Das Großraumtaxi

Wenn die eigene Mobilität mit der Abgabe des Führerscheins ganz drastisch eingeschränkt wird und das geliebte kleine Auto, das einst so viel Freiheit bedeutet hat, in einer Kleinanzeige auf der Seite für Autoverkäufe erscheint, eingebettet in „Bauen und Wohnen“ und das Reisejournal, dann merkt man erst, wie PKW-ausgerichtet unsere Gesellschaft ist. Linde und Walli, zwei rüstige und unternehmungslustige Damen des Seniorenstifts „Abendrot“, waren auch einst Besitzer eines Führerscheins Klasse drei und hatten rege davon Gebrauch gemacht. Doch als sie unsicherer wurden und die Fahrtüchtigkeit nicht mehr so war, wie sie es sich vorstellten, da hatten beide beschlossen, nicht mehr am Steuer eines Autos am Straßenverkehr teilzunehmen. Linde meinte: “es reicht, ehe ich noch einen Unfall verursache und wohl möglich noch jemanden durch meinen Egoismus ins Unglück stürze, fahre ich ab jetzt nur Bus und Taxis. Außerdem hat man ja auch noch den einen oder andern Verwandten oder Bekannten, zu dem man mal ins Auto steigen kann,“ und sie brachte ihre Fahrerlaubnis zur Führerscheinstelle zurück. Walli behielt ihren Schein als kleine Erinnerung an flotte Zeiten, beschloss aber auch nicht mehr zu fahren.
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Das Wiedersehen

„Die Fahrkarte bitte!“ Die Stimme hinter Elke klang ungeduldig.
„Ja Moment, ich habe sie gleich.“ Nervös kramte sie in ihrer Tasche, um dann triumphierend das gewünschte Papier hervorzuziehen. „Sag ich doch, da ist sie.“
Der Schaffner schaute prüfend über den Brillenrand und entwertete die Karte. „Gute Fahrt“, sagte er und verließ das Abteil.
Elke verstaute ihr Gepäck und hing den Mantel an den Hacken neben dem Fenster. „Nicht mal in Ruhe einsteigen kann man“, dachte sie, „sehe ich aus, als würde ich schwarzfahren?“
Sie setzte sich ans Fenster und schaute dem bunten Treiben auf dem Bahnhof zu. Menschen aller Nationen und Generation liefen hin und her, weinten und lachten, lagen sich in den Armen und sprachen durcheinander. Manche winkten zum Abschied. Andere gingen, ohne sich umzudrehen. Ein lautes Pfeifen, ein kleiner Ruck und der ICE setzte sich in Bewegung. Erst jetzt beachtete sie den Mann auf dem ihr gegenüberliegenden Platz, der umständlich seine Zeitung zusammenlegte.
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Dieter und Imbi – zusammen unterwegs

Orpheus und Euridike, Antonius und Kleopatra, Romeo und Julia; in der Literatur begegnet uns die tragische Liebe als eine Kraft, welche über die Gesetze des Lebens hinaus ihre Flügel spannt und mit gewaltigem und endgültigem Drang die körperliche Existenz hinter sich lässt. Sie spottet die Grenzen des Todes Lüge und erlangt damit eine Aura des Übernatürlichen. Sie wirkt gestelzt und kitschig. Sie ist das menschliche Versprechen, welches wohl am meisten gebrochen wird.
Trotzdem geben es die Menschen immer wieder ab, wohl in der Hoffnung, dass in ihrem speziellen Fall die Bindung an das Gegenüber stärker sei als Streit, Missgunst, Enttäuschung, Gewohnheit und Auseinanderleben. Weiterlesen »

Stalking Lilly

Gleich ist es halb neun. Die Kinder sind immer noch nicht im Bett. Großer Aufstand. Der Höhepunkt meiner Tour.
„Die anderen schlafen schon um acht“, schimpft die Mutter. Gequengel.
„Nur noch fünf Minuten.“
Es ist jeden Abend dasselbe. Der Vater will schlichten.
„Am Wochenende dürft ihr länger.“
Ich synchronisiere die Szene hier draußen im Regen. Durch die Schallisolierten Fenster bekomme ich vom wahren Dialog nichts mit. Halb so schlimm. Ich kenne meine Karstensens. Beruhigt gehe ich weiter. Das nächste Haus, nur zwei Stockwerke höher, im dritten Fenster von links. Frau Mott hat wieder Männerbesuch. Dieser hier ist neu. Misstrauisch mustere ich den schwitzenden Mann dort oben im Schlafzimmer. Er ist schlecht im Bett, das sehe ich sofort. Verzieht das Gesicht beim Sex. Fast schon traurig. Ich frage mich, was wohl aus Christian geworden ist. Gelangweilt starrt Frau Mott an die Decke. Den Orgasmus täuscht sie vor. Das hat sie schon lange nicht mehr gemacht. Armer Neuer. Ich taufe ihn Leopold. Weiterlesen »

Grenzenlos

Ich lache, so laut und kräftig in die Nacht hinein. Drehe mich, tanze ein kleines Stück an der Straße entlang. Es ist ein tolles Gefühl, so frei, so unaufhaltsam. Es durchdringt meinen ganzen Körper. Ein Kribbeln, ein Kribbeln der Freiheit, wie wenn man Fallschirm springt. Ja, es ist sogar ein kleines bisschen so wie fliegen, als ob ich durch die Wolken fliege und irgendwann, wenn ich die richtige Wolke gefunden habe, schwebe ich ein Stück auf ihr, frei wie ein Vogel, so unaufhaltsam. Ich kann hin gehen, wohin ich will. Es dauert keine zwei Sekunden und ich bin da, angekommen im Paradies. In meinem eigenen persönlichen Paradies. Dort ist alles so, wie ich es mir vorgestellt habe. Das Bild, welches die Phantasie entworfen hat, ist plötzlich real. Auf einmal kann ich alles, alles wovon ich je geträumt habe. Ich bin die beste Tänzerin, die beste Sportlerin. Egal was ich wollte, es ist plötzlich wahr. Niemand kann mir etwas vorschreiben. Ich kann tun und lassen was ich möchte. Meine Welt, mein Leben. Ohne Zwang, ohne Dinge, die ich tun muss. Es gibt keinen Zeitdruck mehr. Zeit existiert nicht mehr. Zeit hat keine Bedeutung mehr. Es gibt nur noch das Leben, so wie ich es will. Ich habe soviel Zeit für etwas, wie ich möchte, so viel Zeit, wie ich brauche.
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Unterwegs im Watt

Ein Wochenende in den 90er Jahren. Mit der Fähre zur Insel ließen viele das Festland zurück. Insulaner, die nach Hause wollten, Touristen am Anfang des Urlaubs, oder auch solche, die nur einen Ausflug machten. Bevor die Fähre den Schiffsweg zum Hafen einbog, zog sie in Sichtweite des Badestrandes vorbei, wo man buntes Treiben beobachten konnte. Doch irgendwo zwischen Festland und dieser Insel war es wesentlich ruhiger, dort war ein alter Mann im Wattenmeer unterwegs. Er lief bedächtig, immer weiter weg vom Ufer. An diesem heißen Tag trug er nur eine dunkle Badehose und ein weißes T-Shirt Am Horizont waren mittlerweile größere Wolken zu erkennen, und immer noch konnte man Silbermöwen im leichten Abendwind schreien hören. Der Alte schaute in die Ferne. Bald würde er sein Ziel erreicht haben. Doch was war dort? War da nicht eine kleine Gestalt zu erkennen? Jemand so weit draußen im Watt? Vielleicht sogar ein Kind?
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Nicht jedermanns Sache

Peter war auf dem Weg vom Büro nach Hause, als sein Handy klingelte. Es war Tina.
“Wir bekommen Besuch … Julia und Sascha. Es ist aber nicht genug Wurst da.” Sie schrie fast.
“Tina, mein Ohr …”
“Du musst kurz einkaufen, Peter”, unterbrach sie ihn und legte auf.
Peter hasste es, einkaufen zu gehen, Tina wusste das. Aber es war zwecklos, gerade jetzt mit ihr darüber zu streiten. Wahrscheinlich stand sie im Putzstress, wie immer, wenn sich Besuch kurzfristig angekündigt hatte. Also bog Peter an der nächsten Ampel links ab und tat, was Tina von ihm verlangte.
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Geliebte Flavia

Lässig strich Rupert sich mit mit der linken Hand durch seine halblangen füllig gewellten roten Haare, während er mit seiner Rechten, genüsslich die Zigarette zum Mund führte und den Rauch tief in seine Lunge sog.
Eine kleine kreative Pause war jetzt genau das richtige. Dann lief alles gleich wieder wie von selbst.
Eisgekühltes Bier, die Packung mit den Glimmstängeln griffbereit, um gemütlich auf der Hollywoodschaukel die Seele baumeln zu lassen, und ein paar extra Streicheleinheiten für seine Flavia. So ließ es sich leben.
Rupert, ein schöner junger Mann mit hellem sommersprossigem Teint und seine edle Katze Flavia, die ihm in Schönheit und Feingliedrigkeit ebenbürtig war, wurde in seinen Kreisen nur „die Katze“
genannt. Was hauptsächlich darauf zurückzuführen war, dass er ebenso lautlos vorging wie selbige und in seiner Geschmeidigkeit in nichts dieser erlesenen Rasse nachstand. Und weil die anmutige Flavia seine Komplizin war. Keinen Einbruch ohne Flavia! – Die außergewöhnlich talentiert und ihm stets eine verlässliche Hilfe war.
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Unterwegs zu Oma

Warum hatte er diese blöden Englischaufgaben nicht gleich gemacht? Mutters Blick, als sie ihn am Computer erwischt hatte statt am Tschäpter feif, hatte Bände gesprochen. Was hätte es genützt ihr zu sagen, dass er die Vokabeln nicht lernen konnte? Es wollte ihm nicht in den Kopf, dass bikamm so etwas anderes bedeutete als es klang. Und es nützte auch nichts, wenn er es vor sich hinsprach. Auch das ti äitsch wehrte sich mit aller Macht. „Üb“, sagte Mutter. Dabei wurde es dadurch nur schlimmer.
„Bikamm“, flüsterte Thomas, „bikamm, bikamm, bikamm, bikamm.“
„Ssss“, wisperte er. Zungenspitze an Schneidezähne und einen Hauch Luft hindurchschicken. „Tssss… Dässsshh…“ Wenn er die Zunge zu fest andrückte, war es „däd“. „Däd“, flüsterte Thomas, „däd … däd … däd…“
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Die Wohnheimsuche

Ich war eines Tages unterwegs, um einen neuen Wohnheimplatz zu finden. Es gab ein Gespräch. Es waren sechs Mann. Also drei Gesprächspartner. Auf dem Weg dorthin habe ich mich vorbereitet.Ich hatte einige Fragen, die ich leider nicht los geworden bin.Das Gespräch verlief positiv. Es wurde mir signalisiert, dass ich eventuell eine Zusage bekommen könne. Nach dem Gespräch habe ich mit meinen Eltern unterwegs noch etwas gegessen und über das Gespräch gesprochen.. Jetzt muss ich mich noch entscheiden, dass wird nach einem weiteren Gespräch geschehen. Ich werde das nächste mal am 4. November unterwegs sein.

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ullam