80 Jahre Tomi Ungerer

Zeichnung für den Kalender: Tomi Ungerer

Veranstaltungskalender des Centre Culturel Franco-Allemand, Karlsruhe

Nun ist es doch passiert. Gestern, am 28. November, ereilten den prominenten Lebenskünstler, Zweifler, Satiriker und genialen Zeichner Tomi Ungerer Glückwünsche aus aller Welt, die ebenso dem “Botschafter für Kindheit und Erziehung” – wie dem Gründer der “Vereinigung Kulturbank” und parallel seinem Engagement für die deutsch-französische Freundschaft gelten.
Mag sein, dass manch einem ob der Vita des Jubilars oder derartiger Zitate leicht schwindlig wird:
”Ich träume davon, völlig besitzlos zu sein.”

… ”völlig besitzlos” – war das nicht eher das Credo eines Messias, nach dessen Tod die Reichen und Mächtigen schamlos unverdrossen noch mehr plünderten und Tod wie Verderben über Völker und Länder brachten? Wie auch immer, der Workaholic Ungerer verblüfft nicht nur mit solch Bekenntnissen.

Und dennoch, ganz ohne Erbe wird die Nachwelt Tomi Ungerers wohl kaum bleiben, angesichts einer schier unübersehbaren Flut von Zeichnungen und Büchern. Letztere über 160 an der Zahl, einschließlich seiner Kinderbücher, die strichweise mitnichten gängigen Vorstellungen von derartigem Genre entsprachen und bisweilen auf herbe Kritik stießen.

Nichts weiter Ungewöhnliches jedoch für einen, der schon in Amerika die Sittenwächter der Ära McCarthy auf die Palme brachte, dessen demonstrativer Spott und erotomanische Zeichnungen dort Gemüter erhitzten, bis hin zum Verbot seiner Kinderbücher und Beschattung durch das FBI.

In einem Interview (2001) äußerte sich das ”enfant terrible” so darüber:

”Meine Satiren waren härter geworden, das konnten die Amerikaner nicht akzeptieren. Ich wurde im Kongress attackiert, wie ich es wagen könne, Kinderbücher mit erotischen Zeichnungen zu machen. Ich habe geantwortet, dass es ohne Sex nun mal keine Kinder gäbe. Danach war ich in Amerika erledigt. Bis vor acht Jahren [1993] standen meine Bücher auf der schwarzen Liste. Seit damals bin ich allergisch gegen Amerika, aber nicht gegen die Amerikaner, schließlich ist meine Frau Amerikanerin.”

Und wenn Ungerer von seinen Albträumen spricht, so wird schnell klar, dass einige von seinen Erlebnissen in Amerika herrühren, dem er nach vierzehn Jahren schließlich den Rücken zukehrte, nach Kanada ging und letztlich zwischen Irland und dem Elsass hin und her pendelte, getreu seiner ”Prophezeiung” als Elfjähriger, dass er einmal ”der Wanderer” sein würde.

Eine sich selbst erfüllende Prophetie also, womit aus ihm ein skurriler Zugvogel wurde, mit viel Sinn fürs Groteske nebst wohl ererbter Präzision eines Uhrwerks, wenn’s um die Sache geht. Und dabei dennoch nie arrogant oder frei von Zweifeln.

Seine Biographie weist ihn als jüngsten Spross eines vielseitig talentierten Uhrmachers aus, der unter anderem die astronomische Uhr des Straßburger Münsters wartete und überdies die größte astronomische Uhr der Welt für den Dom von Messina auf Sizilien entwarf und baute; der verstarb, als Tomi noch keine vier Jahre alt war.
Und wenig später wurde der Junge Tomi Zeuge des Zweiten Weltkriegs. Erst als Franzose, dann als Deutscher und dann wieder als Franzose im Elsass, durch das im Lauf der Geschichte nicht nur einmal die Kriegstrommeln dröhnten.

Eine bewegte Jugendzeit, in der Tomi als Dreizehnjähriger das Ende der Katastrophe erlebte und dank der Konfusion durch zweimaligen Wechsels der Unterrichtssprache sein Abitur knapp verfehlte. Immerhin erlernte er aber unter deutscher Besatzung die englische Sprache so gut, dass er nach dem Krieg als Dolmetscher in der französischen Armee arbeiten konnte. Vieles probierte Ungerer aus, bevor er 1956 mit ein paar Zeichnungen und sechzig Dollar in der Tasche in noch ungewisse Zukunft nach Amerika auswanderte.

Doch schon 1957 gewinnt er seinen ersten Preis für ein illustriertes Kinderbuch ( The Mellops go flying ), das von kleinen Schweinchen handelt und sich schnell als Bestseller herausstellte, wohingegen dann Mitte der sechziger Jahre sein “Geheimes Skizzenbuch” und “The Party” die New Yorker Schickeria in Wallung brachte, was ihm viele Insider der Szene prompt übel nahmen.

Nichtsdestoweniger war und ist Tomi Ungerer in seiner kreativen Rastlosigkeit wie ein Stehaufmännchen. Selbst durch Krankheit kaum zu stoppen. Wann immer es geht, frönt er schier unverdrossen seiner Leidenschaft, wofür sich Preise und Ehrungen häuften. Inclusive eines einzigartigen Museums seiner Heimatstadt, das eine Schenkung des Künstlers mit wechselnden Dauerausstellungen würdigt:

http://www.decouvrez.fr/fr/-Alsace-Lorraine/strasbourg-rend-hommage-illustrateur-tomi-ungerer-.html

Siehe auch Villa Greiner:
Musée Tomi Ungerer/Centre international de l’illustration ‎

Noch schöner allerdings, wenn Tomi Ungerer à la bonne heure selbst aus seinem prallen Leben erzählt:

http://www.swr.de/nachtkultur/rueckblick/tomi-ungerer/-/id=3096936/nid=3096936/did=8736868/1muliny/index.html

http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/431902_ttt-titel-thesen-temperamente/8745654_meister-der-obszoenen-kunst-tomi-ungerer-zum-80-

Nachstehend nur ein paar der Auszeichnungen Ungerers:

1993 das deutsche Bundesverdienstkreuz
1995 der französische ”Große Nationalpreis für Graphik”
1998 den internationalen Hans-Christian-Andersen-Preis
2001 die Ernennung zum Offizier der franz. Ehrenlegion
2003 der ”Erich-Kästner-Preis für Literatur”
2004 die Ehrendoktorwürde der Universität Karlsruhe

Ein Verzeichnis seiner Bücher findet sich beim Diogenes Verlag unter:

http://www.diogenes.ch/leser/autoren/a-z/u/ungerer_tomi/buecher

Das schon zuvor genannte Museum „Centre Tomi Ungerer“ präsentiert in Straßburg seit 2001 eine Daueraustellung, die auf einer Schenkung des Künstlers basiert. Sie umfasst einen beachtlichen Teil seines grafischen Werkes sowie eine große Spielzeugsammlung, das Familienarchiv, Presseartikel und Fotografien.

Erwähnt sei überdies die Stiftung „Centre Culturel Franco-Allemand“ in Karlsruhe, die den 80. Geburtstag des Künstlers mit einer Ausstellung feiert, die vom 12.12.2011 bis 06.01.2012 zu sehen ist:

http://www.ccf-ka.de/ccfa/de/programme/index.php?categ=3
und:
http://www.ccf-ka.de/ccfa/de/index/index.php

Zeichnung für den Veranstaltungkalender von Tomi Ungerer

  • Danke für diesen informativen Artikel, ich hae das Interview in der ARD gesehen, in den nächsten Tagen geh ich denn mal den hier aufgeführten links auf die Spur!

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