fridas Filmkritik: Christian Petzolds „Barbara“

Zugegeben, ich gehörte bisher nicht zu den Fans der Filme des Regisseurs Christian Petzold. Obwohl mir sein Ansatz bei „Dreileben – Etwas besseres als der Tod“ (Dreiteiliger Fernsehfilm von 2011) – überraschend am besten gefiel. Petzold, der gemeinhin zur sog. „Berliner Schule“ gezählt wird, schien sich weiterentwickelt zu haben – weg von den statischen Bilder, hin zu mehr Emotionen in der Story, zu mehr Zuschauerfreundlichkeit.

Sein neuester Film „Barbara“, hochgelobt von der Kritik und mit einem „Silbernen Bären“ für die Beste Regie belohnt, bestätigt diese Weiterentwicklung in vollem Maße. „Barbara“ ist großes Schauspielerkino, mit ruhiger, aber nicht statischer Hand erzählt, voller unterdrückter Emotionen.

Die Story ist angesiedelt Anfang der 80iger Jahre in der DDR. Dr. Barbara Wolff (Nina Hoss), ehemals Ärztin an der Charitè, wird in die Provinz zwangsversetzt, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. Weiterhin von der Stasi schikaniert, hat Barbara bereits völlig mit dem System DDR abgeschlossen. Entsprechend distanziert verhält sie sich gegenüber ihrer Umwelt und ihren neuen Kollegen, insbesondere ihrem Chef, Oberarzt Dr. André Reiser (Ronald Zehrfeld), dem sie per se unterstellt, mit der Stasi zusammenzuarbeiten, da er offensichtlich schon rundum über sie informiert ist.

André Reiser ist jedoch weder ein heimlicher Stasi-Zuträger noch ein heimlicher Regimegegner. Er gehört zu jenen DDR-Bürgern, die sich pragmatisch mit dem System arrangiert haben. Er lotet dessen Grenzen aus und sieht sich in erster Linie als Arzt in der Pflicht. So kann er ebenso vorurteilslos der schwerkranken Frau des Stasi-Offiziers Morphium verabreichen wie einen jungen Suizidalen behandeln, ohne diesen gleich zu melden.

Barbaras Abgeschlossenheit bekommt Risse, als ein junges Mädchen, Stella, eingeliefert wird. Für Stella, einer Insassin aus dem berüchtigten Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, wird Barbara, die sich intensivst um das Mädchen kümmert, zu einer Art Mutterersatz. Reiser steigt wiederum in ihrem Ansehen, als dieser in seinem selbst gebastelten Labor ein Serum für Stella herstellt, nachdem Barbara die richtige Diagnose gestellt hat.

Im engen Kosmos der Klinik und der Kleinstadt trifft Reiser Barbara öfter und persönlicher, als ihr lieb ist. Als Reiser Barbara, die sich mehrfach heimlich mit ihrem westdeutschen Freund trifft und schon längst ihre Flucht nach Dänemark geplant hat, gegenüber indirekt seine Gefühle offenbart, begegnet sie ihm mit großer Vorsicht, kann sich aber auch dessen unausgesprochenem Werben nicht gänzlich entziehen. Stella, die später noch einmal aus Torgau dann zu Barbara flüchten wird, wird letztendlich zum Katalysator für Barbara, die sich am Ende für/gegen Stella und für/gegen die eigene Flucht entscheiden muss.

Klaustrophobie ist das vorherrschende Klima in „Barbara“. Klaustrophisch sind die Flure der Klinik, ist die sehr überschaubare Kleinstadt, das heruntergekommene Haus, in dem man Barbara eine Wohnung zugewiesen hat. Klaustrophobisch sind aber auch die Gefühle der handelnden Personen. In einer Gesellschaft, in der Misstrauen systemimmanent ist und Vorsicht in jeglicher Beziehung das Gebot der Stunde, kann es auch keine offenen Gefühle geben. Ein Gefühl von Freiheit entsteht nur, wenn Barbara auf Feldwegen durch die „freie Natur” radelt. Aber schon der Wald, in dem sie sich mit ihrem Freund trifft, hat mehr etwas vom „bösen Märchenwald”, in dem man sich so gut verirren kann.

Petzold, der aus dem nahen Haan stammt, dessen Eltern aber aus der DDR kommen, hat das spezielle DDR-”Flair” bis ins kleinste Detail rekonstruiert. Da stimmt sogar noch der Aschenbecher, Marke Kunsthandwerk aus Rumänien. Suppentassen und eine Terrine aus der gleichen Serie habe ich heute noch in meinem Schrank stehen, Ausbeute aus dem sog. Zwangsumtausch, dem jeder DDR-reisende Westbürger unterlag. Ich konnte fast das allgegenwärtige Desinfektionsmittel riechen, so nah ist Petzold am DDR-Alltag dran.

Gedreht wurde in einem Stadtteil der Stadt Brandenburg, in Brandenburg selbst und in Mecklenburg-Vorpommern, spezifische Landschaften, die es so im Westen nicht gibt. Petzold, der Musik in seinen Filmen nur sehr minimalistisch einsetzt, lässt dafür umso mehr „natürliche” Geräusche sprechen. Dafür hat er sogar einen eigenen Geräuschmacher. Da rauschen die frühherbstlichen Bäume im Wind, Vögel sind zu hören, der Blinker überlaut im „Wartburg”.

Nina Hoss, die schon des öfteren mit Christian Petzold gearbeitet hat, und Ronald Zehrfeld liefern sich ein großartiges schauspielerisches Duell. Sie ganz die so scheinbar spröde, verschlossene, die aber dennoch nicht ganz ihre Empathie auf dem Weg nach Westen verloren hat, er der softe, aber dennoch bestimmte und selbstbewusste Arzt in bärtig-bäriger Gestalt.

Alles in allem macht das „Barbara” zu einem sehr sehenswerten Film aus deutscher Produktion. Da ZDF/ARTE den Film mitproduziert haben, sollten diejenigen, die keine Lust auf einen Kinogang haben, sich diesen Film dann aber später unbedingt einmal im Fernsehen ansehen.

„Barbara”, Regie: Christian Petzold, D 2011, ca. 120 min

© frida 2012

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