„Was Ihr Wollt” 2012 – 22 Jahre Shakespeare-Festival im „Globe” zu Neuss – Eine kleine Reprise von frida
Einmal im Jahr erwacht der Rundbau an der Neusser Rennbahn zu prächtigem Leben. Immer im Juni/Juli treffen sich dort im „Globe” zu Neuss Shakespeare-Liebhaber und Liebhaberinnen nicht nur aus der Umgebung oder Deutschland-weit, sondern auch global – ist das Neusser „Shakespeare-Festival” doch mittlerweile eines der wichtigsten Shakespeare-Festivals weltweit.
Wer Shakespeare liebt oder auch nur an ihm interessiert ist, bekommt dort Shakespearsches Welt-Theater erster Güte geboten. Gruppen aus aller Welt und aus verschiedensten Kulturen loten die unendlichen Möglichkeiten aus, Shakespeare auf die Bühne und an den Zuschauer zu bringen, abseits von Stadttheater-Konventionen, die Shakespeare allzu oft in den Eitelkeiten von Regisseuren ertränken.
Auch in diesem Jahr war den Veranstaltern ein rundum engagiertes Programm gelungen. Hier ein „Hamlet” aus Polen, dort ein „Sturm” aus Litauen, aus Afghanistan kamen zwei Zwillingsbrüder-Pärchen und „Othello” ist ein berühmter Hip-Hopper, Frankreich lässt „Richard III” durch Blut waten und lotet mit „Romeo et Jules Yet” die Möglichkeit einer schwulen Liebesgeschichte aus, während die englische „Propeller Company” ihren „Henry V” militärisch durchexerziert. Natürlich waren auch in diesem Jahr mit der Bremer und Berliner Shakespeare Company und dem Neusser Landestheater die dem Festival verbundenen deutschen Bühnen dabei. Und flankiert wurde das Festival wie immer von Lesungen, Liedervorträgen, Workshops für Lehrer und Schüler und der Lecture „Shakespeare and the Globe” des unverwüstlichen Patrick Spottiswood.
Es ist jedes Jahr eine nicht kleine Qual, aus der Vielfalt des Programms auszuwählen. Ich habe mich in diesem Jahr für „Rah-e Sabz” aus Afghanistan mit der „Comedy of Errors” und für die „Q-Brothers” aus Chigaco mit einer Hip-Hop-Version von „Othello” entschieden.
1. Kann es Theater in und aus Afghanistan geben? „Rah-e Sabz” aus Kabul und die „Comedy of Errors”
Ja, auch wenn „Rah-e Sabz” im Programmheft als „kleines Theaterwunder” beschrieben werden. Bereits 2005 führte die Gruppe in Kabul „Verlorene Liebesmüh” auf, mit Männern und Frauen (!) als Liebende. In diesem Jahr brachten sie vom „Olympic Festival” des Londoner Globe ihre neue Produktion „Comedy of Errors” („Komödie der Irrungen”) mit. Sie kamen mit gleich zwei Handicaps, da sowohl ein männliches als auch ein weibliches Mitglied der Gruppe nicht anwesend sein konnten – und diese Rollen somit doppelt übernommen werden mussten, so dass auch die Regisseurin Corinne Jaber als Ersatz auf der Bühne stand.
Die eher selten gespielte „Comedy of Errors”, Shakespeares heitere Komödie um die Irrungen und Wirrungen zweier Zwillingsbrüder-Pärchen – Herren und Diener – die durch die Zeitläufe zwangsweise getrennt wurden, sich so wundersam wie heiter wiederfinden und am Ende zumindest auch die Herren mit den Eltern wiedervereint werden, ist die Geschichte einer Familien-Zusammenführung, wie sie auch in die Traditionen Afghanistans passt, denn Familie ist wichtig und steht in dieser Kultur über allem. Und so wie sich im Original Ephesus und Syracus feindlich und kriegerisch gegenüber stehen, sind es hier die vom langjährigen Krieg versehrten Städte und Landschaften Afghanistans, durch die die handelnden Personen irren (und sich aber glücklich wiederfinden).
„Rah-e Sabz” siedelt die Geschichte in der Gegenwart an – Kabul ersetzt mühelos das Shakespearesche Ephesus. Die Inszenierung ist keine Minute langweilig, es gibt viel zu lachen, auch wenn die Sprache ungewohnt ist, denn gesprochen wird in Farsi, mit deutscher Übertitelung (abgesehen davon ist auch das originale Shakespeare-Englisch heute kaum noch zu verstehen). Das Spiel wird darüber hinaus von einem Musiker-Trio musikalisch nicht nur begleitet, sondern auch kommentiert. Die afghanische „Comedy of Errors” ist kein experimentelles Stück Theater, aber auch weit entfernt davon, eine Folklore-Veranstaltung zu sein. Afghanische Kultur wird mühelos mit Shakespeare verbunden – und das ist international verständlich.
„Rah-e Sabz” eroberte so spontan nicht nur mein Herz, sondern auch die des restlichen Publikums, das höchst verdient und ausgiebig „standing ovations” im nahezu ausverkauften Rund des „Globe” gab.
2. „And this is why I hate the moor”…
rappt Jago, während er zu donnernder Hip-Hop-Musik über die Bühne tanzt. „Othello” als „Othello – The Remix” in einer Hip-Hop-Version? Ja, geht denn das? Ja, auch das geht. Die „Q-Brothers” aus Chicago haben mit ihrer „Othello”-Version nicht zum ersten Mal Hip-Hop und Shakespeare zusammen auf die Bühne gebracht, sie waren bereits schon mit „Bombity of Errors” (nach „Comedy of Errors”) und „Funk it Up About Nothin’ (nach „Much Ado About Nothing”) erfolgreich unterwegs.
Nun ist also Othello ist „MC Othello”, ein Rap-Star im Musikgeschäft, verheiratet mit der Sängerin Desdemona, der Tochter des Plattenbosses und gegen dessen Willen. Cassio ist der Pop-Rapper und Jago der Hip-Hop-Hardliner. Dass Othello den geschmeidigeren Cassio Jago auf der anstehenden Tournee vorzieht, ist sein und Desdemonas Todesurteil. Jago, der Anti-Held, geriert sich als fürchterlicher Puppenspieler im pumpenden Beat des Hip-Hops – und diese düstere Geschichte über Eifersucht und Macht, über Vertrauen und Glauben, über Verblendung und Lust an der absoluten Zerstörung funktioniert zeit-und nahtlos.
Dabei sind die „Q-Brothers” nicht nur gute Hip-Hopper, sondern vor allen Dingen auch gute Schauspieler, eine „all male”-Company im Stil der Zeit Shakespeares. Das heißt, dass Desdemona gar nicht anwesend ist und die anderen Frauenrollen gleich von den „Q’s” mitübernommen werden. Dabei ergeben sich hinreißende Möglichkeiten, wie etwa eine Soul-/Hip-Hop-Version des James Brown-Klassikers „It’s a Mans World” im Stile der Supremes.
Stille herrscht allerdings, wenn Othello seine Desdemona erstickt – schwierig zu spielen, wenn die andere Person ja nicht anwesend ist, aber wunderbar gemeistert. Ich habe schon Desdemonas in schlechten Aufführungen den schnellen Tod gewünscht – aber das hier greift ans Herz, ist ein absolutes Highlight. So wie dieser Othello-Remix ein Glanzstück ist, das das Festival hell strahlend zu Ende gehen lässt.
Den „Q-Brothers” gelingt es mühelos, auch die älteren Zuschauer in ihren Bann zu ziehen – und auch ich, obwohl mein Musikgeschmack meilenweit von Hip-Hop oder Rap entfernt ist, würde mir gerne weitere Inszenierungen der „Q’s” ansehen. Ein begeistertes Publikum und „standing ovations” sind der Lohn am Ende der Aufführung.
Und damit schloss das „Globe” für dieses Jahr seine Pforten, aber nur, um im nächsten Jahr wieder im alten/neuen Glanz zu erstrahlen und mit uns erneut das Shakespearsche Universum zu erkundigen.
© frida 2012
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