fridas Lesetipp: Tess Gerritsen: Noch eine Lady “in crime”

mit der unsympathischsten Ermittlerin, die die Krimi-Literatur zu bieten hat.

Nein, eigentlich wollte ich Tess Gerritsen gar nicht weiterlesen. Eine derart unsympathische Detective war mir bisher noch nie unterkommen. Jane Rizzoli, Detective in der Mord-Division des Bostoner P.D, schrecklich stur, laut, selbstgerecht, völlig unsensibel, immer in Kampf- und Abwehrhaltung, auch wenn ihr niemand was will – die ist kaum auszuhalten. Da konnte mich auch das andere Teil des Ermittler-Duos, die Rechtsmedizinerin Dr. Maura Isles – leise und kühl, aber mit Respekt vor den Toten – fast nicht vom Gegenteil überzeugen.

Aber im Gegensatz zu einem Blender wie Jussi Adler Olsen, der nur eine blasse und überschätzte Kopie seiner skandinavischen Kollegen und Kolleginnen „in crime“ ist, gab ich Ms Gerritsen und damit auch Ms Rizzoli doch noch eine zweite Chance. Denn obwohl „Blutmale“ ein eher schwächerer Roman in der Reihe um Detective Jane Rizzoli und Dr. Maura Isles ist, war ich in diese Reihe mittendrin eingestiegen und die Figuren hatten ja bereits eine gewisse Entwicklung hinter sich. Also, noch einmal alles auf Anfang und gestartet mit „Die Chirurgin“, dem allersten Fall.

Obwohl Maura Isles hier noch nicht zum Einsatz kommt, weisen bereits „Die Chirurgin“ und der nachfolgende „Der Meister“ – der direkt an den Fall in „Die Chirurgin“ anschließt – schon die Richtung der Reise von Tess Gerritsens Krimis.Ihre Spezialität sind die Psychos und Soziopathen, Serienmörder allesamt, die mit kühlem Kalkül ihre Opfer abschlachten und denen nur mit hohem Blutzoll am Ende der Garaus gemacht werden kann. Dabei geraten Jane Rizzoli und Maura Isles selbst immer wieder in den Fokus und in Lebensgefahr, falsche Fährten und deren unerwartete Auflösung inklusive.

Die Opfer sind oft Frauen, aber nicht nur. Die Motivationen reichen von schlichtem Gestört sein bis hin zu Geldbeschaffung durch Mord oder Mord zur Verdeckung von anderen Straftaten. Die Opfer sind nicht nur allesamt passive Opfer, sondern einzelne lernen, sich unter extremsten Bedingungen zur Wehr zu setzen und zu überleben.

Eine Ausnahme vom Serienmörder-Sujet bildet „Scheintot“. Hier geht es um Frauenhandel und Zwangsprostitution, deren Nutznießer in den höchsten politischen und polizeilichen Kreisen sitzen. Gerritsen, die als Autorin ansonsten eher Abstand hält und deren Opfer durchaus nicht immer die sympathischsten sind, zeigt hier eine ungewohnte Anteilnahme. Dieses Thema scheint ihr auch sonst am Herzen zu liegen, und es scheint ihre Wut über die herrschenden Verhältnisse durch.

Ihr Ermittler-Duo ist Feuer und Wasser in einem. Wie gesagt, Jane Rizzoli für mich ist die unsympathischste polizeiliche Ermittlerin aller Zeiten. Und Maura Isles erinnert mich zusehends an die Figur der Rechtsmedizinerin Dr. Sam Ryan aus der englischen TV-Serie „Gerichtsmedizinerin Dr. Samatha Ryan“, die leider vor einigen Jahren eingestellt wurde (der eine oder andere unter Ihnen erinnert sich vielleicht noch an diese herausragende TV-Serie, die seinerzeit von RTL gezeigt wurde).

Aber Gerritsen entwickelt ihre Figuren in ihrer Reihe weiter. Rizzoli bekommt einen Ehemann – einen FBI-Agenten – und eine Tochter (sie ermittelt zwischendrin hochschwanger weiter) – was ihrer Schroffheit und ihrer Unsensibilität aber keinen Abbruch tut. Sie leidet darunter, dass sie als Mädchen unter zwei Brüdern in der Familie immer zurückgesetzt wurde und sich durchbeißen musste – was einiges erklärt, aber nicht alles entschuldigt.

Isles muss nicht nur Schockierendes über ihre Herkunft und Familie erfahren, sondern verliebt sich immer in die falschen Männer, letzter Stand der Dinge ist ein ihr ebenfalls zugetaner Priester, den sie im Rahmen einer ihrer Fälle kennenlernt.

Übrigens, Liebesszenen schreiben ist Tess Gerritsens Sache ganz und gar nicht. Dafür hat sie eindeutig kein Talent. Und so lesen sich solche Szenen – die zum Glück nicht oft vorkommen – wie aus den billigen Heftchen-Romanen entnommen. Man versäumt nichts, wenn man diese Szenen schnell überliest.

Insgesamt ist das Setting zwar nicht neu, aber gut strukturiert und in sich stimmig, spannend erzählt und flüssig zu lesen. Da Tess Gerritsen von Haus aus Medizinerin ist und auch einige Jahre als Ärztin gearbeitet hat, sind vor allem die pathologischen Details zwar oft grausig zu lesen, aber glaubwürdig aufbereitet. Und wir Krimi-Fans sind ja aus der Pathologie auch schon einiges gewöhnt.

Gerritsens Plots sind nicht so komplex und hintergründig wie die von Val McDermid – nach wie vor meine Lieblings-Krimiautorin – und ihre Sprache ist auch nicht so literarisch anspruchsvoll (ich habe einen Roman auf Englisch gelesen und das ging ziemlich leicht), aber unter den angelsächsischen Kriminal-Autoren und –autorinnen hat sie sich zu Recht in den letzten Jahren einen der vorderen Plätze erkämpft, auch wenn Jane Rizzoli nicht mein Herz erreichen kann.

Tess Gerritsen hat neben der Reihe um Jane Rizzoli und Maura Isles noch einige Einzel-Romane geschrieben, von denen ich aber bisher nur „Leichenraub“ gelesen habe. In diesem Roman verbindet sie geschickt Gegenwart und Vergangenheit, führt die Leser zurück in die Welt der klinischen Medizin im Jahr 1830 in Boston. Vor dem Hintergrund von Leichenraub für die Anatomie und dem massenhaften Sterben im Kindbett, verursacht durch das unhygienische Verhalten der Ärzte, erzählt sie eine spannende Geschichte um rätselhafte Morde, die an „Jack the Ripper“ erinnern und sich doch am Ende als völlig anders motiviert enttarnen.

Zum Weiterlesen:

(1) Die Jane Rizzoli/Maura-Isles-Romane:

„Die Chirurgin“, dt. 2004 („The Surgeon“, 2001)
“Der Meister”, dt. 2005 (“The Apprentice”, 2002)
“Todsünde”, dt. 2006 (“The Sinner”, 2003)
„Schwesternmord“, dt. 2007 („Body Double“, 2004)
„Scheintot“, dt. 2007 („Vanish“, 2005)
„Blutmale“, dt. 2008 („The Mephisto Club“, 2006)”
“Grabkammer”, dt. 2009 (“The Keepsake”, 2008)
“Totengrund”, dt. 2010“ („Ice Cold“, 2010)

(2) Als Einzel-Roman:

„Leichenraub“, dt. 2006 („The Bone Garden“, 2007)

Deutschsprachige website von Tess Gerritsen: www.tess-gerritsen.de

© frida 2011

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