Das Indische Filmfestival Stuttgart 2012 – Eine Rückschau – 1.Teil

Der Elefant ist jedes Jahr wieder mit dabei


Das Indische Filmfestival Stuttgart 2012 – Eine Rückschau – 1.Teil

Das Indische Filmfestival Stuttgart 2012 ging am vergangenen Sonntag erfolgreich zu Ende. Von Mittwoch bis Sonntag und nunmehr zum 9ten Male zeigte sich der indische Film erneut in einer Bandbreite, die weit über das hinausgeht, was hierzulande gemeinhin unter dem Etikett „Bollywood” bekannt ist.

Das Indische Filmfestival Stuttgart, das größte indische Filmfestival in Europa und mittlerweile von „Bollywood and Beyond” in „Indisches Filmfestival Stuttgart” umbenannt, ist in diesem Jahr vom eher abgelegenen Kongresszentrum im Stadtteil Möhringen in die Innenstadt zurückgekehrt, was dem Festival eine erheblich größere Aufmerksamkeit einbrachte, liegt der Veranstaltungsort Metropol-Kino doch in einer stark frequentierten Zone der Stuttgarter Innenstadt.

Der Veranstalter, das Filmbüro Baden-Württemberg, spricht von rund 7.000 Zuschauern. Wir haben es an den vollen Kinosälen gemerkt, auch bei Filmen, von denen man meint, sie würden nicht so auf dem Zuschauer-Radar liegen. Aber wie bei der Berlinale im Großen ist auch bei einem solchen Filmfestival im kleineren Maßstab in erster Linie derjenige Zuschauer vertreten, der bereit ist, sich mit den verschiedensten Spielarten von Film und Filmverständnis auseinanderzusetzen.

Genug Material dazu war mit den rund 60 Filmproduktionen reichlich vorhanden. Da stand der spielfilmlange Dokumentarfilm neben dem Kurzfilm von nur rund 6 Minuten, Tamil-Filme (Spielfilme in tamilischer Sprache) im Tamil-Special neben den natürlich auch gezeigten Bollywood-Großproduktionen. Flankiert wurde das Filmprogramm von den sog. „Tea-Talks” zu aktuellen indischen Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft, von Bollywood-Dance und sogar speziellen Projekten für Schulen.

Das Festival vergibt darüber hinaus natürlich auch Preise, den „German Star of India” in den Kategorien Langspielfilm, Kurzfilm und Dokumentarfilm. Dazu den „Director’s Vision Award” und den „Audience Award”.

Aus dem auch in diesem Jahr wieder überaus interessanten Filmprogramm haben wir – meine Schwester und ich – uns eine gute und gelungene Mischung aus Kurzfilm-Reihe, Dokumentarfilm, zwei Spielfilmen aus dem Tamil-Special und einem aktuellen Hindi-Film (Bollywood) zusammengestellt, die ich hier in 2 Teilen (Teil 1„Shorts” und Dokumentarfilm, Teil 2 Tamil-Special und Hindi-Film) vorstellen möchte.

Die „Shorts”:

Beginnen wir mit der Kurzfilm-Reihe, den sog. „Shorts”, von denen das Festival drei Reihen im Programm hatte. Die „Shorts” umfassten jeweils 6-8 Kurzfilme von durchschnittlich 10-15 Minuten Dauer. Es ist schon eine große Kunst, einen kleinen Film genau auf den Punkt zu bringen. Auch wenn aus der von uns gesehenen Reihe kein Film den Kurzfilm-Preis gewann, so haben mich doch drei von den acht gezeigten Filmen besonders beeindruckt:

„Mehfuz” von Rohit Pandey, ca. 16 Minuten. Ein Leichenbestatter verbrennt am Rande eines sich in Gewalt auflösenden Gemeinwesens Nacht für Nacht anonyme Leichen. Eines Tages kreuzt eine namenlose Frau seinen Weg. Sie weckt sein Interesse, er verliebt sich in sie. Sie verschwindet, einige Nächte später muss er entdecken, dass auch sie jetzt zu den namenlosen Toten gehört. „Mehfuz” ist eine verstörende, düstere Geschichte mit einem überaus zarten Ende, das jenseits aller Abgestumpfheit liegt.

„Aisa – Hota hai” von Aashish Dubey, ca. 13 Minuten, ist dagegen ein witzig-unterhaltsames Leichtgewicht. Zwei Frauen haben ein Rendezvous im Gebüsch und werden dabei von zwei Kleinkriminellen überfallen. Es taucht eine fünfte Person auf, ein Mann, der von sich behauptet, Polizist zu sein. Der Polizist ist der Katalysator der Story, denn alle haben etwas zu verbergen. Die Frauen – deren Verhältnis in Indien als moralisch anrüchig gilt – kaufen sich mit Geld frei, aber auch die beiden verhinderten Diebe landen am Ende nicht im Knast, während es offen bleibt, ob der Cop wirklich ein Cop ist.

Mit „Sujata” von Shlok Sharma, ca. 19 Minuten, dagegen bricht eine Welle der emotionalen und körperlichen Gewalt über den Zuschauer herein. Sujata wird von Kindheit an von ihrem sadistischen Cousin emotional und körperlich misshandelt. Auch als Erwachsene ist sie ständig auf der Flucht. Weder von der Polizei noch von Nicht-Regierungsorganisationen ist Hilfe zu erwarten. Als ihr Cousin sie wieder einmal ausfindig macht, wehrt sie sich am Ende mit äußersten Mitteln. Der Film, der auch das Zeug zu einem Langspielfilm hätte, entfaltet seine Story in kurzen prägnanten Rückblicken, die das ganze Maß des Missbrauchs und der ausweglosen Situation von Sujata aufzeigen. Das Ende ist ein verstörender, aber ein verstehbarer und erklärter Gewaltausbruch. Das Verständnis und das Mitleid ist jederzeit auf Seiten des Opfers, das zu schrecklicher Gewalt greifen muss, um sich zu befreien.

Der Dokumentarfilm: „The Bengali Detective”

„The Bengali Detective” gehörte zu den 12 im Festivalprogramm vertretenen Dokumentarfilmen. Da der indische Polizeiapparat weitestgehend korrupt und ineffizient ist, vertrauen immer mehr Inder auf Privatdetekteien.Produziert u.a. von Channel4 begleitet der britische Regisseur Privatdetektiv Rajesh und seine Mannen von der „Always”-Detektei durch den Dschungel Kolkatas (Kalkutta).

Sie beschäftigen sich mit Produktfälschungen und mit Ehestreitigkeiten, werden aber auch mit der Aufklärung eines Mordes an drei jungen Männern beauftragt. Und gerade hier gerät Rajesh mit seiner Truppe an den Rand seiner Möglichkeiten. Eine Unterredung mit dem die Untersuchung leitenden Polizeiinspektor in dessen Büro soll dem Detektiv die Möglichkeit verschaffen, die Telefonliste vom Telefonanbieter zu bekommen. Schnell lernt der Zuschauer, warum die Mordsache nicht vorankommt. Ein Polizist, der völlig desinteressiert wirkt, rechtsmedizinische Untersuchungen, die auch noch nach einem Monat zu keinem Ergebnis gekommen sind, ein technisches Equipment, was schlicht nicht vorhanden ist und was den Ruhm von Indien als das Land der IT-Spezialisten so ziemlich ad absurdum führt.

Noch Monate nach Beendigung der Dreharbeiten ist der Mordfall immer noch offen, und da 70 % aller Morde in Indien nicht aufgeklärt werden, stehen die Chancen auch in diesem Fall schlecht.

Rajesh wird aber auch in seinem privaten Umfeld gezeigt. Er ist Vater eines kleinen Sohnes, der mal etwas Besseres werden soll. Seine Frau Minnie ist schwer an Diabetes erkrankt – sie stirbt während der Dreharbeiten an den Folgen dieser Krankheit, die aufgrund der schlechteren medizinischen Versorgung sehr viel schwerer als in unseren Systemen bekämpft werden kann.

„The Bengali Detective” ist aber nicht nur schwere Kost. Die Männer von der „Always”-Detektei haben nämlich ein ganz bestimmtes Hobby – sie tanzen sich mit Bollywood-Dance den Frust von der Seele und aus dem Leib. Für ein Vortanzen bei einem Wettbewerb werden sie sogar professionell trainiert. Und scheuen sich nicht, im Glitzeranzug wie ein Disco-Dancer beim Vortanzen zu erscheinen. Sie schaffen es zwar nicht in den Wettbewerb, aber darauf kommt es am Ende auch nicht mehr an.

„The Bengali Detective” gibt mit viel Sympathie für seine Protagonisten Einblick in das Leben des kleinen indischen Mannes oder der Frau, auf der einen und auf der anderen Seite des Gesetzes, für dessen Durchsetzung private Ermittler unerlässlich sind, da die Polizei ihren Aufgaben entweder nicht gewachsen sind oder sie nicht wahrnehmen will.

Der Editor der Dokumentation war übrigens beim Screening anwesend und stand nach der Vorführung dem Publikum zur Frage und Antwort bereit, was rege angenommen wurde.

In einem zweiten Teil möchte ich dann etwas genauer auf unsere beiden Filme aus dem Tamil-Special eingehen und natürlich auch über die Hindi-Film-Komödie „Ek Main Aur Ekk Tu” („Eine Hochzeit mit Hindernissen”) berichten.

© frida 2012

Foto: eigenes

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