Babumm

Ein Pochen.
Pulsieren.
Ganz warm.
Der Winterwind schlug mir hart ins Gesicht, der Schal konnte nicht alles verdecken. Die Handschuhe verhinderten es, den Reißverschluss zu fassen.
Doch ich neigte nicht den Kopf.
Als ob ich mich verneigen würde, verbeugen, unterwerfen, nachgeben!
Nein, weder vor dem Wind, dem peitschenden, kalten Wind, noch vor dem Winter, dem glitzernden, kahlen Winter.
Der Schnee war noch nicht tief genug um zu knirschen, aber er schmatzte. Bei jedem meiner Schritte schmatzte er genüsslich auf, und danach hielt er seinen matschbraunen Schlund geöffnet, in der Hoffnung noch mehr zu bekommen.
Doch ich ging nicht zurück.
Ich würde ihm nicht geben was er wollte.
Niemals.
Meine Ohren meldeten sich ein letztes Mal mit einem unangenehm drückenden Gefühl, bevor sie sich der Taubheit ergaben und ich nichts mehr fühlte.
Ich konnte meine Nasenspitze förmlich rot leuchten sehen.
Und dann musste ich doch halt machen.
Den Handschuh zwischen den Zähnen kramte ich nach einem kleinen zerfetzten Papiertuch, und schnäuzte.
Viel bringen würde es nicht, spätestens in einer Minute bräuchte ich wieder eins.
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Zwischen Tür und Angel

Bei Schusters im vierten Stock klingelte es Sturm.
„Jetzt reicht es aber!“ brauste Schuster auf und drückte seine Frau auf den Stuhl zurück.
Lass mich mal gehen! Wenn das wieder so ein lästiger Vertreter ist, dann soll er mich kennen lernen!“
Vor der Tür stand ein Mann mit Aktentasche. Man sah ihm an, dass er für irgendwen mit irgendwas handelte.
„Wir kaufen nichts!“ schimpfte Schuster laut, und bevor der Mann überhaupt sagen konnte, was er wollte, flog die Tür wieder zu. Als Schuster sein gemütliches Kaffee trinken beendet hatte und im warmen Wintemantel das Haus verlassen wollte, stieß er im Treppenhaus auf mehrere Menschen. Sie bemühten sich um einen Fremden; es war der Mann, der eben bei Schusters geklingelt hatte. Eines der Hosenbeine war hochgerutscht, aus den Schuhen triefte Schneewasser. Mit seinem schäbigen, viel zu dünnen Anzug war er an der Flurwand heruntergerutscht. Man hatte ihm den Kragenknopf geöffnet. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Als der Fremde Schuster erblickte, flackerten seine müden Augen auf, und noch ehe Schuster wegsehen konnte, hatte der Blick des Schwachen den Blick des Starken erfasst und hielt ihn wie mit einer Zange. Dieses Bild ertrug Schuster nicht. Schnell eilte er auf die Straße. Sein Gewissen hämmerte: Wenn er dir nun gar nichts verkaufen wollte? Wenn er nur ein Glas Wasser nötig hatte? Unsinn! beruhigte ihn eine innere Stimme. Wo käme man im Leben hin, wenn man nichts ablehnen durfte, nur weil der Betroffene es sich vielleicht zu Herzen nahm!
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Zwölf Jahre einfach

Autos hupten und quälten sich durch die stark befahrenen Straßen. Von irgendwoher drang Baustellenlärm. Rod Beezcrown kämpfte sich durch das Gewühl von Fußgängern auf dem belebten Bürgersteig. Passanten kamen entgegen, wichen aus, überholten ihn. Manche blieben stehen und unterhielten sich, andere fragten am Kiosk nach irgendetwas.
Lichtreklamen an den Häuserfassaden blinkten in allen Farben, die Schaufenster waren hell beleuchtet und mit allerlei Ausstellungsware dekoriert. Die Türe eines Restaurants wurde geöffnet und der verlockende Duft saftiger Grillhähnchen drang in sein Bewusstsein.
Er empfand angenehmes Verlangen. Speichel sammelte sich im Gaumen.

Pünktlich um 8:30 Uhr fand er sich im orthopädischen Trainingsraum ein. Er nahm auf der Liege Platz, alles andere erledigte die Maschine. Bestmögliches Training des menschlichen Bewegungsapparates hieß es, mit besonderem Schwerpunkt Erhaltung belastungsintensiver Muskel- und Gelenkfunktionen. Täglich durchzuführen. Eine computergesteuerte Vorrichtung bewegte ihm dabei Beine, Arme, Rücken- und Halswirbel. Jeden Tag eine Stunde.
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Unterwegs in meiner Stadt

Erkrath, das ist die Stadt, in der ich wohne. Ein schöner Ort, der zwischen Düsseldorf und Wuppertal am Rande des Bergischen Landes liegt und das Tor zum Neandertal ist. Warum? Nun, hier wurden 1856 die Knochen des Neandertalers gefunden.

Mit ungefähr 50000 Einwohnern, verteilt auf drei Stadtteile, ist Erkrath zwar nicht sehr groß, hat aber trotzdem ein paar Sehenswürdigkeiten, die man kennenlernen sollte. Seien Sie also mit mir unterwegs, schauen wir uns doch einige davon an.

Als erstes geht es natürlich zur Fundstelle der Neandertaler-Knochen, von der aus ein sogenannter „Evolutionspfad“ zum an der Stadtgrenze Erkrath/Mettmann gelegenen Neanderthal-Museums führt, dessen Besuch sich auf jeden Fall lohnt. Hier wird die Ur- und Frühgeschichte der Menschheit sehr anschaulich dargestellt und Wissbegierige können hier interessante Bücher zum Thema kaufen.
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Rücksicht oder nicht

Es ist ein wunderschöner, sonniger Freitagnachmittag an dem Franz und ich unserem Hobby nachgehen wollen. Wir sind beide passionierte Angler und möchten heute im Duisburger Hafen unser Glück versuchen. Der sogenannte Zielfisch ist der Zander, aber dafür müssen wir vorher noch ein paar Köderfische fangen, damit am Abend der ein oder andere Zander zu uns findet und sich später schmackhaft zubereiten lässt. Wir packen also unsere komplette Ausrüstung in den Wagen von Franz und starten durch. Franz ist ein sehr guter und sicherer Autofahrer, daher lehne ich mich als Beifahrer zurück und genieße die Fahrt. Wir müssen etwa 20 Kilometer über die Autobahn um zum Duisburger Hafen zu kommen. Er tritt aufs Gaspedal und los geht die Reise. Wir fahren schon ein kurzes Stück auf der Bahn, unterhalten uns angeregt, wie groß die Fische sind die wir fangen und wie schwer, oder wie es beim letzten mal war, da bemerke ich wie neben mir etwas Großes die Sonne verdunkelt. Es ist ein LKW, der auf die Autobahn auffahren will. Franz bleibt natürlich ganz cool, hält gleichmäßig das Tempo und fährt mit dem LKW immer gleich auf. Der Fahrer des LKW hupt mittlerweile und gibt weiter Gas, aber Franz lässt sich davon nicht beirren. Mir wird jetzt langsam Angst und Bange und ich mache mich gestikulierend und winkend bei Franz bemerkbar.
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Wie groß muss Glück sein?

Gestern traf ich das Glück. Unerwartet und überraschend war unsere Begegnung. Auf dem Weg zur Arbeit, in vollgestopften Zügen und beim Warten auf dem Bahnsteig, trifft man die verschiedensten Leute. Das unter all meinen Begegnungen auch das Glück sein würde, hätte ich nicht einmal in meinen kühnsten Träumen gedacht. Aber wie sollte es auch anders sein? Wer rechnet schon damit, dem leibhaftigen Glück von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Trotzdem, hätte ich mir jemals Gedanken darüber gemacht, wie dieser Moment aussehen würde, hätte ich ihn mir mit Sicherheit vollkommen anders vorgestellt.
Es war einer dieser Tage, an denen alles schiefgeht, das auf irgendeine erdenkliche Weise schiefgehen kann. Das war mir bereits bewusst, als ich mich um halb sechs Uhr morgens aus dem Bett quälte, um mich für meine Arbeit als Verkäuferin fertigzumachen. Unterwegs zum Bahnhofs beeilte ich mich, um den Zug nicht zu verpassen – absolut unnötig, wie sich herausstellte, den die Bahn hatte über eine halbe Stunde Verspätung. Während dieser Zeit stand ich vor Kälte zitternd am Bahngleiß und durfte mir das Geschwätz eines Mannes anhören, der sich in den Kopf gesetzt hatte, meine Telefonnummer zu ergattern. Man kann sich vorstellen, wie erleichtert ich war, als der Zug endlich ankam und ich mich schweren Herzens von ihm verabschieden musste.
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Eine Weile geborgen

Ich laufe die Straße entlang, ohne Ziel, einfach weg. Mein Atem geht schwer. Ich bin das Laufen nicht gewöhnt. Egal! Einfach nach vorne schauen, laufen und an nichts denken, nur vergessen! Alles vergessen! Seine fordernden Hände, seine gierigen Blicke, sein stinkendes Geschlecht – meinen Ekel, alles vergessen! Nach vorne schauen und rennen! Einfach nur weg, am besten weit weg! Ich laufe. Ich renne. Ich stolpere, dann laufe ich weiter. Plötzlich sehe ich den Bahnhof. Zum ersten Mal blicke ich mich um. Er folgt mir nicht. Erstaunlich! Ich laufe zum Bahnsteig, springe hastig in den Zug, lasse mich fallen in den weichen Sitz. Heiß strömt das Blut durch meine Adern, pocht wild in meinem Kopf, treibt mir kalten Schweiß auf die Stirn. Nicht auffallen! Am besten unsichtbar sein!
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Geschenktes Lächeln

Ich steige ein in einen vollen Zug. Ohne Platzkarten. Es gelingt trotzdem: ich kann sitzen.

Der schnelle Zug durchschneidet das flache Land. Er rollt sanft von einem Halt zum anderen. Wiegend. Einschläfernd. Unruhe tritt immer nur dann auf, wenn wir uns einem Bahnhof nähern. Dann erfolgen kurz vorher die Ansagen:
Verspätung oder nicht… Die Anschlusszüge warten auf diesem oder jenem Bahnsteig… Steigen Sie bitte rechts oder auch links aus!
Man beginnt sich zu verabschieden. Wünscht einander gute Weiterfahrt und begibt sich rasch zur verriegelten Waggontür. Mein Ziel ist noch lange nicht erreicht, ich kann also sitzenbleiben.
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45 Sekunden

Die gläserne Kabine öffnete sich sanft. In der Tür erschien ein breites Lächeln.
„Guten Morgen, bitte einzutreten. Einmal in den Himmel gefällig?“
„Wenn der Himmel Ostrau heißt.“
„So ist es. Einfache Fahrt oder mit Rückfahrt auf die Erde?“
„Hin und zurück bitte.“
„Das sind 2 Euro 50 für Sie und die gnädige Frau Gemahlin und für den werten Herrn Sohn und den werten Herrn Hund je 2 Euro. Macht 9 Euro nach Adam Riese.“
Der Liftführer kassierte und drückte auf einen Knopf. Die Kabine schloss sich und der Aufzug schnurrte senkrecht in die Höhe.
„Von hier hat man aber einen schönen Blick auf die Elbe.“
Der Liftführer nickte. „Sie sind zum Wandern hier?
„Ja, gestern waren wir in Dresden und heute wollen wir zu den Schrammsteinen.“
„Sehr schön. Sie werden begeistert sein.“
„Ui, das geht aber ganz schön hoch rauf hier.“
„Ja, bis auf 50 Meter.“
„Cool!“
„Wau wau.“
„So, da wären wir. Drüben am Kiosk gibt es eine Hundebar, falls er Durst hat. Und für Sie gibt es natürlich auch etwas. Den Milchkaffee und den Kuchen kann ich sehr empfehlen.“
„Danke. Sagen Sie, ich habe gehört, hier soll es ein Luchsgehege geben.“
„Ja, direkt neben dem Kiosk. Wenn sie Glück haben, macht er gerade einen Spaziergang.“
„Und wie lange ist der Aufzug heute in Betrieb?“
„Jeden Tag von 09:00 bis 18:00.“
„Na, dann haben wir ja genug Zeit, schönen Tag noch.“
„Gleichfalls, auf Wiedersehen.“
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Unterwegs nach Wien

Da saß ich nun und blickte müde aus dem Fenster. Ich hatte ganze zehn Stunden Busfahrt vor mir und wollte die Zeit nutzen, um den gestrigen versäumten Schlaf nachzuholen.
Nach einiger Zeit, es mussten wohl drei Stunden vergangen sein, wachte ich ruckartig auf, weil der Bus stoppte. Es schien so, als würden nochmals Fahrgäste zu steigen. Eilig suchten die neuen Passagiere ihre Sitze. Zu meiner Bestürzung fand auch neben mir eine alte Dame ihren Platz. Dahin meine Arm- und Beinfreiheit. Wir fuhren weiter und es dauerte nicht lang bis sich die Dame zu mir wandte. Höflich stellte sie sich mir als Frau von Dahlen vor und das sie sich freue über meine Gesellschaft. Da es nun ganz den Anschein hatte, dass ich nicht zu weiterem Schlaf finden würde, sondern mich zu einem Gespräch genötigt fühlte, stellte ich mich ihr nun auch vor und begutachtete ihre Erscheinung. Sie hatte langes, graues Haar, welches zu einem Dutt zusammengesteckt war und ihre runzelige, durchscheinende Haut bedeckte ein langes Kleid mit einem Schnittmuster aus dem 19. Jahrhundert. Sie erzählte mir, dass sie wohl seit vielen Jahren nicht mehr in Wien gewesen war und das, obwohl es ihre Geburtsstadt war.
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