fridas Filmtipp: „Cloud Atlas” von Lana, Andy Wachowski und Tom Tykwer

Nein, mit Worten lässt sich „Cloud Atlas” kaum beschreiben. 174 Minuten lang prasselt ein bildgewaltiges Epos auf den Zuschauer ein, der vor Staunen gebannt im Kino sitzt und sich die ganze Zeit darüber wundert, dass heutzutage noch so etwas möglich ist:

Ein Drehbuch (Lana Wachowski, Andy Wachowski, Tom Tykwer), das keinerlei Schwächen hat. Das sechs Geschichten aus den Jahren 1849, 1936, 1973, 2012, 2144 und 2346 mühelos miteinander verbindet.

Dazu Bilder, die dem jeweiligen Zeitraum völlig angepasst sind – ob es ein großes Segelschiff auf stürmischer See ist, eine Autojagd durch San Francisco, ein megalomanisches Neo Seoul oder die Post-Apokalypse auf einer sterbenden Erde.

Und Darsteller, unter denen kein einziger ein Ausfall ist, sondern die samt und sonders mit einer geradezu besessenen Spielfreude aufspielen.

Was die Geschichten von „Cloud Atlas” verbindet – die Storyline des Films heißt ja „Alles ist verbunden” – ist der humanistische Impetus des einzelnen, der Mut, sich gegen überkommene Konventionen aufzulehnen, der Mut, gegen das Herrschende anzudenken und sich zu wehren, eine Haltung einzunehmen, auch wenn sie nicht den gerade herrschenden Bedingungen entspricht.

Sei es der fast sterbende Anwalt, der im Jahr 1849 auf einem Großsegler einem entkommenden Sklaven das Leben rettet. Sei es der schwule junge Komponist im England des Jahres 1936, der seine einzige große Komposition – eben jener „Cloud Atlas” – vor den Begehrlichkeiten eines anderen rettet und damit sich selbst ausliefert.

Sei es eine junge aufrechte Journalistin, die im San Francisco des Jahres 1973 unter Lebensgefahr eine Atomintrige aufdeckt. Sei es der etwas zwielichtige Verleger, der sich im Jahr 2012 ins Altenheim abgeschoben gegen die Entmündigung auflehnt.

Sei es die biogenetisch hergestellte Duplikantin, die im Neo Seoul des Jahres 2144 in einer von Technokratie beherrschten Welt entdeckt, dass sie einen eigenen Willen und Gefühle besitzt. Sei es der Ziegenhirte, dessen Welt im Jahr 2346 am Ende ist, und der doch einem anderen Volk aus einem anderen Universum zum Überleben verhilft und damit auch sein Überleben sichert.

Sie alle eint, dass sie Schwäche in Stärke umwandeln, dass sie sich den herrschenden Verhältnissen entgegenstellen und damit den Herrschenden ein Schnippchen schlagen, dass sie nicht akzeptieren, dass die Welt so ist, wie sie ist. Dass sie auch den Mut haben, sich selbst zu opfern, wenn es sein muss.
Zu Beginn des Film, wenn jede Geschichte einmal angerissen wird, fragt sich der Zuschauer noch, wohin das wohl führen wird. Aber je weiter die Handlung fortschreitet, je mehr sich die Episoden vom Erzählbogen ineinander verschränken, wird man automatisch in sie hinein gezogen.

Die Wachowskis und Tykwer – die sich die einzelnen Episoden aufgeteilt haben – zeigen sich auf der Höhe ihrer Regiekunst. Und alle drei kennen sich in Filmgeschichte aus. Hier ein wenig „Moby Dick”, dort eine Reprise auf „Einer flog über das Kuckucksnest”. „Bullitt”, „Die Straßen von San Francisco” und „Silkwood” lassen grüßen, und natürlich unvermeidlich „Blade Runner”, gepaart mit „Soylent Green” und ein wenig „Coma”. Und sicher viele andere mehr, die man erst auf den zweiten und dritten Blick entdeckt.

Ja, und was für ein Cast: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Jim Sturgess, Ben Wishaw und Doona Bae als Hauptcast und komplementär dazu Susan Sarandon, Hugh Grant, Hugo Weaving, um nur die bekanntesten zu nennen. Ein erstklassiges Ensemble, das mit einer ganz besonderen Spielfreude dabei ist und die Bilder so zum Leben erweckt, wie es sich die Regie gedacht hat.

Und sie alle spielen außer „ihrer” Hauptrolle eine Vielzahl von weiteren Figuren, und man muss schon oft sehr genau hinsehen, wer sich gerade hinter der Maske verbirgt.

Ein spezielles Wort zur Maske: Ich möchte nicht wissen, wieviele Stunden die Schauspieler jeweils in der Maske verbracht haben. Jedenfalls haben die Maskenbildner perfekte Arbeit geleistet. Ich habe selten eine so ausgesprochen exzellente maskenbildnerische Arbeit gesehen. Wenn ein Film einen der kommenden „Oscars” für Maske verdient hat, steht „Cloud Atlas” sicherlich an vorderster Stelle.

Tom Tykwer hat es sich nicht nehmen lassen, einen Teil der Filmmusik zu komponieren. Wenn ich mich nicht irre, geht das Musikstück „Cloud Atlas” auf sein Konto. Und auch hier: Perfektion und doch ans Gefühl gehend. Genau in der Balance – nicht zu wenig und nicht zu viel.

So überschwänglich es auch klingen mag: „Cloud Atlas” ist ein einzigartiger filmischer Wurf, ein Meisterwerk. Ein Film, den man mindestens einmal im Kino gesehen haben muss – und den man mindestens noch einmal gesehen haben muss.

„Cloud Atlas”, Regie Lana, Andy Wachowski, Tom Tykwer, USA/D 2012, ca. 174 Minuten

© frida 2012

  • Ich überlegte ja noch, ob ich mir den Film ansehen soll, aber nach dieser tollen Empfehlung ist es keine Frage mehr 😀

  • Ich war heute mit meinen Kindern in dem Film. Meine Jüngste (14) sagte, er wäre noch schwieriger als Inception, aber sie würde ihn gerne nochmal sehen mit dem Wissen von Anfang an, das sie am Schluss hatte.

    Mir hat der Film sehr imponiert und ich kann der Rezension in allen Punkten zustimmen.
    Meine Highlights bei den philosophischen Gedanken:
    – Der Tod ist eine Tür, hinter der der Liebste wartet.
    – Dass alles verwoben ist und das Leben eine Wiederkehr.
    – Dass die Courage eines Einzelnen mehr als ein Tropfen im Meer ist, weil das Meer aus Tropfen besteht.

    Es gibt wenige Filme, die ich zweimal im Kino gesehen habe, aber dieser hier verlangt geradezu danach.

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