Autogramm abzujagen. Wir gerieten zufällig in eine solche Szenerie. „Mike” und „Gina” erkannten wir nicht, dann kam allerdings noch Antonio Banderas, ein klein gewachsener Mann, der sich unter einer Baseballkappe versteckte und schnell verschwand. Später fanden wir dann heraus, dass hier Michael Fassbender, Gina Carano und Banderas „Haywire”, ein Film von Steven Soderbergh, der außer Konkurrenz im Wettbewerb lief, bewarben.

Und was haben wir denn nun für Filme gesehen? Vier Filme an zwei Tagen, ist gerade noch zu verkraften. Da die professionellen Filmjournalisten tatsächlich viel mehr Filme konsumieren müssen, ist es auch kein Wunder, dass die Kritiken oft so ungenau und schlecht sind.

Zurück zu den von uns gesehenen Filmen. Wir haben uns bis auf den im Wettbewerb gestarteten dänischen Film „En Kongelig Affaere” („Die Königin und der Leibarzt”) für Filme entschieden, von denen nicht unbedingt sicher ist, ob wir diese je wieder zu sehen bekommen.

So etwa für „10 + 10” aus der Sektion „Panorama”, eine Sammlung von 20 Kurzfilmen aus Taiwan, die das heutige Schaffen taiwanesischer Filmemacher dokumentiert. Taiwan, diese vom übermächtigen China an den Rand gedrückte, mit einer wunderschönen Landschaft gesegnete Insel, ist doch für die meisten von uns ein blinder Fleck. „10 + 10” zeigt nicht nur, dass es ein reges Filmschaffen dort gibt, sondern präsentiert mal witzig, mal fürchterlich traurig, mal nachdenklich, mal rätselhaft Inneneinsichten in die taiwanesische Gesellschaft, auch im Verhältnis zu Festland China.

„Lost in Paradise”, ein weiterer asiatischer Film im „Panorama”-Programm, diesmal aus Vietnam, erzählt auf höchst anrührende Art und Weise zwei ganz besondere Liebesgeschichten aus Saigon. Dieser Film hat mich besonders angerührt. Der nach dem Screening anwesende junge, sehr sympathisch wirkende Regisseur und sein ebenso junger Hauptdarsteller konnten zu Recht viel Beifall und Lob vom Publikum mit nach Hause nehmen. Ich hoffe, dass „Lost in Paradise” hier einen Verleih findet, so dass man diesen Film später einmal zumindest auf DVD erwerben kann.

Der vom Publikum ungemein frequentierte iranische Film „Paziraie Sadeh” („Modest Reception”) aus dem Programm des „Forums” war so kalt wie die Region, in der er gedreht wurde. Der Film ist eine eiskalte Parabel über die Macht des Geldes und die Auswirkungen falsch verstandener Wohltätigkeit. Auch stellten sich Regisseur – der gleichzeitig auch männlicher Hauptdarsteller war – und seine weibliche Hauptdarstellerin den kritischen Fragen und Anmerkungen des Publikums, die z.T. Schwierigkeiten mit diesem Film hatten. Nach diesem Film mussten wir uns erst einmal innerlich und äußerlich erwärmen.

Als letzter Film stand dann „En Kongelig Affaere” aus dem Wettbewerb auf unserem Programm. Da dieser Film im „Friedrichstadt-Palast” gezeigt wurde, hatten wir die einmalige Gelegenheit, uns einmal diesen Prachtbau von innen anzusehen. Obwohl wir „nur” Karten für das Hochparkett hatten, war das mit der riesigen Leinwand genau der richtige Abstand. „En Kongelig Affaere” ist ein politisches Drama im Gewand des Kostümfilms. Er erzählt eine Episode aus der Geschichte Dänemarks aus der Zeit, als die Ideen der Aufklärung Europa politisch beeinflussten und umwälzten. Am Ende gewinnt noch einmal der reaktionäre Adel und opfert den zu früh gekommenen Aufklärer auf dem Schafott, bevor ein junger König endgültig auch Dänemark aus dem Absolutismus befreit.

Ein mit 130 Minuten langer, aber keine Minute langweiliger Film, mit herausragenden Darstellern, ein Film, der zu Recht einen „Bären” für den besten Darsteller und für das Beste Drehbuch gewonnen hat. Dieser Film wird mit Sicherheit bald in unsere Kinos kommen. Auch diesen Film kann ich nur wärmstens empfehlen.

Und damit komme ich zum Ende meiner höchst persönlichen Retrospektive auf die Berlinale 2012. Dieter Kosslick, der seit 2001 das Festival leitet, hat auch in diesem Jahr wieder einen ausgesprochen guten Job getan. Und für uns ruft das Filmereignis Berlinale nach mindestens einer Wiederholung in den nächsten Jahren.

© frida 2012

Berlinale 2012_Berlinale Palast

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